Die Vermessung der Welt (gebundene Ausgabe) / Daniel Kehlmann Testbericht

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ab 17,33
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Erfahrungsbericht von Hedwig_2010

Messen und gemessen werden

Pro:

Gut und flüssig zu lesen.

Kontra:

Nichts wirklich Negatives zu finden, allerdings ziehe ich persönlich gut recherchierte historische Romane doch vor.

Empfehlung:

Ja

Ich muss gestehen, dass ich das nachfolgend vorgestellte Buch schon lange besitze, aber nie dazu gekommen bin, es auch zu lesen. Schuld daran, dass ich es nun doch hervorgekramt habe, ist die Tatsache, dass die Verfilmung nun in die Kinos kommt und mich einige vorab gezeigten Sequenzen im Fernsehen doch wieder neugierig machten. Mehrfach wurde auch in der Werbung darauf hingewiesen, dass das Buch als unverfilmbar gilt, was mich allerdings nur noch neugieriger auf seinen Inhalt machte. Außerdem können mein Mann und ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ins Kino und müssen daher immer warten, bis entsprechende Filme, die uns interessieren, endlich als DVD verfügbar sind.

Also las ich nun erst einmal das Buch und werde meinen persönlichen Eindruck hier wiedergeben, obwohl es schon vielfach rezensiert wurde und die Meinungen darüber offenbar erheblich differieren. Nun, zum Glück sind die Geschmäcker ja verschieden und vielfältig. Es wäre ja auch ziemlich farblos und langweilig, wenn alle das Gleiche mögen würden oder alle das Gleiche ablehnen würden.

Auf die Verfilmung des Buches bin ich ebenfalls sehr gespannt, denn Satire ist meines Erachtens tatsächlich sehr schwer verfilmbar. Dazu ist die Gefahr einfach zu groß, dass manches in Slapstick abrutscht, was ursprünglich feine Ironie gewesen war.

Nun aber erst einmal zum Roman und dazu zunächst einmal wieder:

Die sachlichen Buchdaten:

Autor: Daniel Kehlmann

Titel: Die Vermessung der Welt
Erschienen: September 2005
Verlag: Rowohlt
ISBN-10: 3498035282
ISBN-13: 978-3498035280 
Einband: HC
Seitenzahl: 304
Größe und/oder Gewicht: 20,8 x 13,4 x 2,6 cm


Autorenportrait:

Daniel Kehlmann wurde 1975 als Sohn des Regisseurs Michael Kehlmann und der Schauspielerin Dagmar Mettler in München geboren. 1981 kam er mit seiner Familie nach Wien, wo er das Kollegium Kalksburg, eine Jesuitenschule, besuchte und danach an der Universität Wien Philosophie und Germanistik studierte. 1997 erschien sein erster Roman "Beerholms Vorstellung". Er hatte Poetikdozenturen in Mainz, Wiesbaden und Göttingen inne und wurde mit zahlreichen Preisen, darunter dem Candide-Preis, dem Preis der Konrad-Adenauer-Stiftung, dem Doderer-Preis, dem Kleist-Preis 2006 sowie zuletzt dem WELT-Literaturpreis 2007 ausgezeichnet. Kehlmanns Rezensionen und Essays erschienen in zahlreichen Magazinen und Zeitungen, darunter "Der Spiegel", "Guardian", "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Süddeutsche Zeitung", "Literaturen" und "Volltext". Sein Roman "Ich und Kaminski" war ein internationaler Erfolg, sein Roman "Die Vermessung der Welt", in bisher vierzig Sprachen übersetzt, wurde zu einem der erfolgreichsten deutschen Romane der Nachkriegszeit. Daniel Kehlmann lebt als freier Schriftsteller in Wien und Berlin.

Quelle: Die Homepage des Autors www.kehlmann.com

Auf der Homepage findet man übrigens auch Leseproben und andere Rezensionen zu diesem Buch.

Buchcover und sonstige Gestaltung:


Meine gebundene Buchausgabe hat einen Coverumschlag mit zwei Darstellungen: eine soll wohl die Art der Landkarten wiedergeben, wie sie Humboldt angefertigt hat und die andere Darstellung ist wohl eine dreidimensionale Wiedergabe der Gauß-Glocke. Ohne das Wissen, dass es sich bei dem Roman um eine satirische Aufarbeitung einer Doppelbiografie handelt, weiß man zunächst erst nicht, was das Cover zeigt. Hübsch sieht es dennoch aus, finde ich.



