Kurzgeschichten Testbericht

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Erfahrungsbericht von Ingwer

Wetterbericht- Dichtung und Wahrheit

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Nein

Wetterbericht

Ich hielt Wetterfrösche, früher. In einem hohen Glas eingesperrt, all ihren Lebensraum, der vorher Teich und Sumpf gewesen waren, nun auf ein Volumen von zwei Kubikdezimetern komprimiert, zusammengestaucht auf das, was ich für wichtig hielt. Etwas Wasser unten, ein wenig Futter auch- aber hauptsächlich das Leiterchen, auf dem sich mein Frosch emporschwingen sollte.
Sie lebten nicht lange, und irgendwann hatte ich es satt, ständig zum See zu fahren und einen neuen Frosch zu fangen und den toten, glibbrig und feucht, im Klo herunterzuspülen. Die Mühe lohnte sich nicht; denn meistens stimmten ihre vorhersagen nicht. Sie waren faul, denke ich.
Später setzte ich mir in den Kopf, Regenbeobachterin zu werden, vielleicht als Angestellte einer Stadtverwaltung, die Wert darauf legt, dass in allen Straßen rechtzeitig vor dem großen Guß alle Markisen heruntergelassen werden können.
Ich stellte mir meinen Arbeitsalltag so vor, dass ich auf einem hohen Turm sitzen oder auf einem Hochhausdach liegen würde und tagaus tagein und eventuell gegen Gehaltszulage auch noch nachts, den Himmel beobachten würde. Jede bedrohliche und Regen ankündigende Veränderung würde ich natürlich sofort melden.
Diese Vorstellung hörte sich für mich sehr verlockend an; denn wer den ganzen Tag so nah am Himmel ist, muss ein sehr glücklicher Mensch sein. Blau ist auch eine beruhigende Farbe, und durch die verändernden Farben und Formen der Wolken würde es sicher nicht langweilig werden. Dachte ich.
Eines Besseren belehrt wurde ich, als ich auf dem Schuppendach meiner Großeltern einen Nachmittag probelag. Ich konnte meinen Blick einfach nicht am Himmel halten, ohne geblendet, abgelenkt oder gelangweilt zu sein, so dass mir die Augen zufielen.

Ich ließ alle exotischen Berufswünsche hinter mir und absolvierte eine Lehre zur Friseuse.
Mittlerweile, nach einem guten Dutzend Berufsjahren samt Meisterprüfung und Eröffnung eines eigenen Ladens, wird mir immer mehr bewusst, dass ich mich nicht so weit von meinem ursprünglichen Berufswunsch entfernt hatte, wie einst angenommen. Wenn ich heute Kundschaft meinen Laden betreten sehe, brauche ich ihnen nicht erst in die Augen zu schauen, um dort nach ihren Wünschen zu forschen. Ich lese sie an ihrer Körperhaltung ab, an ihrem gesenkten Blick, der grauen betonartigen Haarmasse, die ihren Schädel umhüllt wie ein mittelalterlicher Helm. Die meisten Menschen, die das erste Mal zu mir kommen, kommen gebückt.
Meine Aufgabe ist zwar nicht, an den grauen Wolken das Wetter abzulesen, aber trotzdem bewahre ich auch heute noch die Menschen vor dem Nasswerden.
Wer meinen Salon verlässt, steht nicht da wie ein begossener Pudel, sondern mit stolz erhobenen, glatt, gelocktem, kurz, langem, natürlich, gefärbtem Haupthaar.
Ich habe nicht nur in der Hand, den Menschen das Wetter vorauszusagen- nein, ich erschaffe es an ihnen. Wer sich mit seinem Kopf in Einklang fühlt, kann den Tag rundum genießen. Und das ist doch das Wetter, auf das es ankommt, nicht wahr, meine Damen und Herren? Der innere Sonnenschein, den man und frau sich durch wohlwollende Blicke auf die eigene Haarpracht zusammensammelt.
Ich lasse niemanden aus meinem Salon heraus, der kein Lächeln auf den Lippen mit sich trägt- und zwar ein echtes Lächeln, kein Muskelzucken der Lippen. Einmal habe ich einer Frau, die mit ihren "zu" kurz geschnittenen Haaren nicht ganz zufrieden war, eine Perücke überlassen. Für den Übergang- denn gefallen sollten einem seine Haare schon.
Bei der Wahl der Akkustik lasse ich jedoch keine Kompromisse zu: Radio rund um die Uhr. Und zweimal stündlich einen guten Wetterbericht: Das muss schon sein. Mindestens.

Ich selbst trage übrigens eine Glatze, die ich jeden Abend gründlich nachrasiere.
Eine Regenwarnerin sollte schließlich nicht wasserscheu sein.






