Kurzgeschichten Testbericht

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Erfahrungsbericht von Anubis71

Die Fassade

Pro:

siehe Text

Kontra:

siehe Text

Empfehlung:

Ja

Sie saß an ihrem runden Eßtisch im Wohnzimmer. Auf dem Tisch vor ihr lag ein Brief. Ein letzter Brief. Und ein scharfes Messer. Tränen liefen ihr über die Wangen. Tränen, die das zum Ausdruck brachten, was sie erfolgreich in ihrem bisherigen Leben vor der Umwelt verbergen konnte. Tränen wegen ihrer schlimmen Kindheit. Tränen wegen des Vaters, der sie und ihre Mutter immer wieder schlug. Tränen, wegen dem, was sie sich jeden Tag selbst antat. Tränen, wegen der Beziehung, die deswegen scheiterte.

Mit dem Handrücken wischte sie die Tränen immer wieder weg. Der verbleibenden feuchte Film auf ihrer Haut ließ einen auf seine skurrile Art bezaubernden Schimmer in ihrem Gesicht zurück. Sie dachte zurück an ihre Vergangenheit, die sie jeden Tag aufs neue zum nachdenken brachte. Warum ist alles so gekommen. War es ihre Schuld? Sicher war es ihre Schuld. Oder nicht? Unsicherheit. Fragen. Zweifel.

Immer wieder spielten sich in ihren Gedanken die schlimmen Erlebnisse ab, welche sie einfach nicht vergessen kann. Sie kann sich nicht mehr an den Tag erinnern an dem alles begonnen hatte. Ihr schien es als wäre es von Anfang an schon so gewesen. Fast jeden Abend wenn ihr Vater nach Hause kam war es das gleiche. Er stritt sich mit ihrer Mutter wegen Kleinigkeiten und dann eskalierte alles soweit, bis er sie schlug. Er schlug sie ins Gesicht, in den Bauch und versetzte ihr Tritte. In den Ohren hört sie immer noch die Schreie ihrer Mutter.
Hörte das Wimmern wenn sie vor Schmerzen gekrümmt auf dem Sofa saß und dieselben bitteren Tränen weinte, die sie heute immer noch weint.

Sie hört das bittende flehen der Mutter, das er doch endlich aufhören solle. Aber ihn interessierte das nicht und er attackierte ihre Mutter immer wieder. Sie wollte ihrer Mutter beistehen und wenn sie das tat wurde auch sie mich Schlägen und Tritten bedacht. Aber es waren nicht alleine die Schläge, die ihr Schmerzen bereiteten, sondern auch seine Worte. Nicht nur das er ihre Mutter schlug und trat, er beschimpfte sie auch immer auf das Übelste und unterstellte ihr Affären mit anderen Männern zu haben. Grundlos, denn ihre Mutter hatte nichts mit anderen Männern. Und dennoch ließ er sie büßen, denn die Wahrheit interessierte ihn nicht. Wahr ist nur das was er glaubte. Nichts anderes.

Fast jeden Abend ging das so. Ihr krampfte sich schon der Magen zusammen, wenn sie das Geräusch wenn er seinen Schlüssel in das Schloß der Haustür schob. Was würde heute wieder passieren? Würde heute wieder etwas passieren ? Unsicherheit. Angst. Mehrfach hatte sie schon darüber nachgedacht wegzulaufen, aber was war dann mit ihrer Mutter? Wer sollte ihr dann beistehen und was würden denn die Nachbarn sagen, wenn sie weggelaufen wäre? Der Schein mußte gewahrt werden und so entschloß sie sich zu schweigen über das was hinter der Haustür alles geschah. Was sollen bloß die Nachbarn denken?

Eines hatte sie für sich beschlossen. Sobald sie alt genug ist wird sie von zu Hause weggehen. Weg von dem Mann der ihr Vater ist und gleichzeitig der Mann der sie und ihre Mutter immer wieder demütigte. Weg von dem Mann der ihre Kindheit zur Hölle machte. Weg von der Wohnung in der sie die Hölle ertragen mußte. Weg aus der Straße in der keiner Notiz von dem zu nehmen schien, was sich in dem Haus mit der Nummer 35 abspielte. Aber es hatte auch keiner bemerkt, denn der Schein der schönen heilen Welt wurde von ihr und ihre Mutter und erst recht von ihrem Vater aufrecht erhalten. Der Schein ein netten durchschnittlichen Familie, in der es keine Probleme zu geben schien.

