Kurzgeschichten Testbericht

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Erfahrungsbericht von schraddel

Eine Liebesgeschichte von A bis (fast) Z

Pro:

einfach nur...

Kontra:

... 'ne Story ;)

Empfehlung:

Nein

A

Aber hallo,

sagte die Frau am U-Bahn-Schacht zu mir. Wohin schon so früh am Morgen?

Zur Arbeit, dachte ich mir, wohin sonst. Aber irgend etwas war da in ihrem Blick, das mich gefangen hielt.

Einen Kaffee trinken, sagte ich, und eine innere Stimme nannte mich einen Idioten.

Das wollte ich auch gerade, hörte ich, und die Stimme in mir wurde lauter und sagte, das hast du doch gewusst, dass das jetzt kommt, und du bist doch keine zwanzig mehr, und...

Schnauze!

Wie bitte?

Ach ja, da war ja auch noch die äußere Welt, und...

Hat der Kiosk schon auf? (Klar hat der auf, das weißt du doch, du kommst hier jeden Morgen lang, seit Wochen, der hat immer auf.)

Ich weiß es nicht, ich wohne noch nicht so lange hier. (Sie lügt, aber schlecht.)

Ich auch nicht. (Du auch, du Idiot. Ob sie's wohl merkt?)

Na, dann...

Keiner fragt.



B

Brezen, sagt sie, Brezen wären jetzt nicht schlecht.

Hmmm, sage ich, während ich mein Croissant mit Kaffee aus den Zähnen spüle.

Butterbrezen, weißt Du.

Hmmmm-hmmm.

Du, hast Du heute schon was vor.

(Die Stimme. Die Stimme meldet sich.)

Ein Schluck Kaffee.

Nein.

Das war's. War's das?



C

C-14.

Archäologen bestimmen so das Alter von Gegenständen. Oder auch von Menschen. Menschen, die einmal gelebt haben, und jetzt versteinert sind. Hat was mit Radioaktivität zu tun, Isotopen, oder wie das heißt.

Ich versuche, ihr Alter nach der C-14-Methode zu bestimmen, während wir gemeinsam mit der U-Bahn fahren. Es gelingt mir nicht. Vielleicht fehlen mir die nötigen Messvorrichtungen.

Ich studiere den U-Bahn-Plan an der Waggonwand. Wo wollten wir aussteigen? Wollten wir überhaupt irgendwo aussteigen, irgendwo hin? Sie nannte kein Ziel. Ich auch nicht.

Plötzlich steht sie auf.

Ich folge.



D

Düsseldorf. Warst du schon mal in Düsseldorf.

Nee.

Ich auch nicht.

Gelächter.

Komm, hier gibt's Frühstück. Richtiges Frühstück.

Mein Vorschlag. Wird sie ihn annehmen?

Ja, warum nicht.

Erleichterung. Sie redet so wenig. Es wäre einfacher, wenn sie reden würde.

Du redest so wenig.

Sagt sie.

Ja?

Ja.

Mhm.

Die Brötchen sind lecker.



E

Entwickeln muss sich das Ganze. Wie jede Geschichte, jede Romanze.

Entwickeln.

Scheiße, entwickeln! Mein Chef bringt mich um; ich hätte heute die beiden Filme abliefern sollen, von dem Location Shooting gestern. Waren echt gute Sachen dabei.

Ob ich ihr von meinem Job erzählen soll?

Nee, dann hält sie mich bestimmt für einen Angeber. Was kann ich dafür, dass ich für eine Werbeagentur arbeite? Das ist nicht so hip, wie Leute wie sie sich das vorstellen. Gar nicht hip, eigentlich. Eher lausig, wenn ich mir's überlege.

Okay, dann bin ich eben...



F

Fotograf.

Nee.

Das geht nicht.

Fotograf. Wie das schon klingt.

Die hält mich für 'nen Porno-Fuzzi und meint, ich habe sie zu diesem Frühstück abgeschleppt, um sie hinterher...

Und das Wort "shooting", nee, das verkneif ich mir lieber.

Ferner wäre da noch...

Mist, mir fällt nix ein.



G

Gehen wir?

Äh... – ja. Zahlen!

Nein, das mach ich.

Kommt überhaupt nicht in Frage! Zahlen!

Das hast Du doch schon gesagt, lacht sie.

Ja, na und? Warum kommt denn da keiner? – Ober, zahlen!

Achtfuffzch.

Stimmtso. Äh, nee, zehn.

Hatte für Geld noch nie so'n richtiges Gefühl.



H

Heiß ist es draußen, als wir in die Sonne kommen. Die Bushaltestelle ist gleich an der Ecke, und wir steigen ein. Auf dem Oberdeck hat jemand die Kippfenster aufgemacht; wir setzen uns gleich dahinter, ziehen unsere Jacken aus, und halten die Haare in den Wind. Hinter uns ein älterer Herr, will sich leicht empören, sagt aber nichts, und setzt sich stillschweigend einen Platz weiter. Kinder steigen ein, machen Lärm, gehen wieder; ältere Damen mit Einkaufstaschen tuscheln; eine Kleingartenkolonie zieht vorbei, die Zwerge sehen klein aus von hier oben, sagt sie, und ich stimme zu.



