Dummy - Portishead Testbericht

Dummy-portishead
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Summe aller Bewertungen
  • Cover-Design:  sehr gut
  • Klangqualität:  sehr gut

Erfahrungsbericht von Gimmick404

Herbstgefühle

5
  • Cover-Design:  sehr gut
  • Klangqualität:  gut

Pro:

bittersweet

Kontra:

erhöhter Konsum kann zu depressiven Missstimmungen führen

Empfehlung:

Ja

Portishead? Was ist das eigentlich? M 5, Bristol - Exeter, englischer Südwesten. Da, eine Ausfahrt, Portishead, bitte abfahren. Ja, Portishead ist ein kleiner Ort, ganz in der Nähe Bristols gelegen, am Bristol Channel, jenes Meeresarms, der Wales vom Südwesten Englands trennt. Und es ist der Heimatort von Mastermind Geoff Barrow. Der Südwesten Englands? Ist da in der Nähe nicht auch Cornwall? Das düstere Dartmoor? Genau, quasi ein Katzensprung. Da denkt man automatisch an Regen, Herbst, Dunkelheit, Düsterheit, Einsamkeit. Und es ist genau das, was man von Portishead erwarten darf und bekommt. Die Band besteht neben besagtem Geoff Barrow in erster Linie aus der Sängerin Beth Gibbons, die auch schon mit Soloplatten von sich Reden gemacht hat. Hinzu kommen noch Clive Deamer (Drums) und Adrian Utley, der sich an der Gitarre versuchen darf, sowie diverse andere Studiomusiker.

Trip Hop, eine Mischung aus Hip Hop und Rock gemixt mit einer Price Jazz oder was auch immer. Dazu werden auch immer wieder gerne Samples anderer Titel reingemischt. So ganz genau kann man das vielleicht gar nicht definieren und sollte es auch nicht. Trip Hop war eine Musikrichtung, die so Anfang der 90er erfunden wurde. Wo? In Bristol behaupte ich mal. Eine der ersten Bands, die sich diesem Sound verschrieben hatten, waren die unvergessenen Massive Attack mit ihrem wunderbaren UNFINISHED SYMPATHY. Und auch dieses Projekt kam aus Bristol.

Portishead hatten hier also 1994, als sie aus dem Nichts kam, nicht wirklich etwas neu erfunden. Dafür setzen sie sich aber gleich mit ihrem Debut DUMMY ein Denkmal. Dem folgte 1997 ein nicht mehr ganz so überzeugendes zweites Album: PORTISHEAD. Danach kam dann noch 1998 ein Live-Album, ROSELAND NYC, bevor die Band wieder dort verschwand, wo sie herkam: im Nichts. Schade eigentlich, doch DUMMY bleibt. Bleiern schwer, unvergänglich hängt es am trüben Himmel und lädt immer wieder dazu ein, in andere Sphären, in andere düstere Klangwelten einzutauchen.

Schon der erste Track, MYSTERONS, kommt düster daher, es blubbert und scheppert aus den Boxen, dazu der sanfte Gesang einer Beth Gibbons in Höchstform. Dazu im Hintergrund irgendwelche Strings und die Traumreise kann beginnen. Bittere Momente folgen, SOUR TIMES trägt die Melancholie schon im Titelnamen und spätestens, wenn uns Beth Gibbons etwas wehmütig erzählt, dass „ nobody loves me, it’s true“, versinkt man in trüben Gedanken. Doch seltsam, wünscht man sich normalerweise, dass diese ein schnelles Ende finden, ist es bei Portishead das ganze Gegenteil: Nie war es schöner, leiden zu dürfen. Oder so ähnlich. Musikalisch knüpft der Song da an, wo der erste aufgehört hat: harmonisch, eine etwas eintönige aber absolut stimmige Melodie. Vielleicht dringt SOUR TIMES aber noch eine Spur brutaler in das Seelenleben ein. STRANGERS, der dritte Song, ist etwas lebendiger, die Drums klingen hier dreckiger. Mir gefällt der Song aber nicht ganz so gut, wie die ersten beiden. Die Melodie ist mir einfach zu eintönig aber leider ist sie gar nicht eingängig. Naja, dafür verspricht ja der vierte Titel, dass alles sweet sein könnte: IT COULD BE SWEET. : Der Anfang klingt allerdings gleich mal geklaut: fängt so nicht UNFINISHED SYMPATHY an? Die gleichen Drum-Samples? Allerdings ändert sich der Eindruck recht schnell: Hier wird zwar wieder – wie es sich für guten TripHop gehört, fremde Sounds als Sample wieder zum Leben erweckt, bei den Kollegen von Massive Attack wollen sich Portishead aber laut Booklet nicht bedient haben. Am Sound selbst ändert sich wenig.

