Ich brauche Liebe Testbericht

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Erfahrungsbericht von BeethovensSymphonie5

IMMER MITTEN IND FRESSE!

Pro:

Faszinierende Einblicke, große Rethorik, spannend und eindrucksvoll zu lesen

Kontra:

stellenweise sehr platt und banal

Empfehlung:

Ja

Klaus Kinski. Für die einen ein genialer Schauspieler und Rezitator, für die anderen nur Egomane und Erotomane. Viele Menschen bewundern ihn und haben ihn bewundert, und mindestens ebenso viele verachten ihn oder haben ihn verachtet.
In den 50er/60er Jahren machte er vor allem durch seine spektakulären Ein-Mann-Wandershows von sich reden, die Kneipen und später gar Stadien wie die Europahalle in Berlin füllten.
Kurzum , eine faszinierende Persönlichkeit also, Schauspieler in 85 nationalen und internationalen Spielfilmen.
Und dementsprechend hat mich diese unglaublich starke Persönlichkeit eigentlich immer schon fasziniert, und genau deshalb habe ich auch vor nicht allzu langer Zeit die überarbeitete Fassung seiner Biographie mit dem Titel ,,Ich brauche Liebe“ verschlungen.
Und deshalb habe ich eine Facharbeit diesbezüglich geschrieben, und was liegt näher, als dieser Biographie einen Erfahrungsbericht zu widmen, bei dem aber auch das Augenmerk auf die Unterschiede zur vorherigen Biographie ,, Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund\" liegen soll.

ÄUßERLICHER VERGLEICH

Betrachten wir zunächst einmal beide Biographien Kinskis in den mir hier vorliegenden Auflagen. ,,Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“, 2. Auflage, Rogner & Bernhard GmbH & Co. Verlags KG., München aus dem Jahre 1975, und ,,Ich brauche Liebe“, 16. Auflage, Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG., München, ursprünglich aus dem Jahre 1991 ( Die hier vorliegende Ausgabe wurde 2003 gedruckt).
Isoliert betrachtet, ohne näher auf den Inhalt einzugehen, kann man durchaus große Unterschiede feststellen. ,,Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ ist eine gebundene Ausgabe, außen ganz in grün gehalten, im eher großen Format, mit wenig bedruckten 388 Seiten und einer Widmung an seine damalige Ehefrau Minhoi am Anfang.
,,Ich brauche Liebe“ hingegen ist in der hier vorliegenden 16. Auflage ein ungebundenes Taschenbuch mit dünnen, eng bedruckten 491 Seiten und einer Abbildung Kinskis auf der Titelseite. Auffällig allein, dass der Schriftzug ,,Kinski“ auf dem Titel etwa doppelt so groß ist wie der Titel selbst. Auch interessant: Die ersten Seiten, bevor der eigentliche Text beginnt, beanspruchen Zitate aus Essays, von Kinski persönlich und Anmerkungen des Verlages.
Ebenfalls erwähnenswert ist ,dass die zweite Biographie nicht, wie die erste, seiner letzten Ehefrau Minhoi gewidmet ist, sondern dem Kind aus dieser Ehe, Nanhoi: ,,Für meinen über alles geliebten Sohn Nanhoi“.
Das unterschiedliche Format der Seiten kann as Tribut an den Zeitgeist gesehen werden, denn ungebundene Ausgaben sind nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen heutzutage an der Tagesordnung. Die äußere Gestaltung jedoch kann man im Zusammenhang mit dem Rollenwandel Kinskis selbst sehen. Allein das Spielen diverser Rollen in insgesamt 85 nationalen und internationalen Spielfilmen brachte Kinski eine gewisse Akzeptanz und ein großes öffentliches Interesse. Diese Faktoren bestimmten den Wechsel zu einem größeren Verlag, der völlig andere Standards und Ansprüche hinsichtlich der Optik setzt als ein kleinerer Verlag. Und so sehen wir auf ,,Ich brauche Liebe“ eben ein Foto von Klaus Kinski, wie er nachdenklich auf einem Segelboot sitzt. Das bei ,,Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ kein Bild den Titel ziert, hat sicherlich nicht nur ökonomische Gründe. Man muss wissen, dass im Erscheinungsjahr 1976 Kinski eher noch ein Geheimtipp war, die großen Filme mit Werner Herzog waren gerade erst abgedreht, und eine weite öffentliche Akzeptanz des Künstlers blieb noch aus.
Deshalb erscheint das schmucklose Gesamtbild dieser ersten Biographie letztlich sinnvoll und konsequent. Außerdem muss man das vor dem Hintergrund sehen, dass Kinski seine Rollen damals primär auf deren künstlerische Qualität und deren Wert hin untersuchte, bevor er sie annahm, bis später nur noch das Geld eine Rolle spielte. Und dem seriösen Anspruch, eben ein ernstzunehmender Schauspieler zu sein, der nur in anspruchsvollen Filmen zu sehen ist, wird ein Buch ohne Bild auf dem Umschlagtitel viel eher gerecht.
Wir sehen also, bereits das äußere der beiden Bücher verrät viel über deren Anspruch und deren möglich Inhalt, vor allem vor dem Hintergrund des Lebenswandels Kinskis.
Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob die äußeren Differenzen auch sprachlich und inhaltlich festzustellen sind, oder ob nur die Hülle und der Anspruch geändert wurden, nicht aber das Werk an sich.


