Harley-Davidson Sportster 1200 Custom Testbericht

Die 1200er Sportster Modelle werden zur Zeit für den deutschen Markt nur noch als Ausführung "Custom" oder "Sport" angeboten.In anderen Märkten und bis vor kurzem auch in Deutschland wurde die 1200er als Grundmodell angeboten, welches sich hauptsächlich durch optische Feinheiten wie anderer Lenker und Sitzbank vom Grundmodell unterscheiden.
Wie bei allen Modellen der Firma Harley Davidson findet man sowiso kaum ein Motorrad welches sich zumindest optisch im Originalzustand befindet, weshalb ich auch auf die individuellen Ausstattungsvarianten nur wenig eingehe.

Meine Sportster habe ich 1993 neu vom örtlichen Vertragshändler (über 40 Stück bundesweit) erworben.
17000 DM Gesamtpreis inklusive Überführung, ungedrosselt und einfarbig schwarz.
Bei Fahrzeugübergabe gab es eine kompetente Einweisung in die Fahrzeugtechnik und die Besonderheiten des Motorrads.
Danach Zündschlüssel ins Zündschloß (links unter der Sitzbank), Schlüssel auf Stellung 1 oder 2 (bleibt beim Europa-Modell gleich), Joke ziehen und starten.
Überraschend leise und unauffällig wummert der 1200er Motor los, zwar in dem für Harley typischen, unregelmäßigen und beruhigenden Takt, aber definitiv zu leise.
In Gedanken drehe ich mir schon einen Adapter für die Handbohrmaschine mit Aussendurchmesser des Auspuffinnenrohrs und Klemmschraube für den Bohrer....weg mit dem unsinnigen Drosselblech.
Den Gangwechsel begleitet ein lautes, blechernes Krachen, welches auch für routinierte Fahrer nicht zu umgehen ist und eben markentypisch ist.
Der Anzug aus dem Stand und bei niedrigen Drehzahlen ist brachial, ab 100 km/h, bzw 3500 U/min glaubt man dafür ständig im falschen Gang zu sein. Das 5-Ganggetriebe ist viel zu lange übersetzt, der 5. Gang sollte allenfalls als Schongang bei höheren Geschwindigkeiten eigesetzt werden.

Der beste Tip wäre jedoch die angegebene Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h einfach zu glauben und souverän auf einen Selbstversuch zu verzichten.(im 5. Gang erreicht man die 160 nur bergab, im 4. Gang rotieren die Rückspiegel wie Radarschirme)
Etwas schwierigere Passagen auf Schotterpisten oder Feldwegen in den Bergen lassen sich aufgrund der Übersetzungsverhältnisse nur mit schleifender Kupplung meistern. (Der Öltank wir gefährlich heiß und Motoröl spratzelt aus dem Luftfilter) Handling und Bodenfreiheit lassen solche Aktionen aber gerade noch zu.

Die Bremsen sind für die 240 kg Leergewicht einfach unterdimensioniert, aber man gewöhnt sich daran (oder braucht teure Ersatzteile)
Die Dunlop Elite Bereifung hielt bei mir 23000 km, an und für sich sehr ordentlich. (Reifenkosten mit Montage ca. 1000 DM)
Modelltypische Mängel wie undichter Tacho und Drehzahlmesser, kaputte Hydrostößel (ständiges Ventilklingeln gehört auch mit guten Hydrostößeln zum gewohnten Klangbild) und losvibrierte Anbauteile wurden problemlos auch nach Ablauf der Garantie auf Kulanz behoben.

Schweißnähte fangen ohne sehr gewissenhafte Pflege nach ein paar Jahren zu rosten an, der Klarlack auf den polierten Aluteilen springt und läßt dem Zinkfraß freien Lauf.

Die technische Serienusstattung ist trotz ihrem Ruf moderner als man annimmt. Warnblinkanlage und Weg/Zeit-gesteuerte Blinkerabschaltung sowie der hydraulische Ventilspielausgleich sind für japanische Modelle keinesfalls selbstverständlich.

Ich war mit meiner Sportster schon in Spanien und etliche Male in Italien und anderen Ländern. Trotz ihrer Schwächen als Tourer (Werkzeug und Gepäckverstauung erfordern viel Phantasie, die seltsame Sitzposition und die Vibrationen eine ausgeprägte Duldungsfähigkeit) hatte ich bisher noch keine Verkaufsgelüste.

Also“ love it or leave it“, die Sportster wird wohl nicht vielen gefallen, aber das soll ja eigentlich auch gar nicht so sein!