----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-05-05 22:01:46 mit dem Titel Lichter(-)Morgen

Fiktiv.
Anfang:


Ich frage mich nur, ob die Tage dort draußen noch dieselben Namen haben. Aber.
Wenn Menschen ihre Grenzen verwischen, den einen zum nächsten übergleiten lassen und ihre Trennlinie Schlaf ignorieren- was schert es sie.
Es ist ein niemals ausgesprochenes Versprechen, das ich mir gegeben habe, irgendwo inmitten der Elektropost. Anfang und Orientierung. Nachtblindheitsblinzeln vielleicht, wenn man auf die Straße hinaus tritt. Ein Blinzeln, noch bevor das Licht kommt und die Netzhaut überflutet, ein Zögern vor dem Schmerz- es wird nicht weh tun glaube ich nicht.

Der Tag ist noch neu, doch die Trümmer von gestern liegen noch da. Die Kippenreste auf dem Teppich auch. Niemand hat aufgeräumt.
Irgendwo nebenan wird gehämmert, morgens früh, an einem ganz normalen Tag, und niemand im Haus regt sich auf- wozu auch- denn es wird ja sowieso aufgestanden und geduscht und gefrühstückt und vielleicht noch ein bisschen geredet oder Radio gehört, dann wird zur Arbeit gegangen oder in die Schule. Der obere Nachbar wird wieder stundenlang im Park sitzen, mit einer Zeitung vor dem Gesicht und dann in der Kneipe, mit einem Bier vor dem Mund. Und seine Frau wird putzen und wischen und die Kinder umtüddeln und kochen und sich auf den Moment freuen, wenn Vati von der Arbeit kommt.
Es ist wärmer heute morgen als gestern abend draußen. Die Zeitung kommt trocken und ich lese, so schnell wie ich sehen kann. Nicht Stück für Stück, Wort für Wort kleine Häppchen abbeißend, sondern Bedeutung herunterschlingend. das Ende gleichzietig mit dem Anfang.

Es ist nichts besser geworden. Die Nacht hat die Reinigung untelassen, und ich stehe auf. Die Kippen auf dem Teppich schluckt der Staubsauger. Wir rauchen immer die gleiche Marke, er stark und ich die Leichten. Das hier ist andere Asche.
Staub zu Staub.
Ich schmecke den Unterschied an der Ovomaltine, obwohl ich nicht mehr Pulver nehme als sonst, aber das kommt vielleicht nur daher, dass die Milch jetzt weniger ist.
Die erste Person Plural bohrt sich hartnäckig durch meine Gedanken, drängt sich bitter in meinen Wortschatz und mein Lippenstift schreibt auf den Spiegel ich ich ich.

Draußen, und nun wirklich das Blinzeln, allerdings vom Staub. Das ist der körnige Sommerregen der Stadt. Der Park ist nah und jeder Baum ein Sprung im Himmel- er müsste auseinanderfallen oder zumindest auslaufen-
mein Blick im Himmel und ich auf der Bank neben Vati mit der Zeitung vorm Gesicht und ein kleiner Gedanke- ein kleines Leuchten.
Dass es nun bei uns wenigstens nicht mehr so enden kann.

----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-06-02 09:26:22 mit dem Titel Beziehungsweise Schnee

Mal wieder etwas zu lesen: Wie immer in dieser Ecke rein fiktiv; diesmal schon gut ein halbes Jahr alt.
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Es regnet Federn, zumindest sieht es so aus. Weißes Schweben vor dem dunklen Tuch, das noch weit unter der Stelle zu schweben scheint, wo sonst der Himmel hängt. Würde die Wolkendecke einen Moment lang aufreißen, könnte man den Vollmond vielleicht sehen. So jedoch bleibt es dunkel- und still. Schnee dämpft Geräusche und deckt Verdächtiges zu, verwischt verräterische Spuren, rieselt auf Beweisstücke. Schnee ist Unschuld. Weiß wie Milch, unverdorben wie das Neugeborene, das sie trinkt.

Ich hatte mir vorgenommen, nicht am Fenster zu stehen; ja sogar, mich nicht im Wohnzimmer aufzuhalten. Dieses Zimmer ist nämlich das einzige, das zur Straße zeigt. Diese Fenster sind die einzigen, durch die man heranfahrende Autos sehen und sogar hören kann.
Ich hatte mir vorgenommen, nicht auf sie zu warten.
An meinen Entschluss geglaubt, hatte ich nicht,
Was sollte man auch anderes erwarten, nachdem wir uns frisch getrennt hatten. So frisch, dass die Wunde nicht nur noch nicht verheilt war, sondern noch nicht einmal richtig angefangen hatte zu bluten.
Ich war mittags erst nach Hause gekommen.

Wie nicht anders erwartetet, stehe ich nun also doch am Fenster, sehe deutsche und japanische Autos vorbeifahren.
Warte auf einen Peugot. Ihren Peugot.

