Krimis Testbericht

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Erfahrungsbericht von nEOnfIrE

Bestimmter Tod

Pro:

hat viel Spaß gemacht!

Kontra:

hatte noch keine Erfahrungen und mag die Story inzwischen nicht mehr...

Empfehlung:

Nein

Das ist der Anfang meines Krimis, der in Buchlänge geschrieben werden soll. Allerdings habe ich ihn abgebrochen, da ich mich seit Nov. '99 auf die SF&Fantasy-Story "Crystal Yorkshire" konzentriere, die ich mal als Buch veröffentlichen will. "Bestimmter Tod" ist also unabgeschlossen, gar noch recht kurz und nur so aus einer Laune heraus geschrieben. Außerdem hatte ich zu der Zeit, wo ich auch noch sehr jung war, noch keine Erfahrungen in Sachen Schreiben. Aber vielleicht schreibe ich ja irgendwann mal daran weiter. Also, wen es interessiert, der kann es sich ja mal durchlesen!

Ich rannte so schnell wie ich nur konnte. Ich keuchte. Und stöhnte. Die Beine taten mir weh. Und machte ich zwischendurch mal eine Pause und ging im normalen Tempo weiter, so war ich trotzdem nur noch in der Lage, an den unerträglichen Schmerz zu denken, der durch meine Beine in mir hochstieg. Ich konnte einfach nicht mehr.
Nein, ich wurde nicht von Terroristen verfolgt. Ich hatte bloß mal wieder verschlafen und daher den Bus verpasst. Diese verdammten rechteckigen Dinger bleiben ja nur EINMAL vor Schulbeginn kurz an den Haltestellen stehen, um kleine faule Kinder aufzunehmen.
Wozu ich sagen muss, dass ich nicht zu faul war, zur Schule zu marschieren, aber ich hätte dann jeden Wochentag zweimal eine Strecke von 3 Kilometern zurücklegen und dabei immer die Zeit einhalten müssen. Also nahm ich jedesmal den Bus, sofern ich früh genug an der Haltestelle ankam.
Ich gebe zu, ich war ein unzuverlässiger Mensch. Als 14jähriges Mädchen führte ich ein Leben mit haufenweise Problemen, die entweder mit meinem Aussehen, mit der Schule oder mit Jungs zu tun hatten. Oder natürlich mit meinen liebevollen Eltern.
Ich haute auf die Klinke, so dass die Tür sich ruckartig öffnete. Frau Schultz schaute auf. Sie stand an den Pult gelehnt und hatte die Hände gefaltet. Vorwurfsvoll guckte sie mich jetzt an. Gestresst ging ich an ihr vorbei und begab mich zügig auf meinen Platz. Stille. Niemand sagte etwas. Hatte ich irgendetwas falsch gemacht?
Okay, ich war wieder zu spät gekommen. Aber das tat ich öfters. Frau Schultz kannte mich doch bereits gut. Sie trug mich dann jedes Mal genervt ins Klassenbuch ein und das war`s.
Diesmal nicht. Stille. Das Klassenbuch lag geschlossen auf dem Pult und schlief. Alle starrten mich an. Keiner sagte etwas. Und Frau Schultz sah mich immer noch voller Vorwurf und Entsetzen an. Stille. Sie war so laut, dass ich mir beinahe die Ohren zugehalten hätte.
Erst Karolin war in der Lage, uns von diesem Bann zu befreien.
„...und bitte, lieber Gott, beschütze ihre Angehörigen und gib´ ihnen Trost, auf dass sie über dieses unglückliche Geschehen hinwegkommen. Gib´ ihnen Kraft und Mut, weiterzuleben. Tamara wird immer in uns sein. Amen.“
Und die ganze Klasse rief: „Amen!“
Oje. Ich hatte die Klasse 8b, meine lieben Schulkameraden, doch wohl nicht in einem Gebet gestört? Welch Sünde!
Die Stille war inzwischen wieder verschwunden. Alle gaben sich wieder dem Unterricht hin. Auch Frau Schultz hatte eben laut ‚Amen!‘ gerufen. Wenn ich mich nicht irre, hatten wir doch aber jetzt Mathematik und nicht Religion, oder benebelten mich nun meine sonst arbeitslosen Gehirnzellen?
Jeder nahm sein Heft mit den Hausaufgaben heraus. Frau Schultz machte mit dem Unterricht weiter wie gewohnt. Wir korrigierten und besprachen die Hausaufgaben, fingen ein neues Thema an und legten das Datum für die nächste Klassenarbeit fest. Eine völlig normale Unterrichtsstunde, die mich gerade DESWEGEN so wundern ließ. Warum hatte sie mit der Klasse gebetet?

