Nordermoor (Taschenbuch) / Arnaldur Indridason Testbericht

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Erfahrungsbericht von mima007
Perfekt ausbalancierter Island-Thriller
Pro:
sehr spannend, temporeich, ausgetüftelt, Horroreffekte, zuweilen sehr bewegend
Kontra:
nichts für schwache Nerven!, empfehlenswert erst ab 16 Jahren
Empfehlung:
Ja
Ein alter Mann liegt ermordet in seiner Wohnung in Reykjavik, erschlagen mit einem Aschenbecher. Ein Foto von seiner Tochter Audur findet sich versteckt in seinem Schreibtisch. Doch unter dem ausgehöhlten Fußboden seines Hauses, das auf Moorboden steht, wartet etwas weitaus Grauenvolleres auf die Polizeibeamten als das, was sie auf seiner PC-Festplatte vorfinden.
Der Autor
°°°°°°°°°°
Arnaldur Indridason, Jahrgang 1961, war Journalist und Filmkritiker bei Islands größter Tageszeitung. Heute lebt er als freier Autor bei Reykjavik und veröffentlicht mit großem Erfolg seine Romane. Sein Kriminalroman \"Nordermoor\" hat den \"Nordic Crime Novel\'s Award 2002\" erhalten, wurde also zum besten nordeuropäischen Kriminalroman gewählt, und das bei Konkurrenz durch Hakan Nesser und Henning Mankell!
Handlung
°°°°°°°°°°
Der Mord ist schlampig ausgeführt worden. Das sieht Polizeiinspektor Erlendur sofort. Der Tote ist der 69-jährige Hollberg, er wurde, wohl im Affekt, mit einem einem schweren - man glaubt es kaum - Aschenbecher erschlagen. Keine Spuren eines Einbruchs oder eines Kampfes. Doch im Schreibtisch des Toten, der allein im Souterrain lebte, findet Erlendur ein verstecktes Foto: Es zeigt ein Kindergrab. Auf dem Grabstein steht \"Audur 1964 - 1968\".
Audurs Mutter ist Kolbrun, doch die nahm sich 1971, drei Jahre nach dem Tod ihrer Tochter, das Leben. Audur starb an einem Gehirntumor. War Hollberg der vater von Audur? Alles deutet auf eine Familientragödie hin, die sich vor 30 Jahren zutrug. Aber es steckt weit mehr dahinter.
Hollberg wurde 1963 wegen Kolbruns Vergewaltigung angeklagt, aber zu Erlendurs Erstaunen nicht verurteilt. Erlendur besucht Kolbruns Schwester Elin in Keflavik. Die klagt alle Bullen dafür an, was sie \"Kolbrun angetan haben\". (Hat sie Hollberg auf dem Gewissen?)
Der alte Rúna leitete 1963 die polizeilichen Ermittlungen. Er wurde wegen sexueller Belästigung und anderer Ausfälligkeiten aus dem Dienst gefeuert. Steckte er mit Hollberg unter einer Decke? Das Beweisstück ist verschwunden.
Hollberg wurde offenbar per Telefon von einem Mann erpresst. Auf seiner PC-Festplatte finden sich Gigabytes mit abartigsten Pornos. Im Gefängnis macht Erlendur die unagenehme Bekanntschaft mit einem von Hollbergs alten Freunden. Elísi ist ein betrügerischer Gewalttäter, doch er liefert wertvolle Hinweise: Der Dritte im Bunde, Gretar, der Fotograf, ist verschwunden. Es gab noch eine zweite Vergewaltigte in Husavik. Sie hat sich nicht gemeldet. Und: Hollbergs Schwester starb im Alter von neun Jahren, genau wie Audur an einem Gehirntumor. Eine Erbkrankheit?
Hat die vergewaltigte Frau aus Husavik ebenfalls erbkranke Kinder? Haben die sich an Hollberg rächen können? Doch wie konnten sie ihn finden, da doch Erbgutinformationen in einer gut gesicherten Datenbank des Genforschungsinstituts in Reykjavik gespeichert sind? Schließlich führt Island seit Jahren das weltbekannte Genomprojekt durch.
Als Erlendurs Kollege Oli Sigurur endlich die \"Frau aus Husavik\" aufspürt, wird ihnen einiges klar. Sie stoßen auf eine zweite Familientragödie, die sich nun ihrem Höhepunkt nähert. Doch wo ist die Verbindung zu Audur?
Unterdessen hat Erlendur auch in seinem privaten Bereich genug zu bewältigen. Seine Tochter Evalind ist ein Junkie, schuldet ihrem Dealer einen Haufen Geld und ist obendrein schwanger. Er muss die Geldeintreiber abwehren und Evalind entwöhnen. Soll sie das Kind bekommen?