INHALTLICHER VERGLEICH

Stellt man die beiden offiziell erschienenen Biographien einmal nebeneinander und betrachtet sich den Inhalt, so stellt man fest, dass bei ,,Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ der Inhalt in Kapitel und Unterkapitel unterteilt ist, während bei ,,Ich brauche Liebe“ gänzlich darauf verzichtet wurde: Nur Absätze und groß geschriebene Anfangswörter kennzeichnen verschiedene Sinnabschnitte.
Keine Passage wurde gänzlich in der Neubearbeitung übernommen, vielmehr wurden einzelne Wörter, Sätze oder gar ganze Sinnabschnitte und Zitate einfach herausgenommen oder durch neue ersetzt. Allein die erste Seite beider Biografien zeigt dies deutlich:
,, , Dagegen sind die Rolling Stones ein Kindergarten!`
,Das hat sich noch niemand geleistet!´
,Das geht zu weit!´
Gemeint bin ich. Ich spreche das Neue Testament.“(S.9)
Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre waren es noch solche Ausrufe des Publikums, die Kinskis Image bestimmten , denn die ganz großen Kinofilme von Werner Herzog, die ihn zum großen Schauspieler mit hohem internationalen Ansehen machen sollten, waren noch nicht gedreht, mit Ausnahme von Aguirre.
Als moderner Rezitator war Kinski den Menschen hierzulande jedoch der ,,Jesus Christus Erlöser“ Tournee wegen ein Begriff. Deshalb spielt Kinski am Anfang seiner ersten Biographie selbstverständlich sehr mit dieser Faszination.
1991 sind die Rezitationen kaum noch ein Begriff, Filme wie Fitzcarraldo begeisterten inzwischen das internationale Publikum auf Filmfestivals.
Folglich kommt der Anfang von ,,Ich brauche Liebe“ ohne die Zitierung der Reaktionen des Publikums aus, eben weil sie für ihn und vor allen Dingen für die Selbstvermarktung seiner Abnormität und Genialität nicht mehr von Belang waren.
Dieser Rollenwechsel Kinskis vom wilden Rezitator zum international bedeutsamen Schauspieler, der auch in Hollywood Fuß fassen konnte, bestimmt dementsprechend das ganze Werk, bestimmt was er über sein Leben sagt, was er verschweigt und neu hinzufügt.
Unter diesem Aspekt lässt sich auch die Unterteilung in Kapitel bzw. das Weglassen dieser betrachten- ein junger Wilder muss erstmal Ernst genommen werden, und eine klassische Unterteilung des Buches in Kapitel verschafft mehr Seriösität als ein kaum gegliederter Text. Solch ein kaum gegliederter Text wird bei einem erfahrenen, alten Schauspieler gerne einmal als ein avantgardistischer Kunstgriff bezeichnet.
Unter diesem Rollenwechsel ist nun der gesamte Inhalt der beiden Biographien sowie deren Abweichungen zu verstehen.
Bei den Ausführungen bezüglich seiner Kindheit hat er ein kleines, aber bedeutsames Detail untergebracht: In ,,Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ bezahlt der Vater 70Pfennig statt 50 Pfennig für einen Haarschnitt. In ,,Ich brauche Liebe“ bezahlt der Vater jedoch 60Pfennig statt 50 Pfennig für den Haarschnitt.
Für jemanden, der nichts vom sozialen Hintergrund der Familie weiß, mag dieser Unterschied gering und somit unwichtig sein. Doch das ist er nicht, bedenkt man, dass die Familie aus Polen nach Berlin ausgewandert ist, und für eine solche Familie waren 10 Pfennig gewiss viel Geld. Des weiteren muss darauf geachtet werden, dass viele Kritiker Kinski gerne unterstellen, die Armut seiner jungen Jahre mit zunehmendem Alter dramatisiert zu haben. Und in diesem Licht können die 10 Pfennig mehr oder weniger als Beleg für diese These der Kritiker genommen werden.
