Gibt es Wege aus der Arbeitslosigkeit? Testbericht

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Erfahrungsbericht von schraddel

Selbstständig machen: Eine gute Alternative

Pro:

siehe Text

Kontra:

siehe Text

Empfehlung:

Ja

Um es vorwegzunehmen: Selbstständigkeit ist nicht für jeden eine Alternative zur Arbeitslosigkeit. Es gibt sicher viele Leute, denen einfach nur ein festes Beschäftigungsverhältnis liegt. Wenn man den "Sprung ins kalte Wasser" wagt, braucht man nämlich ziemlich gute Nerven. Und meine waren auch nicht immer stark genug, die Unsicherheit zu ertragen, die am Anfang einer freiberuflichen Tätigkeit dein ständiger Begleiter ist. Aber trotzdem, es hat sich gelohnt.

Ich arbeitete zuvor bei einem großen deutschen Telekommunikationsunternehmen (das mit dem Panther). Im Zuge einer Umstrukturierung wurde unsere Abteilung Ende 2002 zuerst in ein Subunternehmen, dann zu einer Zeitarbeitsfirma "outgesourct", wie man das neudeutsch wohl nennt. Dies alles hinter dem Rücken von uns Angestellten; wir wurden nicht vorher informiert, zu wem wir jetzt eigentlich gehören, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt. Gehaltskürzungen waren hinzunehmen, diskutiert wurde nicht.

Nun tut man zwar normalerweise alles, um den Verlust des Arbeitsplatzes zu vermeiden, und mault nicht lange rum. Aber als sich bei der Zeitarbeitsfirma auch noch ein recht rüder Umgangston mit den Mitarbeitern einbürgerte, und das Betriebsklima sich zunehmend verschlechterte, reichte es mir, und ich bat darum, aus dem Arbeitsverhältnis entlassen zu werden. Da der Kündigungsschutz faktisch ohnehin schon abgeschafft war, ging das problemlos.

Zunächst versuchte ich, mit ein paar Kollegen zusammen, ein eigenes kleines Marktforschungsunternehmen aufzuziehen. Das klappte aber nicht, weil die beteiligten Leute zu unterschiedliche Pläne für ihre persönliche Zukunft hatten, sodass ich am Ende mehr oder weniger allein da stand.

Notgedrungen ging ich also zum Arbeitsamt, aber dort konnte man mir nichts Passendes vermitteln. Zusammen mit meiner Beraterin (die sehr freundlich und kompetent war, und mir auch sonst in vielen Dingen half) entwickelte ich also den Plan für eine Selbstständigkeit. Das dauerte seine Zeit, und inzwischen drohte Hartz IV. Wir einigten uns darauf, dass ich das nicht beantragen würde; statt dessen gab es ein halbes Jahr lang das so genannte "Übergangsgeld". Das ist ein bisschen mehr als Hartz IV, aber für eine Unternehmensgründung normalerweise nicht ausreichend.

Was ich allerdings vor hatte, war, eine kleine Ein-Mann-Firma (ich hasse das Wort "Ich-AG") aufzumachen, deren Schwerpunkt in der Marktforschung und in der Vermittlung von Waren via Internet besteht. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, erstelle ich manchmal die eine oder andere kleine Website, oder mache Prospekte und Plakate in Zusammenarbeit mit einer örtlichen Druckerei. Die Hard- und Software und das Wissen dazu habe ich mir schließlich im Lauf der letzten zwanzig Jahre erarbeitet; großartige Investitionen (abgesehen vom üblichen Verbrauchsmaterial und hin und wieder ein paar Ersatzteilen) waren also nicht nötig, und so wagte ich es. Dass das Übergangsgeld nach einem halben Jahr ausläuft, hat allerdings etwas Beunruhigendes an sich. Bis dahin musste ich es also geschafft haben, oder mir blühte wirklich Hartz IV.

Um es gleich zu sagen: Nach dem halben Jahr hatte ich mir gerade so viele Kontakte aufgebaut, dass die Aufträge reichten, um auf Hartz-IV-Niveau gerade mal über die Runden zu kommen. Und auch jetzt reichen die Einnahmen gerade mal für ein halbwegs anständiges Leben. Manchmal, wenn auftragsmäßig trübe Zeiten sind, denke ich mir, mach Schluss mit dem Kram, lehn dich zurück und kassiere ALG-II, dein Leben wäre viel entspannter. Aber dann wieder denke ich, das kann's nicht sein, das ist keine Lösung.

