Jugendweihe Testbericht

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Erfahrungsbericht von blonde_lady

Damals und Heute

Pro:

feierlich Aufnahme der Jugendlichen in den Kreis der Fast-Erwachsenen, freie Wahl, ob oder ob nicht, viele Geschenke

Kontra:

Heute gibt es wohl kein Kontra mehr

Empfehlung:

Ja

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich bis letzten September dachte, die Jugendweihe ist ein DDR-Relikt. Ich selbst bin Ossi und wohne in Sachsen. Doch als für meinen Sohn die Wahl stand, Jugendweihe ja oder nein, habe ich mich erstmals so richtig mit dem Thema befasst. Ich musste erkennen, dass es die Jugendweihe schon ewig gibt.

***Geschichte der Jugendweihe***

- Mitte des 19. Jahrhunderts Entstehung der Freidenkerbewegung und somit auch der Jugendweihe
- 1846 erste Feier einer freireligiösen Gemeinde in Breslau
- 1852 erstmalige Verwendung des Begriffes Jugendweihe – für die weltliche Feier, bei denen die
Familien den Eintritt ihrer Kinder in das Jugendalter festlich begehen
- seit 1889 und vor allem nach dem 1. Weltkrieg gibt es eine Vielfalt von Jugendweihen
- 1933 – Verbot der fortschrittlichen freireligiösen Verbände und ihrer Jugendweihen
- kurz nach dem 2. Weltkrieg (1946) wieder Jugendweihen, aber ohne staatliche Förderung
- 1954 beschließt das Politbüro der SED die Einführung der Jugendweihe
- im gleichen Jahr wird der Zentrale Ausschuss für Jugendweihe eingerichtet
- ab 1955 in der DDR sozialistische Jugendweihen mit dem öffentlichen Ablegen eines Gelöbnisses
als Bekenntnis zum sozialistischen Staat
- 1989/1990 auch Wende in Sachen Jugendweihe – Beseitigung der ideologischen und staatlichen
Vereinnahmung


***Wie war das bei mir?***

Ich kann mich noch gut erinnern. 1980 hatte ich Jugendweihe.
Sämtliche Formalitäten liefen über die Schule.
Wochen oder Monate vor der großen Sache mussten wir alle an sogenannten Jugendstunden teilnehmen. Diese Pflichtveranstaltungen waren sozialistisch orientiert. Was wir genau machen mussten, kann ich nicht mehr sagen. Aber auf jeden Fall ging es nur um Politik. In der DDR wurden selbst Kinder schon in die sozialistische Richtung gedrängt.
Doch auch das war dann mal abgehakt.

Da es in der DDR nicht so einfach war, was richtig Schickes für den großen Tag zu bekommen, war schnell klar, dass wir uns nach Stoff umschauen müssen und meine liebe Mama mir eine Bluse und einen langen Rock nähen musste. Aber das war kein Problem für sie, da es ja ihr Beruf war. Also bekam ich eine weiße Bluse mit Rüschen und einen langen hellblauen Rock mit großen Blumen drauf. Für die damalige Zeit fand ich mich todschick.
Das größte Problem machten die Schuhe. Damals hatte ich noch Größe 34. In Kinderschuhen wollte ich nun wirklich nicht herumlaufen. Gut in einem Geschäft für Sondergrößen bekam ich dann weiße Sandaletten.

Am 18.Mai 1980 war es dann endlich soweit. Klar war ich aufgeregt. Die Feierstunde fand im Theater unserer Stadt statt. Irgendjemand hat eine Ansprache gehalten, in der es eigentlich nur um eins ging – den Sozialismus und wie gut er doch für uns ist. Dann mussten wir in Gruppen auf die Bühne. Jetzt kam das Pflichtgelöbnis. Wir bekamen ein Buch (Der Sozialismus – Deine Welt) und eine Rose (glaube ich jedenfalls, dass es eine Rose war). Dann hatte sich das erledigt. Vor dem Theater stand damals ein Denkmal. Dort wurde noch ein Gruppenfoto gemacht. Fertig.