Überhaupt ist es schwer, ein solches Album zu sezieren. Es wirkt nicht durch die einzelnen Songs, erst alle Songs zusammen genommen entfaltet sich das ganze Potenzial dieses Albums. Für sich genommen klingen sich viele Songs recht ähnlich. Das gilt auch für WANDERING STAR, die Nummer 5. Würden die drei letztgenannten Songs im Radio laufen – was wahrscheinlich aufgrund absoluter Masseninkompatibilität nicht passieren wird, es würde mir schwer fallen, sie auseinander zu halten.

IT’s A FIRE fällt da allerdings etwas aus dem Rahmen: ein - für Portishead erstaunlich - bereits beim ersten Hören zugänglicher Titel. Es klingt irgendwie fast schon optimistisch. Wäre da nur nicht der Text, der das genaue Gegenteil rüber bringt: „Cos this life is a farce, I can't breathe through this mask“. Wunderschöne Melodie, Beth Gibbons klingt hier noch sanftmütiger und vor allem sehr klar. Die Geigen (Strings) tun ihr übriges. IT’s A FIRE hat dann auch sich bis zum heutigen Tage seine Wirkung nie verfehlt.

NUMB klingt dagegen wieder ziemlich schräg und sperrig. Ein langsamer Beat, dazu eine fast schon klagende Beth Gibbons. Die passende Musik für einen Endzeitthriller, klingt sie so? Wer weiß, noch steht das Ende ja erst bevor. ROADS bringt uns dem Ende zumindest dieser Platte wieder ein Stückchen näher. Ein wunderschönes Stück, noch eine Spur eindringlicher als IT’s A FIRE. In meinen Ohren der absolute Höhepunkt des Albums. „We've got a war to fight, Never found our way” singt Beth Gibbons derart intensiv und verletztlich, dass man es ihr in diesem Moment bedenkenlos abnimmt, dass sie noch ihren Weg sucht. Authentischer kann Musik nicht sein. Es scheint, als wären wir mittlerweile auf einer Straße ins Nirgendwo, oder um die Talking Heads zu bemühen, auf einer Road to Nowhere. Doch wenigstens ist sie schummrig schön.

Song Nummer 9? Da soll noch was kommen? Geht es tatsächlich noch weiter? PEDESTAL, auf leisen Sohlen kommen die Drums und der Bass daher. Es blubbert wieder mal und klingt sehr jazzig. Geoff Barrow scratcht auch hier wieder mit sich selbst um die Wette. Und Leckereien in Form von BISCUITS gibt’s anschließend dazu. Der Beat wird wieder etwas heftiger, die Stimmen klingen noch verzerrter. Insgesamt wieder ein sehr sperriger Song, der sich einem erst nach mehrmaligem Hören öffnet. Doch eins ist sicher: langweilig wird die Platte nie, bei jedem neuen Durchhören entdeckt man neue Soundspielereien

Der letzte Song ist dann wieder ein Highlight: die GLORY BOX, eine wohl mundende Wundertüte. Eine Aufnahme, die durch ihr an Schallplatten erinnerndes Knistern regelrecht Lagerfeuerromantik entfacht: „give me a reason to love you“. Streicher, wohin man auch hört. Eine schwer zu beschreibende düstere Stimmung macht sich breit, die dann ganz langsam ausklingt.


DUMMY ist zerstörerisch. Jeder Song besitzt das Potenzial, einen eigentlich sonnigen Tag in einem Wolkenbruch enden zu lassen. Und gleichzeitig ist DUMMY wieder voller Hoffnung, denn DUMMY spendet Trost, wenn man sowieso gerade einen melancholischen hat: Hey, du bist nicht alleine, es gibt andere Menschen in anderen Welten, doch die Emotionen sind dieselben. Doch Vorsicht: Überdosis DUMMY oder auch anderes von PORTISHEAD kann zu dauerhaften Störungen führen. Musik für bestimmte Tage und Zeiten, ja, doch auch hier gilt: die Mischung machts. Es darf auch gerne an anderen Tagen positivere Musik sein.

Eine Empfehlung? Natürlich, was denn sonst? Hören, aber bitte nur am Stück, einzelne Songs lassen sich nur ungern herausreißen und klingen ohne ihre gewohnte Umgebung seltsam allein gelassen. Nicht empfehlenswert ist die CD an allen Tagen, an denen man sich eventuell vorhandene positive Stimmungen nicht nehmen lassen will. DUMMY nimmt sich alles, was nicht passt, rigoros und rücksichtslos. Billig wirds allerdings nie, weder musikalisch noch preislich: Amazon will 16,99 € haben.


Portishead – Dummy (1994)

1. Mysterons, 2. Sour Times, 3. Strangers, 4. It Could Be Sweet, 5. Wandering Star, 6. It’s a Fire, 7. Numb, 8. Roads, 9. Pedestal, 10. Biscuit, 11. Glory Box

Booklet: gibts auch, leider wurden keine Lyrics abgedruckt.

46 Bewertungen, 1 Kommentar

  • Art_Decay

    29.10.2004, 20:15 Uhr von Art_Decay
    Bewertung: sehr hilfreich

    ...die sollte ich auch mal wieder rauskramen. Besten Dank für die Erinnerung! Schöne Grüße, Thomas