Die Geschichte vom weinenden Kamel (DVD) Testbericht

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ab 4,70
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Erfahrungsbericht von w.gruentjens

Ein bereichernder Film

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Die Geschichte vom weinenden Kamel ist eine Geschichte mit wenig Handlung, aber mit vielen guten Ansätzen zum Nachdenken; sie ist ein Film ohne bekannte Schauspieler, ohne Action, Filmmusik, ohne Effekte, aber mit viel Ruhe, Schönheit und Aussage.

Wir werden zunächst in die Wüste Gobi geführt, in eine Gegend, von der man sich überhaupt nicht vorstellen kann, dass dort Menschen leben. Sie leben aber da, und sie haben Schafe und Kamele gezüchtet, die mit den kargen Pflanzen, die dort wachsen, und mit Wasser, das menschliche Brunnentechnik hinzufügt, leben können. Und schon bald wird man in das Leben der Bewohner und der Tiere eingeführt.

Die Bewohner haben keine Häuser, sondern Zelte - etwa wie die Jurten der Pfadfinder - mit festen Türen. Die Familie lebt darin als Großfamilie - drei Generationen zusammen. Es ist zwar alles für unsere Begriffe veraltet, aber es ist nicht steinzeitlich. Der Ofen heizt und kocht, wenn man das Oberteil abnimmt und durch einen Wok ersetzt, und er wird bestückt mit den trockenenen Pflanzenteilen, die man genügend in der Umgebung findet.

Die Familienmitglieder haben Respekt voreinander, denn die Trennung zwischen Alt und Jung wie bei uns gibt es noch nicht. Man hat auch Respekt vor den Tieren. Immer, wenn wir von Viehzüchtern der Jungsteinzeit sprechen, dann meinen wir, das Vieh wäre sozusagen der Betrieb und würde fast automatisch wachsen und gedeihen. In diesem Film wird uns aber beigebracht, dass Tiere nur gedeihen, wenn man sich um sie kümmert. Ausführlich wird gezeigt, wie die Viehzüchter ihr Vieh lieben, pflegen, füttern, bei der Geburt helfen, kleine Lämmer als Haustiere pflegen oder den richtigen - oder manchmal falschen? - Müttern zuordnen.

So kommt es dann auch zum Problem, das den Film bis zum Ende beschäftigen wird: Eine Kamelkuh, die ihr erstes Junges zur Welt bringt, hat eine schwere Geburt; und außerdem ist das Junge noch weiß, also vielleicht ein Albino. Jedenfalls lehnt die Mutter das Junge ab. Schon wenn es ihr gezeigt wird, macht sie abweisende Töne, wenn es trinken will, stößt sie es weg, wenn es schmust, erwidert sie das Schmusen nicht.

Die Bewohner versuchen dann mit Hilfe der Lamas (ich meine nicht die Tiere, sondern die buddhistischen Priester) und diverser Opfergaben das Problem zu lösen; aber das gelingt nicht.

Hier merken wir zum ersten Male: Tiere müssen auch eine Seele haben; und dieser Gedanke setzt sich in dem Film immer weiter fort.

So entschließen sie sich endlich, das Hoos-Ritual, bei dem durch Musik ein Kamel zum Weinen und zum Erweichen seiner Gefühle gebracht werden soll, anzuwenden. Welche Unterschiede zu unserer Kultur, in der wir das Junge entweder zwangsfüttern würden, die Mutter festbinden oder das Junge sterben lassen würden!

Die beiden jungen Söhne der Familie - etwa 13 und 7 Jahre alt - müssen dazu in das \"Zentrum\" - einen Marktflecken, der auch ein Kultur- und Schulzentrum beinhaltet - reisen. Das machen sie auf Kamelen.

Doch: Je weiter sie sich von der fast schon steinzeitlichen Behausung ihrer Eltern entfernen, desto mehr nähern sie sich der westlichen Zivilisation. Es ist schon bedrückend zu erfahren, wie z. B. bei den nächsten Nachbarn, die etwss reicher sind und auch einen Jeep, ein Motorrad und einen Fernseher mit riesiger Satellitenschüssel haben, der kleinere Junge nicht mehr auf die Gespräche achtet, sondern nur noch auf lächerliche Disney-Plattitüden aus dem TV.

