Die Rückkehr des Tanzlehrers (gebundene Ausgabe) / Henning Mankell Testbericht

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Erfahrungsbericht von catmother

Der neue Mankell – Er pinkelt wieder!

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Meine Schwester hat mir neulich den neuesten Mankell aufgedrängelt, da sie weiß, daß ich ein wenig resistent gegenüber diesem Autor geworden bin. Nun gut, dann wollen wir mal sehen, ob sich jetzt mit dem neuen Kommissar die Geschichten wieder vom Mankell’schen Einheitsbrei abheben.


** Die Geschichte **
In einem einsamen Hof in Nordschweden wird ein Mann äußerst brutal gefoltert, mit Tangoschritten durch sein Haus geschleppt und schließlich ermordet.

Inspektor Stefan Lindman, Polizist in Boras in Südschweden, erfährt, daß er Krebs hat. Krebs in seiner Zunge, bösartig und lebensgefährlich. Wie die Heilungschancen sind, vermag noch keiner zu sagen. Und in einigen Wochen wird seine Ärztin mit der Behandlung beginnen. Bis dahin ist er erst einmal krank geschrieben und weiß nicht, was er mit sich anfangen soll. Da erreicht auch ihn die Nachricht vom Tod Herbert Molins, des Mannes, der in Sveg ermordet wurde. Lindman und Molin waren einmal Kollegen gewesen, wobei der ältere Molin so etwas wie ein Mentor für Lindman war. Deshalb ist er etwas verwundert über diesen Mord, aber er muß sich auch eingestehen, daß er immer das Gefühl hatte, Molin hätte stets Angst hatte vor etwas Unbekanntem gehabt.

Also beschließt er, nach Sveg zu fahren, einfach so. Und weil er seinen Beruf nicht verleugnen kann, sieht er sich am Haus des Toten um, in der Gegend, spricht mit dem Nachbarn, mit dem Makler... alles ohne das Wissen der örtlichen Polizei. Die natürlich nicht begeistert ist, als sie davon erfährt.
Giuseppe Larsson, Polizist in Östersund, ist allerdings sehr verständnisvoll und kooperativ und läßt Lindman fast an den Ergebnissen teilhaben. Im Gegensatz zu seinen Kollegen hat er keine Berührungsängste, der Kollege könnte sich in die Ermittlungen einmischen. Und tatsächlich hatte Lindman im Wald etwas entdeckt.

Gemeinsam finden sie schon mal soviel über den Toten heraus: Molin wurde in Militärfamilien geboren und diente schon jung als Offizier. Nach dem Krieg betrieb er selbständig ein Musikgeschäft bis zu dessen Pleite, danach wurde er Polizist. Allerdings gibt es auch Ungereimtheiten in der Biographie: in den 50ern änderte er seinen Namen geändert, worüber man spekulieren kann, denn der neue ist ein Allerweltsname. Außerdem stellt sich im Laufe der Ermittlungen heraus, daß er irgendwann in seiner Jugend von drei Kugeln getroffen wurde und wie durch ein Wunder überlebte. Und er war schon mit 19 und bis zu seinem Tod ein überzeugter Nazi. Der Grund für seine Ermordung muß wohl in seiner Vergangenheit liegen.

Eine entscheidende Rolle spielt auch Elsa Berggren, die hier in Sveg wohnt. Sie kannte Molin angeblich seit ihrer Jugend und wurde von ihm nach seiner Pensionierung mit dem Kauf eines einsamen Hauses in den Wäldern von Härjedalen beauftragt. Sie betreibt eine Tanzschule für Kinder, hat eine SS-Uniform im Schrank hängen und sagt nicht die Wahrheit. Später offenbart sich, daß sie genauso nationalsozialistisch eingestellt war wie Molin und auch heute noch zu dieser patriotischen Gesinnung steht.

Dann, kurz vor seiner Abreise, findet er eine weitere Leiche: Abraham Andersson, den Nachbarn von Molin (wobei Nachbar hier aber kilometerweit weg bedeutet), ein pensionierter Geiger. Der wurde an einen Baum gefesselt und mit einer Schrotflinte erschossen.

Haben sie es hier mit einem Verrückten zu tun? Welche Rolle spielen die alten Nazis, die mit Molin zu tun hatten und immer noch dafür eintreten, daß Schweden sauber bleibt? Was verbirgt Molins Tochter Veronica, die von der Vergangenheit ihres Vaters erschüttert ist, sich aber trotzdem seltsam verhält?

Aber auch für Lindman persönlich nimmt der Fall eine starke Brisanz an – als er in den Unterlagen eines anderen alten Nazis, der Molin gekannt hat, eine Entdeckung macht, die die Vergangenheit seiner eigenen Familie betrifft und ihn selbst in den Grundfesten seiner bisherigen Erinnerung erschüttert.


** Buchkritik **
Ich war zugegeben etwas neugierig auf den neuen Mankell, da mir meine Schwester auch verraten hatte, daß es einen neuen Kommissar gibt. Meine erste Frage: Und hat der auch Diabetes? Ihr seht schon, ich bin voreingenommen.

