Documenta Testbericht

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Erfahrungsbericht von northstar

Die documenta_11 - Ein Text zum medialen Overkill

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Documenta_11

Was ist ein Dokument? Ist es eine Aussage? Ist es eine Aussage über etwas anderes? Etwas bedeutendes? Etwas wichtiges? Etwas belangloses? Etwas echtes? Etwas künstliches? Ist es Kunst? Ist es die Kunst in Dokumentform? Ist die documenta Kunst? Und wenn sie es ist, dann ist sie wichtig...

Importance?

Und an wichtigen Dingen sollte man teilhaben. So begab ich mich letzten Montag nach Kassel. Die Uni hatte gerufen, es solle zur documenta gehen. Zur # 11.

Ich hatte wieder mal nicht hin gehört, oder besser zu spät hin gehört. Die Plätze im Bus waren voll. Klar, Architekturstudenten mal wieder, welche den armen Kunsthistorikern noch jeden Nerv kosten werden. Aber als Student der Kunstgeschichte, welches ich ja nun mal bin, auch wenn ich es stellenweise ja selbst nicht glauben mag, sollte man sie halt doch gesehen haben, die wichtigste Kunstmesse in ganz Europa. Wie man mir sagte; selbst hätte ich das so gar nicht einschätzen können. Aber man hört ja gerne auf andere und ich hatte eben beschlossen mein Studium wieder einmal etwas ernster zu nehmen, jawohl.

Drum musste nun ein Auto her. Nicht irgendeins, nein, meins, das war ja klar. Denn neben mir wollten nun plötzlich noch 4 weitere Leute mit nach Kassel, natürlich auch ohne Plätze im Bus. Fünf Mann in mein Auto, ja geht denn das? Es geht, allerdings, wie sich nachher zeigen sollte, nicht ohne Opfer, merklich ein Mangel an Sauerstoff & akzeptablen Sitzpositionen.

Sleep?

Nun war es also Montag morgen. Fünf Uhr. Ich lag schon seit 3 Stunden im Bett, neuer Rekord. Mein Wecker klingelt, ich stelle ihn aus, doch scheiße, ich hab ja meiner Mutter Bescheid gesagt, muss ja aufstehen, sonst weckt sie mich in spätestens zehn Minuten eh. Und das will man ja nicht, man bekommt das ja auch selber hin.

Gut, also aufgesprungen, zum Kleiderschrank, die Sachen raus, ab ins Bad, Gott, war ich noch müde, erst mal unter die Dusche, das soll ja helfen, tat’s auch.
Dann ab ins Auto, auf nach Aachen, die anderen abholen. Chantal, Kommilitonin und beiweilen recht eigene Person, war schon fertig, kam verschlafen aus ihrer Haustüre raus. Wohlwissend das sie die Fahrt über vorne sitzen wollte hatte ich ganz üble (für sie zumindest) CD’s eingepackt – die Smiths, B’52’s, Zoot Woman, alles was ich mag und sie umso mehr hasst; was ja nicht böse gemeint war, aber der Fahrer bestimmt halt die Musik. *g* Aber meine CD’s kamen auch erst auf der Rückfahrt in den Player, naja. Also Radio an, darauf kann man sich ja einigen. Simon und Florian abgeholt, eines ein Kommilitone, der andere sein Freund. Seit gut 5 Wochen ein Paar, frisch verliebt, das merkt man auch; so kamen die 2 auch erst nach gut einer Viertelstunde aus Simons Wohnung, wohl wieder zu lange „geschlafen“, ja klar.

Drive?

Dann auf zur A4. Muss man tanken? Man muss. Aber man ist auch geizig, 1.05 € für Benzin; zu teuer, denk ich. Also weiter. Fahren, fahren, fahren, fluchen, fahren, fahren, bremsen, Stau, scheiße, 1 Meter vor, Chantal singt doch herum, danke, lieber Gott, Simon und Florian lecken rum, na toll, warum bin ich Single, aha, fahren, fahren, Stau # 2, wie geil, geht das jetzt so weiter, Endlossatz, ich weiß, macht aber Spaß, also wieder fahren, fahren, fahren, Stopp, go, hey ho, let’s go, endlich an Köln vorbei, auf zu Christine, die zuhause abholen, shit, verfahren, ging’s rechts ab, nee, links, ach egal, ich muss mal, Pause, ach, da ist sie ja, im Wald, bei den Einheimischen, ist ja auch ein Kaff hier, also weg, weiter, Autobahn, der Tank ist leer, war klar, vergessen, also voll das Ding, 1.05 €, muss aber jetzt echt sein, Chantal ist noch vorne, Christine muss sich mit Flo & Simon hinten einquetschen, fahren, fahren, fahren, Stau, Simons Füße an meinem Arm, an meinem Ohr, in meinem Gesicht, durch das Dachfenster, Chantals Fragen, wann sind wir da, ich weiß nicht, noch ne Stunde, ach ja, geht ja, ich bin schon halb tot, noch ein letzter Stau, danke, und fahren, fahren, fahren, Hitze, Sonne, wo ist meine eisgekühlte Cola, wo ist Kassel, wozu tue ich mir das an, Kassel, 15 km, endlich, fahren, fahren, fahren, Ausfahrt, da, wohin, ach, dorthin, gut, parken, hier, ja, Stop, endlich raus, Hitze, ich kippe um, ein Laster überfährt mich, Irrtum, nur meine Wunschvorstellung, ich lebe noch & muss auf die documenta...