Mit meinen Worten:

Der Roman beginnt mit der Reise von Carl Friedrich Gauß mit seinem Sohn Eugen 1828 zu einer Tagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Berlin, wo er auf Alexander von Humboldt trifft, der ihn dorthin einlud. Schon jetzt wird deutlich, dass wir es bei Gauß offensichtlich mit einem sehr ungeselligen Menschen zu tun haben, einem Typen, den wir heute ohne zu Zögern als Nerd bezeichnen würden. Offensichtlich hasst er es zutiefst, seine Wohnung überhaupt zu verlassen und sein Verhalten gegenüber seinem Sohn ist rüde, herabsetzend und verächtlich.

Dann wechselt die Szenerie zur Vergangenheit und wir lesen in Form einer Rückschau abwechselnd Stationen aus den Werdegängen beider Wissenschaftler. Alexander von Humboldt, Sohn eines niedrigen preußischen Adligen, genießt - ebenso wie sein älterer Bruder Wilhelm - eine umfangreiche Ausbildung in den verschiedensten Wissenschaftsbereichen. Der ältere Bruder hat in Kinderjahren bei den Brüdern die Führungsrolle. Ja, er bringt den jüngeren Bruder sogar dazu, über einen nicht vollständig zugefrorenen See zu gehen und sieht zunächst seelenruhig zu, wie dieser prompt einbricht und rettet ihn erst im letzten Moment aus dem eiskalten Wasser. Der Autor läßt beide erscheinen wie übersättigte, miteinander konkurrierende Kinder, die im Grunde kein direktes Ziel vor Augen haben. Beiden ist wohl bewußt, dass in ihren Gesellschaftskreisen von ihnen irgendetwas Besonderes erwartet wird. Man setzte sich eben in Szene, beschäftigte sich mit irgendetwas, was den Respekt anderer - der Gesellschaft - einfordern würde.

Mehr aus einer Laune heraus beschließt Humboldt daher auch nach dem Tod der Mutter, eine Forschungsreise nach Amerika zu unternehmen und rekrutiert in Paris den Franzosen Aimé Bonpland, der sich dazu entschließt, ihn auf dieser Reise zu begleiten. Bonpland wirkt auf der ganzen Reise wie das Faktotum Humboldts. Humboldt misst auf der Reise grob gesagt alles, was es nur zu messen gibt und schreckt auch vor schmerzhaften und ekligen Selbstversuchen nicht zurück. Er leistet auf wissenschaftlicher Ebene bahnbrechende Arbeit, korrigiert durch seine Arbeit die bis dato ungenauen Karten von Lateinamerika, findet den legendären Kanal zwischen dem Amazonas und dem Orinoko und besteigt mit Bonpland den zur damaligen Zeit als am höchsten vermuteten Berg fast gänzlich bis zur Spitze. Wie besessen dokumentiert er alles auf seinem Weg, sowohl Tiere als auch Pflanzen und er schreckt auch nicht davor zurück, fast mumifizierte Leichen zwecks späterer Untersuchung auf der Reise mitzunehmen. Weder sich noch seinen Begleiter oder die einheimischen Führer schont er dabei. Bei der Bergbesteigung zum Beispiel gehen Bonpland und Humboldt schon fast über ihre körperliche Belastbarkeit hinaus. Bonpland blutet aus der Nase und hat Wahnvorstellungen infolge der zu dünnen Luft.

Humboldt scheint dies alles eher weniger zu stören, ja man erhält beim Lesen öfter den Eindruck, dass Humboldt den Bedürfnissen seines Körpers und denen anderer keine Bedeutung zumisst, den (zumindest üblichen) fleischlichen Genüssen sehr aktiv ausweicht und auch Bonpland recht scharf wegen seiner Schwäche kritisiert. Die wahre Ursache für diese Brüskheit bleibt jedoch verschwommen. Klar wird jedoch, dass Humboldt allerdings öffentliche Belobigungen benötigt und auch erzielen will, denn er schreibt seinem Bruder Berichte, die dieser zuhause veröffentlichen soll und weiß dabei offenbar des Öfteren, worauf der Tenor liegen sollte, damit seine wissenschaftliche Arbeit auch bekannt wird.

