Bis zur letzten Stunde (gebundene Ausgabe) / Traudl Junge Testbericht

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Erfahrungsbericht von dottigross_juliaa

Ich war Hitlers Sekretärin.

Pro:

Extrem interessant | spannend | faszinierend

Kontra:

Viele Fragen bleiben offen, die mich sehr interessiert hätten.

Empfehlung:

Ja

ich freue mich, heute einen Beitrag zum Bücherfrühling leisten zu können.....




DIALOG:
*Liest du zwei Bücher auf einmal?????*
*Jepp.*
*Und was soll das bringen?*
*Abstand.*
*Häh???*
*Abstand. Ich muss ab und zu Abstand zu diesem Buch haben und dann lese ich zwischenzeitlich ein anderes weiter.*




Fakten
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Titel: Bis zur letzten Stunde - Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben
Autorin: Traudl Junge unter Mitarbeit von Melissa Müller
Verlag: List
ISBN (TB): 3-548-60354-8
Preis: 7,95 EUR
Seiten: 272 (inkl. Erklärungen und Register)


Inhalt
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Eigentlich wollte die 22-jährige Traudl Humps (später Junge) Tänzerin werden. Doch das Schicksal hat etwas anderes mit ihr vor. Es führt sie nach Berlin, wo sie Sekretärin von Adolf Hitler wird. Von 1942 bis zum bitteren Ende lebt und arbeitet sie an seiner Seite. Dabei lernt sie ihn besser kennen als manch anderer. Traudl stenografiert Hitlers politische und private Korrespondenz, nimmt an Besprechungen teil und dient als Begleitdame. Sie sitzt mit Hitler am Esstisch, geht mit ihm und seinen Gästen spazieren und nimmt an den allabendlichen Teestunden teil. An Lebensmitteln, luxuriösen Getränken wie Sekt und Bohnenkaffee, Zigaretten und Kleidung fehlt es ihr nie. Traudl Junge lebt in einer abgesicherten und gutorganisierten Welt - einem „goldenen Käfig“ wie sie es bezeichnet.

Sie erlebt den Krieg aus fast sicherem Abstand - den Einzug der Alliierten verfolgt sie vom Führerbunker aus. In den letzten Tagen des Krieges befindet sie sich in Gesellschaft von Hitler, Eva Braun, Goebbels, Speer und vielen weiteren namhaften Machtpersonen dieser Zeit. Während draußen der Volkssturm - Kinder und alte Männer - gegen russische Panzer kämpft, sitzt Hitler ausgemergelt und elend im sicheren Bunker und bereitet seinen feigen Freitod vor. Als sie den tödlichen Schuss hört, den Hitler auf sich abgibt, bricht für sie eine Welt zusammen. Alle Hoffnungen, alle Ideale und alles Vertrauen hat sie in den Mann gesetzt, der sich in den letzten Tagen des Krieges hoffnungslos seinem Selbstmitleid hingab...


Schreibweise
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Eigentlich spielt für mich der Schreibstil eines Autors/einer Autorin eine große Rolle, weshalb ich immer versuche, ihn genau zu beschreiben. Diesmal fällt mir das etwas schwer, denn ich habe - schlicht und einfach - nicht aufgepasst. Ich war nämlich während des Lesens so konzentriert und angespannt, dass ich darauf gar nicht achtete. Deshalb muss ich mich jetzt - im Nachhinein - erinnern, wie die Autorinnen Traudl Junge und Melissa Müller sich ausgedrückt haben.

Nun, ich denke, der Schreibstil ist sehr geradeaus und unkompliziert. Die (Auto)biographie lässt sich einfach und schnell lesen und ich hatte keine Probleme, der Story zu folgen. Es werden in dem Buch aber sehr viele Personen erwähnt und die vielen Namen verwirrten mich anfangs. Ich möchte behaupten, dass ich mich *mittelprächtig* in der jüngsten deutschen Geschichte auskenne. Namen wie Goebbels, Göhring, Bormann etc. sind mir zwar ein Begriff, doch den genauen Tätigkeitsbereich der Personen kenne ich nicht. Reichspropagandaminister? Reichs-SS-Führer? Keine Ahnung! - Traudl Junge beschreibt die Rangabzeichen in einem Teil des Buches sehr passend, indem sie erzählt, dass jeder einen *Professor*- oder *Reichs*-Titel verliehen bekam, der Hitler irgendwie sympathisch war. So lästert sie an einer Stelle, dass jemand *Reichshundeführer* genannt wurde, weil er Hitlers Hund *Blondi* ausführte...

