Der Mann aus Sankt Petersburg (Taschenbuch) / Ken Follett Testbericht

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ab 5,13
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Erfahrungsbericht von Anonym114

Eine explosive Mischung

Pro:

spannend, fesselnd

Kontra:

nicht alle Charaktere sind gewohnt rund, es gibt bessere Folletts

Empfehlung:

Ja

Ja, ich lese recht gerne Romane vom walisischen Autor Ken Follett. Seine Geschichten entwickeln in der Regel einen Sog, der einen immer und immer weiter lesen läßt. Das ist auch ein Stück weit bei Der Mann aus St. Petersburg so, einem Buch, dass ich mir jetzt zum zweiten Mal vorgeknöpft habe.

ZEIT UND ORT:
Der Roman spielt 1914, vorwiegend in England, fast immer in London, z.T. aber auch in der kleinen Ortschaft Walden Hall, in der einige von den Hauptfiguren leben.

DIE FIGUREN:
FELIX KESCHESSINSKY:
Er ist die Titelfigur, der Mann aus St. Petersburg. Felix war in zaristischen Lagern gefangen, hat Hunger, Durst, Kälte auf seiner Flucht erlebt und dabei einen Großteil seiner Gefühle verloren. Angst scheint ihm fremd. Er verfolgt seine Ziele, die in der Regel politischer Natur sind ohne Rücksicht auf irgendjemanden, auch nicht auf sich selbst. Der russische Fürst Alex Orloff soll sein nächstes Opfer werden, da dieser Verhandlungen führt, um eine Kriegsallianz zwischen Engländern und Russen zu schließen. Der Mann aus St. Petersburg agiert sehr berechnend und clever, gerät dann aber doch an einem Punkt aus dem Konzept.
Auch wenn Felix bis zu einem gewissen Grad der Böse ist, so kann man als Leser doch große Sympathien für ihn entwickeln, er ist nicht der Antiheld, aber auch nicht derjenige, mit dem man alleinig mitfierbert.

CHARLOTTE WALDEN:
Sie ist aus meiner Sicht die zweite wesentliche Figur dieses Romans, auch wenn die 18jährige auf den ersten Blick so gar keine Gemeinsamkeiten mit Keschessinsky hat. Charlotte stammt aus adligem Hause, ist Tochter von Lady und Lord Walden. Entsprechend verläuft auch ihre Erziehung: Sie soll ihr Debut in der Gesellschaft geben, soll einen passenden jungen Mann aus ähnlichen Kreisen, aus denen sie selbst stammt finden und heiraten. Doch die Konventionen gefallen ihr nicht. Sie mag nicht (wie die meisten jungen Damen ihrer Generation) dumm gehalten zu werden. Charlotte interessiert sich für die Politik, will sich über die Frauenbewegung informieren und begibt sich dadurch in Gefahr.

LORD STEPHEN WALDEN:
Charlottes Vater ist ein gediegener und konservativer englischer Adliger. Von Winston Churchill wird er gebeten, mit seinem angeheirateten Neffen Fürst Orlow Verhandlungen zu führen. Die Engländer wollen sich die russische Rückendeckung in einem möglichen Krieg gegen Deutschland holen. Nach anfänglichem Zögern stimmt Walden zu. Doch durch Felix wird seine Mission schwierig.
Der Lord ist für mich eine etwas zwispältige Figur. Als Adliger liegt er mir vom Gefühl her schon nicht nahe. Seine Charakterzüge sind zwar recht umfassend dargestellt, trotzdem wirkt er als Person in diesem Roman auf mich nicht wirklich rund.

LADY LYDIA WALDEN:
Sie gefällt mir noch weniger als ihr Mann, da sie noch weniger komplex dargestellt ist und am ehesten wehleidig wirkt. Von Haus aus ist Lydia Russin, stammt wie Felix aus St. Petersburg. Mit ihm hatte sie vor ihrer Ehe auch eine Affäre, wurde dann von ihrem Vater zur Ehe mit Walden genötigt. Der suchte nach dem Tod seines Vaters auf die Schnelle eine Ehefrau, verliebte sich dann aber wirklich in Lydia. Bei Lady Walden treten als deutlichster Charakterzug ihre schwachen Nerven hervor, die sie immer mit Laudanum beruhigen muss.


DIE GESCHICHTE:
Ansatzweise wird die Story schon aus der Darstellung der vier wesentlichsten Figuren deutlich. Es ist das Jahr 1914, Deutschland entwickelt sich aus Sicht der Engländer zu einer gefährlichen Macht in Europa. Damit es zu keiner Vormachtstellung der Deutschen kommt, will sich die englische Regierung mit Rußland verbünden. Dazu benötigen die Liberalen unter Winston Churchill aber die Unterstützung von dem konservativen Lord Walden. Er ist der fast väterliche von Fürst Orlow, der wiederum im Auftrag des Zaren für die Russen verhandelt. Doch weder die englische Regierung noch die russische möchte zu große Zugeständnisse machen. Die Verhandlungen werden schwieriger, als klar wird, dass Felix versucht, Orlow zu töten.

PREIS:
Ich habe das Buch noch zu DM-Zeiten im Taschenbuch-Doppel mit dem Follett-Roman Die Löwen gekauft und den Sonderpreis von 15 Mark gezahlt. In der Regel ist die Taschenbuch-Ausgabe aber für rund 10 Euro inzwischen zu haben.

KEN FOLLETT:
Er gehört zu meinen Lieblingsautoren, weil er immer wieder elegant seine Handlungsstränge verwebt. So entwickelt der Leser erst mit der Zeit größere Sympathien für den einen oder anderen Charakter. In diesem Fall ist es mir so ergangen, dass ich keinen wirklich Bösen im Roman gefunden habe. Hier ergaben sich die Sympathien und Antipathien eher dadurch, dass ich mich so gar nicht mit Adelskreisen wie denen von Lord und Lady Walden identifiziern kann.
Follett wurde 1949 in Wales geboren und ist von Beruf Journalist. Von ihm stammen einige Bestseller, unter anderem Die Säulen der Erde, die Nadel oder zuletzt die Leopardin.

FAZIT:
Im Vergleich mit einigen anderen Follett-Romanen finde ich den Mann aus St. Petersburg eher schwach. Aus meiner Sicht haben gerade die Figuren von Lord und Lady Walden Schwachstellen, sind nicht so komplex, wie sonst häufig die Charaktere des walisischen Schriftstellers. Trotzdem gelingt es Follett auch hier wieder, den Leser in den Bann seiner Geschichte zu ziehen. Abwechselnde Handlungsstränge, in denen in der Regel eine der vier von mir vorgestellten Hauptfiguren im Fokus steht, sind immer kurzweilig, je weiter man im Roman voran schreitet, desto weniger mag man das Buch aus der Hand legen. Daher würde ich es auf alle Fälle als lesens- und empfehlenswert bezeichnen. Wer aber Follett bisher noch nicht kennt, der sollte vielleicht mit Die Säulen der Erde oder Die Leopardin beginnen, da ihm dort aus meiner Sicht die Geschichten noch besser gelungen sind. Für den Mann aus St. Petersburg vergebe ich (in Schulnoten gesprochen) eine 2-3.

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