Documenta Testbericht

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Erfahrungsbericht von 0-8-15

Das etwas andere Kunsterlebnis

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Mein Interesse für Kunst im allgemeinen hielt sich eigentlich jahrelang verborgen. Durch eine ungünstige Fächerkombination im Abitur kam es dann aber, dass Kunst zu meinem vierten Abiturprüfungsfach wurde und ich mich so auch notgedrungen näher damit befasste. Die Faszination für dieses umfangreiche Thema kam zwar etwas später, aber mein interesse war damit schon mal geweckt. Als dann eines Tages ein Referat über Josef Beuys anstand, lenkte dies mein Augenmerk auch zwangsläufig auf die \"ducumenta\". Irgendwann fasste ich den Entschluss mir dieses Riesen-Mega-Must-have-seen-Modern-Art-Spektakel einmal persönlich anzusehen. Und letztes Wochenende war es dann soweit, 0-8-15 und seine Freundin machten die \"documenta 11\" in Kassel (Plattform 5) unsicher...

1. Was ist moderne Kunst?
2. Was ist die documenta?
3. Was wird in Kassel geboten?
4. Wie wird es präsentiert?
5. Wer geht auf die documenta?
6. Wie ist meine Meinung?


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1. Was ist moderne Kunst?
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Das lässt sich eigentlich ganz einfach beschreiben: \"Alles ist Kunst\" (frei nach J. Beuys). Und genau das trifft es auch. In jedem Objekt, jedem Gefühl, jedem Gegenstand und jedem Lebewesen steckt ein Stück Kunst, die meisten wissen es nur nicht, aber jeder ist ein Künstler! Es geht nur darum die Aussage zu erkennen und oft entsteht der Eindruck, dass moderne Kunst an sich sehr primitiv ist und die eigentliche Leistung nur darin besteht den Kunstobjekten den tieferen Sinn aufzuschwatzen. Als Beispiel möchte ich hier eine Performance von John Bock nennen:
Er hängt kopfüber in einem Erdloch und hält selbstgebastelte Gerätschaften in eine Kamera. Diese Gerätschaften ergeben keinen Sinn, bestehen aus Klebeband, Wäscheklammern, Rasierschaum, etc. und haben absolut keinen praktischen Nutzen. Erklärend hierzu setzt er völlig aus dem Zusammenhang gerissene wissenschaftliche Begriffe scheinbar wahllos aneinander und beschreibt so (nach dem Kurzführer für die documenta 11) sein \"Versagen das theoretisch Kleine in das praktisch Große\" umzusetzten. Ich jedenfalls fands witzig, der tiefere Sinn (der hier wenigstens relativ plausibel klingt) scheint aber doch weit hergeholt.

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2. Was ist die documenta?
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Die documenta ist eine in vier- bis fünfjährigem Rhytmus stattfindende Austellung für moderne Kunst. Sie findet auf fünf über die ganze Welt verteilte Standorte (z.B. Kassel, Neu Delhi, ...) statt und ist das größte Event für moderne Künstler, Kunstkritiker und andere Kunstinteressierte. Die erste documenta wurde 1955 vom Kasseler Maler und Akademieprofessor Arnold Bode ins Leben gerufen und wurde überraschend zum Welterfolg. Sie befasste sich nur mit Malerei, was aber schon auf der zweiten documenta (1959) durch Skulpturen und Druckgrafiken erweitert wurde. So ging es dann in vier- bis fünfjahrigem Abstand weiter bis hin zur documenta 11, die momentan (bis 15. September 2002) stattfindet.

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3. Was wird in Kassel geboten?
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Ich kann euch hier (leider) nur über die Plattform 5 (Kassel) berichten, da dies die bisher einzige documenta war, die ich mit meinem Besuch erfreuen konnte.
Nachdem ich mir einen Tag vorher im Reisebüro eine Karte für 16 € (Tageskarte, ohne Ermäßigung) besorgt hatte konnte es losgehen. Ganz nebenbei der Tipp: Holt euch die Karten vorher, den die Schlangen an den Ticketständen sind kilometerlang...

Jedenfalls steht Kassel regelrecht im Zeichen der documenta, über die ganze Stadt verteilen sich Wegweiser und Hinweisschilder, Ausstellungen und Skulpturen. Sicherlich ist auch die ducomenta nicht ganz unschuldig daran, dass Kassel inzwischen äußerst bekannt geworden ist. Kassel bietet fünf Austellungshallen, sowie diverse Freiluftinstallationen und -präsentationen.
Schauplätze:
-Binding-Brauerei (größte Halle)
-documenta-Halle
-Kulturbahnhof (habe ich an dem einen Tag leider nicht mehr geschafft)
-Orangerie (sehr klein)
-Museum Fridericianum (Haup-Halle, dort wo alles begann)
-Park vor der Orangerie
-Kleinere Installationen über die Stadt verteilt (z.B. direkt vor dem Bahnhof)

Die Liste der Künstler (116 wenn ich mich nicht verzählt habe) reicht von Adeagbo Georges, über Feng Mengbo bis hin zu Yang Fu Dong und ist, wie man an den Namen erkennen kann, multikulturell. Die Themen sind zeitgenössisch und behandeln Themen wie Unterdrückung in armen Ländern, Indivitualitätsverlust in den neuen Medien, Hoffnungslosigkeit in unserer Gesellschaft, etc. Die Darstellung ist sehr unterschiedlich und soll hier an einigen Beispielen erwähnt werden:

- Fotografien, wie z.B. von Candita Höfer, die anhand der Skulptur \"Die Bürger von Calais\" die unterschiedliche Wirkung von Skulpturen in unterschiedlichen Umgebungen aufzeigt.