Ihre ersten Freund lernte sie mit siebzehn kennen. Ein netter Kerl, der sie aufrichtig liebte und das gab, was sie zu Hauser vermißte. Geborgenheit. Liebe. Zuneigung. Zuwendung. Sie tat alles für ihn. Sie wusch seine Wäsche und kochte ihm Essen. Sie räumte seine Sachen hinter ihm her und reinigte die Wohnung, welche sie gemeinsam bezogen hatten. Es störte sei nicht wenn er am abend nach Hause kam, seine Klamotten in die Ecke warf und sich auf das Sofa setzte. Sie liebte ihn und er liebte sie, da ist das doch normal oder nicht? War es daß? Aber seine Bequemlichkeit ging ihr mehr und mehr auf die Nerven. Lange Diskussionen brachten aber auch nichts, denn er änderte sich nicht, ob wohl sie das inständig hoffte. Aber sie konnte sich doch auch nicht von ihm trennen. Was sollen denn die Nachbarn denken?

Sie begann erneut ihren Kummer in sich rein zu fressen. Buchstäblich. Als was eßbar war stopfte sie in sich hinein. Unkontrolliert. Nach einer solche Attacke war ihr meistens schlecht die fühlte sich auch schlecht. Ihr Magen drückte und das schlechte Gewissen wegen der vielen sinnlosen Kalorien ließ sie nicht in Ruhe. Sie mußte es wider loswerden, also ging sie in die Toilette und steckte sich den Finger in den Hals. Das tat ihr wohl und sie fühlte sich frei. Anfangs meinte sie noch, sie habe das im Griff, aber mehr und mehr Begriff sie, daß die dies nicht mehr im Griff hatte sondern diese seltsame Sucht sie im Griff hatte. Aber mit wem sollte sie denn darüber reden. Ihr war klar, daß sie an Bulimie litt, aber wem sollte sie es denn erzählen? Was sollen denn die Freunde denken? Nein, das darf niemand erfahren. Es interessierte ja auch niemanden. Oder doch? Nein! Nicht mal ihren Freund interessierte es, er schien es nicht einmal zu bemerken.

Ihr Freund schien aber mehr und mehr das Interesse an ihr zu verlieren. Er kam abends zunehmend später von der Arbeit nach Hause und entschuldigte sich immer mit irgendwelchen Meetings, die teilweise bis spät in die Nacht andauerten. Ihr waren schon längst Zweifel gekommen, ob dies denn stimmen würde, aber aus Angst die Wahrheit herauszufinden schwieg sie. Und wenn er eine andere hatte und sie sich deswegen mit ihm streiten würde, was sollen denn die Anderen denken?

Wie aus einem Tagtraum erwachte sie und blickte auf den Tisch. Immer noch lag da der letzte Brief und das Messer. Erneut wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie nahm den Brief, denn sie schon so oft in den letzten Stunden gelesen hatte, las ihn noch einmal und legt ihn wieder auf den Tisch. Sie griff zu dem Messer und dreht es ein wenig in der Hand. Kalt reflektierte der Stahl der Klinge das Licht der Deckenlampe in ihre Augen. Nur ein kleiner Schnitt uns alles wäre vorbei. Irgendwann würde man sie finden. In ihrem eigen Blut. Tot. Langsam führt sie das Messer an ihre Handgelenk und setzt die Klinge an. Sie spürt das kühle Metall der Schneide an ihrer Haut. Nur ein kleiner Schnitt. Sie drückt das Messer ein wenig fester auf die Haut und holt tief Luft. Nur ein kleiner Schnitt. Sie zögert.

Sie legt das Messer wieder zurück auf den Tisch, nimmt den Abschiedsbrief ihres Ex-Freundes, knüllt ihn zusammen und wirft ihn weg. Wenn man sie so finden würde, was sollen denn die Leute denken ?