Weit interessanter jedoch ist der komplett neu angefügte Teil mit völlig neuen inhaltlichen Aspekten. Anstatt sein Leben und die Geschehnisse in diesem detailliert zu beschreiben und jedes Geschlechtsteil einer Frau ,das er vor sich hatte, genauestens zu schildern wird er hier allgemeiner , kritischer, nachdenklicher. Ins Zentrum tritt neben seinen Sohn die Zeitkritik an den Zuständen der Gesellschaft und an der Kultur, die stellenweise sarkastisch und bisweilen sogar zynisch werden.
Diese ,,neue Seite“ Kinskis dokumentiert seinen gewachsenen Anspruch an sich selbst, weg vom armen Straßenjungen ,der in Studentenkneipen Werke der Weltliteratur rezitiert und nur mit Gedanken ans andere Geschlecht durch die Gegend rennt, hin zu einem Menschen, der die Welt und was in ihr falsch läuft erkannt und durchschaut hat. Zumindest scheint dieses die Intention bezüglich der letzten 100 Seiten von ,,Ich brauche Liebe“ gewesen zu sein. Ein weiteres Indiz für die neue Intention sind allein die beiden Titel und deren Herkunft: ,Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ ist der Titel eines Villon Gedichtes, während ,,Ich brauche Liebe“ ein von Kinski selbst kreierter Titel ist, den er seiner eigenen Biographie entnimmt: ,,Ich brauche Liebe, weil ich selbst so viel Liebe zu vergeben habe. Das ist der Grund für meiner Rumhurerei!“
Die rein inhaltlichen Disparitäten reichen aber noch weiter und sind stellenweise noch weit grundlegender, ist es doch nicht nur der bloße Leseeindruck, sondern, wie am Beispiel der 10Pfennig Differenz schon gezeigt, auch faktische Unterschiede, welches an der Seriösität und dem Wahrheitsgehalt zweifeln lässt.
Weitere Belege dafür finden sich überall, doch oft sind es nur faktische Details, die ausgetauscht wurden aber das Gesamtbild als Gesamtkonstrukt wenig beeinträchtigen.
Die Abfolge der Ereignisse bleibt weitestgehend gleich.
Auch der Sinnabschnittwechsel, die klaren Unterscheidungen der Beschreibung sexueller Akte, beruflich relevanter Details und auch die Beschreibungen des Verhältnisses zu seinem Sohn sind in beiden Werken gleichermaßen vorhanden.
Weitaus relevanter ist eine nähere Betrachtung der neuen Seiten, die der Biographie hinzugefügt wurden. Hier stehen grundsätzlich 2 neue Aspekte im Zentrum der Ausführungen: Philosophische, gesellschaftskritische Betrachtungen, immer eng gebunden an Erlebnisse in Amerika, und eine recht fragwürdige Darstellung seines Verhältnisses zu Werner Herzog.
Die Stellen bezüglich Herzogs sind in mehrerer Hinsicht zweifelhaft, war es doch so, dass Herzog und Kinski ein fast freundschaftliches Verhältnis pflegten. Vor diesem Hintergrund erscheinen Stellen wie die Folgende doch wenig ernsthaft:
,,Ich trete Herzog mit einem Kung-Fu Tritt zu Boden und in die Fresse. Als der Fotograf knipsen will, schleudere ich einen Stuhl nach ihm. Er duckt sich feige und sucht das Weite.“
Es lässt sich also aussagen, dass die Bearbeitung der Biographie zwei gänzlich neue Aspekte sowie ein paar geänderte Details mit sich brachte.
Insgesamt ergibt sich rein inhaltlich ein ganz anderes Bild, ein ganz anderer Leseeindruck, denn während ,,Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ dem Leser vor allem durch die lebhaften Schilderungen des Sexuallebens Kinskis einen bleibenden Eindruck hinterlässt, so sind es bei ,,Ich brauche Liebe“ eher die krassen Ausschweifungen und Beschimpfungen, ob gegen Herzog oder gegen den Rest der Welt.
Diese inhaltliche Konzentrierung auf die verschiedenen Teilaspekte ist ebenso vor dem Hintergrund des Rollenwandels Kinskis zu sehen: Am gestiegenen Anspruch an sich selbst, aber auch vom Publikum und der Öffentlichkeit an ihn. Und so ist der Inhalt bestimmt von der Wechselwirkung des Künstlers und seiner Einstellung gegenüber seinem Schaffen.