Die Antwort darauf bekam ich erst nach Schulschluss. Ich wollte gerade zusammen mit Sabrina nach Hause gehen, als ich Frau Schultz nochmal am Eingang traf.
„Linda, kommst du bitte mal kurz mit ins Lehrerzimmer?“
Wahrscheinlich musste sie mit mir über mein Zuspätkommen reden - passierte ja auch viel zu oft, ich weiss. Aber bitte, Frau Lehrerin, haben Sie Erbarmen! Sowas darf doch keinen Einfluss auf die Note haben. Ich werde mich bessern, versprochen!
Ja, genau DAS würde ich ihr sagen...
„Ich gehe dann schon mal vor...“, sagte Sabrina.
Im schnellen Schritt machte sie sich ohne Abschied auf den Weg. Es klang so, als könnte sie sich denken, worüber Frau Schultz mit mir reden wollte. Na ja, ich war wahrscheinlich das schlampigste Mädchen an der ganzen Schule wegen meines ständigen Zuspätkommens. Wen kümmert das schon!
Im Lehrerzimmer hielt sich sonst keiner auf - nur Frau Schultz und ich.
„Setz dich doch.“, sagte sie.
Ich setze mich.
Sie ließ sich ebenfalls auf einem der harten Stühle fallen und faltete erneut die Hände. Ihr Blick war kalt. Sie sah nicht wütend aus. Oder gar aufgeregt oder genervt. Einfach nur kalt.
„Tamara ist tot.“, sagte sie.
Sie sagte es plötzlich und ohne jegliche Regung.
Im ersten Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Auch sie schwieg und starrte mich dabei nur weiter an.
„Frau Schultz, Sie wissen doch, dass Tamara oft wegen ihrer Krankheit fehlt...“
„Nein, Linda. Sie ist tot.“
Es war kein Gefühl in ihrer Aussage. Keine Furcht, keine Trauer.
„Ich bitte dich, red´ dir nichts ein. Sie ist heute Nacht tot in der Bachstraße aufgefunden worden. Ich weiss nicht, ob es wegen ihrer Krankheit so gekommen ist. Ich weiss es nicht! Sie lag da seit einigen Stunden unbemerkt und ohne sich zu regen.“
Ohne sich zu regen. Wie Frau Schultz jetzt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man sowas seinem Schüler so herzlos und ohne Rücksicht mitteilen kann. Den Tod einer sehr begabten, freundlichen und hochkranken (!) Schülerin. Sicher war, dass sie bis jetzt noch nicht die Gelegenheit dazu gehabt haben konnte, sich auszuheulen und tausendmal ‚Warum? Ja, WARUM?!‘ gegen ihre Zimmerwand brüllen konnte, denn sie muss es als Tamaras Lehrerin auch erst heute Morgen erfahren haben.
Tamara war schon immer krank gewesen. Es war für jeden aus unserer Klasse normal, wenn sie mal für mehrere Tage in der Schule fehlte. Einmal war es auch für 8 Wochen. Selbst in der Schule bekam sie oft Schwächeanfälle und konnte sich dann nicht weiter am Unterricht beteiligen, was sich natürlich auch stark auf ihre Zensuren auswirkte. Sie wurde dann entweder von ihrer Mutter abgeholt oder erholte sich für 2-3 Stunden im Arztzimmer. Auch in der Freizeit hatte ich nie Gelegenheit, etwas mit ihr zu unternehmen. Sie musste sich immer zu Hause ausruhen und durfte nur von ihren privaten Ärzten besucht werden.
Obwohl sie uns nie genau sagen wollte, was ihr fehlte - vielleicht KONNTE sie es nicht - kümmerten wir uns eifrig um sie. Wir halfen ihr beim Treppesteigen - dafür war sie in der Regel zu schwach. Sie war deswegen aber nie eine Aussenseiterin. Wir wussten, wann wir sie in Ruhe lassen zu hatten, um sie nicht allzu sehr aufzuregen oder geistig anzustrengen, und auch die wilden Jungs nahmen in diesem Fall volle Rücksicht auf sie.
Frau Schultz, unsere Mathe- und Deutschlehrerin, verstand sich besonders gut mit ihr. Sie war beeindruckt von Tamaras Mut und ihrem Sportsgeist. Tamara versuchte immer, überall mitzumachen und auf dem neuesten Stand zu bleiben. Selbst all den Stoff und die Klassenarbeiten während der 8 Wochen hatte sie in Kürze nachholen können. (Wenn das jeder Schüler könnte, hätten wir sicherlich nur 4 Monate im Jahr zur Schule gemusst...)
Für einige weitere Minuten war die Stille zu uns zurückgekehrt und umhüllte mich erneut. Ich wusste immer noch nicht so genau, ob ich jetzt ‚Es musste ja so kommen.‘ oder ‚Das ist ja traurig.‘ sagen sollte.
Traurig war es wirklich, doch es war nicht nur das, es war mehr. Es war viel schlimmer. Es war unerwartet, unverhofft und ungeplant.
Natürlich kam es unerwartet! Selbst als Mutter oder sonstiger enger Angehöriger erwartet man wegen einer Krankheit doch nicht den Tod dieses Mädchens!
Natürlich kam es unverhofft! Eine Großmutter oder verheulte Tante, die im Krankenhaus neben dem Bett des armen kranken Mädchens auf einem Stuhl sitzt und ‚Oh, bitte,bitte, lass sie sterben, auf dass sie keine Schmerzen mehr ertragen muss!‘ kann ich mir einfach nicht vorstellen.
Und, sicher, was ich hoffte, es war wenigstens ungeplant. Was mir nämlich ebenfalls nicht in den Sinn kam, war ein durchgeknallter Arzt, dessen Affäre mit der hübschen blonden Krankenschwester aufgeflogen war, weil Tamaras kleiner Bruder die beiden im Büro erwischt hatte, als er sich einen Lolli holen wollte, und daher aus Rache etwas ‚Süßes‘ in Tamaras alltägliche Spritze tat, so dass sie dann bei ihrem Spaziergang in der Bachstraße auf einmal tot umfiel. Nein, solch eine Story mit so viel Action passiert hier in Bremen nicht.
Aber was sollte ich sagen? Es musste ja so kommen?! Tut mir leid, sowas würde ich selbst dann nicht sagen, wenn es stimmen würde. Gehört sich nicht. Aber was KONNTE ich sagen?
Mädel, merk dir eins: Wenn dir nichts einfällt, ist es wohl besser, zu schweigen. Wenn du aber unbedingt etwas sagen WILLST, so stell deinem gegenüberstehenden und erwartungsvoll guckenden Gesprächspartner halt einfach eine Frage!!!
„Sind Sie traurig deswegen, Frau Schultz?“
Plötzlich wurde mir heiss. Oh Mist! Ich bin sicher etwas rot dabei geworden. Das klang wie die Frage eines Teletubbies an sein Kaninchen, dessen Karrotte soeben in den Dreck gefallen war!
Frau Schultz regte sich noch immer nicht. Und ich mich auch nicht. ICH sah aus wie der Gesprächspartner mit dem erwartungsvollen Blick.
Auf einmal fing sie an so laut loszuheulen, dass ich vor Schreck zusammenzuckte. Ich war überrascht. Es war bereits mein 8. Jahr, in dem ich die Schule besuchte, aber es war das erste Mal, dass ich einen Lehrer weinen sah. Aber sie konnte es gut. Sie heulte sich sehr laut und leidenschaftlich die Augen aus. Oder war sie bloß eine begabte Schauspielerin? Nein, dann wäre sie sicher nicht Mathelehrerin geworden!
Je unerwarteter ich diese Erfahrung nun machte, desto schockierter war ich.
Sofort sprang ich hoch, drehte mich zur Tür, riss diese auf und rannte (so schnell ich nur konnte) nach draussen. Ich rannte den Weg nach Hause. Den Weg, den auch Sabrina vor 20 Minuten gegangen war.