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-07-28 17:22:10 mit dem Titel Der Geburtstag

Anna freut sich schon den ganzen Tag, denn heute wird ihr Mann endlich von seiner 2-wöchigen Geschäftsreise aus Italien zurückkommen. Sie waren schon seit fünf Jahren verheiratet, aber mit den vielen Geschäftsreisen konnte sie sich irgendwie nie anfreunden. Nicht das sie ihrem Mann nicht trauen konnte, aber er fehlte ihr eben immer wenn er weg war. Aber heute gab es einen zusätzlichen Grund, weshalb sie sich freut, denn es war nicht nur, das Maximilian heute wieder nach Hause kommen würde, er hatte heute auch Geburtstag, seinen 28igsten. Und endlich mal hatte sie die Möglichkeit diesen Zusammen zu feiern, denn meistens war er an seinem Ehrentag immer auf einer Geschäftsreise. Aber diese war das erste Mal, das sie ihn zusammen feiern konnten, seit die verheiratet waren.

Den ganzen Tag schon war sie mit Vorbereitungen beschäftigt damit es ein gelungener Abend werden sollte. Nichts sollte die Stimmung auch noch irgendwie trüben. Es sollte ein perfekter Abend werden, denn sie hatte ihm viel zu erzählen. Schon seit den Morgenstunden war sie damit beschäftigt zu putzen, zu kochen und aufzuräumen, auch wenn es nicht viel aufzuräumen gab, denn sie war eine recht ordentliche Hausfrau, im Gegensatz zu Max, aber so war er eben nun mal.

Gestern Abend hatte er noch angerufen und gesagt, das er morgen gegen 18 Uhr zu Hause sein würde und sie fieberte diesem Moment schon entgegen. Sie kam sich ein wenig wie ein verrücktes Huhn vor, weil sie so aufgeregt war, wie ein Teenager, der seine grosse Liebe treffen wird und das obwohl sie doch schon einige Jahre verheiratet waren. Aber sie genoss das Gefühl in vollen Zügen, die Schmetterlinge im Bauch und die innere Unruhe, bis er denn endlich da war. Aber ein wenig kindisch war das schon, aber das machte ihr nichts aus.

Noch zwei Stunden, dann würde er endlich wieder daheim sein bei ihr und sie konnte ihn wieder von vorne bis hinten verwöhnen, was sie sehr gerne machte. Aber nicht das er einer gewesen wäre, der sich von vorne bis hinten bedienen lässt, nein, er hatte auch hin und wieder mal die Gelegenheit sie zu verwöhnen und auch das genoss sie in vollen Zügen.

Sie schaut ein wenig fern um sich abzulenken und auch das die Zeit ein wenig schneller verginge, was sie aber natürlich nicht tat, denn sie schaut alle paar Minuten sehnsüchtig auf die Uhr. Kann der Zeiger sich denn nicht wenig beeilen denkt sie bei sich, aber der zeigte keine Anstalten auch nur ein bißchen Gas zu geben.

Aber die Zeit verging und sie beginnt gegen halb sechs den Tisch zu decken und letzte Hand an das Essen zu legen. Sie hat ihm sein Leibgericht gekocht: Ente à l´ orange. Jetzt war es schon kurz vor sechs und bald würde er da sein. Endlich. Die Zeit verging.

Mittlerweile war es schon halb sieben. Ein wenig bekümmert schaut sie immer wieder aus dem Fenster, aber sein Firmenwagen will einfach nicht kommen. Er wird sicher ein wenig im Stau stehen, das kann schon mal vorkommen, denkt sie bei sich. Heute hat es ja überall Baustellen auf den Autobahnen. Aber er hätte ja wenigsten mal anrufen können.

