Finnland Testbericht

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Erfahrungsbericht von LoMei

Seefahrt 8: Nordlicht und Mitternachtssonne

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Das Schiff rollte und zitterte in den kurzen Seen der Ostsee. Überall rumste und polterte es. Von den Unbefahrenen waren eine ganze Reihe seekrank. Es war im November 1956. Wir fuhren „vor dem Loch“ (Einfahrt in die Schären bei Oulu) immer hin und her. Das ging mehrere Tage so. Die Ostsee schien mit Meilensteinen gepflastert. Es war empfindlich kalt. Das Seewasser hatte eine Temperatur von 4 °C. Der Lotse wollte das Schiff nicht an seinen Liegeplatz holen, da bei dem Wetter die Gefahr bestand, dass es gegen die Schären getrieben wurde.


INHALT

1. Im Eis der Ostsee
2. Sommer in den Schären
3. Fazit


1. IM EIS DER OSTSEE

Am 15. November erreichten wir den Ankerplatz vor Oulu. Um uns herum trieben Eisschollen. Die Erzpier war nicht frei, und wir mussten warten. Die Tage waren kurz. Von morgens um 09:00 Uhr bis nachmittags 16:00 Uhr war es einigermaßen hell. Die Sonne kam gar nicht richtig am Himmel hoch. Am 19. November schneite es. Die Eisschollen trieben nicht mehr. Sie waren genau wie wir festgefroren. Wir lagen nun in einer weiten weißen Schneelandschaft vor Anker. Am Vormittag fuhren wir etwas voraus und zurück, um vom Eise freizukommen und nicht gänzlich einzufrieren. Das Eis brach angesichts unserer 4 000 PS weg wie Butter. Am nächsten Morgen pfiff der Wind scharf von Steuerbord voraus, wirbelte leichten Pulverschnee vor sich her und baute stellenweise kleine Wehen auf. Es fror weiter. Die Seewassertemperatur lag jetzt eben über 0°C. Unsere elektrische Heizung war gut in Form und hüllte das Schiff in wohlige Wärme. Wir versuchten genau wie am Vortage durch mehrmaliges Voll Voraus- und Zurückfahren wieder vom Eise freizukommen. Aber es blieb beim Versuch. Das Eis hielt uns fest. Hinten an der Schraube brachen die Schollen bis Mittschiffs weg. Aber das Schiff rührte sich nicht. Nach etwa zwei Stunden gaben wir auf.
Am abendlichen Himmel bot sich uns ein wunderbares Schauspiel. Das Nordlicht warf in blassem aber wiederum seltsam leuchtendem Glanz seine Bögen über den ganzen Himmel. Das Licht veränderte stetig Form und Leuchtstärke. Es sah aus, als würden silbrig glänzende Schleier über den ganzen Horizont gezogen. Manchmal verschmolzen sie ineinander und verblassten langsam, um sich ganz neu wieder auseinander zu ziehen.
Am Vormittag des 21. November holte uns ein Eisbrecher an die Erzpier von Oulu. Die bestand nur aus einem Gerüst mit einem Förderband.
Am nächsten Vormittag gingen wir zu zweit an Land. Die meisten Männer tragen dort Pelzmützen. Das ist hier sehr zu empfehlen. Auf einer Bank tauschten wir etwas Geld um und kauften einige Kleinigkeiten. Früher war Deutsch an Finnlands Schulen die erste Fremdsprache, heute ist es Englisch. Von den älteren Angestellten auf der Bank oder in den Geschäften sprechen immer einige deutsch.
Am Donnerstag fiel das Wasser plötzlich rapide, und deshalb legten wir ohne die zu diesem Zeitpunkt noch fehlenden 1400 t ab und fuhren auf die Ostsee hinaus. Wieder musste uns der Eisbrecher ins freie Fahrwasser hinausbringen. Den Lotse wurden wir an der Lotsenstation von Oulu nicht los, da sie eingefroren war, und nahmen ihn deshalb bis Südfinnland mit.