Wie gesagt, die vielen Personen irritierten mich anfangs, zumal jedem dieser Namen eine Fußnoten-Nummer zugeordnet ist. Die Fußnote verweist auf eine Erklärung, die am Ende des Buches zu finden ist. Auf der ersten Seite gab ich mir noch Mühe und blätterte brav nach hinten, um die drei-/vierzeilige Ergänzung nachzulesen. Doch das wurde mir dann doch zu umständlich. Die Blätterei nervte und die Erklärungen fand ich auch nicht sonderlich hilfreich. Ich las also das komplette Buch, ohne die Fußnoten zu beachten und kam damit auch sehr gut zurecht.


Meinung
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Tja, und so bin ich schon mitten drin in der Wiedergabe meiner *eigenen Meinung*. Nun zum Buch selbst...



DER MENSCH HITLER
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Traudl Junge gibt dem Leser einen faszinierenden Eindruck in die Welt des *privaten* Adolf Hitler. So wusste ich z.B. nicht, dass Hitler Vegetarier war. Ob das allerdings eine Empfehlung für alle Vegetarier ist, mag ich bezweifeln ;-)
Amüsant fand ich, dass der *große Führer* mit den gleichen Problemen zu kämpfen hatte, wie die Vegetarier heute teilweise noch. Die meisten Köche können einfach nicht fleischlos kochen! So war (und ist) die vegetarische Küche (noch heute) recht fantasielos und einseitig. Hitler musste z.B. hauptsächlich Beilagen essen, weil seine Köche nur Fleischgerichte kochen konnten. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als Fleisch und Sauce wegzulassen und die trockenen Kartoffeln, das Gemüse oder die Spiegeleier zu essen. Jeder Vegetarier weiß, wie leidvoll diese Angelegenheit ist...

Einen kleinen Einblick in den *Mensch Adolf Hitler* erhält der Leser auch, als Traudl Junge die abendlichen Teestunden beschreibt. Worüber lachte der Führer? Welche Gespräche führte er? War er so, wie die Öffentlichkeit ihn kannte?
Hier erstaunte mich, dass Hitler als Privatmensch wenig über Politik sprach. In Gesellschaft von Damen war er angeblich ein charmanter und interessierter Gesprächspartner. Er lachte über die gleichen Witze wie alle anderen, auch wenn sie seine Person betrafen. Gegenüber Traudl Junge hegte er - so behauptet sie - fast väterliche Gefühle und nannte sie bis zu ihrer Hochzeit *mein Kind*. Hitler sorgte sich anscheinend um ihr Wohl. An der Verkuppelung mit ihrem Mann beteiligte er sich maßgeblich und als dieser im Krieg fiel, brachte es Hitler wohl nicht übers Herz, ihr diese schreckliche Nachricht persönlich zu überbringen.

Dieser private Einblick ins Leben des Adolf Hitler faszinierte mich ungemein! Für mich war die Person Hitler immer sehr *steril* und *staubtrocken*. Mmmh, wie erkläre ich das jetzt? Nun, hier muss ich wohl etwas weiter ausholen, zumal es an dieser Stelle sicherlich interessant ist, wie sich der einzelne Leser die Person Adolf Hitler vorstellt.

