Der Engelsfluch (Taschenbuch) / Jörg Kastner Testbericht

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ab 6,38
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Summe aller Bewertungen
  • Niveau:  sehr anspruchsvoll
  • Unterhaltungswert:  sehr gering
  • Spannung:  sehr gering
  • Humor:  durchschnittlich
  • Stil:  sehr ausschmückend

Erfahrungsbericht von winterspiegel

Wunder über Wunder

Pro:

Spannende Nebenhandlung mit leider verschenktem Potenzial; historische Hintergründe und Ausarbeitung; gefälliger Schreibstil

Kontra:

Teils langatmig und klischeehaft; wichtige Fragen bleiben leider unbeantwortet; übertriebener absehbarer und unglaubwürdiger Schluss

Empfehlung:

Ja

Einigermaßen Bibelfest sollte man schon sein, wenn man eine Geschichte im Umfeld des Vatikans und seine weitreichende Machenschaften ansiedelt. Des Weiteren dürfte es sicherlich nicht schaden, auch ein wenig Geschichtskenntnis mit auf den Weg zu bringen, wenn man die darin enthaltenen historischen Geschehnisse in einem glaubwürdigen Rahmen unterbringen will.

Jörg Kastner scheint auf den ersten Blick zumindest beide Grundvoraussetzungen bei seinem Religions-Thriller \"Engelsfluch\" erfüllt zu haben, der handlungsbezogen nahtlos an seinen Roman \"Engelspapst\" anschließt. Doch kann er auch den Leser auf seine Seite ziehen, indem er es fertig bringt ein Geschehen zu entwerfen, das den Verschwörungsaspekt (und ohne den scheint keine derartig gelagerte Story mehr auszukommen) so packend und doch so plausibel herausarbeitet, dass einer fesselnden Lektüre im sakralen Bereich nichts mehr im Wege steht? Alles Fragen, die es nachfolgend zu beantworten gilt.



Ausgangspunkt in Kastners Roman ist eine Kirchenspaltung der katholischen Kirche und die damit verbundenen Machtkämpfe um den Papstthron. Diese Auseinandersetzung wird mit harten Bandagen geführt, und hinterlässt schließlich eine blutige Spur, im weiteren Umkreis des Vatikans. Die Ereignisse beginnen erstmal auch am Brennpunkt der sich überschlagenden Begebenheiten - im Zentrum der päpstlichen Macht. Die schon aus dem Vorläuferroman \"Engelspapst\" bekannten Protagonisten Alexander Rosin und Elena Vida, die für eine bekannte italienische Gazette arbeiten und zugleich Liebespaar sind, geben sozusagen eine erste Bestandsaufnahme für den Betrachter ab. Doch nach einer Weile kommt noch ein weiterer Erzählstrang hinzu, der sich mit der Person des ehemaligen Juristen und Italienurlaubers Enrico Schreiber beschäftigt, der mit seiner Reise in sein Abstammungsland hinter Unstimmigkeiten betreffs seiner Herkunft kommen will.

Zwischen diesen beiden Handlungsfäden wird nun eine mehr oder weniger spannende Episode um eine sich anbahnende Verschwörung innerhalb der Kirche ersichtlich, die unzweifelhaft von langer Hand eingefädelt ist. Der Teil in dem der ehemalige Schweizergardist Alexander mit Hilfe der Polizei den Hintermännern der sich ereignenden Morde auf die Spur kommen will, ist leider ein bisschen klischeehaft und auch ziemlich unglaubwürdig entworfen. Dass dieser Alexander - zumal jetzt als Journalist tätig - beim heiligen Vater sozusagen aus- und eingeht; sich fast schon als engsten Vertrauten oder Kumpel des Papstes präsentiert, störte mich dann doch beim lesen gewaltig.
Da war das Geschehen um den von merkwürdigen Engelsvisionen heimgesuchtem Enrico doch um einiges interessanter- und vor allem auch einleuchtender entworfen. Hier kann der Autor nämlich eine geheimnisvolle Vorgeschichte entfalten, die sich nach und nach zu einem lohnenden Rätselraten seitens des Lesers entwickelt. Hierfür wird tief in der Familienchronik des in sein Ursprungsland zurückkehrenden Deutsch-Italieners gegraben, die anhand eines mysteriösen Tagebuchs - und hier sozusagen als Geschichte in der Geschichte - erzählt wird.

