Domian Testbericht

DOMIAN war und ist für mich ein willkommenes Betthupferl. Allerdings hat sich im Laufe der Jahre meine Perzeption der Sendung rigoros verändert.

Anfänglich war es ja ganz nett, der eigenen voyeuristischen Neugierde zu frönen und den Herz-Schmerz - Sie hat mich verlassen - Hilfe, mein Mann sitzt im Knast-Geschichten der betroffenen Anrufer zu folgen. Inzwischen gibt es wahrscheinlich keine zwischenmenschliche Erfahrungen und Regungen mehr, die in DOMIANs "bi-medialer" (Radio und TV) Mitternachtssendung noch nicht durchgenommen wurden. Jedweder menschliche Aspekt von A wie Alzheimer über U wie Unterleib bis hin zu Z wie Zehennägel wurde abgehakt. Eigentlich, so müsste man annehmen, ist das Sendepotential von DOMIAN längst ausgelutscht, erschöpft. Doch weit gefehlt.

Mich interessieren mittlerweile die Geschichten der Anrufer überhaupt nicht mehr, und mögen sie noch so schmerzlich, leidvoll und bemitleidenswert sein. Da bin ich übersättigt - ich kann es eigentlich schon nicht mehr mit anhören/ansehen, wenn sich zum dreihundertsten Male irgendwelche verlassenen Seelen (so, wie ein Ertrinkender nach einem Strohalm sucht) einen rettenden Ratschlag erhoffen, wie sie das verflossene Beziehungsglück zurückgewinnen können. Mein Interesse an der Sendung hat sich auf etwas ganz anderes verlagert, nämlich auf das Kommunikationsverhalten von DOMIAN selbst.

Mit etwas psychotherapeutischer Erfahrung im Rucksack, sehe ich in DOMIAN in erster Linie eine kompetente Anlaufstelle für (meistens echte) hilfebedürftige Anrufer, die einer "normalen" psychotherapeutischen Betreuung wahrscheinlich eher skeptisch oder mit Widerstand begegnen würden. In DOMIAN vermuten diese Anrufer keinen Therapeuten, sondern eher einen Kumpel, den netten Nachbarn von nebenan, dem man seine Probleme ohne Angst und Scheu anvertrauen kann, selbst wenn ein paar hunderttausend anonyme Zuschauer/Zuhörer dieser "Behandlung" beiwohnen. Aber DOMIAN ist in seinem Kommunikationsverhalten ein ausgefuchster Therapeut, ein verdammt guter sogar.

Schaue ich mich bei den Talkshows der Privaten um (BÄRBEL, JÖRG PILAWA, VERA am Mittag, SONJA, HANS MEISER, BIRTE KARALUS usw.), so kriege ich das große Kotzen. Dort geht es nicht um Lebenshilfe, selbst wenn dies unter dem Deckmäntelchen der Nächstenhilfe gerne so dargestellt wird. Dort werden die Talkshowteilnehmer wie Kampfhähne gegeneinander in den Ring geschickt, um sich gegenseitig fertig zu machen, sich zu zerfleischen, und das zum angeblichen Vergnügen der Zuschauer. Das sagt etwas über die anvisierte Zielgruppe des zu verantwortenden Senders und dessen Menschenbild aus, der einzig und allein an die niederträchtigsten Gafferinstinkte seiner Zuschauer appelliert. Deshalb sind RTL und SAT1 für mich absolut Tabu. Ich meide diese Sender wie die Pest. Wem Menschenwürde etwas bedeutet, der ist bei diesen Sendern im falschen Programm gelandet. Falsche Diözese. Ich sage dies als Atheist und Menschenfreund.

RTL und SAT1 Talkmaster sind anstachelnde, quotengeile Kampfrichter, deren Hauptaufgabe darin besteht, Benzin ins Feuer zu schütten - Hauptsache, die Fetzen fliegen. Für 250-500 Mark "Tageshonorar" geben sich die "eingeladenen Talkshowkandidaten" der Lächerlichkeit preis; das sagt schon alles. Castingagenturen haben diese Kandidaten "ermittelt" und unter Vertrag genommen. Diese Agenturen vermitteln die Kandidaten auf Abruf und gegen Bezahlung an die Privaten. Problemfälle auf Abruf, käuflich und zum Abschuss freigegeben. Das finde ich widerwärtig und menschenverachtend. Es ist ein grober Verstoß gegen die Psychohygiene im zwischenmenschlichen Umgang unserer Gesellschaft.

Ganz anders bei DOMIAN. Seine Anrufer melden sich freiwillig, spontan und ohne merkantile Hintergedanken. DOMIAN hört ihnen zu. Er hat gelernt, wie man professionell und wahrhaftig zuhört (Active Listening Method). Wenn DOMIAN interveniert, dann ganz genau bei jenen Schlüsselwörtern, die dem jeweiligen Anrufer seine eigene Problematik widerspiegeln und vor Augen führt. Das kann ganz schön schmerzhaft, schambehaftet und provokativ für den Betroffenen sein, konfrontiert es ihn doch mit seinen ureigensten Wunden. Doch DOMIAN leckt niemals aus bloßem Selbstzweck oder aus Sensationsgier für die Zuschauer in den Wunden seines Anrufers - er macht sie diesem vielmehr erst bewusst. Er hilft ihm auf dem Weg der Selbsterkenntnis. Genau damit fängt jede gute Therapie an. Das nenne ich ehrliche, menschenwürdige Kommunikation, und deshalb ist mir dieser DOMIAN auch symphatisch. DOMIANs Sensibilität des Zuhörens wird allenfalls noch von Biolek erreicht, wenngleich der auch ein ganz anderes Sendeformat bedient.

DOMIAN ist für mich ein humanistisch-öffentlich-rechtlicher Live-Seelsorger mit Psychoerfahrung und Menschenkenntnis erster Güte, ohne den moralinsauren Mundgeruch der Kirche und ohne besserwisserische Attitüden eines Schulmeisters.

Nervig sind bisweilen jene Anrufer, die sich in selbstgefälliger Manier entweder in Pseudo-Problemchen suhlen oder die unglaublichsten Räubermärchen auftischen, die jedweder Glaubhaftigkeit entbehren. Hier wünschte ich mir, dass die Vorauswahl der Anrufer eine effektivere Filterfunktion ausübt. Da schlüpfen mir denn doch zu viele Münchhausens durchs Netz.

Für DOMIANs Sensibilität spricht sein realitätstaugliches Beurteilungsvermögen der wahren Härtefälle, denen er eine eingehendere psychologischen Betreuung anbietet oder sie dieser direkt zuführt.

Beachtenswert ist das minimalistische Konzept dieser Sendung. Da sitzt ein Mann mit Kopfhörer vor einem Hirschgeweih und unterhält sich übers Telefon mit Leuten, die ein Problem haben, oder dies zumindest vorgeben. Keine Kamerabewegung, kein Zoom, keine Zwischenschnitte. Es explodiert nichts und bedarf keiner schnellen, verhuschten MTV-Schnitte. Das Einzige, was uns geboten wird, ist DOMIAN mit einem unsichtbaren Anrufer in der besinnlichen Stille der Nacht. Es menschelt.

VORTEILE:
Domian himself.

NACHTEILE:
Die Vorauswahl der Anrufer läßt manchmal etwas zu wünschen übrig.