Look?

Nun sind wir also da, in documenta-Land, aka. Kassel. Geparkt hat man direkt hinter dem Fridericianum. Da findet ein großer Teil der Ausstellung statt. Also Karten kaufen, 10 €, das geht, das wusste man ja vorher, und hinein. Der Bus ist schon da, unser Professor auch, der uns etwas zur documenta erzählen will. Man hört zu, wenn auch nur mit einem Ohr, denn fertig ist man schon noch, waren immerhin fast vier ein halb Stunden Autofahrt. 10 Minuten später geht man los, allein in Gruppen, wie man will. Chantal und Christine begleiten mich. Flo & Simon, die vögeln bestimmt wieder wo rum oder auch nicht. Ach, sollen sie halt; bin eh nur neidisch. *g*
Hanne Darboven hat die 3 Etagen des halbrunden Anbaus bekommen und zeigt dort ihre 3000+ Blätter mit lauter Zahlenreihen, in Zahl und Text dargebracht. Die ganze Wand ist voll. Professor Beyer fand’s toll, ich nicht, sorry.
Also auf nach oben, die nächsten Räume ansehen. Videoinstalationen, Photos, dunkle Räume, High-Tech, Jef Geys, Dieter Roth, Victor Grippo, On Kawara, alles nette Namen, aber noch nie von mir gehört. Aber deren Kunst soll ja auch für sich sprechen, doch tut sie das?
Manchmal, ja, manchmal, aber ein Video von zwei Stunden Länge in zwei Minuten stichprobenartig zu verstehen, das ist nicht möglich. Und so geht es mir heute oft. Viel zu sehen, wenig Zeit, man wählt aus oder schaltet ab, das wäre der Fehler, den man nicht machen will, aber der sich einschleicht, da alles doch etwas einheitlich, etwas ähnlich daher kommt.
Wieder eine Treppe hoch, der letzte Stock, Fiona Tan, Santu Mofokeng, Mona Hatoum, kenn ich nicht, vergesse ich auch nach den 3 Räumen wieder schnell; anders Raymond Pettibon, der sich eine Etage tiefer befand: stellenweise flach (Superman und der 11.09.01, aber wenigstens ohne Hose), aber manchmal auch genial, verspielt, kindlich, ernst, aufregend, bunt, mal was anderes. Ich wünsche mir mehr hiervon, aber ich bekomme es sehr selten zu sehen an diesem Tag.
Nachdem man das Erdgeschoss durchstreift und unbeachtet verlassen hat, geht’s nach draußen. Hitze, Sonne, eine Cola wäre gut, sagt auch Chantal, die dann aber `nen Kaffee nimmt. Man relaxt, der tag hat gerade erst begonnen und schon hat man das Gefühl, das man schon zu viel gesehen hat.

Speed?

Aber es gibt eben noch mehr. Parkuhr erneut füttern und auf zur documenta-Halle, ein Glasbau, hübsch anzusehen von außen, leider belanglos von innen. Man sieht hier was auf den Plattformen 1-4 präsentiert wird in Ausschnitten; Kassel ist ja Plattform 5, die anderen sind über die Welt verteilt. Der Einblick gelingt aber wieder nicht, endlose Videos ziehen sich hin, Computer laden zur Research ein, man will aber eh nicht. Unansprechend, das wäre das Wort für diese Präsentation. Also raus hier, 30 Minuten waren mehr als genug.

Out?

Dann ab in den Park, die Orangerie, die ist direkt dahinter, Freiluftkunst ansehen und nebenher die Füße in einem kleinen Wasserlauf kühlen. Ein Highlight des Tages. Projekte im öffentlichen Raum werden hier gezeigt; Christine mag’s, der Rest weniger. Der Rest bin wohl ich.

Trains?