2. SOMMER IN DEN SCHÄREN.

Am 12. Juli 1956 abends ankerten wir (D „Tilly Russ“) auf Reede zwischen den finnischen Orten Martiniemi und Haukipudas. Das liegt etwa 25 km nördlich von Oulu. Am nächsten Morgen kam unser Holz, und das Beladen begann.
Nach dem Abendbrot wriggten wir 10 Mann hoch mit unserem kleinen Arbeitsboot zum nächstgelegenen Ufer. Hier war es ganz herrlich. Weit und breit waren keine Häuser zu sehen, nur Wald und Busch und ab und zu eine wiesenähnliche Lichtung. Das alles war umsäumt von einem wunderbaren Strand. Wir konnten gar nicht genug bekommen von diesem Grün. Deshalb war uns auch kein Busch zu dicht. Manchmal stießen wir am Rande der kleinen Waldwiesen auf eine aus dicken Baumstämmen erbaute Hütte, die offensichtlich als Heuschober benutzt wird.
Was uns auf dieser Wanderung nun gar nicht gefiel, waren dichte Fliegenschwärme und vor allem die vielen Mücken. Sie stachen uns, wo immer sie konnten. Ich schlug andauernd um mich und kratzte mich an allen möglichen und unmöglichen Stellen und bot das Bild eines gestikulierend dahinschreitenden Tänzers.
Am nächsten Abend zogen wir wieder los. Wir gingen durch den Wald und kamen nach einiger Zeit in das Dorf Haukipudas. Hier herrschte eine echt bäuerliche Atmosphäre. An der gewundenen Dorfstraße lagen inmitten von Feldern und Wiesen mehrere Höfe, deren sämtliche Gebäude aus Holz bestanden und meistens rot angestrichen waren. Zu einem solchen Hof gehörte immer ein „Ziehbrunnen“ wie ich ihn aus meiner frühen Kindheit in Pommern erinnere. Sie sind hier nur etwas kleiner. Nirgends fehlt ein Gebäude für die Sauna. Wir wanderten bis an die Hauptstraße nach Oulu.
Am nächsten Tag brachten uns einige junge Finnen mit ihrem Boot nach Martiniemi. Von dort fuhren wir anschließend mit einem Taxi zu einem anderen Ort. Dort sollte ein Fest sein. Der Festplatz war eine große Wiese, in deren Mitte eine überdachte Parkettfläche aufgebaut war. Es ging sehr lustig zu. Um Mitternacht hörte die Musik auf zu spielen. Es war ein ganz netter Abend. Jetzt hieß es: Nichts wie an Bord und in die Koje. Wir fuhren zu zweit im Taxi (300 Finn-Mark) nach Martiniemi.
Wie jetzt das Schiff erreichen? Unentschlossen wanderten wir am Strand entlang. Dort waren viele kleine Boote meist an großen Findlingen festgemacht. Alle waren mit Kette und Schloss gesichert. Nach einiger Suche fanden wir ein Ruderboot, das nicht angeschlossen war. Wir machten wir es los und pullten los. Die „Tilly“ lag weit draußen und sah in der Ferne ganz klein aus. Als wir unsere Bootstour begannen, war der Himmel im Norden ganz rot. Abend- und Morgenröte gingen ineinander über. Das Wasser war absolut ruhig. Es herrschte eine eigenartige Stimmung. Unterwegs hielten wir manchmal inne und ließen die Riemen im Wasser gleiten und nahmen diese Stimmung fast andächtig in uns auf. Dann ruderten wir weiter. Ich merkte die Anstrengung gar nicht. Bei der „Tilly“ angekommen, machten wir unser Arbeitsboot klar und kehrten wieder um. Einer ruderte jetzt das vom Strand „entliehene“ Boot, der andere wriggte unser Arbeitsboot. Das ausgeliehene Boot wurde wieder an seinen Platz gebracht und so befestigt, wie wir es vorgefunden hatten. Während die Sonne im Norden schon wieder emporstieg, wriggten wir zum Schiff zurück. Dabei wechselten wir uns ab und schauten immer wieder den Himmel an. Als wie an Bord ankamen war es mittlerweile 02:30 Uhr.


3. FAZIT

In den darauffolgenden Jahren war ich noch viele Male nicht nur mit dem Schiff in Finnland. Ich habe fast alle Orte zwischen Haukipudas (bei Oulu) im Norden und Hamina im Südosten zu allen Jahreszeiten kennen gelernt.
Dabei wurde deutlich, dass die Städte, insbesondere Helsinki mit dem Kulturangebot hervorstechen. Aber der Reichtum des Landes ist seine unberührte Natur und die freundlichen Menschen.
Unvergessen ist die Sauna bei Freunden. Dort habe ich gelernt: Wichtige Geschäfte machen die Deutschen im Verlauf einer Besprechung, die Franzosen bei einem Essen, die Amerikaner beim Golfspiel und die Finnen in der Sauna.
Die hier beschriebenen beiden Reisen mit einem Erz- und einem Holzfrachter liegen fast 50 Jahre zurück. Aber das Winter-Erlebnis von Kälte, Eis und Nordlicht kann jeder heute genauso haben. Als echter Kontrast bietet der Sommer unverändert das Erlebnis der Schärenlandschaft (oder Seenlandschaft) mit den hellen Nächten und der Mitternachtssonne.
Wenn ihr Natur sucht fahrt nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter nach Finnland. Es lohnt sich.

20 Bewertungen, 3 Kommentare

  • antjeeule

    05.04.2002, 18:29 Uhr von antjeeule
    Bewertung: sehr hilfreich

    Deine Berichte sind wirklich wunderschön und sehr lesenswert!

  • uteker

    02.04.2002, 21:52 Uhr von uteker
    Bewertung: sehr hilfreich

    Die schönsten Berichte über ferne Länder findet man bei LoMei. Gruß Ute

  • store_troll

    26.03.2002, 21:46 Uhr von store_troll
    Bewertung: sehr hilfreich

    Wieder mal ein super Bericht...