Am Ende des Falles fragt Erlendur seine Tochter: \"Wie wäre es, wenn du es \'Audur\' nennen würdest, falls es ein Mädchen wird?\"
Mein Eindruck
°°°°°°°°°°
Die Isländer sind ein abgeschieden lebendes Völkchen von wenigen Millionen Einwohnern. Ihr Genom, also das anzutreffende Erbgut, ist dementsprechend homogen. Ganz im Gegensatz etwa zu den Estländern, die nun ebenfalls ein Genomprojekt gestartet haben: In ihnen mischen sich deutsche, russische, skandinavische und andere Gene - ein heterogenes Genom. Es ist daher auch robuster, denn die Natur hat es bekanntlich so eingerichtet, dass Inzucht das Erbgut schwächt, so dass Erbkrankheiten auftreten: das Down-Syndrom etwa. Oder die Neurofibromatose.
Sie wurde durch den ermordeten Hollberg auf seinen LKW-Fahrten bei Vergewaltigungen übertragen, obwohl er selbst nicht daran litt. Sie machte sich bei seiner Schwester, seiner Tochter Audur und bei seinen Enkeln bemerkbar. Das die tödliche Krankheit dabei immer kleine Mädchen, die \"Prinzessinnen\", trifft, vergrößert die resultierende familiäre Tragödie. Fast immer gehen die Ehen zu Bruch, und Väter neigen zu Selbstmord.
Dieses vom Autor aufgegriffene Thema ist also für Isländer nicht bloß irgendein Thema: Es trifft sie bis ins Mark. Es ist aktuell, mit Schmerz verbunden, persönlichster Natur und doch dadurch wieder politisch. Wenn der Autor den Zeigefinger erheben würde, um jemanden zu kritisieren, dann würde dieser Finger auf folgende Kreise zeigen: Nicht nur auf LKW-Fahrer und ihre vergewaltigenden Kumpane, sondern auch auf verantwortungslos handelnde, vielleicht sogar von der Regierung bezahlte Wissenschaftler. Ein Professor beispielsweise hat Audurs Gehirn in seinen Privaträumen stehen, als handle es sich um seinen Privatbesitz. Eine Wissenschaftlerin deckt ihn. Die Genomdatenbank ist zwar gesichert, aber nicht gegenüber jemandem, der sich unter Vorwand in das Projekt eingeschlichen hat. Wer ein wenig Fantasie besitzt, kann sich vorstellen, was man mit genetischen Informationen in Familien alles anrichten kann.
Unterm Strich
°°°°°°°°°°
Von der erläuterten fundierten Kritik ganz abgesehen ist \"Nordermoor\" ein sehr spannender Krimi, der mit mehreren Horrorszenen aufwartet, aber auch sehr bewegend werden kann. Eine perfekt ausbalancierte Mischung. Der Nordische Krimipreis 2002 war vollauf gerechtfertigt. Von den Isländern dürfen wir noch einiges erwarten.
Besonders schön fand ich, dass das Ergebnis seiner Ermittlungen den Inspektor Erlendur zu einer Änderung in seinem Privatleben veranlasst.
Michael Matzer (c) 2004ff
Info: Myrin, 2002, aus dem Isländischen von Coletta Bürling; Lübbe, Bergisch Gladbach 2004; 320 Seiten, Februar 2003 - ISBN: 3-404-14857-6
Der Autor
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Arnaldur Indridason, Jahrgang 1961, war Journalist und Filmkritiker bei Islands größter Tageszeitung. Heute lebt er als freier Autor bei Reykjavik und veröffentlicht mit großem Erfolg seine Romane. Sein Kriminalroman \"Nordermoor\" hat den \"Nordic Crime Novel\'s Award 2002\" erhalten, wurde also zum besten nordeuropäischen Kriminalroman gewählt, und das bei Konkurrenz durch Hakan Nesser und Henning Mankell!
Handlung
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Der Mord ist schlampig ausgeführt worden. Das sieht Polizeiinspektor Erlendur sofort. Der Tote ist der 69-jährige Hollberg, er wurde, wohl im Affekt, mit einem einem schweren - man glaubt es kaum - Aschenbecher erschlagen. Keine Spuren eines Einbruchs oder eines Kampfes. Doch im Schreibtisch des Toten, der allein im Souterrain lebte, findet Erlendur ein verstecktes Foto: Es zeigt ein Kindergrab. Auf dem Grabstein steht \"Audur 1964 - 1968\".
Audurs Mutter ist Kolbrun, doch die nahm sich 1971, drei Jahre nach dem Tod ihrer Tochter, das Leben. Audur starb an einem Gehirntumor. War Hollberg der vater von Audur? Alles deutet auf eine Familientragödie hin, die sich vor 30 Jahren zutrug. Aber es steckt weit mehr dahinter.
Hollberg wurde 1963 wegen Kolbruns Vergewaltigung angeklagt, aber zu Erlendurs Erstaunen nicht verurteilt.
Der alte Rúna leitete 1963 die polizeilichen Ermittlungen. Er wurde wegen sexueller Belästigung und anderer Ausfälligkeiten aus dem Dienst gefeuert. Steckte er mit Hollberg unter einer Decke?