SPRACHLICHE ANALYSE VON ,,ICH BRAUCHE LIEBE“

Die mir hier vorliegende 16.Auflage von ,,Ich brauche Liebe“ beginnt am Anfang mit folgenden Zitaten:
,,Die deutsche Sprache ist eine der schönsten und ausdruckvollsten aller Sprachen- wenn man sich ihrer mit Kraft bedient. Ich verlange die Freiheit, die ein Schriftsteller, ja ein Dichter für sich in Anspruch nimmt.“
(KLAUS KINSKI)
,,… Er hat die hergebrachte Form zersprengt und eine neue gefunden. Er zaubert in die deutsche Sprache eine Sensibilität, wie man sie nie zuvor herausgehört hat … Er bricht die Worte mitten durch, Buchstaben flattern auseinander, die Schwerkraft weicht, Bilder schweben in der Luft, leuchten, mit ihnen die vergessenen Konsonanten. Niemand hat bisher gewusst, welch formbarer Stoff die Sprache ist! Er ist einer der wenigen echten Avantgardisten dieses Jahrhunderts!“
(aus einem Essay von GERTRUDE VON FALLERSLEBEN über Klaus Kinski)
,,Um diesem künstlerischen Anspruch gerecht zu werden und Kinskis ureigene, kraftvolle Sprache nicht zu verfälschen, wurde das Werk auch dort nicht abgeändert, wo es den konventionellen Sprachgebrauch verlässt.“
(ANMERKUNG DES VERLAGES)
All dieses weckt beim Leser gewisse Erwartungen an das sprachliche Format der Biographie, und ob dieses so auch zutrifft, möchte ich anhand einiges exemplarischen Textauszuges hinsichtlich folgender Aspekte untersuchen:
Syntax(Parataxe/Hypotaxe)
Wortstellung
Wortwahl,Stil
Diesbezüglich möchte ich als erstes Beispiel eine Textpassage wählen, die, inhaltlich wie sprachlich, überaus typisch für die letzten Seiten des Werkes ist(s.461-462).
Augenfällig ist hier zunächst , wie der unglaubliche, inhaltliche Sarkasmus seine Umsetzung ins Sprachliche erfährt. Ausrufe nutzt er hier als sprachliches Mittel, ebenso wie eine kurze, minimalistische Satzsyntax, die die hier dargestellten Ansichten allein ihrer schieren Knappheit wegen aufs Trefflichste darstellt. Erwähnenswert ist auch, dass hier im Gegensatz zu dem typischen Textauszug aus ,,Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ die Satzgefüge überwiegend Unter- und Überordnungen sind, z.B. ,, Wenn sie selbst getötet wurden, bekamen dieselben Mütter, die sie geboren hatten, die Auszeichnungen für ihre Söhne.“ Dieser Verzicht auf Parataxen lässt sich logisch ergründen, denn in diesem Fall wirkt ein in sich verschachteltes Satzgefüge eher unterstützend für die Argumentation als Eines mit lose beigeordneten Sätzen.