Ich bin mir nicht zu schade, auch die allerkleinsten Aufträge anzunehmen, die mehr Arbeit machen als sie Euro einbringen. Wer heutzutage mit Hochpreispolitik pokert und nur die absolut lukrativen Geschäfte machen will, der wird als Freiberufler auf die Nase fallen. Manche Projekte habe ich anfangs so abgewickelt, dass die Bezahlung gerade mal kostendeckend war, aber dafür in bester Qualität, die für eine gute Mund-zu-Mund-Propaganda sorgt. Das ist meiner Meinung nach die beste Werbung, und beim nächsten Kunden kann man dann schon einen realistischen Preis verlangen.

Ohne gute Freunde, die mich unterstützten, hätte ich es allerdings wohl nicht geschafft. Damit meine ich nicht finanzielle Unterstützung. Die könnte man zwar manchmal ganz gut brauchen; aber die moralische Unterstützung ist viel wichtiger. Ich habe aus dieser schwierigen Anfangszeit eine Lehre gezogen, die ich jedem als Leitsatz mit auf den Weg geben kann: Trenne dich konsequent von Leuten, die dir einreden wollen, "das wird doch eh nix". Denn unbewusst hört man auf diese Prophezeiungen, und die erfüllen sich dann selbst. Solche Leute wollen meist nur ihr eigenes Ego stärken, indem sie dich untergehen sehen; und solche Leute kannst du in deiner Umgebung nicht gebrauchen.

Am Anfang, wenn man auf der Suche nach Auftraggebern ist, kommen immer wieder irgendwelche windigen Typen daher, die dich lediglich abzocken wollen. Misstrauen ist daher immer eine gute Basis für eine Geschäftsgründung. Ein klares Nein zur richtigen Zeit erspart Ärger und Verdruss; und vor allem: Stress mit Rechtsanwälten. Es werden auch immer ein paar Strukturvertriebler daher kommen, die dir mit Rechenbeispielen vom Schulklo (mein früherer Mathe-Lehrer nannte das "Abort-Logik") aufzeigen wollen, wie reich du werden kannst, wenn du ca. eine Million Leute davon überzeugen kannst, ihre Produkte zu kaufen. Dass das etwa anderthalb Millionen Leute gleichzeitig mit dir versuchen, und die gesamte Weltbevölkerung nicht ausreichen würde, um jeden davon reich zu machen, wird dabei geflissentlich verschwiegen.

Ich habe meine Kunden jetzt hauptsächlich in der näheren Umgebung, zwei oder drei davon sogar als Stammkunden, und das genügt fürs Erste. Meine Steuerberaterin (ohne Beratung blickt man bei dem ganzen Papierkram nicht durch, wenn man's nicht gelernt hat) und den Chef meiner Hausbank kenne ich persönlich, was sehr wichtig ist, weil man da auch mal etwas "vertrauensvoll" besprechen kann und Dinge möglich machen, die z.B. bei einer der so genannten "Direkt-Banken" nicht gehen. Auch mit der Druckerei, mit der ich arbeite, kann ich verhandeln. Zum Beispiel drucken die mir mal so eben 15.000 Prospekte ohne Anzahlung, weil sie wissen, dass sie ihr Geld bekommen, sobald mein Auftraggeber bezahlt hat. Druckereien, die ihre Dienste online anbieten, wären zwar etwas billiger, bestehen aber in der Regel auf Zahlung bei Lieferung, was nicht immer möglich ist. Außerdem habe ich so meine Ansprechpartner "vor Ort": Wenn was nicht stimmt, gehe ich hin, und beschwere mich persönlich.

Auch wenn ich manchmal denke, die Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung fressen mich noch mal auf: Ich würde mein jetziges Leben als Freiberufler nicht mehr gegen ein Angestelltenverhältnis eintauschen. Aber diese beiden Versicherungen sind nun einmal absolut notwendig; ich würde keinem raten, nicht wenigstens weiter freiwillig krankenversichert zu bleiben. Wenn anfangs das Geld nicht für eine Rentenversicherung reicht, nun gut, das kann man irgendwann (aber möglichst frühzeitig!) nachholen. Aber wenn man einmal aus der gesetzlichen Krankenversicherung rausgeflogen ist, kommt man nur schwer wieder rein, und meist nur zu erheblich höheren Tarifen. Auch in diesen Versicherungssachen hat mir seinerzeit die Beraterin von der Arbeitsagentur sehr geholfen. (Manchmal sind sie eben doch besser als ihr Ruf.)

Meine Meinung ist: Man braucht kein umwerfend neues Konzept, um sich selbstständig zu machen, sondern braucht nur die Dinge zu tun und anzubieten, von denen man weiß, dass man sie gut kann. Und die oberste Direktive lautet natürlich, gerade am Anfang, die bestmögliche Qualität zu liefern, zu der man imstande ist. Das spricht sich rum, und dann wird das auch was, Schritt für Schritt. Aber, wie eingangs gesagt, Geduld und gute Nerven sind eine unabdingbare Voraussetzung.

