Bis zur letzten Stunde (gebundene Ausgabe) / Traudl Junge Testbericht

ab 8,66
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Erfahrungsbericht von fuerstklaas

Bis zur letzten Zeile

Pro:

Eine andere Sichtweise

Kontra:

der letzte Teil, eine Art späte Verarbeitung, ist eigentlich verzichtbar

Empfehlung:

Ja

Mir war Traudl Junge schon früher aufgefallen, in zahlreichen Dokumentationen über das Dritte Reich, in denen sie als Zeitzeugin befragt wurde. Als ich das erste Mal die Einblendung \"Hitlers Sekretärin\" las, dachte ich spontan: \"Was muss DIE Frau alles erzählen können!\"

Genau das hat sie jetzt getan. Ihre Aufzeichnungen entstanden 1947, also mit etwas zeitlichem Abstand zu den Ereignissen. Als das Manuskript nun zu einem Buch verarbeitet wurde, wurde dankenswerterweise nichts (oder kaum etwas) an der ursprünglichen Version geändert. Bei diesem Buch fungiert Melissa Müller als Co-Autorin, und sie gibt dem Leser zu Anfang eine Orientierungshilfe, die den Background beleuchtet, aus dem Traudl Junge, die Autorin, stammt. Das hilft und ist insbesondere deshalb wichtig, weil Junges Aufzeichnungen relativ unvermittelt beginnen. Rückblendungen und Erklärungen kommen zwar vor, aber nicht so, dass sie wirklich helfen würden, den gesamten Hintergrund zu erfassen. Deswegen ist das Vorwort von Melissa Müller ok.

Dem Buch selber bzw. seiner Autorin wurde häufig der Vorwurf gemacht, zu naiv, zu blauäugig und gefährlich verharmlosend an die Person Adolf Hitler herangegangen zu sein. Stimmt genau! Und das ist richtig so! Die Frau war knapp 20, als sie in Hitlers Dienste kam! Und wir alle wissen aus der Geschichte, aus dem Schulunterricht, Büchern und zahlreichen anderen Publikationen, dass das Nazi-Regime unmenschlich, faschistisch und Hitler selber in hohem Maße psychopathisch war. Schließlich würde niemand von uns auf die Idee kommen, einen Fliegenpilz zu essen. Der sieht zwar auch harmlos aus, ist aber das Gegenteil von harmlos. Ich glaube nicht, dass irgendwer nach dem Studium dieses Buches sagt: \"Och nee, eigentlich war das ja doch´n feiner Kerl, der Hitler...\".

Genau diese neue Sichtweise, die Traudl Junge da ins Spiel bringt, hat mich gereizt. Und dabei bin ich nicht enttäuscht worden. Man merkt ihr an, wie bewundernd sie ihrem Chef gegenübersteht, und auf diese Weise vermittelt sie viel von der Faszination, von denen uns namentlich unsere Mütter und Großmütter erzählten (\"Also der Hitler, der hatte so einen Blick, wenn der einen angesehen hat, das ging dann durch und durch...\"), und gerade WEIL ich weiß, welche Bestie dieser Mann eigentlich war, ist es unglaublich spannend, einmal diese Seite vor Augen geführt zu bekommen. Hitler als Privatmann, dem die Frisur seiner Eva nicht gefällt, Hitler als charmanter Gastgeber, der aber quengelig wird, wenn ihm keiner mehr zuhört bei seinen endlosen Monologen, Hitler, der Millionen den Tod brachte und gern Kümmeltee trank. Einblicke in den Tagesablauf und das Privatleben des \"Führers\", die sonst niemand gewährt, und die auch kaum noch jemand gewähren kann. Es ist die Faszination der Banalität.

Das Buch ist aufgeteilt in X Kapitel:

1. Vorwort von Traudl Junge

2. Eine Kindheit und Jugend in Deutschland
Die ist eine Art Vorwort der Frau, die an der Veröffentlichung von Traudl Junges Erinnerungen mitgearbeitet hat. Melissa Müller wurde 1967 in Wien geboren und schreibt als freie Journalistin für deutschsprachige Kultur- und Nachrichtenmagazine. (Quelle: Kladdentext)

Dann geht das eigentliche Buch los, die Abschnitte sind mit römischen Ziffer gekennzeichnet.

I. \"Meine Zeit bei Adolf Hitler - aufgezeichnet 1947\"

II. \"In der ´Wolfsschanze´ \" Die Wolfsschanze war Hitlers Hauptquartier in den Wäldern Ostpreußens.

III. \"Erste EIndrücke vom ´Berghof´ \". Der Berghof war ein feudales Anwesen in den Berchtesgadener Alpen. Es war so eine Art \"heimliches Hauptquartier\".

IV. Dies und die folgenden Kapiteleinteilungen wurden nachträglich von Traudl Junge vorgenommen. Daher tragen sie keine Überschriften mehr. Die Schauplätze wechseln zwischen Wolfsschanze (IV), Berghof (V) und \"Führerbunker\" in Berlin (VI)

Der letzte Teil trägt die Überschrift \"Chronologie einer Schuldverarbeitung - aufgezeichnet 2001\", verfasst von Melissa Müller. Dieser Teil beinhaltet hauptsächlich die Darstellung, wie es Traudl Junge in der Nachkriegszeit erging und wie sie sich allmählich vom Nationalsozialismus distanzierte.

Ich habe das Buch verschlungen, und das sicher nicht zum letzten Mal.

29 Bewertungen, 2 Kommentare

  • Baby1

    01.05.2006, 11:24 Uhr von Baby1
    Bewertung: sehr hilfreich

    LG Anita

  • anonym

    19.03.2006, 17:39 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    *** sh & lg *** Lg, Christina