Nun auf zum Bahnhof, besser zum Kulturbahnhof, wo ebenfalls Kunst gezeigt wird. Hauptsächlich sind das hier Photos, Bernd und Hilla Becher kann man entdecken, welche selbst ich schon kannte, die mit ihren Industrie- und Häuserreihen zwar Ästetetisch glänzen mögen, trotzdem aber wenig für mich zu sagen haben. Andere Künstler schaffen das eher, siehe etwa hier William Eggleston oder besonders genial, Luis Camnitzer, dessen Photoserie über Selbstmorde und deren vorauseilende Schicksale in afrikanischen Gefängnissen selbst nach Tagen nicht aus dem Kopf verschwindet. Nadeln die eine Hand durchbohren, ein Strick, ein Handgelenk, blutig, so etwas vergisst man schwer. Das Nichtvergessen wird zur Kunst des Künstlers. Doch noch was gelernt.
Man sieht sich auch den Rest an, Etage 2 + einen Film im oberen Geschoss. Ich bin beeindruckt, zumindest mehr als von dem zuvor gesehenem. Mein Bildgedächtnis füllt sich rasch, ob wohl noch mehr an diesem Tag hinein passt?

Beer?

So geht’s zur Binding Brauerei um eben das heraus zu finden. Eskimos schlitzen Eisbären auf, Kaffeepulver auf dem Boden, Soldaten patrolieren, Videos flimmern, Puppen vögeln rum, ich dazwischen, Overkill, daher auch nach gut zwei Stunden raus dort. Es ist zuviel geworden. Das mag alles hochwertige Kunst sein, oder auch Schund, wer weiß, aber ich bin nicht mehr aufnahmefähig. Chantal auch nicht, also auf die Bank vor den Eingang gesetzt, Christine kommt nach. Florian und Simon werden gegen 20 Uhr mit hinaus gekehrt, die documenta schließt für heute. Simon ist begeistert, hätte gerne noch mehr gesehen. Ich auch, aber nicht heute. Man merkt: ein Tag reicht hierfür nicht aus, eine Woche wäre schon angebracht. Aber wer hat die schon?

Burger King?

Wir nicht, denn wir müssen zurück, nach Aachen, das vier Stunden weit weg entfernte Aachen. Burger King rettet uns vor dem Verhungern, Chantal versteht die Idee des Parkplatz Cruisens nicht, macht auch nichts, ich ja auch nicht; man ist soweit weg von der eben gesehenen Kunst wie man nur sein kann.
Es folgt, fahren, fahren, fahren, ohne Stau, Licht an, fahren, endlich in Aachen, 2 Uhr nachts, ab nach hause, nein nicht über den Parkplatz, schnell ins Bett, denn der Wecker klingelt eh um halb 8.

Dreams?

Katastrophe, Gott, lass mich doch bitte ausschlafen. Was er aber nicht tun wird, so träume ich von eintönigen Bildern, farbloser Moderne, dem Flimmern der Videos, der Massen der Leute, Chantal, die das alles eh schlimm fand, aber netter als sie dachte, warum fährt sie dann auch eh mit? *gg* Bilder bleiben ihm Kopf und der Overkill muss reichen – zumindest bis ins Jahr 2007, wenn die nächste documenta jeden Kunstinteressierten und jeden, der dazu gezwungen wird, wieder anlockt....

Documents?

Waren das nun Dokumente, die ich da sah? Zeugnisse? Zeugnisse über etwas? Über die Welt, die Zeit, das Leben, die Kunst?
Mit Sicherheit, ja. Aber es gibt so viele dieser Zeugnisse, die dort nicht gezeigt werden; von mir ein Anspruch von Ganzheit, den man wohl vermutlich nicht an die Ausstellung stellen darf. Natürlich nicht. Ein Ausschnitt einer modernen Kunst, mehr ist die documenta nicht und wer damit zufrieden ist, der mag gerne hin fahren.
Ob es sich lohnt, das wird jeder selbst entscheiden müssen. Für mich hat es sich gelohnt; man merkt wie viel man mit nehmen kann, füllt seinen Kopf mit Eindrücken, Bildern, man hat etwas gesehen, vielleicht etwas Großes sogar, so...

Take a look!


>>>>>>>>>>>>>>>> by Northstar `02 <<<<<<<<<<<<<<<<<


Wichtige Anmerkung:

Dies ist mein erster Bericht zu einer Ausstellung, zu einem solchen Thema wie der documenta_11, ich bitte dies zu beachten.

Des weiteren ist dieser Text sehr subjektiv geschrieben. Ist er informativ? Ich weiß es nicht; nicht im Sinne von vielen Informationen preisgeben, sondern eher im Sinne einer Spiegelung der Stimmung während meines Besuches dort schon, so hoffe ich zumindest.

Also: fahrt selber hin, seht selber hin. Ich rate jedoch zu Führungen, da sich dem normalen Betrachter, selbst mir als Kunsthistoriker die Kunstwerke oftmals noch immer verschließen.
Die documenta läuft noch bis zum 15. September 2002 in Kassel.
Der Eintritt ist für Studenten bei 10 €, die Preise, Öffnungszeiten und alles weitere findet man aber auch online unter www.documenta.de .
Ach ja: Katalog für 15 € kaufen, sonst versteht man wenig.

Die Bewertung mit der Note 3 soll heißen: interessant, zu viel, zu wenig Wissen über Kunst wird vermittelt, man muss eben selber einen Zugang finden.

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