Friedrichstadtpalast Testbericht

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Erfahrungsbericht von Raileigh

Wunderbar - Die 2002. Nacht - Große Revue

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Häufig gewinne ich den Eindruck, dass die Begriffe Kulturetat, Kunst und Publikumsakzeptanz nichts miteinander zu tun haben.
Die Ausschüttung von staatlichen Fördermitteln ist abhängig vom jeweiligen Steckenpferd des Kultusministers oder -senators. Kunstproduzenten höre ich gelegentlich wettern, dass sich Kunst nicht vom Diktat des Publikums beirren lassen darf und das Publikum selbst besucht nur solche Veranstaltungen, auf die es eben Lust hat - wie eitel und selbstgefällig von ihm..
Jeder hält seine durchaus begründbare Einstellung für gewichtig genug, nicht von dieser abzuweichen.
So führt das zum Dilemma der gegenwärtigen Kulturszene. Leere Opernhäuser mit Subventionsrekorden zur einen Seite, einfallsreiche kleinere Kulturinstitute denen der Geldhahn und damit der Lebenssaft abgedreht wird zur anderen Seite.

Ein Haus, das diesen Problemen recht selbstbewust und verhältnismäßig ungerührt entgegentritt, ist der Berliner Friedrichstadtpalast.
Hier dreht es eifrigen Kunstkritikern den Magen um, wenn sie die Begriffe Unterhaltungstheater oder gar Revuetheater in die Nähe des Begriffes Kunst gerückt wähnen.
Dabei zeigt das Haus beste Unterhaltungskunst und zu unterhalten ohne zu langweilen, das gehört zu den unterschätzten Künsten. Manch Theater mit höherem Anspruch vermag es nicht, während seines Stückes das Gähnen des Publikums zu unterdrücken. Im Friedrichstadtpalast steht manchem der Mund vor Staunen offen.
Nun mag das Metier Revue nicht jedermanns Sache sein, doch spätestens seit dem Film "Moulin Rouge" scheint sich wenigstens eine gewisses Verständnis für prächtige Bilder und Ensembletänze zu entwickeln. Und davon hat die neue Revue "Wunderbar", die am 1. März 2002 Premiere feierte einige zu bieten.

Das Stück ist im Orient angesiedelt, im Reich der Geschichten aus 1001 Nacht.
Das ist vielleicht mutig, riefen da eifrige Skeptiler. Ein echtes politisches Statement von der Showabteilung?
Als am 11. September 2001 die Symbole der abendländischen Finanzmacht durch Terroristen in Trümmer zerlegt wurden und sich ein Machtkampf zwischen zwei Weltkulturen herauszukristallisieren drohte, ließ diese Situation im Produktionsbüro des Friedrichstadtpalastes selbst den allseits benutzten Schreckensausruf "Ach du Scheiße" auf den Lippen verdampfen.
Viel hatte man bereits investiert in diese morgenländische Revuegeschichte deren Endprobenplanung nun bevorstand. Bühnenbild und Bühnenbildner, Lichtdesign und Lichtdesigner sowie hochkarätige Choreografen unterschrieben bereits ordentliche Verträge und noch ordentliche Honorarquittungen..
Viel Geld war geflossen, auch Subventionsgelder hatten sich bereits verbraucht.
Und nicht zu vergessen, es steckte bereits viel Arbeit drin.
Die Theaterleitung, die gute Beziehungen zu Amerikas Revueglanzlichtern in Las Vegas pflegt, musste sich entscheiden. Vielleicht war das ausgegebene Geld Entscheidungshilfe genug, vielleicht die langanhaltenen Ratlosigkeit, vielleicht auch ein Hauch echter Courage, die das Haus zum Festhalten an der Produktion bewegte.
"Wunderbar" besitzt etwas, das in der Revuetradition sehr selten geworden ist. Einen zwar dünnen, aber vorhandenen roten Faden. Hier hat sich Intendant und Co-Autor des Buches Alexander Illinski kurzzeitig daran erinnert, dass er mal als Dramaturg tätig war. Diese Erinnerung durchlebte er allerdings nicht konsequent bis zum Ende. Schade.