Und: Als sie schließlich im Zentrum ankommen, laufen die Jugendlichen dort nicht mehr in der traditionellen mongolischen Kluft herum, sondern in Jeans. Andererseits wird dort sehr die Tradition gepflegt: So sehen wir kurz in eine Klasse von Ballettschülerinnen und -schülern hinein und wir erleben dann auch den Musikunterricht mit Instrumenten, die unseren mittelalterlichen Fideln ähneln - aber nur mit zwei Saiten und ohne Stege.

Denn den Musiklehrer brauchen die beiden, um das Hoos-Ritual, das ein Kamel zum Weinen bringen soll, damit sie das Junge annimmt, initiieren zu können.

Die Verbindung von urzeitlicher Tradition und modernen Einflüssen wird in dem Film immer wieder als mal geglückt, mal widersprüchlich, gezeigt. Schon das ist ein Grund zum Nachdenken.

Im Hoos-Ritual schließlich wird eine Melodie von einer Frauenstimme gesungen und dann von der Fidel begleitet. Sie wechselt zwischen der äolischen und der phrygischen Tonart und fügt noch Halbtöne hinzu, die uns fremdartig erscheinen. Sie wechselt von ganz langsamen Passagen zu schnelleren, dann wieder zu langsamen und zu Trillern, die die langen Töne auflösen - das alles hat schon eine sehr psychische, fast hypnotische Wirkung auf den Filmbetrachter und -hörer: Aber nicht nur auf diesen, sondern auch auf das Kamel.

Dieses beginnt nämlich, zunächst eine Träne zu vergießen, dann werden es mehr, und schließlich weint das Kamel richtig. Und: Es lässt nun das Junge, das Fohlen, das ihm während des Rituals immer näher gebracht wurde, endlich trinken. Es kann überleben!


Dieser Film wurde als Abschlussarbeit für ein Diplom an der Filmhochschule München gedreht, und er hat viel, ja sehr viel Anerkennung gefunden. und das finde ich auch berechtigt. Es ist ja so, dass wir durch die amerikanischen, konstruierten Komödien, Dramen und Thriller verdorben sind: Da ist ein Film, der sich auf Ursprüngliches besinnt, ein guter Widerpart, ja: eine wunderbare Alternative.

Der Einfluss der westlichen Zivilisation auf die ziemlich natürlich gebliebenen Menschen der Wüste Gobi wird schon deutlich. Wenn der Großvater dem Enkel noch erklärt, dass die Glasbilder des TV schlecht sind, so bekommen doch immer mehr Familien der Gobi einen Fernseher.

Die Regie ist nie schülerhaft, nie stümpernd; man merkt nie, dass das Budget beschränkt ist. Die Laienschauspieler wirken nie gestellt. Störende Filmmusik fehlt; Musik wird nur dann gespielt, wenn sie auch tatsächlich von den Leuten, die man sieht, gemacht wird.


Jedem, der einmal einen besonders ruhigen Film, über den man mehr nachdenken als lachen kann, sehen möchte, dem kann ich diesen Film nur empfehlen. Auch für Kinder kann die \"Begegnung\" mit den natürlicheren Menschen der Wüste Gobi, aber auch die Erkenntnis der Infiltration durch die \"Errungenschaften\" der Zivilisation bereichernd sein. Bereichernd, ja, das ist es: Dieser Film hat mich bereichert - viele andere haben mich nur unterhalten.

34 Bewertungen, 2 Kommentare

  • Wunderblume

    25.11.2004, 23:55 Uhr von Wunderblume
    Bewertung: sehr hilfreich

    Mich hat der Film sehr bewegt, ich habe ihn in einem ganz kleinen Kinosaal mit "Steinzeittechnik" gesehen, das wirkt bei Filmen dieser Art noch besser.

  • antjeeule

    25.09.2004, 12:07 Uhr von antjeeule
    Bewertung: sehr hilfreich

    Diese Rezension habe ich gerne noch einmal überflogen. Sie gefiel mir bei Ciao schon so gut. Diesen Film werde ich mir wohl wirklich noch ansehen. LG, Antje