„Na, mein Schatz, wo warst du denn?“, fragte mich meine Mutter als ich die Haustür hinter mir schloss. „Es ist schon halb drei.“
„Ach, lass mich, Mama.“
Ich ließ meinen Rucksack fallen. Sie schaute mich verwundert an.
„Ansonsten komm ich doch auch nur 10 Minuten oder so früher.“, sagte ich und begab mich im schnellen Schritt und ohne sie dabei anzugucken in mein Zimmer.
Mein Zimmer. Mein Schutzbunker. Nur hier konnte ich mich richtig geborgen fühlen und war vor den Atombomben sicher, die meine Eltern und mein kleiner Bruder tagtäglich gezielt auf mich abfeuerten. Mein Zimmer wehrte alles Unerwünschte ab. In geheimer Zusammenarbeit mit meinem Zimmerschlüssel und dem Schloss natürlich.
Und mein einzig wahrer Freund, der mir dabei half, diese schlimme Kriegszeit zu überstehen, war, ausser Sabrina, mein Hund Dolly. Ja, Dolly war immer für mich da. Wer ist es nicht gewohnt, die Bezeichnung ‚Der beste Freund des Menschen‘ für den Hund zu hören. Dolly war nicht so etwas wie ein einfaches Haustier für mich. Aber ich konnte sie auch nicht als meine Schwester oder gar Ersatzmutter bezeichnen. Sie war etwas viel Wertvolleres. Halt mein bester Freund. Ausser Sabrina. Dolly hatte immer ein offenes Ohr für mich. Dolly widersprach mir nie und sie hörte mir immer aufmerksam zu. Dolly konnte mir ohne Worte zu benutzen Trost und Wärme geben, wenn ich es brauchte. Und ich brauchte es immer. Jeden Tag. Dolly vermisste mich immer und freute sich riesig, wenn ich wieder nach Hause kam. Dolly war die einzige, die zu Hause sehnsüchtig auf mich wartete. Dolly war unterhaltsam und gleichzeitig auch geduldig. Sie hatte so viel an sich, das kein Mensch je haben wird. Sie gab sich immer zufrieden mit dem, was sie hatte und kannte nicht sowas wie Wut. Sie kannte nur Reue... und Liebe. Ich war so hungrig nach Liebe! Aber besonders in dieser Zeit, der Zeit der Pubertät, konnte ich solch eine Liebe, die mich hätte sättigen können, nicht bei meinen Eltern (oder gar meinem Bruder) oder sonstigen Angehörigen finden. Nur bei Dolly. Ach, wie oft sah ich ihr gerne dabei zu, wie sie zufrieden an ihrer Ente kaute. Sie sah dann richtig putzig aus. Ihr braunes Fell glänzte in der Sonne und war so geschmeidig. Sie war eine drollige Cockerhündin. Und deswegen hieß Dolly auch Dolly. Weil sie so drollig war.
Und das blieb sie auch nach dem Umzug. Zwischen all der Hektik.... sie blieb immer ruhig.
Bei Sabrina konnte ich ähnliche Zuflucht finden. Klar, es gab manchmal Uneinigkeiten, aber sowas ist zwischen zwei Menschen unbedingt erforderlich, wenn sie als noch einigermaßen normal gelten wollen.
Ach, wie schrecklich war das doch alles zu der Zeit... wie sehr hatte ich, ja ich, zu leiden und ganz allein mit meinen Problemen klarzukommen!
Ach, ich hatte es wirklich nicht leicht. Wehrlos und zum Teil unbewusst lag ich da... in den Matsch geworfen... verstoßen und eines grausamen Lebens verurteilt, das viel schlimmer war als der Tod! Und wieso? Wieso immer ich?!
Ich musste immer wieder an Dennis denken. Schon seit 2 Jahren schwirrte er - ohne es zu wissen - wie eine kleine Biene in meinem Kopf herum.
Mein Vater hatte sich seit Wochen nicht mehr gemeldet. Seitdem er nach Koblenz gezogen war, hatte er sich immer mehr von Mutti und mir abgekapselt. Am Anfang hatter er mich jeden Abend angerufen. Doch dann wurde es immer weniger und somit unregelmäßig. Und ICH durfte nicht anrufen. Mutti hatte es mir dann jedesmal ausdrücklich verboten.
Dagegen widersprach ich dann auch nicht mehr und ich versuchte auch nicht, es heimlich doch zu tun. Ich wollte nicht NOCH mehr Konflikte mit ihr haben.
Denn ich war nicht streitsüchtig. Ich vermied Auseinandersetzungen jeglicher Art, sofern ich es KONNTE!
Ähhm...
Es soll ja letztens irgendwann irgendwie bewiesen worden sein, dass stillere Leute sich schneller aufregen‘.
Ich bin still. Und rege mich schnell auf.
Ob ich den Leuten bei der Forschung damit einen Gefallen tun könnte, wenn ich zu ihnen hingehen und stolz von dieser Tatsache erzählen würde, so dass das ein weiteres Beispiel für ihre Behauptung... Tschuldigung, für ihren Beweis wäre und sie damit einen gewaltigen Schritt machen würden und dies der Entwicklung der Technik dienen könnte, ist ja im Moment nicht so wichtig.
Nein, für sowas hatte ich jetzt wirklich keine Zeit. Ich hatte andere Sorgen. Die Tatsache, dass ich mich superschnell aufrege, wollte ich nicht für irgendeine Entwicklung der Technik, sondern für MEINE Fortbildung verwenden! Ich hatte an mir selbst zu arbeiten - sollten sie doch so lange Teletubbies erforschen. Meinetwegen auch den Hasen. Oder die Karrotte.
Ja, ich rege mich schnell auf!!!
Aber an den Streitigkeiten war einzig allein meine Mutter Schuld. Sie wusste von meiner bei der Forschung vielleicht erwähnenswerten Tatsache und reizte mich deswegen immer extra. Wir mochten uns halt nicht besonders.
Sie selbst war aber auch nie das Gelbe vom Ei gewesen. Beherrschen konnte sich keiner von uns beiden... und wir waren BEIDE eingebildet... vielleicht war DAS unser Problem. Ach, was kann es nicht für herrliche Diskussionen geben, wenn jeder Gesprächspartner immer Recht und das letzte Wort haben muss. Besonders wenn es um Sachen wie zum Beispiel die gute alte Schule geht.
Und...
Die Tür ging auf. Mutti lugte durch ihr zu mir herein. Mit ihrem bekannten Lass-uns-doch-mal-wieder-als-Mutter-und-Tochter-einen-Einkaufsbummel-machen-und-danach-noch-zu-McDoof-gehen-Blick guckte sie mich an.
„Nein!!!“, rief ich entschlossen.
Als sie merkte, dass ich schon genau wusste, was sie wollte, lächelte sie.
Jetzt fing auch ich an zu lachen.
Ja, ich lachte. Herzhaft.
Sie lachte auch. Wir beide lachten. Nur Dolly lachte nicht. Die lag verträumt in ihrem Korb.
Schließlich warf ich meiner Mutter ein Kissen an den Kopf.
Verdutzt legte sie es auf meinen Schreibtisch.
„Na warte!“, rief sie und kam zu mir ans Bett.
Sie fing an, mich erbarmungslos durchzukitzeln. Mir lachten noch lange, bis uns die Puste ausging und... ja... wir gingen danach tatsächlich zu McDoof.