Ich möchte euch jetzt mal zwei Arten des MENSCHEN Adolf Hitler aufzeigen, wie ICH ihn mir vorstellen könnte. Nun, stellt euch einmal vor, Hitler wäre mein Nachbar und ich müsste ihn beschreiben. Es wäre für mich ein akorater, spießiger Mehrfamilienhaus-Besitzer, der einen Jägerzaun um sein Grundstück hat und keine lärmenden Kinder duldet. Er wälzt dicke Fachbücher, sammelt Briefmarken oder Münzen und wäscht Samstagvormittag seinen dunkelfarbigen Mittelklassewagen. Der *Nachbar Hitler* würde Sauerbraten mit Salzkartoffeln essen und täglich die Tageszeitung lesen. Beruflich wäre er Beamter, Bankangestellter oder bei der Zulassungsstelle - jedenfalls säße er tagsüber im Büro. Dort wäre er ein zurückgezogener, gewissenhafter *von-8-bis-17-Uhr-nachmittags*-Kollege, naja, eben ein recht trockener Typ. Er duldet keine Fehler - weder bei sich noch bei seinen Kollegen - und ist pedantisch darauf bedacht, dass die Betriebskaffeemaschine täglich gesäubert wird. Einmal im Jahr macht er im *Bayerischen Wald* Urlaub in einer kleinen Pension, wo man ihn noch mit Namen begrüßt.
Tja, ich weiß nicht, woher ich dieses Bild des *biederen Nachbarn Hitlers* habe. Vielleicht ist dies das Bild des typischen spießigen Deutschen, welches sich bei mir eingenistet hat. Aber ich stelle mir Hitler *pfurztrocken* vor...

Sehe ich jetzt mal den FÜHRER Adolf Hitler vor mir, ergibt sich ein ganz anderes, aber eindeutiges Bild. Der Führer Adolf Hitler ist ein herrischer, egozentrischer Mensch, der keine andere Meinung duldet. Ein Besserwisser, ein Sturkopf, ein Kriegsführer und -hetzer. Machtbesessen, keine andere Größe duldend als seine eigene...

Mit diesen zwei Vorstellungen im Kopf fing ich zu lesen an und so mag es keinen verwundern, dass mich das Buch sehr erstaunte. Es räumte mein Vorurteil nicht unbedingt auf, aber es rückte meine Ansicht deutlich zurecht. Jetzt sollt ihr aber nicht den Eindruck gewinnen, das Buch würde beschönigen oder aus Hitler einen Helden formen. Nein, ganz und gar nicht. Nachdem ich *Bis zur letzten Stunde* gelesen hatte, verabscheute ich Hitler nicht mehr und nicht weniger für das, was er getan hat. Aber ich sah die Person Hitler in einem anderen Licht. Die Autorinnen machten mir deutlich, dass Hitler ein Mensch war - aus Fleisch und Blut. Er war kämpferisch, aber auch verletztlich, etwas schüchtern, aber auch charmant. Er hatte seine großen und kleinen Problemchen, wie jeder andere auch. Aber (!!!): er hatte auch seine Wahnvorstellung vom 1000-jährigen Reich...



DIE GESCHICHTE VON TRAUDL JUNGE
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Das Leben Traudl Junges rückt natürlich in den Hintergrund. Das ist allzu verständlich, wenn es um eine so bedeutende Figur wie Adolf Hitler geht. Dass der Führer Hitler interessanter ist als die Sekretärin Traudl Junge, ist wohl klar. Doch trotzdem erfährt man viel von Traudl Junges Gedanken und Gefühle, auch wenn ich manchmal den Eindruck hatte, der Leser würde nicht alles erfahren. Es kam mir so vor, als ob sie etwas (oder einiges) verheimlichen würde. Aber vielleicht war die junge Frau einfach zu naiv und weltfremd, um die Tragweite ihres Lebens in dieser Umgebung zu realisieren. Sie deutet auch des öfteren an, dass ihr eine gewisse Naivität eigen war und überlegt, ob ihr Leben anders verlaufen wäre, wenn sie weltoffener und realistischer gewesen wäre.

Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten hätte, wenn ich in Traudl Junges Situation gewesen wäre. Was hätte ich gefühlt, wenn ich für Adolf Hitler gearbeitet und in einem goldenen Käfig gelebt hätte? Ich hätte mir wahrscheinlich sehr viele Sorgen um meine in München lebende Mutter gemacht. Ich hätte mich um Kontakt zu meiner Schwester bemüht und versucht, sie - bedingt durch meine Position - zu unterstützen und beschützen! Leider geht dieses Thema in diesem Buch unter. Die zurück gelassene Familie wird ab und zu zwar erwähnt, aber mich hätte es interessiert, wie sehr die Familie darunter litt und/oder davon profitierte, dass Traudl für Hitler arbeitete. Wurde die Mutter strenger überwacht als andere? Hatte sie Vorteile, weil die Tochter eine hohe Position inne hatte? Wo war die Schwester in dieser Zeit? Vielleicht hätten diese Ausführungen zu weit geführt, aber ich hätte es sehr interressiert gefunden, mehr darüber zu erfahren.


DIE MENSCHEN DRUMRUM
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Das Buch gibt einen interessanten Einblick in die Umgebung Adolf Hitlers. So erfährt man z.B. mehr über Eva Braun, die *heimliche* Frau an der Seite des Führers. Heute wird ihr manchmal eine maßgebliche Position zugesprochen und es heißt, dass sie Hitler sehr beeinflusst habe. In *Bis zur letzten Stunde* wird dies jedoch widerlegt. Sie scheint eher eine sehr häusliche Frau gewesen zu sein. Keine gleichgestellte Partnerin, sondern eher das *Heimchen*, das ihrem Mann die nötige Ruhe und Zurückgezogenheit schenkte. Das familiäre Flair in direkter Umgebung Hitlers lag ihr sehr nah und sie kümmerte sich wie eine *Grande Dame* um die Angestellten und Kollegen ihres Mannes. Ihr Tagesablauf war mit Spaziergängen, Unterhaltungen und gesellschaftliche Verpflichtungen ausgefüllt. Aber auch für ihre Lieblingshunde nahm sie sich viel Zeit.

Die Politiker, die im Führerhauptquartier ein und aus gingen, wurden teilweise genauer beschrieben - teilweise auch nur kurz erwähnt. Das Buch führt den Leser in die politische Ebene ein, ohne tiefgründig oder langweilig zu werden. Auch politisch Uninterressierte werden mit diesem Thema kein Problem haben. Ich finde, dass ein angenehmes Quantum an Politik enthalten ist.


Und sonst?
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Während des Lesens kam mir kein einziges Mal die Idee, das Geschriebene anzuzweifeln. Ob sich wirklich alles so zugetragen hat, wie Traudl Junge erzählt, weiß ich nicht. Auch habe ich noch keinen Bericht gelesen, der Traudl Junges Aussagen in Frage stellt. Traudl Junge starb am 11. Februar 2002 an Krebs. Hätte ich jemals die Gelegenheit gehabt, mit ihr auf einer Autorenlesung zu reden, hätte ich viele Dinge hinterfragt. Es wäre sicherlich sehr interessant gewesen.


Fazit
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Ihr seht, dass Buch beschäftigt mich noch immer und ich hoffe, ich konnte euch meine wirren Gedanken ein wenig verdeutlichen. *Bis zur letzten Stunde* bietet einen faszinierenden Einblick in die Welt des Adolf Hitler und seiner unmittelbaren Umgebung. Die Geschichte zur Person Traudl Junge wird zwar etwas in den Hintergrund gedrängt, was aber - wie ich finde - verständlich ist. Trotzdem wurden viele meiner Fragen nicht beantwortet und ich hätte mir ausführlichere Informationen über Traudl Junge gewünscht. Vor allem ihr Verhältnis zu Mutter und Schwester blieb für mich etwas undurchsichtig.

Als Leserschaft würde ich *geschichtlich Interessierte* nennen. *Bis zur letzten Stunde* ist absolut kein Frauenroman und kann deshalb gleichermaßen von Frauen und Männern gelesen werden. Als Mindestalter möchte ich 16 Jahre angeben, wobei man sich ein wenig mit der Geschichte des 2. Weltkrieges und Adolf Hitler auskennen sollte.


Bewertung. 4 Sterne - absolut lesenswert.



In diesem Sinne... alles bleibt anders... Eure Dotti

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