Chronik eines angekündigten Todes (Taschenbuch) / Gabriel Garcia Marquez Testbericht

ab 6,62
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Erfahrungsbericht von LilithIbi

Es war, als würde sie an einen Toten schreiben.

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Erneut war es lediglich der Buchtitel, der mich zu allererst ansprach. Kaum dass ich einen Blick auf den rezitierten Klappentext warf, war meine Neugierde immsenst geweckt ~ und so geschah es erneut, dass ich meinen immer höher werdenden das-les-ich-als-nächstes-Stapel ignorierte und einen „Neuzugang“ vorzog. Der ===Autor=== Gabriel García Márquez sagte mir mal wieder rein gar nichts, doch bei der ein oder anderen seiner Veröffentlichungen klingelte es doch ganz sanft in meinem Hinterkopf; als da mitunter wären: „Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt“, „Hundert Jahre Einsamkeit“ und vor allem „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“.
Gelesen habe ich am heutigen Nachmittage jedoch die 120 Seiten umfassende Novelle

Chronik eines angekündigten Todes
welche ursprünglich bereits im Jahre 1981 erschien, jedoch nichts an Aktualität der – zumeist ausländischen - Geschehnisse verloren hat.

Der Klappentext auf diesem Buch fasst in einen einzigen Satz die Story zusammen; und vielmehr ist dazu eigentlich auch gar nicht mal zu sagen. Doch um es in eigenen Worten wiederzugeben, geht es im Grunde um das Nachfolgende:
Die Geschichte wird von dem Cousin der 20jährigen Angela Vicario erzählt, die mit Bayardo San Román verheiratet werden soll. Die fehlende Liebe wischt Angelas Mutter mit der Begründung beiseite, dass auch Liebe sich erlernt. Doch dazu kommt es nichtmal: Bayardo bringt Angela noch während der Hochzeitsnacht zurück, da diese keine Jungfrau mehr war. Von den Schlägen ihrer Mutter gepeinigt, nennt Angela schließlich den Namen ihres Täters: Santiago Nasar. Die Brüder Pablo und Pedro sehen sich demnach gezwungen, einen Ehrenmord zu begehen; unternehmen jedoch alles Erdenkliche, damit jemand sei von ihrer Tat abhält ~ und scheitern.
Die Umsetzung

hat nichts mit einer weiteren, viel zu oft als Schicksals- oder Erfahrungsbüchlein getarnter Berichterstattung über Zwangsehen, Ehrenmorde und Familienskandalen gemein. Am Rande bleibt dies zwar nicht aus; und doch geht es hier eher um das weg-schauen, um die Ohnmacht vieler, einzugreifen, etwas zu verhindern oder sich jenes auch nur zu wagen.
Ein wenig erinnert die Novelle an „Das Laramie Project“; denn auch hier wissen beinah alle Bewohner des Dorfes Bescheid; doch niemand greift ein. Niemand warnt Santiago ~ und das beinah tragischste daran: ein jeder hofft oder nimmt an, dass ein anderer dies tun würde.

Der Autor versteht es, sich auf eher wenige spannungskonstante Seiten zu konzentrieren; und obschon hier und dort ein Zeitensprung erfolgt, kann der Leser der Handlung sehr gut folgen, versteht nach und nach das „drumherum“ und stellt schlussendlich fest, dass die Erzählung in genau diesem vermeintlichen Ablaufdurcheinander geschrieben sein muss, um derartig fesselnd zu bleiben.
Obendrein stützt sich der Ich-Erzähler auf verschiedene Aussagen, Nacherzählungen verschiedener Beteiligten, die mitunter gegenteiliges aussagen wie der zuvor Befragte. Dass nichtmal Einigkeit bezüglich des Wetters besteht, verleiht der ganzen Geschichte noch etwas mystischeres, als es dank der geballten Teil-Zufälle, die den Mord schließlich zulassen, ohnehin schon gewesen wäre.