Zunächst, im Prolog, erzählt das Stück die Geschichte aus 1001. Nacht. Die nymphomanische Gattin des Sultans treibt es mit dem Lustsklaven im Lustgarten. Der Sultan ist stinkig und lässt sie köpfen. Statt eines rollenden Hauptes fällt der Kopf einer Rose herab, proijziert auf zwei riesige Leinwände, die wie die Seiten eines überdimensionales arabisches Märchenbuches die ganze Bühne füllen. Der Sultan nimmt nun Nacht für Nacht eine andere Jungfer aus dem Volke zu sich. Am Morgen danach lässt er jede Köpfen. Blutige Rache für eine Angelegenheit, die in der rastlosen Gegenwart alltäglich ist - Untreue.
Sheherazade vermag es den Sultan zu verzaubern. Sie lullt ihn mit Geschichten ein. Dass die Geschichtenerzählerin von einer Solotänzerin ohne Sprechrolle gemimt wird, mag verwundern, fällt aber angesichts der Bühnenpräsenz von Solotänzerin Susann Malinowsky kaum ins Gewicht.
Der Sultan heiratet Sheherazade in prunkvollem Überschwang und lässt nun ab von seinem schändlichen Tun. Ein Palast so prächtig, wie aus dem Märchenland fährt ins Bild, zwischen die Seiten des Buches. Er glänzt golden und glitzert vor edlem Gestein, ist detailverliebt und verspielt gestaltet. Hier stand das in Dresdens Grünem Gewölbe stehende Kunstwerk "Die Hochzeit des Großmoguls" von Dinglinger Pate.
Die Hochzeit nimmt einen großen Raum ein. Indische Hochzeitsgäste tanzen, Kosaken springen und lassen die Bühne erzittern und chinesische Stangenartisten drehen der Schwerkraft eine Nase.
Und dann ein Anflug von Philosphie und Lebensüberdruss. "Was soll denn werden, nachdem wie gelebt" lässt der Autor den Sultan fragen. Eine Antwort geht glücklicherweise im aufwallenden Nebel und im anschließenden Untergangsszenario verloren, das das Ende der bekannten Welt aus 1001 Nacht darstellen soll. Es erscheint abermals ein Weib - ein Geschenk des Großwesirs - auf der Bildfläche und bezirzt den hormongebeutelten und in seiner Persönlichkeit äußerst labilen Sultan.
Der begibt sich auf eine Reise. Geführt von seinem Großwesir reitet er mit einem Ballon über die Wolken und lässt sich auch noch anderweitig von Illusionen täuschen.
Die Täuschung, ist es auch, der er am ehesten verfällt, unser Sultan. In einer wilden Orgie, in der er plötzlich wieder Spaß an der Untreue findet tötet er den Großwesir, der sich an seiner Sheherazade vergreifen will. Von jetzt an treiben ihn die Engel des Todes und der Handlungsfaden wird deutlich dünner.
Der Sultan begibt sich ein weiteres Mal auf Reisen, diesmal jedoch ist es eine Traumreise in deren Verlauf er sich zunächst in einer surrealen Unterwasserwelt aufhält. Später landet er in einer Wüstenszenerie in der nicht minder skurile und schwer deutbare Figuren umhertanzen und auf Gymnastikbällen herumhopsen.
Am Ende erscheint der weibliche Teil des Tanzensembles und wirft einen Ball hin und her, der, so vermute ich, das Haupt des Sultans darstellen soll. Die Frauen sind also wieder unter sich, der ganze Haremsstaat demonstriert Frauenpower und feiert das mit der Girlreihe, der üblichen und unvermeidbaren Demonstration preussischer Stechschritttradition, diesmal im maurischen Gewande.
Hier baumelt der Handlungsfaden nur noch lose herum. Das Garn, welches die Autoren spannen reicht nun nicht mehr aus. Ein wenig ratlos, aber kurzweilig unterhalten kann man nach der Applauszeremonie den Palast verlassen.

Die Revue lässt sich anschauen, sie ist nicht überfrachtet, auch nicht von überladenen Bühnenbildern. Hier zeigte man vielmehr Mut zum Verzicht. Sparsam, aber effektvoll agierte hier der Bühnenbildner, ohne das die Bühne leer aussieht. Die Musik, die für dieses Stück von Thomas Natschinsky komponiert wurde, trifft durchaus den Geschmack der meisten Besucher. Sie driftet nicht extrem ins für westliche Ohren schwer zu akzeptierende Arabische, sondern bleibt gefällig, setzt aber deutliche orientalische Akzente. Zur Abwechslung hat der Friedrichstadtpalast auch mal Sänger engagiert, die Stimme haben. Das war ja nicht immer der Fall.
Wer also nach Berlin reist und nicht auf Clubtour ist, wer seinen Eltern eine Freude machen will, ohne sich zu langweilen oder zu verbiegen, kann getrost in diese Show gehen.
Selbst für Skeptiker, denen die amerikanische Linie Verpflichtung ist, sollte diese westliche Inszenierung der arabischen Geschichte aus 1001 Nacht und dem was vielleicht danach geschehen hätte können keine Probleme bereiten.
Gespielt wird immer Dienstags bis Samstags um 20.00 Uhr. Samstags und Sonntags zusätzlich um 16.00 Uhr.
Karten sollte man vorreservieren. Am besten unter der Website: www.friedrichstadtpalast.de. Dort bekommt man auch einen kleinen Einblick ins Programm des Hauses.

14 Bewertungen, 1 Kommentar

  • Juwel123

    30.05.2002, 19:00 Uhr von Juwel123
    Bewertung: sehr hilfreich

    Fein geschrieben. Will ich mir nächsten Monat ansehen!