Die Wortstellung lässt stellenweise die Regeln und Gesetze der deutschen Grammatik hinter sich, ebenso wie die üblichen Zeichensetzungsregeln. So z.B. bei folgendem Zitat: ,, Ja ,für Rekordhungern während hungernde Kinder keine Preise enthalten.“ Normalerweise fehlt hier ein Kommata. Doch dem üblichen Sprechrythmus entspricht Kinskis Art deutlich eher.
Auch charakteristisch ist, dass die Satzsubjekte wie bei einer Aufzählung bei dieser konkreten Textpassage so weit am Anfang wie irgend möglich gesetzt wurden, wobei auch bei dieser Maßnahme einige grammatikalische Regeln verletzt wurden.
Was daraus resultiert ist in diesem Fall eine Art Aufzählung.
Und so bleiben einige Sätze ohne direkten Anschluss an das vorhergegangene und ohne Verben:
,, Dann der Führerschein als Preis fürs gute Fahren. Plaketten für unfallfreies Fahren.“
Dieser gesamte Stil, zusammengesetzt aus abgehackten, nicht vollständigen, grammatikalisch nicht ganz korrekten Sätzen entspricht in etwa dem üblichen mündlichen Sprachgebrauch, und genau dasselbe gilt auch für die Wortwahl. Kinski benutzt Wörter und Phrasen, die in diesem Kontext nicht unbedingt angemessen sind. Simple, umgangssprachliche Bezeichnungen für Geschlechtsorgane wie z.B. ,, Schwanz“ und ,,Hoden“ zählen ebenso dazu wie abwertende Bezeichnungen wie z.B. ,,Müll“ oder ,,Preis-Ramsch-Touren“.
Die Intention hinter der Anwendung dieser einfachen, aber doch für den schriftlichen Sprachgebrauch eher einfachen Sprache ist folgende:
Kinski will und wollte nie unbedingt zu den angehimmelten Superstars der Branche gehören, was aus der hier behandelten Textpassage auch deutlich herauszulesen ist.
Und genau deshalb nutzt er eine anfeindende, ihm eigene Sprache, die sich sehr weit vom schriftlich Üblichen entfernt und schon fast umgangssprachlich ist. Es wirkt stellenweise so, als würde Kinski einem gegenüber sitzen und dieses erzählen.
Das Motiv der Abgrenzung vom Rest seines Berufsstandes ist immer wieder Thema, gerade zu dem Zeitpunkt, als er anerkannt und erfolgreich war, es aber nicht sein wollte.


Kurz zusammenfassend lässt sich zu der Sprache dieses kurzen Textbeispiels Folgendes sagen: Sie ist einfach aber unkonventionell und fast umgangssprachlich.
So ist es simpel, die Gedankengänge und die Argumente, zumal die Argumentation eher spärlich ausfällt, nachzuvollziehen.