Zunächst muß man sagen, daß es ungeheuer schwierig war, die sehr komplexe Handlung einigermaßen eindeutig und nachvollziehbar in einer Inhaltsangabe zu beschreiben. Durch die vielen Figuren, die oftmals nur winzige Rolle spielen, die aber manchmal nicht ohne Bedeutung sind, und die verschiedenen Erzählperspektiven (Täter, Kommissar) wird es schnell unübersichtlich. Ich hoffe, ihr seid damit zurecht gekommen, denn zuviel wollte ich ja auch nicht verraten.

Mit Lindman ist jetzt also eine neue Figur am Kommissar-Himmel erschienen. Aber ist er so neu? Wieder ist der Held ein einsamer Wolf. Obwohl er noch nicht mal vierzig und in der Gegend aufgewachsen ist, wo er heute arbeitet, ist er ohne Freunde, hat kaum familiäre Bindungen, und wenn er welche hat, vernachlässigt er sie sträflich. Wie hier die Freundin, eine ältere Polin, von der ich bis zum Schluß des Buches nicht ganz erkennen konnte, welche Rolle sie spielt. Einmal erscheint sie wie ein Alibi (jeder Mann muß ja eine Frau haben), dann spricht der Hauptdarsteller wieder davon, daß er ohne sie nichts wäre. Meist jedoch hat man das Gefühl, sie ist ihm auf eine Art sogar lästig. Dabei dient hier die Krankheit wie zur Rechtfertigung seines abweisenden Verhaltens. Aber genau das machte die Figur des Kommissars für mich höchst unsympathisch.

Die Konstruktion der Handlung, daß er Detektiv spielt, obwohl es nicht sein Fall ist, scheint mir wieder einmal an den Haaren herbeigezogen. Wofür soll das eine Rechtfertigung sein? Daß alle Polizisten an einer Sucht leiden, sich in alles einzumischen, ihre Nase in jeden Fall reinstecken zu müssen, weil nur der Held alles besser weiß und kann und immer mehr entdeckt als alle anderen?

Ab Seite 151 wissen wir schließlich, wer der Täter war, zumindest für den Mord an Molin. Die Zusammenhänge und Gründe für den Mord werden dann im Weiteren wie in einem Puzzle offenbart. Dabei geht Mankell wieder ungeheuer detailverliebt vor. Der teilweise minutiös dargestellte Tagesablauf seines Helden nimmt viel Raum ein - und besonders viel Wert legt er erneut auf die ganz intimen Handlungen: immer wieder werden wir Zeuge, wie sich der Held erleichtert. Das ging mir bei Wallander schon auf die Nerven.

Vor allem die Krankheit von Lindman steht ständig im Raum; man wird als Leser immer wieder daran erinnert. Dies ist zwar ein durchaus legitimer Schachzug des Autors, seinen Helden irgendwie auch menschlich mit Gesundheit und Krankheit, und Problemen darzustellen, aber ich finde das reichlich übertrieben und eher zermürbend, zumal die Logik in der Handlungsweise des Kranken fehlt.

Was als Kriminalfall beginnt, wird schnell zum Exkurs in die politischen Gegebenheiten Schwedens, das offensichtlich ebenso mit Relikten der Nazizeit, mit Rassismus und Nazismus zu tun hat wie Deutschland und andere Länder Europas.
Wir erfahren, daß es in Schweden auch 1999 noch Probleme mit alten und Neonazis gibt und ich frage mich selbst, wieso mich das so wundert. Die Ursache liegt sicher darin, daß man über Schweden so gut wie nie etwas hört und immer denkt, dieses Land bliebe von allen rassistischen und politischen Problemen Europas verschont,

Daß diese Richtungsänderung bereits zu Anfang des zweiten Drittels des Romans passiert, machte mir ein wenig Sorge, der Rest könnte zäh werden. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß man danach noch Höhepunkte schaffen kann, die mit dem Kriminalfall zu tun haben.
Aber dadurch, daß es sich um zwei verschiedene Fälle handelt, blieb zumindest die vollständige Auflösung und der große Überblick bis zum Schluß spannend.


** Meine Meinung **
Wer immer noch Fan von Mankell ist, wird auch diesen hier lieben, denn echte Fans kann nichts erschüttern. Ich hingegen konnte keine große Neuerung feststellen: die Grundkonstellation und auch die Anlage seines neuen Helden ist in etwa gleich geblieben – Charaktere werden nicht in die Tiefe ausgearbeitet, dafür wird mehr Wert auf Handlungsdetails gelegt.
Gut gefallen hat mir lediglich, daß es ein aktuelles Thema ist, das hier in den Fall verwoben wird, und damit die Tradition von “Der Mann, der lächelte” fortgeführt wird.

Eine Empfehlung möchte ich deshalb aussprechen, wenn auch mir Abstrichen. Aber ich mit meiner Mankellmüdigkeit sollte dafür kein Maßstab sein.


** Daten **
Verlag Zsolnay
gebunden 505 Seiten
Preis: 24,90 €
ISBN 3552052054

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