Im ersten Monat, nachdem das Überbrückungsgeld weggefallen war, und die Auftragslage schlecht, habe ich auch mal 14 Tage für ein Callcenter gearbeitet. Na und? Geld stinkt nicht, und es musste welches her. Ich würde das auch jederzeit wieder tun, oder als Straßenfeger oder bei der Müllabfuhr arbeiten. Die bezahlen normalerweise nicht einmal schlecht; aber die Bundesagentur gegen Arbeit deckt deren Personalbedarf ja mittlerweile mit Ein-Euro-Jobbern.

Also, wer auch nur den leisesten Ansatz einer Idee hat, wie er/sie sich selbstständig machen könnte, der soll es meiner Meinung nach ruhig probieren. Besser als Hartz IV ist's allemal.

34 Bewertungen, 17 Kommentare

  • m0gli

    14.01.2007, 18:49 Uhr von m0gli
    Bewertung: sehr hilfreich

    ... und vielen Dank für den GB-Eintrag vom 29.9. und dem Tipp mit der Zeitung. Wie soll das denn funktionieren. Kann doch nicht einfach das was hinschicken, und wenn zu was für Themen denn. Oder einfach so bewerben? Wie soll das denn gehen?

  • annemone62

    07.11.2006, 11:10 Uhr von annemone62
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ganz schwieriges Thema. Wenn man sieht wie viele Menschen in diese ICH-AGs gedrängt wurden nur damit sie aus der Statistik raus sind und nun finanziell noch viel schlimmer dran sind - nicht gut. Ganz wichtig ist es einen guten, von der Arbeitsagentur unabh

  • campimo

    04.11.2006, 15:32 Uhr von campimo
    Bewertung: sehr hilfreich

    .•:*¨¨*:•. ... sh ... .•:*¨¨*:•.

  • bigmama

    03.11.2006, 23:47 Uhr von bigmama
    Bewertung: sehr hilfreich

    lg Anett

  • pointofview

    03.11.2006, 02:45 Uhr von pointofview
    Bewertung: sehr hilfreich

    Klasse Bericht und tolle Einstellung! LG von PoV

  • mami_online

    03.11.2006, 01:29 Uhr von mami_online
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh ... wünsche dir viel Glück! LG, Nicole

  • B_Engal

    02.11.2006, 20:50 Uhr von B_Engal
    Bewertung: sehr hilfreich

    SH von mir. MfG B_Engal

  • anonym

    02.11.2006, 20:06 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh, LG Birgit :-)

  • anonym

    02.11.2006, 19:57 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    soll ich jetzt nach deinem beeindruckenden Bericht lesen, auch von mir etwas erzählen???...wie es ältere Menschen an sich haben...jedenfalls du musst dich nicht ins rechte Licht rücken, denn nur schon zwischen den Zeilen strotzt es vor Kreativität, und die

  • waltraud.d

    02.11.2006, 18:09 Uhr von waltraud.d
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr hilfreich

  • erdlicht

    02.11.2006, 17:16 Uhr von erdlicht
    Bewertung: sehr hilfreich

    Löbliche Einstellung! Wünsche dir weiterhin viel Erfolg! LG

  • topfmops

    02.11.2006, 17:14 Uhr von topfmops
    Bewertung: sehr hilfreich

    Das letzte Mal, als ich Arbeit gefunden habe, war ich 45 und die Suche hat 20 (i.W. zwanzig) Minuten gedauert. Nach fast 10-jähriger Abwesenheit aus Deutschland. Du darfst nur keine Angst haben, Dir die Finger schmutzig zu machen.

  • luxusklasse1

    02.11.2006, 17:00 Uhr von luxusklasse1
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh + lg

  • willibald-1

    02.11.2006, 16:25 Uhr von willibald-1
    Bewertung: sehr hilfreich

    Jo - irgendwas geht meistens! Prima Mutmachbericht!

  • morla

    02.11.2006, 16:23 Uhr von morla
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr hilfreich

  • phobee

    02.11.2006, 16:20 Uhr von phobee
    Bewertung: sehr hilfreich

    Interessanter Bericht und wirklich gut geschrieben! LG, Pia

  • Gozo-Bernie

    02.11.2006, 16:19 Uhr von Gozo-Bernie
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ist ein Arbeitsloser nicht immer selbstaendig (mit einem st) in der Bedeutung auf sich selbst gestellt sein? Gruss ais Sizilien - bernie