Ich sprang erschrocken wie nach einer Wiederbelebung durch einen oder mehrere Elektrizitätsschläge auf der Intensivstation auf.
„Scheisse! Schon halb acht!!!“
Ohne dabei die für einen gesunden Körper empfohlenden Regeln vom Orthopäden zu beachten, richtete ich mich auf und verließ verträumt mein Bett.
Benebelt watschelte ich ins Badezimmer - nein, erstmal rannte ich volle Kanne gegen die Tür - und begann vergnügt mit der alltäglichen Katzenwäsche.
Kräftig durchgeschrubt kam ich wieder in mein Zimmer und zog mir was Nettes an. Dolly lag noch in ihrem Körbchen und schlief.
Und ich... ich musste jetzt ohne Frühstück zur verdammten Schule eilen. Ach, Hunde haben`s schon gut! Schlafen wann und wie lange sie wollen. Essen und Unterschlupf müssen sie auch nicht finanzieren. Versicherung, Spielzeug, Leckerlies von Pedigree Pal... alles bezahlt der/die Alte für sie. Na ja, dafür bekommen sie meistens auch nur einmal am Tag was zu Essen...
Es war ein schöner Tag. Der Frühling hatte vor einigen Tagen damit begonnen, sich auszubreiten. Die Vögel zwitscherten, die Blumen blühten und die Sonnenstrahlen schimmerten durch die Blätter der hohen kräftigen Bäume durch. Sowas lieben wir doch alle. Sowas vermissen wir doch jeden Herbst so sehr. Es verleiht doch jedem von uns eine wunderbare Stimmung. Es verbreitete eine so ruhige und friedliche Atmosphäre und machte die Menschen ohne Worte gut gelaunt. Ach, es war ein schöner Tag. Der Tag nach Tamaras Tod.
Ich kam zum Glück noch vor Frau Schultz an. Und fürs leibliche Wohl war auch gesorgt - ich hatte im Keller noch zwei Müsliriegel finden können. Das war aber auch das Einzige, was ich finden konnte. Mama war nicht da. Ihre Jacke auch nicht. Und Kevin? Der schlief sicher noch. Der musste ja unerklärlicherweise jeden Tag zur zweiten oder dritten Stunde in der Schule sein. Aber es war wirklich niedlich, wenn ich nach Hause kam und er mir dann stolz ein Blatt mit einem großen ‚A‘ drauf unter die Nase hielt. Traurig wurde die Szene bloß immer dann, wenn ich es als ein ‚B‘ erkannte. Ich wusste nie, ob er dann enttäuscht von MIR oder von SICH SELBST in sein Zimmer schlenderte.
Zufrieden betrat ich den Klassenraum.
„Na, mal wieder zu spät, die Linda.“, nörgelte die olle Tussi Lara.
„Halt die Klappe, du blöde Zicke, Frau Schultz ist noch gar nicht da!“, giftete ich zurück.
„Das ist es ja...“, sagte Sabrina hinter mir besorgt.
Ein dickes Fragezeichen bildete sich auf meiner Nase. Dann starrte ich wie angewurzelt auf die Uhr. Es war viertel nach acht.
Sofort stellte ich meine Tasche ab und ging zügig zurück zur Tür. Ich blickte in den langen Gang hinein. Er war zu beiden Seiten leer. Ich muss eben so in Eile gewesen sein, dass ich es gar nicht bemerkt habe. Der Unterricht hatte längst begonnen.
Als ich wieder bei Sabrina ankam, knallte die Tür laut zu. Herr Schmiedel stand vorm Pult.
Er wartete bis alles still war. Dann begrüßte er uns.
„Guten Morgen, Herr Schmiedel!“, riefen wir aus vollem Leibe wie beim Militär.
Er hatte uns schon einmal unterrichtet. Damals in Kunst.
„Ich werde euch für die nächste Zeit erstmal in den Fächern Deutsch und Mathematik unterrichten... als Vertretung von... von... ähh... ah ja, von Frau Schultz.“
Während man ‚Was ist denn mit Frau Schultz?‘ und ‚Wann kommt sie denn wieder?‘ fragte und danach geklärt wurde, welches Thema wir gerade in Deutsch durchnahmen, lief es mir eiskalt den Rücken runter. Frau Schultz war krank.
„Schwere Erkältung mit hohem Fieber.“
An einem schönen Frühlingstag. An dem Tag, wo Schmetterlinge schmetterten, Vögel vögelten, Blumen blumten, Gräser grasten, Raupen raupten, Bienen bienten und Maulwürfe auf der Wiese maulten. Kann passieren. So eine schwere Erkältung. Mit hohem Fieber. Kann jeden treffen. Sogar einen unserer vollkommenden, allwissenden, immer Recht habenden und unsterblichen Lehrer. Selbst an einem so schönen Frühlingstag.
Aber nicht an dem Tag nach Tamaras Tod.
„Jetzt holt mal bitte euer...“
Die Tür ging auf.
„Herr Schmidt?“
„SCHMIEDEL!!!“, brüllte Herr Schmiedel energisch.
„Ja, Tschuldigung, Schmiedel.“
„Ja...“
Herr Schmiedel starrte konzentriert auf sein Mathebuch, das er eben auf den Tisch gelegt hatte.
„Ich...“
Er setzte sich die übergroße Brille auf.
„Wo waren wir?“
„Herr Schmiedel...“
Der Junge stand immer noch an der Tür.
„Ja, ich weiss doch auch nicht mehr, was ich eben gerade gesagt habe!“
Herr Schmiedel klang wie der zerstreute Einstein, der während einem seiner Vorträge in der Mitte eines sehr großen Raumes stand und die Zettel mit den Notizen bei der Vorbereitung in die falsche Reihenfolge gebracht hatte und jetzt völlig aus dem Konzept gekommen und daher wütend auf die ganze Welt war.
Stille! Wo war Karolin?
„Bitte, Herr Schmiedel.“
Der Junge hüpfte ungeduldig im Türrahmen.
„Habt ihr Frau Schultz in Mathe? Oder Deutsch?!“
„In beiden, Herr Schmiedel!“, rief Lara artig.
„Aha...“
Er setzte die Brille wieder ab.
„Und welches Fach hättet ihr JETZT?“, wollte er wissen.
„Ähh... Deutsch!“, rief Sabrina.
„HERR SCHMIDT!“, schrie der Junge.
Stille...
Diesmal korrigierte Herr Schmiedel ihn nicht. Er guckte ihn bloß entsetzt an.
„Wer bist du... und was willst du eigentlich von mir?!“
„Henning Lange aus der 10b!“, sagte der Junge. „Sie sollen UNS jetzt vertreten!“
Herr Schmiedel blickte mich an.
„Ach, Scheisse, was ist denn das hier für `ne Klasse??“
„8b.“, meinte Lara jetzt.
Ohne ein Wort zu sagen packte Herr Schmiedel seine Sachen und folgte dem Henning. Und bevor ich überhaupt auf die Idee kam, jetzt darüber nachzudenken, ob der Einstein das auch so gemacht hätte, schreckte ich auf, als Lara plötzlich die Schultasche auf ihren Tisch knallte.
„Mir reicht`s jetzt! Ich geh´!“
Sie streckte mir die Zunge raus und verließ schließlich im Laufschritt die Klasse. Anstatt mich aber dermaßen aufzuregen und ihr wütend hinterherzustampfen, um wieder ‚Olle Zicke!‘ zu schreien, brachte ich ein fieses Lächeln auf. Ich empfand eine gewisse Schadenfreude. Denn ich wusste, Immer-lieb-tuende-aber-in-Wahrheit-böse-Lara war bloß beleidigt, weil ihr Plan als Superstreber wieder nicht geklappt hat!
Zufrieden saß ich noch für die nächsten 20 Minuten mit einem breiten Grinsen da, bis ich dann schließlich auch nach Hause ging. Die ganze Klasse ging. Denn Frau Schultz war nicht da. Sie würde auch nicht mehr kommen, an dem Tag nach Tamaras Tod. Sie war ja krank. Und Herr Schmiedel erst recht nicht. Und was mit den restlichen Lehrern geschehen würde, war jedem einzelnen von uns egal. Danke, Henning, danke!!!


