Russendisko (Taschenbuch) / Wladimir Kaminer Testbericht

Ein kalter Märzmorgen in Berlin.
Multi-Kulti-Gesellschaft auf den Strassen des Prenzlauer Berg. Hier holte Christian Ströbele bei den letzten Bundestagswahlen das einzige Direktmandat für die ‚Grünen’.
Ein inzwischen berühmt-berüchtigtes Lokal ‚Kaffee Burger’, in dem Wladimir Kaminer zusammen mit Yuriy Gurzhy die Russendiskos veranstaltete und im Rahmen der ‚Reformbühne Heim & Welt’ seine neuesten Geschichten vorlas.
Wir kommen in ein (fiktives) Gespräch.

„Herr Kaminer, wie sind Sie überhaupt nach Deutschland gekommen und warum?“
„Nun, wie Sie wissen, bin ich am 19. Juli 1967 in Moskau geboren und habe mich dort zum Toningenieur für Theater und Rundfunk ausbilden lassen. Seit 1990 lebe ich mit meiner Frau Olga Gura hier im Bezirk Prenzlauer Berg.“

„Das sind jetzt die Fakten, aber warum?“
„Das war eine Trotzreaktion. Das Erlernen einer fremden Sprache hängt ganz wesentlich von den Lehrern ab. Die Lehrerin für Englisch war ein hübsches, blondes, junges Ding und die Lehrerin für Deutsch eine – wie Ihr hier sagt – vertrocknete, missgelaunte Mittfünfzigerin. Wir nannten sie ‚Die Krähe’. Also lernte ich Deutsch. Mein Vater brachte mich mit, denn er sehnte sich nach neuen Aufgaben, neuer Verantwortung und Kampf auf Leben und Tod.
So kam er auf die Idee, in Deutschland den Führerschein zu machen. Damit war er erst einmal die nächsten zwei Jahre beschäftigt. Sein erster Fahrlehrer sprang mitten im Verkehr aus dem Auto. Sein zweiter Fahrlehrer weigerte sich schriftlich, mit ihm im selben wagen zu sitzen. ‚Beim Fahren betrachtet Herr Kaminer unentwegt seine Füße’, schrieb er in einer Erklärung an den Fahrschulleiter.
Der dritte Fahrlehrer war ein mutiger Kerl. Nachdem beide mehrere Stunden zusammen im Auto verbracht und dem Tod ins Auge gesehen hatten, wurden sie wie Brüder. Der Fahrlehrer schaffte es, meinem Vater die Führerschein-Idee endgültig auszureden.“

„Dann sind also die – im übrigen politisch völlig unkorrekten – Geschichten Ihres Buches ‚Russendisko’ wahre Begebenheiten?“
„Ja, sicher. Allerdings habe ich mir bei einigen doch eine gewisse dichterische Freiheit bewahrt.
Da ist zum Beispiel Katja, die mittels Meskalinkakteen Geist und Körper voneinander löst, bis beide in getrenntem Zustand in die Psychiatrie eingeliefert werden.
Da ist Klaus, der dank der Radiosendung ‚Russisch für Kinder’ seine Sprachkenntnisse erweitern will und bei seinem ersten Besuch in Moskau hinter Gittern landet.
Und da ist mein Vater, der mit 68 Jahren beschließt, nach Deutschland auszuwandern und dann sehr schnell die Herausforderungen des russischen Alltags vermisst und dafür versucht, seinen Führerschein zu machen.
Dennoch habe ich mich immer bemüht, meinem Motto ‚ Nie etwas ausdenken, sondern dem Leben vertrauen’ treu zu bleiben.“

„Ihre wundervollen, mit Charme und unvergleichlichem Humor erzählten Geschichten geben Ihnen ja immer wieder aufs Neue Recht. Aber warum schreiben Sie nicht in Ihrer Muttersprache?“
„Das haben Sie dem russischen Lehrbuch ‚Deutsches Deutsch zum Selberlernen’ und der Krähe zu verdanken. Mit den Lektionen um den glücklichen Komsomolzen Petrov wurde der Grundstein für meine Sprachkenntnisse gelegt.“

„Meinen Sie nicht, 7,90 Euro für ein gerade mal 191 Seiten dünnes Buch seien etwas happig?“
„Moment, Sie haben eine Ausgabe vom Juli 2002, die hat doch inzwischen antiquarischen Wert. Immerhin erzähle ich 50 verschiedene Geschichten, d.h. pro Geschichte zahlen Sie gerade mal 16 Cent.“

„Ja, das ist mir ja auch wert, aber . . .“
„Beschweren Sie sich bitte beim Goldmann Verlag. Meinetwegen auch über das Netz mit der Adresse www.goldmann.de .
Immerhin haben die das Buch mit einer ellenlangen ISBN-Nummer ausgestattet, 3-442-54175-1. Und wenn Sie es in einer gebundenen Form haben wollen, geben Sie tatsächlich 18 Euro aus und da steht kein Wort mehr drin.
Davon kommt schließlich das Allerwenigste bei mir an, so dass ich gezwungen bin, eine wöchentliche Sendung bei SFB4 Radio MultiKulti zu machen und im ‚ZDF- Morgenmagazin’ eine eigene Kolumne zu halten.
Dort erzähle ich aus den Notizen eines Alltags-Kosmonauten.
Wenn Sie mich wirklich unterstützen wollen, dann kaufen Sie sich noch meine anderen Romane: ‚Militärmusik’, Schönhauser Allee’ oder ‚Frische Goldjungs’.“

„Herr Kaminer, ich bedanke mich für das Gespräch und richten Sie meine besten Wünsche an Ihre Frau und die beiden Kinder aus. Ich werde Ihre Bücher rückhaltlos weiterempfehlen. Mit allen Sternen, die mir zur Verfügung stehen und ganz sicher versehe ich sie mit der Höchstnote.“

topfmops, der auch auf anderen Plattformen zu Gange ist, bedankt sich fürs Lesen und bewerten und freut sich auf viele lesenswerte Kommentare.