Jetzt war es schon kurz vor sieben Uhr sieben Uhr und sie wird ein wenig unruhig, denn das war nicht seine Art. Auch ein wenig verärgert ist sie mittlerweile, denn das Essen wurde vom langen warm halten auch nicht besser und es sollte doch alles perfekt sein. Aber er kam nicht und sie beginnt sich auch langsam Sorgen zu machen, ob denn nicht was passiert sein könnte, aber diesen Gedanken verwirft sie schnell wieder, was sollte denn auch passiert sein, ausser das er im Stau steht und sein Handy sicher keinen Empfang hat. Das kommt schon mal vor. Aber vielleicht kann sie herausbekommen wo er denn steckt, wenn sie das Radio anmacht und die Verkehrsnachrichten hört. Sie schaltet das Radio ein und wartet auf den Verkehrsfunk, der direkt nach den stündlichen Nachrichten kommt. Die meisten Meldungen interessieren sie nicht, aber dann kommt die Durchsage die für sie interessant war: A44 – Die Vollsperrung nach einem Unfall ist aufgehoben. 13 Kilometer Stau an geräumter Unfallstelle. Aha, denkt sie, da haben wir es, er muss ja über die 44 fahren. Dann wird er sicher bald kommen.

Aber er kam nicht. Sie denkt sich aber nichts weiter dabei, den es dauert eben eine Weile bis sich der Stau verflüssigt hat. Armer Max, steht an seinem Geburtstag im Stau, das ist schon dumm. Schade nur um das schöne Essen, aber man wird es schon noch geniessen können. Wird ein wenig trocken sein, aber ein bisschen Strafe muss sein. Sie lächelt süffisant ein wenig in sich hinein.

Jetzt war es schon acht Uhr und immer noch war nichts vom ihm zu sehen. Sie fängt an sich wieder Gedanken zu machen. Um viertel nach acht klingelt es an der Tür. Er ist da! schiesst es ihr durch den Kopf. Schnell geht sie zur Tür und reisst diese förmlich auf.

„Hallo Schatz! Herzlichen Glückwunsch zum.....“ weiter kommt sie nicht, denn sie schaut in die ernsten Mienen von zwei Polizisten. Ihr Magen verkrampft sich. Wirre Gedanke schiessen ihr durch den Kopf. „Frau Siebrecht?“ fragt der eine der beiden Polizisten. „Ja?“ fragt sie zurück. „Können wir einen Moment reinkommen?“ „Aber ja doch“ entgegnet sie und tritt einen Schritt zur Seite. Sie bittet die beiden Herren ins Wohnzimmer.

„Frau Siebrecht, wir haben eine sehr traurige Nachricht für sie“ beginnt der eine der Beamten zu erzählen. „Ihr Mann ist heute Nachmittag bei einem schweren Autounfall auf der A44 ums leben gekommen“ Der Beamte erzählt weiter was vorgefallen war, aber sie registriert das alles durch eine Schleier wie in einem Alptraum. Sie spricht kein Wort. Nachdem der Beamte seinen Bericht beendet hatte, verabschieden sich die beiden Beamten wieder und sie bringt sie zur Tür.

Wie in Trance geht sie zurück zum Esstisch, wo die Geschenke für Max liegen. Sie öffnet ein kleines Geschenk, dass die liebevoll verpackt hatte mit einem Geschenkpapier auf dem laute kleine süße Teddybären waren. Sie öffnet den kleinen Karton und holte ein paar Babyschuhe heraus und stellt sie vor sich auf den Tisch ...


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2003-01-28 12:39:05 mit dem Titel Die Standuhr

Mit langsamen, aber festen Bewegungen schwang das Pendel der Standuhr hin und her, am Ende einer Schwingung von einem deutlich klacken begrenzt. Die Zeiger des Zifferblattes zeigten, das es Viertel vor 12 war. Eigentlich die Zeit langsam an das Mittagessen zu denken, dachte Hermine bei sich, aber heute war das nicht notwendig.


Sie sass an ihrem alten Wohnzimmertisch und es war einige Tage nach ihrem 82. Geburtstag. Früher wurden die Geburtstage immer gross gefeiert, aber über die Jahre schien das eingeschlafen zu sein. Sie konnte sich nicht mehr recht erinnern, wann sie denn zuletzt einen ihrer Geburtstag gross gefeiert hatte, aber irgendwann war es eben eingeschlafen. An Weihnachten und Ostern meldeten sich die Kinder hin und wieder mal. Sie hatte einen Sohn und eine Tochter. Beide lebten aber nicht mehr hier und wohnten weit weg in anderen Städten. Auch die Enkel, sie hatte drei, bekam sie selten zu sehen. Aber das war eben der Lauf der Dinge, redete sie sich ein.