Geschockt fuhr ich hoch.
„Oh Mist, schon halb neun!!!“, rief ich zu Dolly.
Ich hüpfte zur Tür und schrie: „Mama, wieso hast du mich nicht geweckt?!“
„Du hast heute frei, mein Schatz!“, rief sie vergnügt zurück.
„Echt?!“
„Ja, mein Schatz!“, sagte sie singend und entfernte sich wieder in die Küche, wo sie hingehörte, um weiter abzuwaschen.
Scheisse!! Frau Schultz war krank. Lebensgefährdet! ‚Es geht ihr den Umständen entsprechend...‘. So schlecht also?! Und Herr Schmiedel? Hatte mit der 10b zu tun. Doch was war mit all den anderen Lehrern unserer kleinen Schule? Alle von der Mafia entführt worden, ja! Sabrina musste meine Mutter heute früh angerufen haben:
„Die Aktion der SOS-Schüler unter dem Motto ‚Lehrer haben Recht auf Leben‘ ist fehlgeschlagen! Heute Morgen gab es einen Massenmord - die ganze Schule ist lahmgelegt!!“
Vielleicht lag der eine oder andere Lehrer ja noch irgendwo stöhnend im Keller rum und war kurz vorm Verbluten, da der Mafiaboss früher oft die Schule geschwänzt und somit viele Probleme in Sachen Zensuren bekommen hatte und ihnen aus Lehrerhass mit einem Schuss UNTER oder NEBEN dem Herz einen langen, qualvollen Tod bescheren wollte.
Ich war ein Mitglied der SOS-Schüler! Ich fühlte einen gewissen Drang. Ich war verpflichtet dazu, sie alle zu retten!!!
Sofort rannte ich zurück in mein Zimmer, zog mir rasch meinen roten Wollpulli und die dunkelblaue Jeanslatzhose an und hetzte dann die Treppe hinunter.
Nun noch schnell einen Apfel und `ne Banane in die Tasche gesteckt und los geht`s!
Als ich gerade die Tür aufmachen wollte, kam Kevin in seinem blau/weiss getupften Schlafanzug mit völlig verschlafenen Augen an.
„Was machste denn fürn Lärm??“
„Ich geh´ zur Schule, im Gegensatz zu dir.“, nörgelte ich.
„Jetzt?“
„Wann denn sonst.“
„Aber du hast doch heute frei!“
Sein kleiner linker Zeigefinger deutete auf den Kalender an der Pinnwand. Da stand es schwarz auf weiss. LINDAS SCHULE SCHILFTAG.
„Schilftag?!“
Kevin nickte bewusst.
„Das ist ein Tag, in dem sich nur die Lehrer für besondere Projekte in der Schule aufhalten.“, erklärte er mir stolz.
Anstatt jetzt aber ‚Das weiss ich auch, du Knirbs!‘ zu rufen, streichelte ich ihm über den Kopf. Doch obwohl es Schilftag und nicht Mafiatag war, hatte ich es eilig. Ich musste dringend zu Sabrina!
„Danke!“, rief ich Kevin zu, als ich bereits einige Meter hinter mir gelegt hatte.
Dieser grinste immer noch zufrieden, bis er nach Muttis ‚Komm rein, mein Schatz, sonst erkältest du dich noch‘ die Tür wieder schloss.
Er war schon niedlich, der kleine Kevin. Wenn er so weitermacht, könnte er ja später mal Arzt werden oder so.
Obwohl ich mit Erleichterung bis oben hin gefüllt war, da ich es nun nicht mehr mit der Mafia aufnehmen musste, konnte ich meine Stimmung mit der des Wetters vergleichen. Denn der Himmel war grau und es war, am zweiten Tag nach Tamaras Tod, recht kalt und windig.
Ich dachte daran, Frau Schultz zu besuchen, doch den Gedanken schlug ich mir sofort wieder aus dem Kopf. Wenn Lehrer erkältet sind, sollte man sie lieber nicht stören. Menschen sind bei einer Erkältung von Natur aus gereizt. Und besonders einen Lehrer wollte ich während so einer Erkältung lieber nicht treffen... Sind diese einmal schlecht gelaunt, hält sie nichts mehr auf!
Ich musste fünfmal klingeln, bis sich die Tür endlich öffnete. Unerwarteterweise stand Sabrinas Mutter vor mir.
„Was willst du denn hier?!“, fragte sie mich kaugummikauend.
Sie hatte ihre pinken Putzhandschuhe zusammen mit der grünen Schürze an und trug ein gelbes Kopftuch, in welches sie ihre dunkelbraunen Haare geknüllt hatte.
Beinahe hätte ich jetzt ‚Hmm... Ihre Tochter ist meine allerbeste Freundin auf dieser Welt und wir treffen uns jeden Tag und gerade heute, wo Mafia... ähh... Schilftag ist, ist uns ein Meeting gar früher als sonst ermöglicht worden... und als Ihre Tochter wohnt sie ja komischerweise auch noch hier... was kann ich DA bloß wollen?!‘ gesagt.
„Ähh...“
Ungeduldig schmatzte sie weiter mit ihrem Kaugummi rum.
„Ist Sabrina zu Hause?“
„SAABRIIINAAAA!!!“, schrie sie nach oben.
Und ihre Tochter kam sofort die Treppe runtergestürzt.
„Ja??“
Putz-Schrei-Mama zeigte auf mich herab und ging.
„Ah, hi Linda!“, begrüßte Sabrina mich voller Freude.
Erst als ich hinter ihr die Treppe hochging, wurde mir klar, dass die olle Putze damit eben anscheinend unseren Rangunterschied deutlich machen wollte.
Sabrina kaute an ihrem Füller rum, während ich die neue BRAVO SPORT las.
„Glaubst du, Frau Schultz kommt morgen wieder in die Schule?“
„Bestimmt.“
Diese Antwort war meine erste Lüge gegenüber Sabrina.
Ich blätterte die ganze Zeitschrift durch. Da war ein dreiseitiger Bericht von Häkkinen und Schumi, beide mit einem fetten Foto vertreten, auf dem sie breit grinsen.
‚Letztes Jahr hat Mika den Micha an der Nase herumgeführt - wie wird es diese Saison sein? Beide Firmen, Mercedes und Ferrari, haben durch ihre neuen geheimen Ausstattungen und Motoren unglaublich gute Chancen! Es ist unglaublich, aber wahr: 1999 gab es (, wenn der Schumi mal gerade mitmachte!!!,) ein aussergewöhnlich spektakuläres Duell zwischen den beiden Radelgöttern, die (fast) alle anderen Beteiligten (meistens) locker abschütteln konnten! Auf den folgenden Seiten gibt es jeweils ein megastarkes Interview mit interessanten Fragen zu euren Superhelden...‘
Nach einigen Seiten mit Basketballstars traf ich dann die aktuellsten Fußballergebnisse der Bundesliga. Sowas ist für ein 14jähriges Mädchen am Schilftag ganz besonders interessant. Ja, die ganze Zeitschrift war, auch ohne den Bildern, interessant. Es ist super geil, an einem freien Tag mitten in der Woche gleich nach einem kräftigen Frühstück, das man nicht hatte, einem Sportmagazin alle Infos auszusaugen. Sowas ist viel cooler als sich mit Nagellack vollzuschmieren und die geschmeidigen Haare mit kleinen sich festbeissenden Haarklammern kaputtzumachen... oder an einem Füller zu kauen. Ja, DAS musste der Anlass gewesen sein, der mich dazu bewegte, Interesse für diesen Stuss zu haben.
Sabrina saß jetzt vor ihrem Spiegel. Er war von kleinen Lämpchen umrandet, die an einem roten Rahmen angebracht waren. Zwischen diesem und dem Spiegelglas waren Bilder von Brad Pitt und Leonardo DiCaprio geklemmt. Meistens Fotos, auf denen sie als Joe Black und Romeo posieren. Und dann waren da noch kleine Zettel mit Telefonnummern drauf, über denen dann sowas wie ‚Mark‘ oder ‚Stefan‘ stand.
Sie setzte den Lippenstift an, und kurze Zeit später war ihre gesamte Oberlippe unter einem pinken Belag verschwunden. Sie prüfte mit dem Spiegel nach, ob es überall gleichmäßig verteilt war. Dann kam auch die Unterlippe. Und zum Schluss betrachtete sie sich von allen Stellungen und Variationen, mit denen sie sich in ihrem wertvollen Spiegel sehen konnte.
„Weisst du...“, fing sie an.
Ich versuchte, so auszusehen, als würde ich jetzt zu ihr aufschauen und sie eben nicht beobachtet haben.
„Ich finde, wir sollten heute einen Stadtbummel machen und anschliessend ins Kino gehn.“
„Meinetwegen.“, sagte ich mürrisch, denn ich war ziemlich lustlos und müde. „Aber nur wenn wir vorher noch ´ne Pizza frühstücken gehn können!“
Sie lächelte und nickte zustimmend.