KINSKIS PHASEN IN DEN BIOGRAPHIEN

Menschen, die eng mit Kinski gearbeitet haben oder allgemein mit ihm zu tun hatten, sprechen allgemein von 2 künstlerischen Schaffensphasen Kinskis- eine, in der er sich mit Dostojewskis Idioten und dem Rattendichter Villon identifiziert, und eine, in der er sich mit dem Teufelsgeiger Paganini zu identifizieren pflegte.
Zunächst einmal ist diesbezüglich anzumerken, dass beide Phasen das Handeln Kinskis in jeglicher Hinsicht zu bestimmen schienen.
Dostojewskis Idiot ist eine Figur, die sich stets im Wandel befindet, stets in der Armut, stets im Konflikt mit geltenden Werten. Und genauso inszeniert sich Kinski in seiner frühen Schaffensphase, die sich ungefähr vom Anfang seiner Karriere bis in den Höhepunkt, also bis in die frühen 70er Jahre, durchzieht. So mietete er sich zum Beispiel in Berlin einen Dachboden, schmiss dort mit Blättern um sich und blieb immer nackt.
Derartige Extreme des künstlerischen Ausdrucks finden sich besonders in dieser stürmenden, drängenden Phase.
Der Rattendichter Villon wurde vor allem deshalb so gerne von Kinski zitiert, weil die in den Gedichten vorhandene Darstellung von Armut und Leid Kinski im besonderen Maße zusagte, hatte doch auch er in seiner Kindheit und Jugend mit der Armut zu kämpfen.
Der berühmte Teufelsgeiger Paganini entsprach Kinskis Selbstbild derart, dass er 1991 ,,Kinski Paganini“ schuf, einen Spielfilm, in dem er selber den Teufelsgeiger verkörpert. 2 Grundelemente bestimmen diese Phase: Sex und Philosophie. Denn Paganini war nicht nur Frauenschwarm, sondern auch ein nachdenklicher Mensch, und beides passte auch gut zu Kinski, dem es gerade in späteren Jahren sehr gefiel, sich mit weit jüngeren Damen zu umgeben.
Und es gilt wegen dieser starken Identifikation auch, die Spuren dieser in den beiden Biographien zu suchen.
Inwieweit beeinflusst Dostojewskis Idiot beziehungsweise Villon ,,Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“, und inwiefern beeinflusst Paganini ,,Ich brauche Liebe“?
Diese beiden Fragen sind an und für sich recht schnell beantwortet.
Die Schilderungen seiner Kindheit sind voll von Armutsbekundungen, Ausrufen, Wehklagen:
,, Ich weiß, dass Stehlen verboten ist, da genügt mir. Ich passe auf. Sobald ich genug gestohlen habe springe ich mit meiner schweren Bauchtasche ( was mir den Beinamen Känguruh einträgt) nach Hause. Wir schlafen zu sechst in einem Zimmer und in einem Bett.“(S. 25)
Dies ist klares Indiz für die Darstellung seiner Armut, die sich eigentlich recht lange durchzieht. Er betont immer wieder, aus welch ärmlichen Verhältnissen er stammt.
Ein Kapitel in ,,Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ trägt sogar den Titel ,,Villon, das bin ich.“
Thematisiert werden hier die ersten Rezitationsauftritte, die ja vor allem Villon Rezitationen waren.
Auf seine Identifikation mit Paganini geht er in ,,Ich brauche Liebe“ weitaus konkreter ein:
,,In Wien stehe ich vor einer Vitrine, in der Geigen zum Verkauf aushängen. In einer Ecke der lehnt eine gerahmte, zirka 30cm hohe Abbildung eines ungewöhnlich aussegebdeb Mannes. Sein Gesicht ist wild und von Leidenschaft verwüstet… >Die schwarzen Schöße meines verknitterten Fracks, den ich seit 30 Jahren nicht gewechselt hatte…meine rabenschwarzen Locken, die mir über die Schultern flattern… in meinem grotesk verrenkten Körper ist eine Hölzernheit… gleichzeitig wie ein verrückt gewordenes Tier.. Meine langen Arme und riesigen Hände erscheinen herabhängend noch verlängert mit dem Geigenbogen in der einen und der Geige in der anderen Hand … Mein hässlicher Kopf mit dem zahnlosen, zynisch verzerrten Mund … Mein schreckliches Gesicht - das durch das fahle Rampenlicht noch gemarterter erscheint- in welchem unauslöschliche Zeichen tiefer Besorgnis, Genie und Hölle begraben sind … Aber meine ganze schauerliche Erscheinung ist vergessen- und keine Ehefrau zögert auch nur einen Augenblick ihren Mann mit mir zu betrügen- wenn ich meine Geige unters Kinn setze und anfange zu spielen …< Ich muss sehr lange vor der Vitrine gestanden haben, da bereits die Abenddämmerung angebrochen ist. Ich gehe in das Geigengeschäft und frage den Ladenbesitzer, wen die Person auf der Abbildung darstellt. Er sagt: >>Paganini.<< Ich stürze aus dem Geschäft. Ich weiß, dass ich Paganini war.“(S.448)