Leider schenkt der Verfasser im weiteren Verlauf seine Aufmerksamkeit einer unnötigen Liebelei zwischen dem smarten Enrico und der schon an Alexander vergebenen Elena, bei der der Leser schon von Anfang an weiß, dass das Geturtel nie und nimmer gut gehen kann. Später kommt noch eine unausgegorene Beziehung zu einer undurchschaubaren Rothaarigen, der Theologieexpertin Vanessa Kern dazu, die aber genauso wenig überzeugend wirkt, da das Ganze ein wenig wie mit der Brechstange herbeigeführt anmutet.

Das was am meisten fesselt sind wohl noch die historischen Hintergründe, die sehr schön einen Engelskult beleuchten, der bis in die Zeit der Etrusker zurückreicht. Hier gelingt es Kastner einen reizvollen Faden zu knüpfen, der Vergangenheit und Gegenwart verbindet - mystische Beziehungen einer untergegangenen Kultur versucht ins rechte Licht zu rücken.

Leider verkommen diese durchaus aufschlussreichen Ansätze zum Finale hin zu einem wenig erbaulichen Mischmasch aus Vermutungen, Annahmen und unausgegorenen Schlussfolgerungen, die doch zumindest ein wenig enttäuschen. Dringende Fragen z.B. was es den mit der Abstammung und dem Wirken der Engel nun denn auf sich hat, die der Leser sicherlich gegen Ende beantwortet haben will, werden einfach mit oberflächlichen Parolen aus der Mottenkiste der Theosophie beantwortet. In diesem Zusammenhang passen die fast schon inflationär vorkommenden Wunderheilungen (die in der Geschichte auch noch verbraten wurden), leider auch noch gut hinein, die ein weiteres Mal kräftig an der Glaubhaftigkeit dieser Erzählung kratzen.

Kein Wunder ist es dann allerdings, dass der Schluss irgendwo zwischen dem Ende von \"Jäger des verlorenen Schatzes\" und dem überkandideltem Finale von \"Illuminati\" verläuft. Überhaupt war wohl Dan Brown ein unübersehbarer Ideengeber für ein paar aussagekräftige Aufhänger in diesem Buch. Denn von der Schweizergarde - über die verborgenen Geheimarchive des Vatikans - bis hin zu grausamen Ritualmorden: Vieles war schon (in zumindest ähnlicher Form) ein Hauptbestandteil von Browns bekanntem Bestseller.
Kastner liefert dann freilich eher eine unspektakuläre Kopie, die aber teilweise noch ganz nett zu lesen ist. Richtiges Jagdfieber nach dem Geheimnis hinter dem alles steckt, will aber nie so recht aufkommen; und die große Auflösung schließlich, oder auch der noch eingearbeitete Knalleffekt, der für Verblüffung sorgen soll, verkommt dann - wie schon angedeutet - zu einem eher enttäuschenden, allzu vorhersehbaren Ende.

Der 1962 in Minden an der Weser geborene ehemalige Jurist Jörg Kastner kann es anscheinend nicht ganz lassen. Offensichtlich lehnt sich auch sein aktuelles Werk \"Die Farbe Blau\" wieder an einen Kassenschlager Browns (diesmal ist es \"Sakrileg\") an. Jedenfalls zeugen davon schon mal die Aufmachung des Verlages, sowie auch die Kurzbeschreibung der eingebrachten Geschehnisse.

© winterspiegel für Ciao & Yopi





Jörg Kastner

Engelsfluch

Roman

Knaur Taschenbuch Verlag

488 Seiten

Preis 8,90 €

52 Bewertungen, 4 Kommentare

  • morla

    14.10.2005, 03:20 Uhr von morla
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr hilfreich

  • anonym

    01.05.2005, 21:25 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    schöner bericht, liebe grüße

  • fmtassadar

    18.04.2005, 20:10 Uhr von fmtassadar
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ich denke, dann werde ich mir die Bücher von Jörg Kastner sparen und weiterhin Dan Brown lesen. ;o)

  • kruemel02

    16.04.2005, 22:25 Uhr von kruemel02
    Bewertung: sehr hilfreich

    Wenn ich nicht so ein Lesemuffel wäre...*gg*LG Oli