Sie blickte auf das hin und her schwingende Pendel der Standuhr, das sie langsam aber sicher ein wenig zu hypnotisieren schien. Sie hatte diese Uhr schon seit sie denken konnte. Ihr Vater hatte sie ihr damals veerbt und sie kannte die Uhr schon seit sie denken konnte. Ihre Familie hatte sie damals gekauft, an dem Tag an dem sie auf die Welt gekommen war. Die Uhr hatte soviel mitgemacht, den Krieg ohne Schaden überdauert und sovieles mehr erlebt. Alles andere was sie besass hatte sie neu erwerben müssen, nur diese Uhr nicht. Sie war niemals ausgefallen und hatte all die Jahre immer treu und zuverlässig die Zeit angezeigt. Sie konnte sich nicht erinnern, das diese Uhr jemals gestanden hat, denn es war immer jemand da, der sie aufgezogen hatte und auch bei den beiden Umzügen die sie in ihrem Leben mitgemacht hatte war die Uhr seltsamerweise nie stehen geblieben.


Mit ihren alten, zittrigen Händen griff sie nach zwei Postkarten, die auf dem Tisch lagen und las sie nochmal durch. Sie hatte sie schon so oft gelesen, aber das war das einzige was sie denn zum Geburtstag bekommen hatte. Aber mehr konnte sie auch von den Kindern nicht erwarten. Ihr Sohn war Manager an einem grossen Flughafen und die Tochter war Oberschwester an einer grossen chirurgischen Station im Süden des Landes. Ja, die beiden hatten es zu was gebracht und gingen voll auf in ihrem Job. Sie selbst hatte nur in einer Firma als Packerin gearbeitet, aber was hätte sie denn auch werden sollen. Nach dem grossen Krieg war alles kaputt und man konnte damals froh sein, wenn man denn eine Stelle hatte.


Sie hatte es nie leicht im Leben, denn ihr Mann kam erst 8 Jahre nach Kriegsende nach Hause und hatte sich dann dem Alkohol ergeben. Er war nicht gewalttätig geworden, aber er war eben auch zu nichts mehr zu gebrauchen. Naja, zu fast nichts mehr, denn immerhin hatten sie zwei Kinder bekommen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Er war ein guter Mann gewesen, aber leider mit einem grossen Alkoholproblem.


Wehmütig dachte sie an die vergangenen Zeiten in denen alles noch so schön war. Sie war nicht unzufrieden mit ihrem Leben, aber es war eben nicht leicht gewesen. Auch die Kinder haben es ihr nicht immer leicht gemacht. Nie wird sie den Tag vergessen, an dem sie in die Schule zitiert wurde, weil ihr Sohn mal wieder einen Streich gemacht hatte. Er hatte es doch allen ernstes fertig gebracht den Biologieunterricht zu sabotieren, indem er die Frösche, die im Unterricht seziert werden sollten alle freigelassen hatte. Während die Mädchen kreischend auf den Stühlen standen und ihr Röcke zusammengerafft hatten, waren die Jungs damit beschäftigt die kleinen, springlebendigen Grünlinge wieder einzufangen. Der Direktor tobte und drohte damit, das dies Konsequenzen haben werde und sie teilte ihm mit ernster Miene mit, das sie ihrem Sohn das nötige sagen werde. Das tat sie dann auch, denn sie kaufte ihm ein Himbeereis und rang ihm das versprechen ab, das er das nicht nochmal tun solle. Sie war nicht böse sondern stolz auf ihn, aber der Direktor sah das eben ein wenig anders.