Die Schuldfrage ist bei Trennungen vielleicht nicht die wichtigste überhaupt, jedoch sehr nützlich, wenn es darum geht, ein bisschen Schmerz zu bewältigen, Entscheidungen nachträglich wohlwollend zu bestätigen und sich selbst als armes hintergangenes Opfer zu sehen (welches natürlich durch märchenhafte Fügung den Klauen einer schrecklichen Furie nur kapp entkam).
Wir hatten viel diskutiert.
Mein Kopf rotiert immer noch, obwohl von Zigaretten und viel zu viel Bier gestern abend noch malträtiert.
Die Erde ist rund- und es gibt nur eine Himmelsrichtung.
Ich versuche, wegzudenken, nicht den Horizont zu streifen, und doch kann ich es nicht verleugnen, nun, da ich alleine in meiner Wohnung bin.
Ich bin schuld.


Mittlerweile fahren kaum noch Autos vorbei. Nachts schläft der Ort. Und der Schnee hat sich von der Luft auf den Boden begeben. Bedeckt- wie der Himmel.
Es ist immer noch dunkel und kalt, als ich hinaustrete.
Ich gehe schnell, aber orientierungslos.
Es gibt nur eine Richtung. Wohin ist egal.

Meine Knie brennen, als ich mich hinunterlasse. Ich bin am Dorfrand, wo die Felder beginnen, wo der Boden hart und schneeweiß ist.
Ich knie und wickle mein Gesicht in meine Hände, als ob ich mich vor dem Mond verstecken wollte, der ausgerechnet jetzt durch die Wolken bricht und meine Demutsszene beleuchtet,
und- ich weine.
Meine Schuld versickert im Weiß.

Als ich nach Hause komme, sehe ich, dass sie in der Zwischenzeit meinen Kram aus ihrer Wohnung herübergeschafft hat. Eine Tüte voller Zahnbürsten, Rasierzeug.
Der Rotwein von letzter Woche ist auch noch da. Ungeöffnet.

Ich brauche Ablenkung. Ich rufe Nadine an. Ich türme Schuld auf wie Sprühsahne auf Kakao. Baue mir ein Haus.

Und morgen lasse ich mich einschneien.



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Bewertung unten mal wieder nicht beachten, bitte.
Liebe Grüße
Ingwer


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-07-22 09:51:55 mit dem Titel Fahrplan

Das reflektierte Licht brannte in seinen Augen.
Es war die siebte Runde heute, und es reichte ihm, definitiv. Er hatte zwischendurch zwar immer mal ein paar Minuten Zeit gehabt, aber nie hatte es für eine gemütliche Zigarette gereicht. Schließlich musste der Mensch auch seine Notdurft verrichten, wenn ihm das Wasser fast bis zum Hals stand, oder sich ab und an mal ein belegtes Brötchen am Kiosk kaufen.
Die Fahrgäste grummelten vor sich hin, wenn er mal ein paar Minuten Verspätung hatte. Termine hier. Zu spät da. Unverschämtheit.
Mit der Zeit war er immer stumpfer geworden, genau wie sein langsam schütteres Haar. Die Falten gruben sich tiefer in seine Augenwinkel, und leider waren es nicht nur Lachfalten.
Er war müde.

Ein rascher Blick auf seinen kleinen Kalender am Armaturenbrett- und ein Lächeln, das scheu über sein Gesicht huschte.
An der nächsten Haltestelle würde sie einsteigen.
Wenn genug Platz war, saß setzte sie sich immer so, dass er sie im Rückspiegel sehen konnte. Sie trug braunen Kunstpelz im Winter und weiße oder blaue Kleider im Sommer. Die Haare immer offen- bis auf einmal. Da trug sie eine Hochsteckfrisur, die ihr überhaupt nicht stand. Irgendjemand musste sie darauf aufmerksam gemacht haben-
in der Woche danach sah sie aus wie sonst.
Sie war ihm vertraut geworden, diese Einmal-in-der-Woche-Geld-kassieren-und-im-Rückspiegel-betrachten-Bekanntschaft.
Aber ansprechen würde er sie nicht, nein.
Er fürchtete sich nur vor dem Mittwoch, an dem sie nicht mehr einsteigen würde.

Heute sah er sie von weitem leuchten, in einem neuen, geblümten Kleid, das sich im Wind aufbauschte, mit wirren Haaren und wirrem Lächeln, das nicht ihm galt.
Sie lächelte für den Mann, der bei ihr stand und sie umarmte.
Und sie verpasste das Einsteigen, weil sie den Mann küsste.


Fahrpläne müssen eingehalten werden, und er fuhr weiter und fuhr und fuhr und fast über eine rote Ampel und fuhr weiter und hielt und fuhr und hielt. Zuletzt am großen Bushof, wo seine Schicht endete.
Er stieg aus und wühlte in seiner Tasche nach Zigaretten.
Er wollte nach Hause.
Er ging zu Fuß, stundenlang durch die kalte Stadt.
Es war weit- seine Frau wartete.

Der Abend schwieg.

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