Zurück in Europa lässt er sich zunächst in Paris nieder. Doch seine nüchternen Messergebnisse, Daten und Fakten kommen bei seinem Publikum nicht so an. Man erwartet spannende und sogar schockierende Erlebnisberichte von ihm und möchte von exotischen Erzählungen bezaubert und unterhalten werden. Frustriert beschließt Humboldt, eine schriftliche Reisedokumentation zu verfassen, bricht jedoch trotz allem zu einer letzten Expedition nach Russland auf, bei der man sich allerdings lediglich der Anwesenheit seiner Person schmückt und ihn selbst nichts mehr entscheiden oder selbsständig untersuchen lässt.

Gauß' Kindheit steht dagegen unter einem ganz anderen Stern. Als Sohn eines einfachen Gärtners geboren, ist er sehr früh seinen Mitschülern und auch dem Lehrer überlegen. Er empfindet seine Mitmenschen als gähnend langsam im Denken und Antworten und wäre vermutlich heutzutage als äußerst hochbegabtes Kind eingeschätzt worden. Als der Lehrer z.B. der Klasse den Auftrag gibt, die Zahlen von 1 bis 100 zusammen zu zählen, findet Gauß sofort eine rasante, zeitsparende Berechnungsmethode. Als ihm der Lehrer daraufhin ein Buch zum Lesen mit nach Hause gibt, hat er es am nächsten Tag schon ausgelesen. Allerdings hat er noch nicht bemerkt, dass man seine Kenntnisse und sein Können besser für sich behält und kassiert demzufolge zunächst ordentlich Hiebe. Aber seine enorme mathematische Begabung läßt sich dennoch nicht verleugnen und so protegiert ihn letztendlich sein Lehrer und Gauß erhält ein Stipendium vom Herzog von Braunschweig. Er macht nicht nur auf dem Gebiet der Mathematik, sondern auch in der Astronomie bahnbrechende Entdeckungen und erlangt so weltweit Berühmtheit.

Im mitmenschlichen Bereich erweist er sich jedoch als absolute Niete, ist äußerst ungeduldig mit anderen und hält fast alle anderen für tumb und schwerfällig. Ganz wenige Mitmenschen können ihn daher überraschen, hinterlassen bei ihm einen bleibenden Eindruck und werden von ihm mit Respekt behandelt. Seine spätere Frau Johanna gehört zu diesen wenigen Menschen und zeugt mit ihm vier Kinder, aber als sie im Kindbett stirbt, zieht sich Gauß nur noch weiter zurück. Er heiratet aus Bequemlichkeit die beste Freundin seiner Frau, die er überhaupt nicht ausstehen kann, nimmt nur wegen Geldmangels eine Arbeit als Landvermesser im Königreich Hannover an - wobei er sich finanziell bereichert - und widmet sich bald nur noch seinen astronomischen Berechnungen.

Als alternder Mensch hält er es dann schließlich gar nicht mehr für nötig seine Wohnung zu verlassen, verhält sich sehr kauzig und folgt nur sehr widerwillig der Einladung Humboldts nach Berlin. Auf der Tagung selbst brüskiert er die Anwesenden mit seiner schroffen Art und verlässt schließlich fluchtartig die Festlichkeiten. Sein Sohn Eugen wird währenddessen als Teilnehmer einer verbotenen Versammlung verhaftet. Humboldt versucht, seinen Einfluss geltend zu machen und durch Bestechung frei zu bekommen, doch Gauß weigert sich kategorisch, solche Maßnahmen anzuwenden. So entgeht Eugen nur durch Humboldts Intervention zwar einer Gefängnisstrafe, wird jedoch nach Amerika ins Exil geschickt, wo er endlich zu seinem eigenen, Humboldt nicht unähnlichen Weg findet.



Stilistische Besonderheiten:

Wörtliche Rede fehlt völlig. Stattdessen hat der Autor die sogenannte erlebte Rede gewählt, dabei oft auch noch die distanziertere Art und Weise der indirekten Rede gewählt und den Konjunktiv benutzt. Das bewirkt, dass der Leser schon aufmerksam lesen muss, um zu wissen, wessen Gedankengang in dem in auktorialer Erzählweise geschriebenen Roman da gerade wiedergegeben wird.