Auch unvergessen sollte ihr der Tag bleiben, an dem sie in das Zimmer ihrer Tochter kam und einen leicht süsslichen Geruch wahrnahm. Auf dem kleine Ecktisch lag ein grünes Kraut und im Aschenbecher lag der Stummel einer selbstgedrehten Zigarette. Ihre Tochter selbst sass in einem Stuhl, den Kopf im Nacken und mit einem glasigen Blick. Sie schrie ihre Tochter an, was das denn zu bedeuten habe und das sie das Teufelszeug nicht in ihrer Wohnung haben wolle. Ihre Tochter blickte sie dann nur mit den glasigen Augen an und meinte: „Bleib cool mama, das machen so doch alle“. Es konnte ja sein, das dies alle machen, aber eben nicht ihre Tochter. Aber ihre Befürchtungen blieben unbegründet, denn die Zeiten änderen sich und was sonst alle machten kam wieder aus der Mode.


Aber es war eben nicht alles ohne Probleme, auch wenn die Kinder sich dann weiterhin prächtig entwickelten, aber dafür hatte sie viele Sorgen um ihren Mann haben müssen. Es war keine einfache Zeit während seiner Krankheit, denn die ganzen Chemotherapien setzten nicht nur seinem Körper zu, sondern auch ihrem Gemüt. Es war schrecklich zu sehen wie er dahinsiechte. Auch wenn es schon 15 Jahre her war, dass er starb, aber sie bekam die Bilder von seinem Krankenbett nicht aus dem Kopf. Die Bilder, wie er mit leicht geöffnetem Mund da lag und vor Schmerzen leise vor sich hin stöhnte. Die Ärzte weigerten sich im Schmerzstillende Mittel zu geben, weil er dann angeblich süchtig hätte werden können hatten sie gesagt. Die schienen keine Ahnung zu haben, was denn Sucht überhaupt bedeutet und das ihr Mann litt wie ein geschundenes Tier schien niemanden zu interessieren.


Sie erwachte aus ihren Gedanken und blickte wieder auf die Standuhr. Das Pendel schwang immer noch hin und her, jeweils in einem leisen klacken endend. Sie stand auf und ging in das Nebenzimmer, öffnete die unterste Schublade im Schreibtisch und nahm ein in weissen samtigen Stoff verpackten Gegenstand aus der Schublade. Sie legte den Stoff auseinander und blickte auf eine kleine, schwarze Pistole russischer Bauart, die ihr Mann einmal nach dem Krieg mitgebracht hatte.


Im Wohnzimmer rückte der Zeiger der Uhr auf Zwölf Uhr Mittag und löste das eingebaute Glockenspiel aus, wie es die Standuhr jeden Mittag um zwölf Uhr spielte. Als der letzte Ton verklungen war, hallte ein Schuss durch das offene Fenster auf die Strasse und ein kleines Echo wurde von den umliegenden Fassaden zurückgeworfen. Das Pendel schwang weiter hin und her, als wolle es die Vergänglichkeit des seins unerbittlich weiterhin dokumentieren, aber es war kein klacken mehr zu hören. Das Pendel schwang langsam aus und blieb stehen. Für immer.


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2003-10-19 21:32:23 mit dem Titel Gilliams Gründe

Frankfurt, 23.07.2006


Liebe Freunde,


mit diesem Brief will ich mich verabschieden, denn ich kann einfach nicht mehr.


Wir ihr sicher wisst, bin ich immer ein grosser Fan des WWW gewesen. Waren die Zeiten bis zum Jahre 2001 noch von Anarchie geprägt, was sicher nicht sonderlich gut gewesen ist, so haben sich die Zeiten doch nun sehr stark gewandelt und weltweite Konzerne haben nun vollständig die Kontrolle übernommen. Nicht nur Microsoft hat es geschafft sich durchzusetzen, das wir nun alle die Betriebssysteme Longhorn und andere verwenden müssen, weil Linux und andere mittlerweile illegal geworden sind, sondern auch Konzerne wie Sony, EMI und BMG schreiben uns vor, was wir für Musik hören und zu welchem Preis wir sie kaufen müssen.


