Erbsen auf halb 6 (DVD) Testbericht

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ab 11,09
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Erfahrungsbericht von Duvie

Die Sinne auf Reisen schicken

Pro:

sehr einfühlsam erzählt, optimal besetzt

Kontra:

nichts für Popcornkinogänger

Empfehlung:

Ja

Aufmerksam wurde ich auf diesen Film, da mich das Thema aufgrund meines Studiums der Sehbehindertenpädagogik ganz besonders interessiert. „Erbsen auf halb 6“ erzählt auf einfühlsame und zuweilen überspitzte Art und Weise das Schicksal eines späterblindeten Theaterregisseurs, der lernen muss, mit dieser neuen Lebenssituation zurecht zu kommen.


- Die Handlung vertieft –

Dem Theaterregisseur Lukas wird ein kurzer unaufmerksamer Moment zum Verhängnis – er stürzt mit seinem Auto über eine Absperrung. Als er im Krankenhaus erwacht, muss er erkennen, dass ihn dieser kleine Augenblick der Unachtsamkeit sein Augenlicht gekostet hat.
Im Krankenhaus wird er von Lilly besucht, die für ein Rehabilitationszentrum arbeitet und ihn davon überzeugen möchte, dass es wichtig für ihn ist Blindenhilfsmittel zu erlernen, wie die Braille-Schrift oder das Gehen mit einem Langstock. Doch Lukas ist noch nicht bereit, sich seinem Schicksal zu stellen, und so flieht er vor Lilly. Doch er unterschätzt ihre Hartnäckigkeit, immer wieder taucht sie in seinem Leben auf und immer wieder versucht er sie abzuschütteln. Dieses Katz-und-Maus-Spiel endet für beide irgendwo im Niemandsland neben Bahnschienen, wo Lukas ohne langes Nachdenken einfach aus einem Zug gestiegen ist. Jetzt erfährt er erstmals, dass auch Lilly blind ist.
Für beide beginnt eine skurrile Reise, in der die Menschen, auf die sie treffen, immer wieder versuchen, Profit aus ihrer Blindheit zu schlagen, und auf der Lukas Schritt für Schritt lernt, sich auf die Welt der geburtsblinden Lilly einzulassen.
Ihr Weg führt die beiden nach Russland, wo Lukas seine sterbenskranke Mutter besuchen möchte. Dabei sind ihnen Lilly besorgte Mutter und ihr noch besorgterer Verlobter dicht auf den Fersen.

Mehr wird hier nicht verraten!


- Die Wirkung des Films –

Als ich das Kino verließ, war der Abend für mich gelaufen. Ganz tief hatte er an mir gekratzt und ich war so aufgefühlt, dass ich noch Stunden danach bei jeder Kleinigkeit in Tränen ausbrach. So etwas war mir noch nie passiert! Dabei ist die Handlung an sich, doch eher die einer wundersamen Geschichte, zweier tragischer Helden, di plötzlich über sich hinaus wachsen. Dabei erfüllt einem der Film, doch nahezu jeden Wunsch, ohne kitschig zu werden. Aber das Geheimnis ist ein anderes, nämlich das der leisen Tönen, der langsamen Schritte und eindringlichen Bilder. Die Macher dieses Films nahmen sich alle Zeit der Welt, um der Tiefe des Phänomens Blindheit gerecht zu werden. Situationen haben Zeit sich zu entwickeln, zu Bildern, zu Geräuschen und schließlich zu einer Atmosphäre zu werden. Diese angemessene Langsamkeit des Films erlaubte es mir, tatsächlich Gefühle für die Figuren aufzubauen, Situationen nachzuempfinden und das ein oder andere Mal Lilly und Lukas darum zu beneiden, wie reich ihre Welt der Geräusche sein kann.
Dennoch funktioniert der Film in weiten Bereichen über Bilder, sanfte Gesten und kurze Blicke, die verrückter Weise nur vom Zuschauer wahrgenommen werden und dennoch funktionieren. Einige Kameraeinstellungen waren durchaus ungewöhnlich, z.B. eine Kaffeetasse von oben, während in ihr umgerührt wird. Aber es sind eben viele kleine Eindrücke, die unser Bild vom Ganzen gestalten und dieses Bild versucht der Film zu schaffen.
Ganz besonders aufgewühlt hat mich eine Szene in einer kleinen Pension in Russland. Lilly und Lukas fliehen dorthin aus dem Regen, sie sind völlig durchnässt und ziehen sich deshalb aus. Keine sonderlich erotische Szene zwischen Blinden, wie man meinen mag. Aber auch hier ließ sich Regisseur Lars Büchel die notwendige Zeit, und wer sich darauf einlässt, lernt den erotischen Klang eines nassen Wollpulvers, der über durchgefrorene Haut gezogen wird, kennen.