Auch spielt der Autor enorm mit der Aufmerksamkeit und den Gefühlen des Lesers. Da liest man z.B. gerade über das Treffen Humboldts mit Thomas Jefferson und meint, dies müsse doch von förmlicher Steifheit und Feierlichkeit nur so strotzen und dann kommt eine völlig lapidare Bemerkung von einem der Protagonisten oder man erfährt so ganz nebenbei, dass Humboldt dem Präsidenten die genauen Standorte der britischen Garnisonen verrät. Ob er das wirklich getan hat, spielt dabei aber gar keine Rolle. Darum geht es dem Autor offensichtlich gar nicht. Solche Passagen sorgen einfach für einen Bruch im Lesefluss und lassen den Leser staunen, lachen oder stutzen, sorgen mit ihrer Unberechenbarkeit für Witz und einen ganz eigenen Humor.



Fazit:

Der Roman ist als Satire gedacht und in einem Interview gab Kehlmann zu: "Ich wollte schreiben wie ein verrückt gewordener Historiker", doch nach so langer Zeit ist es völlig klar, dass kein Mensch mehr weiß, wann eine historische Person wirklich genau was gesagt hat. Dazu waren sowohl Gauß als auch Humboldt einfach doch für ihr Umfeld nicht wichtig genug, dass Protokoll geführt worden wäre. Humboldts Berichte strotzten nur so vor Fakten und Zahlen, während die Menschen fantastische und spannende Geschichten aus der neuen Welt hören wollten und dem introvertierten Gauß konnten sowieso die Wenigsten geistig folgen. Vielleicht hätte man heutzutage mehr Verständnis für diese - ja, man kann wohl sagen - Sonderlinge gehabt. Doch beide lebten in einer Zeit, in der es zwar viel zu erforschen gab, aber das Gefühls- und Seelenleben von Menschen gehörte damals meiner Erfahrung nach noch nicht zu den Dingen, die - anders als heute - gerne an die Öffentlichkeit gezerrt wurden.

Es geht Kehlmann ja aber auch gar nicht darum, einen faktenorientierten historischen Roman zu schreiben, sondern wiederzugeben, dass man zwar als ernsthafter Forscher losgefahren sein mag, aber die penetranten Moskitos doch ziemlich an der ernsthaften, deutschen Würde genagt haben dürften. Humboldt ließ sich trotzdem in Uniform fotografieren. Seine Auffassung von deutscher Korrektheit gebot es ihm wohl, auch wenn es auf uns heute lächerlich wirken mag. Schaut man sich heute die manchmal ausgestrahlten Nachrichtensendungen von vor zwanzig Jahren an, ist man auch sehr überrascht, wie steif und förmlich früher oft berichtet wurde.

Der Aufbau des Romans ist ebenso klug, wie das Geschehene noch unterstreichend, gewählt und hat im letztendlichen Weglaufen von Gaußens Sohn Eugen sogar noch eine Pointe, die nur durch den zeitlichen Rückblick auf die Jugendjahre der beiden Wissenschaftler erst einen tieferen Sinn ergibt. Der Autor hat kurze Kapitel gewählt, die mal eine Begebenheit hier, mal eine Anekdote da beschreiben. Gauß liest von Humboldts Arbeit durch Veröffentlichungen in entsprechenden Gazetten. Humboldt hält Gauß für den geeigneten Kollegen, um den Magnetismus zu erforschen. Die Lebensläufe beider Wissenschaftler wirken so irgendwie verbunden, bis sie zum Schluß durch das Treffen tatsächlich zusammengeführt werden.

Es ist nicht ganz einfach, zu diesem Roman ein abschließendes Fazit zu schreiben. Der Inhalt arbeitet wirklich noch lange im Leser und immer wieder fällt einem etwas Neues auf. War man beim Lesen oft versucht, nachzuschlagen, ob sich diese oder jene Begebenheit tatsächlich eventuell so abgespielt haben könnte, überlegt man zu anderen Zeiten, ob Wissenschaftler eventuell alle so grundsätzlich unsozial waren oder sind und ob das nicht sogar so sein muss, damit sie fähig sind, so überragende Leistungen zu bringen ... die dann im Endeffekt ja doch wieder der Allgemeinheit zugute gekommen sind, zumindest in den meisten Fällen!

