Der Mann aus Sankt Petersburg (Taschenbuch) / Ken Follett Testbericht

Luebbe-verlagsgruppe-der-mann-aus-sankt-petersburg-taschenbuch
ab 5,13
Auf yopi.de gelistet seit 06/2004

5 Sterne
(5)
4 Sterne
(1)
3 Sterne
(1)
2 Sterne
(0)
1 Stern
(0)
0 Sterne
(0)

Erfahrungsbericht von magnifico

Verbotene Romantik im viktorianischen England

Pro:

sehr gut geschrieben, spannend und interessant

Kontra:

nichts

Empfehlung:

Ja

Ken Follet, Autor des Bestsellers „Die Nadel“, entführt in seinem Werk „Der Mann aus St. Petersburg“ den Lesenden mit einer spannenden und plastisch geschriebenen Handlung in das viktorianische England vor der Zeit des Ersten Weltkriegs. Der Autor lässt dabei allerdings den Lesenden nicht etwa nur in der „realen“ Umwelt zum Begleiter seiner Akteure werden, sondern führt vielmehr subtil und bisweilen unterhaltsam in die gesellschaftlichen Etikette jener Zeit ein, der insbesondere die voreheliche Aufklärung und der Verzicht auf Standesdünkel – wie bisweilen in England wohl noch heute anzutreffen – fremd gewesen ist. Ein gelungener und sehr angenehm zu lesender Roman um eine mysteriöse Affäre im Russland zur Zeit der Revolution und das diplomatische Ränckenspiel nach der vorletzten Jahrhundertwende.

Ein paar kurze Worte sollen allen, die das Buch noch nicht gelesen haben, eine knappe Vorstellung dessen geben, womit man sich hier die Zeit vertreiben kann; jene, die es bereits gelesen haben, werden so vielleicht eher wieder die Erinnerung an das Werk finden. Allen sei jedoch bereits hier versprochen, dass ich mich bemühe, die Spannung und das Ende des mehr als 400 Seiten starken Romans nicht vorwegzunehmen.


England im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Eine kriegerische Auseinandersetzung auf dem kontinentalen Europa scheint angesichts der immensen Rüstungsausgaben des Deutschen Reichs unausweichlich. Frankreich, Verbündeter der britischen Krone, ist nach Einschätzung aller das potentielle Opfer der deutschen Hegemonialgelüste, wobei England dringend auf eine Allianz mit dem russischen Zaren angewiesen ist, um die Deutsche Wehrmacht in einen Zweifrontenkrieg zu zwingen. Ein junger Admiral und Verwandter des Zaren reist hierzu in diplomatischer Mission nach London, um mit seinem verschwägerten englischen Adeligen eine den gemeinsamen Interessen dienende Abmachung zu finden. Doch die russische Untergrundbewegung, die die Abschaffung der zaristischen Autokratie sowie die Befreiung des Bauernstandes anstrebt, erkennt die Gefahren, die ein militärisches Bündnis im Kriegsfall für die Bauernschaft bedeutet. Ein glühender Verfechter der Freiheitsbewegung reist ebenfalls nach England, um den russischen Gesandten zu beseitigen ... und eine alte Beziehung aufleben zu lassen.


Der Roman liest sich sehr flüssig und dank der plastischen Handlung wird es dem Leser keine Probleme bereiten, sich die einzelnen Abschnitte und die teilweise doch etwas ungewöhnlichen gesellschaftlichen Konventionen vorstellen zu können. Wiederholt zum Schmunzeln dürfte dabei die viktorianische Prüderie des unteren Adels, die im Roman eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, anregen. Insoweit führt Follet einmal mehr mit hoher Sachkenntnis und Liebe zum Detail in eine Welt ein, die dem mitteleuropäischen Leser in einer dem Ständebewusstsein weitgehend entbehrenden Gesellschaft fremd und bizarr erscheint. Der Roman präsentiert sich somit nicht nur als bloße Freizeitlektüre, für die alleine er schon hohes Lob verdient, sondern auch als historische Einführung in frühere Gesellschaftsformen, die allerdings der Trockenheit von Lehrbüchern oder sonstigen derartigen Werken entbehrt.

Ich habe den Roman in wenigen Abenden regelrecht verschlungen, da einerseits die Spannung und Faszination der Handlung trotz der traurigen Bekanntheit des Ersten Weltkriegs allein hierdurch keinen Abbruch erleidet. Zum anderen ist es aber auch der Reiz der in den Handlungsverlauf direkt eingewobenen verbotenen Affäre, die zunehmend an die Oberfläche der mühsam unter Verschluss gehaltenen Lebensgeschichte der Beteiligten drückt und dem Roman eine erheiternde Satire verleiht.

Das Buch lässt sich kaum als klassische Liebesgeschichte deklarieren, dafür ist die Handlung einerseits zu ernst und andererseits doch mit etwas zu viel Tiefgang behaftet. Fans von historischen Romanen hingegen werden ohne Zweifel auf ihre Kosten kommen, ebenso all jene, die etwas für die „Verschwörer“-Rubrik übrig haben. Jene, die gerne zu einem gut geschriebenen Buch greifen, das sich ohne weiteres auch auf Etappen lesen lässt – nicht jedem ist es schließlich vergönnt, ganze Tage allein im Lesesessel zu verbringen – werden ebenfalls keine Enttäuschung erleben, denn die Handlung ist keineswegs als komplex oder kompliziert zu bezeichnen, auch sind die auftretenden Charaktere schön „in Reihe“ und somit keine Herausforderung für Gedächtnis und Aufmerksamkeit. Ein ohne Zweifel empfehlenswertes und absolut lesenswertes Werk, das Follets Ruf ohne Zweifel gerecht wird.

24 Bewertungen