Unten klingelte es an der Tür. Es war zwanzig vor sieben. Als ich endlich draussen ankam, war Sabrina bereits einige Schritte gegangen.
„Nun komm schon!“, rief sie mir zu. „Sonst sind wir wieder zu spät!“
„Hey, der Unterricht fängt doch erst um acht an.“
„Wenn wir das Referat heute wirklich halten wollen, dann müssen wir`s unbedingt vorher nochmal üben und ausprobieren, ob das mit dem Projektor überhaupt geht. Hast du die Folie dabei?“
„Ja...“, meinte ich genervt und verdrehte die Augen.
Sabrina und ich hatten heute ein Referat in Chemie über Farben zu halten.
Dazu hatten wir uns freiwillig gemeldet, da wir dieses Thema in der 8. Klasse schon mal ‚durchgenommen‘ hatten. Obwohl wir es damals nur in einer Vertretungsstunde mit Frau Wiete erklärt bekommen und absolut nichts davon verstanden hatten, haben wir uns schließlich dazu entschlossen, dieses verdammte Referat durchzuziehen, um die mündliche Note mal a bissel aufzubessern. Und gleichzeitig bestand die Chance, dieses ja so primitive Thema durch die intensive Beschäftigung damit endlich mal zu kapiern!
Man muss sich das bloß mal vorstellen: Zwei arme unschuldige aber wunderschöne Mädchen... nein, Frauen... kommen in der 11. Klasse immer noch nicht mit dem Prinzip der Farben klar. Dabei strengen die beiden sich doch so an! Sie sind verzweifelt... sie sind verlassen... sie sind allein und auf sich selbst gestellt! Sie sind in einer hoffnungslosen Situation, in einer verzwickten Lage, sie befinden sich am Rande des dunklen Abgrunds ohne Boden, in den sie täglich ein Fünf-Pfennig-Stück schmeissen, hoffen, dass es irgendwann aufkommt und ‚Ich weiss, dass da ein Boden ist!!!‘ schreien.
Ich wusste von dieser Tatsache seit der Vertretungsstunde...
„Das Blau, das beim Blau und Gelb ankommt, wird vom Gelb absorbiert, und das Rot vom Blau. Daher reflektieren sie beide nur das Grün, das bei der Mischung dieser beiden Farben übrigbleibt.“
„Aha.“, gab Dennis von sich.
Er hatte Recht. Bei einem guten Lehrer kommt es nicht nur auf das Wissen an. Man muss es seinen lieben, aufmerksam guckenden und immer gut aufpassendenen Schülern auch so erklären zu wissen, dass sie es kapieren können, als das es gut bis oberprofessionell klingt. Vor allem bei Schülern, die dieses Fach erst nächstes Jahr bekommen sollen. Sonst macht man sich doch nur unbeliebt. Interesse wecken muss man, darin liegt die Kunst!
„Dieses Ergebnis, in diesem Fall das Grün, wurde durch eine Art Mischung zweier Faktoren, in diesem Fall Blau und Gelb, erzeugt. Man nennt es die ‚subtraktive Farbmischung‘.“
Na ja, wenigstens war es `ne Relax-Stunde, denn es wurde ja immerhin nicht benotet. Und ausserdem durften wir uns danach noch niedliche Farbkreise basteln.
Bei Sabrina ging das noch, aber ich hatte deutlich nachgelassen, ohne dass ich das unbedingt wollte. Ich hatte meine Hausaufgaben nur selten gemacht und passte im Unterrich nie richtig auf. Zu den schriftlichen Noten möchte ich hier nun auch nichts weiter sagen...
Am Anfang jammerte ich rum, der Stoff wäre viel zu schwer und ich sei völlig überfordert. Doch wenn ich ehrlich bin, war es zu dieser Zeit ganz besonders schwierig, seine Gefühle in Schach zu halten. Mal ging`s mir wie Xena, mal auch wie ein Grummel.
Ob da nun Dennis oder Schwester Lara dran Schuld war, ist mir im Moment ziemlich egal gewesen. Fakt ist, dass es die ganze Zeit nur noch bergab mit mir ging, ich war ein Versager, obwohl ich ganz genau wusste, woran das lag.
Langsam fing ich an zu grübeln und kam immer mehr ins Wundern. Seit der Vertretungsstunde mit Frau Wiete, was 2 Wochen nach der ersten mit Herrn Schmiedel liegt, hatte es sich schließlich ausgewundert. Frau Schultz muss umgezogen sein. Eine andere Erklärung gibt es nicht, denn zu Hause, ja, Sabrina und ich hatten uns dann doch noch dazu entschlossen, mal bei ihr vorbeizuschauen, öffnete niemand. Wir hatten an mehreren Tagen endlos lang geklingelt, geklopft, gehämmert, gedrescht, geschrien - kein einziges Schwein antwortete. Niemand reagierte. Und so eine weiße Tür aus Holz mit so `nem vergoldeten Griff dran, den man einfach so drehen konnte, um die Tür zu öffnen, da nicht abgeschlossen wurde, war das leider auch nicht. Und, ja, die Fenster waren mit hellgrauer Farbe zugepinselt!
Von den Lehrern kam auch nichts mehr. Taten doch tatsächlich so, als würde alles wieder gut werden, wenn sie uns jede Woche andere Lehrer zuteilen, um die Mathe- und Deutschstunden irgendwie vollzukriegen... in der Hoffnung, die kleinen Gören würden die arme Frau Schultz mit der Zeit vergessen.
Ja, so schätzen die Lehrer einen immer ein. Von besonderer Bindung zum Schüler keine Ahnung. ‚Wir können sowas mit Telepathie nun mal nicht!‘ Oh, Tschuldigung, Herr Lehrer, mit Nachvollziehen und Hineinversetzen in die Situation geht das ja ebenfalls nicht, gell?
Das ist ein Fall für SOS-Schüler! Unsere damals auf Grund von Stimmen in der Minderheit gescheiterte Rebellion würde nun endlich stattfinden. Wir würden die Lehrer attackieren... und am Ende sind sie uns noch dankbar, weil wir, ja wir allein, ihnen wie wahre Offenbarung über ihren Beruf verleihen werden! Sie würden endlich die Erkenntnis erlangen dürfen, dass ihr Job sinnlos ist. Mal ehrlich, wer möchte schon gerne der Unterrichter in einer Organisation sein, die zwar legal ist, sich aber keine Sau dafür interessiert und sie nur dasind, weil ihre Anwesenheit ausnahmslose Pflicht ist?!
Ähm, nein, ich will erst gar keine Antwort darauf hören...
Ich hatte mich also dazu entschlossen, das gesamte Team zusammenzutrommeln und eine meiner lebhaften, überzeugenden und herzzerreissenden Reden ihnen gegenüber leidenschaftlich vorzutragen.