Was mich allerdings nach dem Lesen des Buches am häufigsten beschäftigt hat, war die Tatsache, dass Kehlmann den Roman als Satire schrieb. Obwohl ich beim Lesen oft schmunzeln musste, hätte ich zumindest doch auch einen gut recherchierten historischen Roman über die beiden Wissenschaftler lesen mögen. Erzählstoff ist ja reichlich vorhanden. Per Satire schafft man sich ja eine innere Distanz, fühlt sich vielleicht ja sogar ein wenig überlegen, macht sich irgendwie lustig. Und es birgt ja auch eine gewisse Komik, mit welchem überernsthaften Gebaren zumindest Humboldt zu Werke ging und sich ganz sicher kaum klar darüber war, wie er seine Mitmenschen mit seinen akribischen Messungen langweilte. Aber ist das nun wirklich typisch deutsch, wie ein Kritiker schrieb? Man könnte fast auf den Gedanken kommen, dass der Buchtitel auch doppeldeutig aufgefasst werden könnte. Aber dann müsste es ja eigentlich "Die Vermessenheit der Welt" heißen, oder?! Aber man kann wohl schon sagen, dass beide Wissenschaftler Teile der Welt und ihre menschlichen Bewohner anders/neu ge/vermessen haben, vielleicht auch teilweise vermessen waren. Hat ihre Umwelt ihnen aber auch den Wert zugemessen, den sie für ihre Mitmenschen hatten?

Nach längerem Überlegen taten mir beide Wissenschaftler denn auch wirklich richtiggehend Leid und kamen mir durch den Roman streckenweise doch auch vorgeführt vor. War Gauß wirklich so menschenverachtend...oder entsprang seine Brüskheit nicht eher einer inneren Unsicherheit anderen Menschen gegenüber? Ein brillianter Kopf und eine superschnelle Auffassungsgabe kann eben auch ein regelrechter Fluch sein und den Besitzer dieser Fähigkeiten recht vereinsamen. Dann wieder denkt man über den ewig mit Messgeräten herumwuselnden Humboldt nach und fragt sich, ob die Beziehung zum älteren Bruder, die ich persönlich nicht sehr herzlich empfinde, Humboldt getrieben hat. Denn wie ein Getriebener kommt er mir vor, was die Experimente mit Curare nur noch bestätigen. War ihm sein Leben und das von anderen so wenig wert?

Überhaupt kommen beide Wissenschaftler im Roman meines Erachtens - trotz der witzigen Passagen - sehr depressiv und im Endeffekt sehr lebensuntüchtig herüber und mit ihrer Angst vor dem Altwerden sehr resignativ. Gauß liest seine mit 21 Jahren angefertigten Disquisitiones Arithmeticae im Alter nochmals und wundert sich darüber, dass er Mühe hat, seine eigene Niederschrift zu verstehen. Ich weiß, dass es Künstlern oft nach der Fertigstellung eines Bildes so geht, aber da ist zum Staunen dann auch zufriedener Stolz dabei. Das Gefühl scheint beiden Wissenschaftlern völlig abzugehen.

Gauß findet sich letztendlich zwar damit ab und für sich einen Weg, mit seiner Umwelt zurecht zu kommen (in dem er sie eben einfach meidet), aber Humboldt tut einem auf der desaströsen Russland-Expedition richtig Leid und man möchte beim Lesen am liebsten rufen, dass er die Reise abbrechen solle, um wenigstens seine Würde zu bewahren.