Hollberg wurde offenbar per Telefon von einem Mann erpresst. Auf seiner PC-Festplatte finden sich Gigabytes mit abartigsten Pornos. Im Gefängnis macht Erlendur die unagenehme Bekanntschaft mit einem von Hollbergs alten Freunden. Elísi ist ein betrügerischer Gewalttäter, doch er liefert wertvolle Hinweise: Der Dritte im Bunde, Gretar, der Fotograf, ist verschwunden. Es gab noch eine zweite Vergewaltigte in Husavik. Sie hat sich nicht gemeldet. Und: Hollbergs Schwester starb im Alter von neun Jahren, genau wie Audur an einem Gehirntumor. Eine Erbkrankheit?
Hat die vergewaltigte Frau aus Husavik ebenfalls erbkranke Kinder? Haben die sich an Hollberg rächen können? Doch wie konnten sie ihn finden, da doch Erbgutinformationen in einer gut gesicherten Datenbank des Genforschungsinstituts in Reykjavik gespeichert sind? Schließlich führt Island seit Jahren das weltbekannte Genomprojekt durch.
Als Erlendurs Kollege Oli Sigurur endlich die \"Frau aus Husavik\" aufspürt, wird ihnen einiges klar. Sie stoßen auf eine zweite Familientragödie, die sich nun ihrem Höhepunkt nähert. Doch wo ist die Verbindung zu Audur?
Unterdessen hat Erlendur auch in seinem privaten Bereich genug zu bewältigen. Seine Tochter Evalind ist ein Junkie, schuldet ihrem Dealer einen Haufen Geld und ist obendrein schwanger. Er muss die Geldeintreiber abwehren und Evalind entwöhnen. Soll sie das Kind bekommen?
Am Ende des Falles fragt Erlendur seine Tochter: \"Wie wäre es, wenn du es \'Audur\' nennen würdest, falls es ein Mädchen wird?\"
Mein Eindruck
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Die Isländer sind ein abgeschieden lebendes Völkchen von wenigen Millionen Einwohnern. Ihr Genom, also das anzutreffende Erbgut, ist dementsprechend homogen. Ganz im Gegensatz etwa zu den Estländern, die nun ebenfalls ein Genomprojekt gestartet haben: In ihnen mischen sich deutsche, russische, skandinavische und andere Gene - ein heterogenes Genom. Es ist daher auch robuster, denn die Natur hat es bekanntlich so eingerichtet, dass Inzucht das Erbgut schwächt, so dass Erbkrankheiten auftreten: das Down-Syndrom etwa. Oder die Neurofibromatose.
Sie wurde durch den ermordeten Hollberg auf seinen LKW-Fahrten bei Vergewaltigungen übertragen, obwohl er selbst nicht daran litt. Sie machte sich bei seiner Schwester, seiner Tochter Audur und bei seinen Enkeln bemerkbar. Das die tödliche Krankheit dabei immer kleine Mädchen, die \"Prinzessinnen\", trifft, vergrößert die resultierende familiäre Tragödie. Fast immer gehen die Ehen zu Bruch, und Väter neigen zu Selbstmord.
Dieses vom Autor aufgegriffene Thema ist also für Isländer nicht bloß irgendein Thema: Es trifft sie bis ins Mark. Es ist aktuell, mit Schmerz verbunden, persönlichster Natur und doch dadurch wieder politisch. Wenn der Autor den Zeigefinger erheben würde, um jemanden zu kritisieren, dann würde dieser Finger auf folgende Kreise zeigen: Nicht nur auf LKW-Fahrer und ihre vergewaltigenden Kumpane, sondern auch auf verantwortungslos handelnde, vielleicht sogar von der Regierung bezahlte Wissenschaftler. Ein Professor beispielsweise hat Audurs Gehirn in seinen Privaträumen stehen, als handle es sich um seinen Privatbesitz. Eine Wissenschaftlerin deckt ihn. Die Genomdatenbank ist zwar gesichert, aber nicht gegenüber jemandem, der sich unter Vorwand in das Projekt eingeschlichen hat. Wer ein wenig Fantasie besitzt, kann sich vorstellen, was man mit genetischen Informationen in Familien alles anrichten kann.
Unterm Strich
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Von der erläuterten fundierten Kritik ganz abgesehen ist \"Nordermoor\" ein sehr spannender Krimi, der mit mehreren Horrorszenen aufwartet, aber auch sehr bewegend werden kann. Eine perfekt ausbalancierte Mischung. Der Nordische Krimipreis 2002 war vollauf gerechtfertigt. Von den Isländern dürfen wir noch einiges erwarten.
Besonders schön fand ich, dass das Ergebnis seiner Ermittlungen den Inspektor Erlendur zu einer Änderung in seinem Privatleben veranlasst.
Michael Matzer (c) 2004ff
Info: Myrin, 2002, aus dem Isländischen von Coletta Bürling; Lübbe, Bergisch Gladbach 2004; 320 Seiten, Februar 2003 - ISBN: 3-404-14857-6
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