Es war ein kleiner Raum, der unserer Organisation von der Schule zur Verfügung gestellt wurde. Sie bezahlte seit 5 Jahren die Miete für uns. Die Lehrer meinten, dies wäre ihnen seit den überraschend großen Einnahmen während der Bazars und Feste ermöglicht worden, allerdings lief der Mietvertrag schon seit 1960, die Halle wurde bloß seit Jahren nicht mehr benutzt - was wären wir alle doch bloß ohne Putzfrauen! - und daher denke ich, sie hatten das nur behauptet, um sich bei uns einzuschleimen, auf dass wir ihnen immer treu bleiben und ihre Entscheidungen unser Leben lang unterstützen würden. Wie undankbar waren wir doch, nun einen Aufstand zu planen! Meine Damen und Herren, Deutschlands Geschichte bekommt Nachschlag! Eine supergeniale Revolution steht bevor! Kinder setzen sich für ihre verschollene Lehrerin ein, obwohl sie Mathe unterrichtet, und lehnen sich somit gegen ihre eigenen Lehrer und Eltern auf. Gestartet wird dies sicher mit Schuleschwänzen, Attentaten und mangelndem Respekt gegenüber dem eigenen Elternhaus. Was wird das für ein Aufstand? Was genau haben sie vor? Wie wird es enden, gibt es Tote? Was werden die Kinder einsetzen, wie werden sie vorgehen - und wie soll sich jede Partei gegen die andere wehren? Wie wollen die Kids ohne Gewaltanwendung etwas bewirken? Hat überhaupt jemand gesagt, dass sie es ohne Gewaltanwendung machen wollen?!
Verlegen watschelte das kleine grüne Teletubbie in die Mitte der kleinen Halle, die Karrotte und den Hasen in der Hand. Alle starrten auf es, wie es da so eingeschüchtert stand und plötzlich den so lange und ausführlich vorbereiteten und gelernten Text vergessen hatte. Es wurde sicher wieder rot.
„Ähh...“, kam aus mir heraus.
Fragend guckte mich die Gruppe an. Ich schaute mich um, musterte jeden und versuchte den Trick mit ‚Du musst dir halt vorstellen, sie wären alle nackt!‘, nur leider funktionierte er nicht. ‚Na, dann stell sie dir halt alle mit Glatze vor!‘
Ich musste lachen, aber helfen tat es nicht.
Schließlich legte ich die Notizblätter hin, sagte mir, dass doch nun scheissegal wäre, was die denken, und fing an, frei zu erzählen:
„SOS-Schüler hat nicht weiter das Motto ‚Lehrer haben Recht auf Leben‘ verdient. Ich bin für einen neuen Spruch und gleichzeitig auch für eine Umbenennung. Wer ist dafür?“
Ich hob die Hand, aber ausser mir niemand. Sie guckten alle bloß doof.
„Frau Schultz ist nun seit knapp 3 Monaten, seit dem Tag nach dem Tod unserer Mitschülerin Tamara, nicht mehr aufgetaucht. Zu Hause ist alles dicht und in der Schule hat sie sich keinen einzigen Tag blicken lassen. Die geplante Arbeit in Mathe ist ausgefallen und richtig unterrichtet werden wir in den Fächern Deutsch und Mathematik überhaupt nicht mehr. Die Lehrer wissen ganz genau, was mit ihr los ist. Und sie wissen auch ganz genau, dass wir das irgendwann mal rauskriegen würden - aber ja sicher nicht, wenn sie uns mit haufenweise Stoff vom nächsten Jahrgang vollpumpen.“
Den letzten Satz hatte ich natürlich besonders laut.... und ironisch gesagt.
„Ich hab´ echt keinen Bock dazu, hier weiter so rumzusitzen und nachher eine 2 in Deutsch fürs Nichtstun zu kriegen, noch will ich mein Wissen an Mathematik jetzt abschließen. Egal, wie sehr ich Schule hasse, jeder merkt doch, dass solche Vertretungsstunden ohne Bewertung absoluter Schwachsinn sind. Davon abgesehen labern die das doch alles bloß ausm Buch vor und hoffen, unsere Köpfe rauchen wegen des Materials so sehr, dass kein Platz mehr für Rauch wegen der Sache mit Schultz ist...“
Ich brabbelte noch einige Sätze, bis ich erneut die Frage stellte:
„Wer ist dafür?!“
Und alle hoben die rechte Hand. Ich nickte zufrieden. Es war das erste Mal, dass mir jeder konzentriert zuhörte, ohne auch nur ein Wort dazwischenzuquasseln. Noch nicht mal im Chemiereferat.