Kurzum: Der Roman ist nicht nur lesenswert, sondern eignet sich hervorragend dazu, sich selbst weitergehende Gedanken zu machen. Wie gehen wir heute mit herausragenden Persönlichkeiten um und wie umgekehrt sie mit uns Normalos? Haben geniale Köpfe heutzutage ein gesünderes Ambiente, um ihre Arbeit zu tun? Denn wir stehen ganz sicher nicht am Ende der Strasse der unerforschten Dinge, sondern zu entdecken gibt es unglaublich viel. Gerade letztens sah ich einen Bericht über die - noch ungenutzten, weil noch nicht erforschten - Pflanzen des Regenwaldes. Wissenschaftler vermuten eine Vielzahl von Nutzungs-und Erkenntnismöglichkeiten für den medizinischen Bereich. Natürlich nur, wenn wir es nicht vorher schon geschafft haben, ihn auszurotten. Ein Beispiel von vielen Herausforderungen, denen sich manche Menschen stellen und ihre gesamte Energie in die Erforschung stecken. Glaubt man manchen wissenschaftlich orientierten Fernsehsendungen, wissen wir von unserer Welt erst einen kleinen Bruchteil und es braucht wahrscheinlich noch einige Besessene, um uns allen die Welt verständlicher zu machen.

Vielleicht sollten wir tumberen Normalos einfach ein wenig nachsichtiger mit solchen genialen Köpfen sein und sie zwar auch nicht auf einen abgehobenen Sockel stellen, sondern einfach nur etwas dankbarer sein, dass es immer wieder Menschen gibt, die sich - letztendlich doch zum Wohl aller - so exponieren.

Ich für meinen Teil bin jedenfalls froh, dass andere die Kastanien mühsam aus dem Feuer hol(t)en und ich die Früchte ihrer Arbeit geniessen und darüber lesen kann.

Herzlichen Dank für das Lesen und Bewerten meines Berichts

Hedwig_2010

71 Bewertungen, 42 Kommentare

  • sammelmeilen

    05.02.2013, 21:19 Uhr von sammelmeilen
    Bewertung: besonders wertvoll

    bw & lg Antje

  • anonym

    31.01.2013, 06:38 Uhr von anonym
    Bewertung: besonders wertvoll

    lg eva

  • Janne0033

    26.01.2013, 02:50 Uhr von Janne0033
    Bewertung: sehr hilfreich

    Prima Bericht

  • lassie222

    24.01.2013, 17:40 Uhr von lassie222
    Bewertung: besonders wertvoll

    Klasse Bericht! LG lassie222

  • sigrid9979

    18.01.2013, 17:23 Uhr von sigrid9979
    Bewertung: sehr hilfreich

    Wünsche schönes Wochenende...

  • chasen

    16.01.2013, 17:12 Uhr von chasen
    Bewertung: besonders wertvoll

    bw und GLG

  • chasen

    16.01.2013, 17:12 Uhr von chasen

    bw und GLG

  • nischen

    13.01.2013, 15:36 Uhr von nischen
    Bewertung: besonders wertvoll

    bw auch von mir

  • Zatzeck0805

    04.01.2013, 10:54 Uhr von Zatzeck0805
    Bewertung: besonders wertvoll

    ganz starker Bericht. VG

  • Mondlicht1957

    02.01.2013, 10:44 Uhr von Mondlicht1957
    Bewertung: sehr hilfreich

    SH und gesundes neues Jahr

  • Azrael71

    31.12.2012, 17:13 Uhr von Azrael71
    Bewertung: besonders wertvoll

    ein ausführlicher Bericht der b.w. verdient!

  • Steve2512

    28.12.2012, 12:04 Uhr von Steve2512
    Bewertung: sehr hilfreich

    Klasse Bericht! LG Steve2512

  • XXLALF

    25.12.2012, 21:59 Uhr von XXLALF
    Bewertung: besonders wertvoll

    ...und liebe weihnachtliche grüße

  • kruegerchristine

    23.12.2012, 16:34 Uhr von kruegerchristine
    Bewertung: besonders wertvoll

    Höchstwertung und die besten Wünsche ... LG Günter :-)

  • joelovesyou

    19.12.2012, 17:32 Uhr von joelovesyou
    Bewertung: besonders wertvoll

    Bewe & lG

  • Herr_Tom

    15.12.2012, 07:38 Uhr von Herr_Tom
    Bewertung: besonders wertvoll

    Echt top! Gruß Thomas

  • sakibr

    13.12.2012, 18:16 Uhr von sakibr
    Bewertung: besonders wertvoll

    Liebe Grüße!

  • MelE

    13.12.2012, 07:46 Uhr von MelE
    Bewertung: besonders wertvoll

    Perfekter Bericht!