FAZIT

Beide Biographien sind ein einziger Rausch für den Leser, unterhaltsam, anregend, aufregend, aber gleichzeitig auch vulgär und niveaulos und im Grunde genommen nur ein Instrument Kinskis, um sich selber und seine Abnormität zu vermarkten, und deshalb tendiert der Wahrheitsgehalt vermutlich gegen 0, wie auch schon Werner Herzog in seinem Dokumentarfilm ,,Mein liebster Feind“ anzumerken wusste. Dementsprechend haben es auch beide Versionen dieses merkwürdigen Buches nie geschafft, wirklich Einfluss auf die Literatur zu nehmen, und das ist sehr schade, denn eigentlich ist das sprachliche Niveau und die Art wie Sprache hier funktioniert mindestens ebenso bemerkenswert wie der Unterhaltungsgrad.
Andererseits ist es auch faszinierend, wie Kinski es geschafft hat, seinen Lebenswandel und seinen gewachsenen Anspruch an sich und das Leben auszudrücken. Allein die inhaltliche Fixierung in den jeweiligen Sinnabschnitten auf bestimmte Lebensteilbereiche unterstreicht dies. Kurzum belegen aber beide Biographien vor allem eins: Kinski ist und bleibt auch nach seinem Tode die kürzeste Verbindung zwischen Kunst und Trashkultur. Die Grenzen, die er gesprengt hat, werden bis heute selten übertreten, und genau das reflektieren beide Fassungen seines biographischen Werkes. In keinem anderen Buch findet man derart philosophische Betrachtungen zur gegenwärtigen Kultur im braven Miteinander mit fast pornographischen Beschreibungen des Geschlechtsaktes.
Das macht den Reiz aus: Diese scheinbaren Gegensätze so eng beieinander zu sehen.
Die gesamte literarische Qualität des Inhalts ist aber eher niedrig, dasselbe gilt für den Wahrheitsgehalt.
Denkansätze verschwinden irgendwo im Nichts, sind abgehackt, vieles ist fast schon zu simpel dargestellt und einfach nur banal. Dies gilt für beide Biographien gleichermaßen.
Auch die Übertragung der in dieser Facharbeit erarbeiteten Ansätze auf Biographien im Allgemeinen ist nur schwer möglich, da Kinski alles selber geschrieben hat- kein Ghostwriter wie etwa bei Dieter Bohlen, Naddel und Konsorten hat hier Hand angelegt. Deshalb hat dies alles eine gänzlich andere Dimension als bei heutigen Biographien.
Und Kinski ist so oder so einmalig in der Geschichte der Menschheit:
,,So einen wie den Kinski gibt es nur einmal und wird es auch nur einmal geben!“
Werner Herzog

Anmerkung:
Große Teile dieses Berichtes entstammen meiner Facharbeit ,, Klaus Kinskis Biographien im Vergleich- WIE EIN MENSCH SEIN LEBEN UMSCHREIBT\"

ERSTVERÖFFENTLICHUNG BEI CIAO!

13 Bewertungen, 1 Kommentar

  • ookasan

    26.03.2005, 14:23 Uhr von ookasan
    Bewertung: sehr hilfreich

    Facharbeit...meine wär leider nicht so hilfreich wie deine anscheinend bei deinem Bericht - find ich cool