Vorbei sind die Zeiten in denen man via P2P die Musik laden konnte und so denen ein Schnäppchen schlagen konnte. Datenschutz ist in Deutschland ein Witz geworden. Jeder kann bei den Providern anfragen wer denn nun zu welcher Zeit an welchem Port eingeloggt war und dann auf Verdacht eine Hausdurchsuchung erwirken. Ich habe nun schon 8 Mal die Polizei in der Wohnung gehabt und 8 Mal hat man meine gesamten Rechner und Datenträger beschlagnahmt. Sieben mal habe ich nun schon vor Gericht gestanden und Unsummen an Strafen und Schadenersatz bezahlt. Auch im Gefängnis habe ich schon mehrere Monate abgesessen wegen Verstössen gegen das Urheberrecht.


Als ich dann versucht habe, auf ehrlichem Wege Geld zu verdienen und einen Webshop eröffnete, der sich gut anliess, dachte ich das Problem sei gelöst. Aber der Frieden währte nicht lange und ich hatte die nächste Abmahnung im Haus. Die Firma Amazon wies mich darauf hin, das die das alleinige Recht an der Darstellung von Produkten im direkten Zusammenhang mit Text habe. Als ich dann nachforschte, stellte ich fest, das Amazon dieses, aus meiner Sicht eigentlich triviale Patent, innehatte und nur gegen horrende Lizenzgebühren andere Webshops zuliess. Diese Gebühren konnte ich allerdings nicht aufbringen, so dass ich meinen Webshop schnell wieder vom Netz nahm und auch diese Möglichkeit nicht geeignet war, legal Geld zu verdienen.


Danach habe ich versucht als Powerseller via EBAY mein Geld zu machen, aber auch das scheiterte, denn ich wollte Musikcds vertreiben, bekam aber keine Lizenz von den Herstellern die ich oben schon nannte und somit durfte ich auch dieses Geschäft nicht betreiben.


Dann habe ich versucht durch meine Kenntnisse verschiedener Programmiersprachen Programme zu schreiben und diese zu verkaufen. Leider hat das von Anfang an nicht funktioniert, denn ich bekam keine Zertifizierung von Microsoft für meine Software. Um genau zu sein konnte ich mir keine leisten, denn auch diese Summen sind horrend und wenn ich keine Zertifizierung der Software habe, dann funktioniert diese auch nicht auf den Rechnern, denn wie ihr alle wisst, muss man alle drei Monate seinen Rechner am Internet anmelden und neu bestätigen lassen, das alles was auf dem Rechner ist einwandfreie Software mit Lizenz ist. Sobald man Software hat, die nicht lizenziert ist, schaltet sich der Rechner ab und man muss zu seinem Händler gehen, damit dieser den Rechner wieder freischaltet und bei der Gelegenheit wird dann alles was unerlaubt ist gelöscht.


Egal was ich auch versuche um mir eine Existenz aufzubauen, ich scheitere immer. Ich kann nicht mehr und scheide aus dem Leben.


Wehrt euch gegen diese Unterdrückung!


Gilliam


Frankfurt 27.07.2006


Notiz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung


Gestern wurde in den Abendstunden die Leiche eines Mannes aus dem Main geborgen. Dieser wurde als ein bekanntes Mitglied der immer kleinen werdenden Internetszene identifiziert. Dies ist nun schon der 14. Selbstmord von Internetmitgliedern in diesem Jahr alleine in Frankfurt. Die Gründe hierfür liegen bisher im Dunkeln und werden wohl nie geklärt werden.


Anmerkung der Einstellers:


Viele von euch werden sicher denken das ist eine Satire, aber leider ist das Ganze nicht so weit hergeholt wie man vielleicht denkt. Sachen wie die Lizenzierung und auch das Patentrecht werden von Brüssel leider immer mehr nach amerikanischem Vorbild gestaltet, weil das ja alles so vortrefflich gelöst ist. Leider hat alleine die Einführung des Patentrechts in den USA 60% aller Webshops innerhalb kürzester Zeit vernichtet bzw. zu deren Auflösung geführt, weil Amazon sich weitreichende Patente im Bereich Webshop hat sichern lassen. Und auch die Art und Weise wie sich Microsoft die Softwarewelt der Zukunft vorstellt sollte einen nachdenklich werden lassen.


Daher mein Aufruf an aller User:


Lasst euch das Internet nicht kaputt machen! WEHRT EUCH!


Euer Anubis71

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