  • Sabse0802

    12.12.2012, 15:01 Uhr von Sabse0802
    Bewertung: sehr hilfreich

    Liebe Grüße :)

  • oskermit

    10.12.2012, 19:55 Uhr von oskermit
    Bewertung: sehr hilfreich

    KLASSE BERICHTET!!! Danke für deinen Besuch bei mir!

  • Sydney1608

    08.12.2012, 12:03 Uhr von Sydney1608
    Bewertung: besonders wertvoll

    Von mir ein BW an dich :-)

  • HEIDIZ

    08.12.2012, 07:31 Uhr von HEIDIZ
    Bewertung: sehr hilfreich

    ha letzte woche den film im kino gesehen. top berichtet. schönen 2. Advent LG HEIDIZ

  • Lucky130

    04.12.2012, 11:12 Uhr von Lucky130
    Bewertung: besonders wertvoll

    Wieder mal besonders wertvoll beschrieben! Viele Grüße...!

  • bigmama

    03.12.2012, 22:27 Uhr von bigmama
    Bewertung: sehr hilfreich

    Toller Bericht! LG Anett

  • Ringer93

    03.12.2012, 10:23 Uhr von Ringer93
    Bewertung: sehr hilfreich

    SH und liebe Grüße =)

  • anonym

    02.12.2012, 09:38 Uhr von anonym

    Da ja wohl so Einiges durch die Änderungen noch nicht wieder richtig funktioniert muss man sich durch Kommentare ins Gedächtnis rufen. Das tue ich hiermit. Und ein BW gibts natürlich auch dafür

  • Lastsummergirl

    01.12.2012, 15:43 Uhr von Lastsummergirl
    Bewertung: besonders wertvoll

    Sehr toll geschrieben LG

  • anonym

    28.11.2012, 20:09 Uhr von anonym
    Bewertung: besonders wertvoll

    Liebe Grüße Edith und Claus

  • anonym

    28.11.2012, 18:56 Uhr von anonym
    Bewertung: besonders wertvoll

    ohne Text sieht man nichts

  • goat

    28.11.2012, 16:44 Uhr von goat
    Bewertung: besonders wertvoll

    Hier war ich tatsächlich am überlegen, ob ich den Film im Kino gucke. Ich meine, dass ich das Buch auch noch irgendwo liegen habe, wenn mich nicht alles täuscht.

  • nikila1985

    28.11.2012, 12:23 Uhr von nikila1985
    Bewertung: sehr hilfreich

    würde mich sehr über deine Gegenlesung freuen

  • anonym

    28.11.2012, 10:25 Uhr von anonym

    Freundliche Gallier können gar nicht in Vergessenheit geraten...*lach*

  • mausi1972

    28.11.2012, 09:46 Uhr von mausi1972
    Bewertung: besonders wertvoll

    Schöner Bericht Lg Marion

  • Miraculix1967

    28.11.2012, 09:02 Uhr von Miraculix1967
    Bewertung: besonders wertvoll

    Sehr gut gemacht - BW von mir! Damit ich hier auch nicht in Vergessenheit gerate: Märchenhafte Mittwochsgrüße aus dem gallischen Dorf Miraculix1967:-)

  • katjafranke

    27.11.2012, 22:53 Uhr von katjafranke
    Bewertung: besonders wertvoll

    Einen lieben Gruß KATJA

  • monagirl

    27.11.2012, 22:30 Uhr von monagirl

    Ich wollte ein BW geben, aber hier kann ich nichts bewerten

  • monagirl

    27.11.2012, 22:29 Uhr von monagirl

    Sehr hilfreicher Bericht..LG Mona

  • monagirl

    27.11.2012, 22:29 Uhr von monagirl

    Sehr hilfreicher Bericht..LG Mona

  • bella.17@live.de

    27.11.2012, 22:00 Uhr von [email protected]
    Bewertung: besonders wertvoll

    Super dein Bericht LG Annabelle

  • MyDream

    27.11.2012, 21:49 Uhr von MyDream
    Bewertung: besonders wertvoll

    sehr schön ;-)

  • minasteini

    27.11.2012, 21:48 Uhr von minasteini

    Von mir ein Bw. LG Marina

  • morla

    27.11.2012, 21:44 Uhr von morla
    Bewertung: besonders wertvoll

    lg. petra