I

Ist da noch jemand?

Ja.

Endstation.



J

JWD jelandet. Janz weit draußen, heißt das auf Berlinerisch.

Jetz jehn wer einfach weiter ins Jrüne, sagt sie, und ich nicke und gehe mit.

Sie scheint zu wissen, wohin die Reise geht, oder ist auch das nur Illusion? Wir tragen unsere Jeansjacken über der Schulter, unter dem Arm, mit der Schlaufe am Finger, Ballast, was soll's.

Die Maiglöckchen protestieren raschelnd, als wir sie mit Stoff bewerfen. Zehn Meter weiter beschwert sich eine wilde Müllkippe über zwei Handys. Unter einer Blechdose klingelt es.

Deins oder meins?



K

Kalt, oder was meinst Du?

Ich hatte noch nie eine Vorliebe für Waldseen im Mai, aber sie, sie ist schon drin. Ich schwimme hinterher, mich friert, nein, ich habe noch nie so schön gefroren wie heute, und wir sind am anderen Ufer, irgendwie, angekommen.



L

Leute, sagt sie.

Leute denken bestimmt, wir sind verrückt.

Lass sie denken, sage ich, während ich noch mehr belaubte Äste von den Bäumen reiße.

Wir liegen hier nackt und frieren, und drüben...

Ich ziehe ein paar Birkenäste über uns und drücke sie an mich.

Das Laub raschelt, als wir darin versinken.



M

Meter um Meter, Zug um Zug, erkämpfen wir uns unseren Weg zurück durch den See. War es das? Ist der Zauber verflogen? Ich weiß, dass sie sich das fragt, und sie weiß, dass ich mich das frage.

Ob unsere Klamotten noch da sind.

Klar sind sie das.

Ich heuchle Zuversicht.

Die Jacken, die Handys?

Weggeworfen, ja, sicher. Wollten wir wirklich unser altes Leben wegwerfen?

Menschen machen Fehler.

Ja, das tun sie.

Wir schlucken Wasser, und beschließen, zu schweigen.



N

Neue Menschen haben sich am Ufer eingefunden, als wir ankommen. Nette Menschen, denn sie haben unsere Klamotten auf einen Stapel gelegt und sich Sorgen gemacht. Wir trinken Kaffee bei der DLRG.

Man will unsere Ausweise sehen.

Die waren in den Jacken.

In diesen Jacken?

Man zeigt sie uns, und wir nicken.

Die Jacken verschwinden, mitsamt den DLRG-Leuten und den Ausweisen. Kurz darauf tauchen sie wieder auf.

Und das sind Eure Telefone?

Wir nicken wieder.

Haut ab!

No escape...




O

Ob es woanders besser ist?




P

Primär gilt es eins zu verwirklichen: sich selber. Alles andere ist sekundär. Oder gar tertiär. Oder präkambrium. Oder so.



Q

Quälen sollte man sich niemals. Weder mit sich selbst, noch mit anderen.



R

Richtig ist das, was man tut. Immer, und ohne Ausnahme. Falsch wird es nur in den Augen der anderen.



S

Schlafen? Mit Dir?



T

Tatsachen kann man nun einmal schwer bestreiten. Die Realität hatte uns eingeholt, das war wahr, aber nur scheinbar. Die Busfahrt, der See, die DLRG, die philosophische Diskussion in der Kneipe: Es wurde unscheinbar, als wir plötzlich wieder allein waren. Wir hatten unsere Jacken wieder angezogen, nachdem es dunkel geworden war, weil uns fror. Und wir wunderten uns, dass unsere wieder gefundenen Telefone nicht geklingelt hatten, ganz so, als würde dieser Tag immer noch uns gehören, bis wir feststellten, dass man sie bei der DLRG einfach ausgeschaltet hatte, und wir nicht auf die Idee gekommen waren, nachzusehen.



U

Und trotzdem: Dies war unser Tag. Unverhofft waren wir uns begegnet, und es fiel schwer, sich wieder zu trennen.



V

Vielleicht sollten wir...?

Nein.

Dein Bus kommt.

Und da kommt Deiner.

Also...

... tschüß.

Ja. Tschüß.



WXYZ

11 Bewertungen, 2 Kommentare

  • pepsiman

    15.03.2002, 23:18 Uhr von pepsiman
    Bewertung: sehr hilfreich

    Die letzten Buchstaben hättest du aber auch noch schreiben können. :-))))))

  • trilli7

    08.03.2002, 03:08 Uhr von trilli7
    Bewertung: sehr hilfreich

    ich hatte das privileg deine deschichte als erster zu bewerten ;-) ne klasse story. mfg trilli7