Der sprachgewaltige Stil, mit dem der Autor dem Leser begegnet, verleiht der Erzählung eine derartige Nüchternheit, die sich in ihrem Tiefgang regelrecht anschleicht, mich persönlich zum fassungsl- und pausenlosen Weiterlesen zwang; wobei ich hin und wieder den Kopf schüttelte ~ viel zu bekannt ist als das, was in „Die Chronik eines angekündigten Todes“ geschieht, viel zu oft geschieht es noch heute, in mannigfaltig verschiedenen Formen.
„Viele der im Hafen Versammelten wussten, dass sie Santiago Nasar töten würden. Don Lázaro Aponte, Oberst der Kriegsaktademie im wohlverdienten Ruhestand und seit etwa elf Jahren Bürgermeister der Gemeinde, schnippte ihm einen Fingergruß zu. „Ich hatte gute Gründe, anzunehmen, dass er keiner Gefahr mehr lief“, sagte er zu mir. Auch Pater Carmen Amador hegte keinerlei Besorgnis. „Als ich ihn so gesund und munter sah, dachte ich, das Ganze sei eine Ente“, sagte er zu mir. Niemand stellte überhaupt die Frage, ob Santiago Nasar gewarnt worden war, weil es allen unmöglich schien, dass es nicht der Fall gewesen sein könnte.“
(ZITAT; S. 23)

Nach und nach erfährt der Leser ein paar gröbere Zusammenhänge, wird mit den verschiedenen Ansichten der Dorfbewohner, warum der eine so wie der andere Stillschweigen bewahrte, konfrontiert... und stellt sich unweigerlich die Frage, was man denn selbst getan hätte.
Hätte man wirklich eingegriffen, Santiago gewarnt, zumal diesem ein sehr zweifelshafter Ruf vorausging? Hätte man überhaupt jemals die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass Angela eventuell sogar gelogen haben könnte?

Scheinbar nebenbei geht es ebenso um die Lebensgeschichte jener Angela, um ihre Verzweiflung, ihre unerfüllten Hoffnungen und Herzen, in denen man die Tränen tropfen hören kann.
“Gebt mir ein Vorurteil, und ich werde die Welt verändern“

ist mehr als ein Zitat aus dem Buch, welches ebenso als Kernaussage der Parabel gesehen kann. Was jene Worte bedeuten, welche tiefe und zerstörerische Kraft und Macht dahinter liegen, beweist nicht nur dieses Büchlein. Viel zu oft schon wurden die Menschen Zeuge und stumme Zuschauer jener Entwicklungen ~ und viel zu oft noch werden sie wohl weiterhin wegsehen und darauf warten, dass jemand anderes die Welt für uns verändern wird.

37 Bewertungen, 11 Kommentare

  • liebes35

    20.08.2009, 09:24 Uhr von liebes35
    Bewertung: sehr hilfreich

    Guter Bericht. LG Steffi

  • l.x.klar@gmx.net

    19.08.2009, 17:22 Uhr von [email protected]
    Bewertung: sehr hilfreich

    greetz from wallcity beartown

  • rainbow90

    19.08.2009, 16:01 Uhr von rainbow90
    Bewertung: sehr hilfreich

    Schöner Bericht! LG

  • sunrise67

    19.08.2009, 13:15 Uhr von sunrise67
    Bewertung: sehr hilfreich

    Schönen Mittwoch wünsch ich dir!

  • Gozo-Bernie

    19.08.2009, 11:28 Uhr von Gozo-Bernie
    Bewertung: sehr hilfreich

    Gruss aus der Heimat von telestrada.it

  • willma1984

    19.08.2009, 09:55 Uhr von willma1984
    Bewertung: sehr hilfreich

    Toller Bericht. LG willma1984 :)

  • Solaija

    19.08.2009, 05:13 Uhr von Solaija
    Bewertung: sehr hilfreich

    Liebe Grüße, Solaija

  • morla

    19.08.2009, 01:20 Uhr von morla
    Bewertung: sehr hilfreich

    wünsche dir einen schönen abend lg. petra

  • geligiraffe

    18.08.2009, 23:34 Uhr von geligiraffe
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr gut Liebe Grüße Angelika

  • sigrid9979

    18.08.2009, 22:38 Uhr von sigrid9979
    Bewertung: sehr hilfreich

    Interessanter Bericht....Lg Sigi

  • minasteini

    18.08.2009, 22:31 Uhr von minasteini
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr interessanter Bericht. LG