- Aktionen, wie z.B. von John Bock, der sowohl per Video, als auch interaktiv verschiedene Vorträge hält (siehe Beispiel oben)

- Filmvorträge, wie z.B. von Black Audio Film Collective, die für die politische und kulturelle Präsentation von Schwarzen in Großbritannien kämpfen und anhand von Archivmaterial die dort herrschenden, rasisstischen Zustände aufzeigen.

- Diaprojektionen, wie z.B. von James Coleman, der mit einer von einem \"Erzähler\" begleiteten Diaprojektion über ein leerstehendes Krankenhaus zeigen will, dass \"unser Zugang zur Welt nicht primär durch das Sehen gewährt wird, und dass Repräsentation nicht zu meistern ist\" (Zitat von www.documenta.de).

- auditive Installationen, wie z.B. von Simparch, die einen große, begehbare Röhre mit Pieps-, Bass-, und anderen Tönen berieseln um was weiß ich was auszudrücken.

- interaktiven Installationen, wie z.B. von Feng Mengbo (www.mengbo.com), der anhand eines \"umgemodelten\" Actionshooters (Quake III -> Q4U) den Identitätsverust in unseren modernen Gesellschaft darstellt. Hierbei kann per Internet, oder direkt im Austellungsraum teilgenommen werden.

- Projektionen, wie z.B. vom Architekturbüro Asymptote, die eine weiße drehende Röhre mit verschiedenen Mustern \"bestrahlen\" und diese in einem verspiegelten Raum ausstellen, wodurch irgendwie der Eindruck einer unendlich großen Maschinenhalle entsteht.

- u.v.m. (wobei sehr oft das Thema Benachteiligung, Unterdrückung, menschliche Erniedrigung, u.ä. aufgegriffen wird, was auch auf die Herkunft der Künstler zurückzuführen ist: viele der Künstler kommen aus verarmten Ländern und sind dort oft unter unmenschlichen Bedingungen aufgewachsen. Diese habe für sich das Sprachrohr \"Kunst\" entdeckt, um solche auf unwürdige Zustände hinzuweisen)

Anmerkung: Auf eine nähere Beschreibung aller Künstler verzichte ich hier bewusst um den Bericht halbwegs lesbar zu halten. Alle Künstler aufzuzählen und zu bewerten würde erstens langweilen und zweitens den Rahmen sprengen.

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4. Wie wird es präsentiert?
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Natürlich bedeutet es eine große Anstrengung, die vielen, auf die gesamte Innenstadt verteilten Kunstwerke zu betrachten, allerdings lässt sich das bei den Unmengen von kulturellen \"Wunderwerken\" kaum anders lösen. So bedeutet dies aber einen großen Fußmarsch, alle Museen zu besuchen, der sich aber durchaus bewältigen lässt. Zwei Tage sollten aber eingeplant werden, da auch die ungeheueren Menschenmassen ein rasches Vorwärtskommen sehr erschweren.
Die Museen an sich (und auch die Brauerei) sind (natürlich) für ein solches Event sehr gut geeignet, es macht Spaß hier und dorthin zu schlendern, auch wenn es keinen wirklichen Anfang und kein wirkliches Ende gibt, man muss einfach Queerbeet hindurchtigern. Und auch die Freiluftpräsentationen haben in dem Orangeriepark eine optimale Bühne gefunden, natürlich nur sofern das Wetter mitspielt. Prinzipiell ist alles per Fuß zu erreichen, auch wenn die vielen Sonderbusse einem die Wege erheblich vereinfachen. Zwischendurch kann man auf den zahlreichen Wiesen ein wenig ausspannen und die Füße und den Geist ein wenig baumeln lassen.

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5. Wer geht auf die documenta?
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Eigentlich gibt es da nur eine richtige Antwort: Viel zu viele, d.h. alle!
Aber ich will mich noch an einer zweiten versuchen:
Natürlich findet man dort sehr viele Schulklassen und Studentengruppen, gefolgt von Kunstlehrern und -professoren. Aber erstaunlicherweise gibt es auch ganz viel \"einfaches\" Volk, was sich sonst nie mit Kunst beschäftigt und nur einfach mal hier vorbeischaut um den Horizont ein wenig zu erweitern.
Wer zeitgenössischer Kunst nur mit Argwohn begegnet wird sich hier vielleicht nocht so wohl fühlen, wer allerdings nur kritisch, oder gar ein Fan moderner Kunst ist, der kann dann doch einen Tag wertvoll \"vergeuden\". Verfechter von \"konservativer Kunst\" finden hier viel Material um einer Diskussion gegen die \"Moderne\" gute und bildreiche Argumente beizusteuern. Jemand der sich nicht für Kunst interessiert wird hier bestimmt zumindest ein bißchen unterhalten. Im Großen und Ganzen kann ich das Ganze nicht einfach so empfehlen oder davon abraten, dass muss jeder für sich selbst wissen.

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6. Wie ist meine Meinung?
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Also ich stehe Moderner Kunst nach wie vor ein wenig kritisch gegenüber. Allerdings kann mich seit meinem Beuys-Referat nichts mehr schockieren. Ich kann nur sagen, ich bin einen Tag lang hin und her gewandelt zwischen Bewunderung, Begeisterung, Spott, Am-Kopf-Kratzen, Verwirrung, Erheiterung, Trauer, Ermüdung, Langeweile, ... Also ein ziemliches Gefühlschaos, alles in allem jedoch ein Erlebnis für sich und es hat sich für mich auf jeden Fall gelohnt! Sicher kann das nicht jeder von sich behaupten, andere wiederum schwelgen in übermäßiger Begeisterung. Wer sich nicht sicher ist, ob es sich für ihn lohnt, schaut einfach mal auf www.documenta.de vorbei.


Gruß 0-8-15

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