Zu Hause wurde dann aufgetafelt und ich erhielt meine Geschenke. Geld und vor allem was für die Aussteuer (Handtücher, Geschirrtücher, Bettwäsche). So war das damals.


***Jugendweihe meines Sohnes***

Die Organisation liegt jetzt nicht mehr in den Händen der Schule. Die Schule meines Sohnes hat sich komplett herausgehalten. Selbst dem Klassenlehrer war es nicht zu blöd, es abzulehnen, das Buch und die Blume zu überreichen.

Im September letzten Jahres stand fest, dass mein Sohn an der Jugendweihe teilnehmen will. Wir haben ihm die Entscheidung überlassen. Es ist ja keine Pflichtveranstaltung mehr. Aber die Aussicht auf viel Geld, machte ihm die Entscheidung leicht.

Organisiert wird heutzutage die Jugendweihe über entsprechende Vereine. Natürlich ist das ganze nicht mehr kostenfrei. Wir haben für alles 85,00 Euro bezahlt, natürlich im voraus.

Jugendstunden wie früher gibt es natürlich nicht mehr. Aber der Verein bietet super Veranstaltungen und Ausflüge an, die zum Teil keine weitere Zuzahlung erfordern. So gab es z. B. folgende Möglichkeit:

- Besichtigung Flughafen Dresden
- Besuch beim MDR
- Kosmetiktipps (für die Mädchen)
- Besuch der Semperoper (hier mit entsprechender Zuzahlung)

Natürlich standen auch viele Kurzreisen zur Auswahl (In- und Ausland). Aber das war teilweise schon wieder ganz schön teuer.

An allen Veranstaltungen konnten natürlich auch die Kinder/Jugendlichen teilnehmen, die sich nicht für die Jugendweihe entschieden hatten. Auch die Eltern waren gern gesehen.

Die Organisation der entsprechenden Klamotten war zwar auch anstrengend, aber das lag eher an meinem Sohn als daran, dass es nicht gibt. Er trug helle Jeans, schwarzes Hemd, schwarze Jacke und sah darin schon richtig erwachsen aus.

Die Feierstunde selbst war ganz anders als zu meiner Zeit.
Schon der Einmarsch der ca. 65 Jugendlichen war berührend. Es gab ein abwechslungsreiches Programm (Gesang, Tanz, Rede einer MDR-Journalistin). Alles war super auf die Jugendlichen zugeschnitten. Natürlich nicht nur lasches Zeug, sondern auch mit wichtigen Tipps für das weitere Leben. Dann mussten die Jugendweihlinge in 5-er Gruppen auf die Bühne. Dort bekamen Sie ein Buch und eine Rose. Das Buch heißt „Jugendweihe-Almanach“ und ist eine Art Lexikon. Dann wurden noch Fotos gemacht und die Feierstunde war zu Ende.

Wir gingen zum Mittagessen und unser Sohn bekam entsprechende Umschläge überreicht. Er hatte sich ausschließlich Geld gewünscht, um sich so einiges Wünsche zu erfüllen (hat er auch getan).
Nach dem gemütlichen Mittagessen hat sich die kleine Gesellschaft aufgelöst und die Jugendweihefeier war vorbei. So war es der Wunsch unseres Sohnes. Diesen haben wir akzeptiert und keiner hatte ein Problem damit.

***Fazit***

Ich muss schon sagen, Jugendweihe jetzt und zu meiner Zeit ist in keiner Weise vergleichbar. Ist ja auch klar, die Zeiten haben sich geändert.
Dieses Mal war ich teilweise sehr gerührt. Im Nachhinein ist mir erst klar geworden, was mit uns damals so veranstaltet wurde. Zu meiner Zeit wurde die Jugendweihe absolut missbraucht, um den Jugendlichen die politische Richtung zu weisen (ob man wollte oder nicht). Ich bin froh, dass es heute nicht mehr so ist.

blonde_lady

17 Bewertungen, 1 Kommentar

  • heiren

    05.06.2004, 21:45 Uhr von heiren
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ein sehr schöner Bericht. LG heiren