Die fetten Jahre sind vorbei (DVD) Testbericht

ab 6,79
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Summe aller Bewertungen
  • Action:  viel
  • Anspruch:  sehr anspruchsvoll
  • Romantik:  hoch
  • Humor:  humorvoll
  • Spannung:  spannend

Erfahrungsbericht von w.gruentjens

Grünschnäbel entführen reichen Alt-68er

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Kompletter Erfahrungsbericht


Dieser Film, der bei seiner ersten Vorstellung mit Standing Ovations gefeiert wurde, hat dennoch kleine Schwächen. Ob er insgesamt aber so gut ist, dass man über die Schwächen hinwegsehen kann? Wir werden sehen ...


Zunächst erleben wir drei junge Leute, zwei Jungen und ein Mädchen, die, wie das bei jungen Leuten ist, so grün hinter den Ohren sind, dass sie den Protest gegen Establishment und Reichtum zu ihrer Lebensabschnittsaufgabe gemacht haben. Dazu brechen die beiden Freunde in die Häuser reicher Leute ein, häufen die Möbel und Besitztümer vorsichtig zu einem Turm und bringen einen Zettel an mit der Aufschrift: \"Die fetten Jahre sind vorbei. Die Erziehungsberechtigten.\"

Das klingt ja noch alles ganz witzig, auch wenn die reichen Bürger, die dann aus dem Urlaub kommen, es gar nicht so witzig finden, wenn sie so erschreckt werden. Richtige Dramatik kommt erst in den Film, wenn neben den beiden Freunden Jan (Daniel Brühl) und Peter (Stipe Erceg) die dritte Person - wie könnte es auch anders sein? - mit Jule (Julia Jentsch) auftritt. Jule ist die Freundin Peters, aber nicht mehr lange ...

Als Peter nämlich verreist ist und sie mit Jan zurückbleibt, passiert das gar nicht so Unwahrscheinliche: Die beiden Zurückgebliebenen, Jan und Jule, verlieben sich ineinander. Dieser kleine Handlungsstrang ist liebenswert gezeichnet, ohne kitschig zu sein - und diese Charakterisierung wird den Film noch an vielen Stellen treffen: liebenswert, aber ohne Kitsch.

Wenn Jan sie jetzt in das Geheimnis der Erziehungsberechtigten mit ihren Einbrüchen bei reichen Leuten einweiht, wird er bald lernen, dass man ein Geheimnis nicht unbedingt einem liebenswürdigen Mädchen anvertrauen sollte. Er trifft damit auf eine Wunde von Jule, die noch nicht verheilt ist, auf ein Trauma von Jule, das seine Wirkung erst entfalten wird.

Jule hat für ihren Wagen die Versicherung nicht bezahlt und die Mahnung auch übersehen, so dass sie den Versicherungsschutz verloren hat. Sie hat danach einen Unfall verursacht und 90000 € Schulden. Dass sie eine rechte Wut auf den reichen Mann hat, der sich ein neues Auto offensichtlich aus der Portokasse leisten kann, sie aber seinen Rechtsanwälten überlassen hat, kann man wohl verstehen. Als sie jetzt von den Einbrüchen erfährt, kommt sie auf eine Idee ...

Nachdem jedenfalls das Handy bei dem reichen Mann im Haus vergessen ist, wieder geholt werden soll, der reiche Mann aus dem Urlaub kommt und die drei - mittlerweile ist Peter dazugekommen - überrascht, entfaltet sich eine Entführungsgeschichte, die schöner nicht sein könnte.


Jetzt entfaltet der Film nämlich erst richtig sein Potential und gewinnt an Aussage. Während die drei jungen Leute den Herrn Hardenberg zuerst ständig gefesselt halten - was sich sehr wohl ändern wird - macht er ab und zu Bemerkungen, die sie von einem so reichen Bonzen nicht erwartet hätten. Es stellt sich heraus, dass er ein Freund Rudi Dutschkes war und sehr gegen den Kapitalismus und das Establishment protestiert hatte, dass er aber durch Familie, Hausbau, Schulden und die Notwendigkeit, mehr Geld zu verdienen, in eine Karriereschraube hineingeraten ist.

Der Austausch zwischen den Generationen, von der die eine schon weiß, dass sie früher auch mal so war, während die andere nur ahnen kann, dass sie später auch mal so sein wird, gehört mit zu den geistreichsten Szenen des deutschen Films; sie berührt Fragen, die wichtig und für jeden Menschen bedeutsam sind, über die man schmunzeln kann, wenn man seine jungen Jahre schon inter sich hat, und über die man als junger Mensch den Kopf schütteln kann, wenn man sich sagt: \"So werde ich bestimmt mal nicht\".


Im weiteren Verlauf des Filmes nämlich machen die Grünschnäbel durch den Austausch der Gedanken mit dem Alt-68er einen Reifungsprozess durch und macht auch der frühere Freund von Rudi Dutschke, der entführte Herr Hardenberg (Burghart Klaußner), einen Prozess der Erinnerung durch: Beide, Jung und Alt, nähern sich so einander an, tauschen Gedanken und Lebensgefühl aus. Der eine macht sozusagen eine Zeitreise in seine Jugend, die anderen eine Zeitreise in ihre Zukunft. So vermittelt der Film ganz stark den Eindruck eines ganzen Lebens, das sich in der Jugend entfaltet und weiterentwickelt.

Diese Aspekt, den man schon als philosophisch bezeichnen kann, hat mir an diesem Film besonders gut gefallen. Er bietet nämlich Anlässe für allerlei witzige Zusammenhänge bis hin zum Blödsinn, andererseits bei allem Schmunzeln, manchmal auch Lachen, genügend Anlässe zum Nachdenken und Diskutieren.


Daher steht das Drehbuch an der ersten Stelle der Qualität, die ich nun betrachten will. Leider fallen gegen den schönen Mittelteil des Films mit der Annäherung der Generationen Anfang und Ende ab, wobei man das Ende sogar missverstehen kann.

Die Regie von Hans Weingartner bringt eine fast authentische Nähe zu den Personen. Die Darstellung erfolgt mit wenig Distanz - auch räumlicher Distanz zwischen Kamera und Personen. Handwerkliche Perfektion wird nicht angestrebt, vielmehr wird die Kameraführung in die Nähe der Handkamera gestellt, wodurch der Film etwas weniger Filmhaftes, dafür mehr Videohaftes erhält.

Die Darsteller haben mich alle überzeugt, wobei ich mal besonders die Julia und den Herr Hardenberg hervorheben will, wenn auch die Jungen nicht schlechter dargestellt waren. Aber die beiden extrem positionierten Figuren - das junge Mädchen und der reif gewordene Mann - geben dem Film viel Leben.

Die Musik wurde von den Darstellern selbst ausgesucht und passt sehr gut in das Lebensgefühl, das der Film vermittelt.

Wer mal einen guten deutschen Film sehen will, der witzig unterhält und gleichzeitig Anlass zum Nachdenken gibt, der ist mit diesem Film gut beraten. Wer ganz hohe Kunst oder ganz billige Unterhaltung sucht, der ist hier allerdings falsch: Der Film liegt in einer guten Mitte dazwischen.

45 Bewertungen