- Erwähnenswerte Darsteller –

Fritzi Haberlandt
Sie brilliert in ihrer Rolle als Lilly. Da sie mir zuvor völlig unbekannt war, hatte sie mich am Ende des Filmes davon überzeugt, tatsächlich blind zu sein. Wie sonst wäre es möglich so einfühlsam und überzeugend eine Blinde zu verkörpern?
Ich habe mich geirrt! Jedoch wurde sie lange auf ihre Rolle vorbereitet, nahm u.a. Stunden bei einem speziellen Blindentrainer.
Doch darüber hinaus glaubt man ihr auch die zerrissene Frau, die sich nicht sicher ist, ob sie ihrem Verlobten davonlaufen soll, um einen sturen Blinden nach Russland zu begleiten. Sie wirkt echt in all ihren Gefühlen und ist zweifelsfrei – wie alle Besetzungen – perfekt für die Rolle gewählt.

Hilmir Snaer Gudnason
Der Darsteller des Lukas war mir ebenso bekannt, wie die Darstellerin der Lilly, wird mir aber auch ebenso gut in Erinnerung bleiben. Er macht im Laufe des Films die größte Wandlung durch – startet als selbstbewusster und dominanter Theaterregisseur, wird dann zum Opfer, das in seiner Rolle zu zerbrechen droht, schöpft allmählich Mut und endet als vollkommen verwandelter Mensch, der das Glück mehr in sich selbst als im Erfolg vor anderen sucht.
Zunächst störte ich mich ein wenig am Akzent des Schauspielers – der allerdings auch Teil der Rolle ist – doch dann ließ ich mich auf ihn ein und es gelang Hilmir Snaer Gudnason sehr gut die Emotionen von Lukas zu transportieren und in 95 Minuten dessen facettenreichen Wandel glaubwürdig darzustellen.

Tina Engel
Sie spielte die Mutter Lillys, meines Erachtens die eindimensionalste Rolle des Films, den außer Verzweiflung und Sorge hat man ihr keine weiteren Emotionen zugedacht. Die Übertriebenheit ihrer ständigen Angst ihrer Tochter gibt ihrer Rolle einen stark komischen Anstrich, der dem Film jedoch gut tut und die Geschehnisse auflockert.

Harald Schrott
Er stellt den Verlobten Lillys dar. Eine absolut tragisch-komisches Rolle. Diese Spagat gelingt Harald Schrott, er schafft es seine Figur in lustigen Szenen komisch wirken zu lassen, ohne ihn tragischen Momenten an Glaubhaftigkeit zu verlieren. Sehr sympathisch, dennoch der Verlierer des Films!


- Fazit –

Ich kann den Film jedem ans Herz legen, für den Kino auch etwas anderes sein darf als endlose Explosionen, mächtige Schwertkämpfe und vorgefertigte Lacher! Allerdings solltet ihr euch beeilen, da „Erbsen auf halb 6“ bereits vor über einem Monat angelaufen wird und wohl bald nicht mehr in den Kinos laufen wird, da er dann vom alltäglichen Popcornkino verdrängt wird.
Das Problem der Blindheit wurde hier mit einer solchen Leichtigkeit und unglaublich viel Einfühlungsvermögen aufbereitet, dass man keine Sorge tragen muss, der Film erdrücke einen mit gnadenloser Zeigefingerpädagogik. Lustige wie ergreifende Momente sind ausgewogen und deswegen fällt der Film zu Recht ins Genre der Tragikomödie.
Von mir gibt es alle Sterne für dieses außergewöhnliche Kinoereignis, das mich in allen Bereichen überzeugen konnte!

25 Bewertungen, 2 Kommentare

  • babysly2000

    28.08.2006, 15:00 Uhr von babysly2000
    Bewertung: sehr hilfreich

    Liebe Grüße Sly

  • EasyOneX

    11.02.2006, 15:53 Uhr von EasyOneX
    Bewertung: sehr hilfreich

    yuhuuu, sehr hilfreich.....freue mich immer über gegenlesungen :-))) gruss, EasyOneX