„Dein Vortrag war echt gut.“, sagte Sabrina zu mir.
Die meisten waren bereits gegangen, denn sie sollten ein paar Tage Zeit haben, um mich dann beim nächsten Treffen mit Ideen und Vorschlägen vollzustopfen, und auch wir machten uns nun auf dem Weg nach Hause.
„Danke,“, meinte ich, „aber es war doch bloß eine einfache Abstimmung.“
„Nein, nein.“, erwiderte sie schnell. „Du kannst sowas richtig gut.“
„Och...“
Aber irgendwie fand ich, dass sie Recht hatte. Wenn`s ums Ausdrücken geht, war ich absoluter Experte und wusste jeden fertigzumachen. Sogar Herrn Schmiedel hatte ich es damals im Kunstunterricht gezeigt. Mit meinen Argumenten gegen einen Test im Fach Kunst hab´ ich ihn richtig fertiggemacht. ‚Ha, da sind Sie platt, was??‘
Für diese bescheuerte Bemerkung hab´ ich mir dann leider `ne 4 im Zeugnis einkassiert... dabei heisst es doch, Lehrer sind unparteiisch und bewerten nicht ausserhalb des Unterrichts!
„Ich beneide dich wirklich...“, fuhr Sabrina fort.
Überrascht schaute ich auf.
„Du kennst das Gefühl sicher nicht, wenn einem mal das passende Wort fehlt...“
Sie seuftze.
„Na ja, wenn`s um ein Streitgespräch mit meiner Mutter geht, dann schon.“, versuchte ich sie zu trösten.
Und das war wahr. Argumente halfen bei meiner Mutter absolut nichts. Und wenn ich sie dann endlich mal so weit hatte, einzusehen, dass ICH Recht habe, kam wieder ihr ‚Geh´ sofort auf dein Zimmer!‘ oder das berüchtigte ‚Erwachsene haben immer Recht.‘.
Ach, es war schrecklich. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich meine Mutter eigentlich sehr gern gehabt und mich nur ungern mit ihr gestritten. Zum Glück lief es zur Zeit so gut zwischen uns!
Sabrina sah verträumt zu Boden und ich hatte sowieso vorgehabt, das Thema zu wechseln.
„Wie läuft`s denn eigentlich zur Zeit zwischen dir und Jan?“, wollte ich wissen.
„Och, soweit ganz gut...“, murmelte sie.
„Soweit ganz gut?!“, fragte ich nach.
„Er hat momentan nur noch Fußball und Hockey im Kopf, aber das macht mir nichts aus...“
Und jetzt fehlte mir tatsächlich das Wort!
Sie schien diese Tatsache zu ignorieren und fragte nach einer Weile:
„Liebst du Dennis immer noch?“
Mit scharfem Blick starrte ich weiterhin auf den Bürgersteig unter mir.
„Wer weiss,“, sagte ich seufzend, „wer weiss...“



Thomas riss die Plakate ab. Eben waren die Pinnwand und das Schwarze Brett unserer Schule in der Aula noch mit mehreren unserer Werbe- und Hinweiszettelchen zugedonnert. Jetzt heftete er die neuen Blätter an, auf denen es Schwarz auf Weiß stand: Da war der Spruch ‚SOS-Schüler - Lehrer haben Recht auf Leben‘ dreimal durchgestrichen drauf. Weiter unten war in größerer und besonders fettgedruckten Schrift zu lesen: ‚SOS-Schultz - Schüler haben Recht auf Wahrheit.‘.
Meinen Posten als oberster Leiter gefiel mir schon länger nicht mehr, und auf Grund von mangelnder Zeit übergab ich ihn schließlich an Sabrina. Diese freute sich natürlich wie wild, da sie jetzt auch endlich bewegende Reden schreiben und halten durfte. Gleichzeitig hatte ich auch wieder ein bisschen mehr Zeit für mich selbst. Ich stand wegen der Schule nämlich etwas unter Stress, da wir jeden Tag eine Menge an Hausaufgaben aufbekamen. Ausserdem machte ich die ersten Überlegungen für meine Nachforschungen wegen Tamara.
SOS-Schultz hatte sich, unter Führung Sabrinas, eindeutig dazu entschieden, sich solange die Lehrer vorzuknöpfen. Wir mussten nun unbedingt erfahren, wo Frau Schultz war - koste es, was es wolle! Auch wenn wir uns jetzt wie ein alberner TKKG-Club vorkamen, beschlossen wir, alle Lehrer an unserer Schule zu befragen - im Notfall sogar zu erpressen. Tut mir leid, aber Opfer waren noch nie zu vermeiden. Sollten sie sich daneben benehmen, so würden wir die Mafia einschalten - verlasst euch drauf!
Ausserdem gibt es ja auch noch Lügendetektoren und sowas wie den Elektrischen Stuhl. Wir könnten auch einen Aufruf in ganz Deutschland durchführen und somit eine eigene Anti-Lügen-von-Lehrern-Partei bilden.
Thomas ging einen Schritt zurück, betrachtete das Blatt und prüfte nochmal nach, ob es auch wirklich gerade hing, bis er es uns dann stolz präsentierte. Sabrina und einige andere klatschten begeistert.