Buddenbrooks (gebundene Ausgabe) / Thomas Mann Testbericht
Erfahrungsbericht von steffestef
"Vergessen...ist das denn ein Trost?!"
Pro:
guter Einstieg in das Werk von Thomas Mann
Kontra:
durch hohe Detailgenauigkeit mitunter etwas langatmig
Empfehlung:
Ja
Mit seiner unglaublich detaillierten Art zu beschreiben, schafft Thomas Mann es, über die Familie Buddenbrooks hinaus die komplette gut-bürgerliche Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Lübeck zu porträtieren (obwohl nie explizit erwähnt wird, in welcher Stadt die Buddenbrooks wohnen, sind die Anspielungen innerhalb des Romanes recht offensichtlich, zumindest, wenn man Lübeck kennt). Schon nach kurzer Beschäftigung mit der Person Thomas Mann wird deutlich, wie sehr er seine Umgebung und die Personen seiner Umgebung in sein literarisches Schaffen eingebettet und auch für selbiges "benutzt" hat.
Besonders lesenswert sind die "Buddenbrooks" meines Erachtens aber deswegen, weil sie auf noch relativ einfache Art und Weise einen Zugang in die Vorstellungswelt von Thomas Mann ermöglichen und die Grundelemente seiner Ethik und Weltanschauung enthalten. Im Gegensatz zu vielen späteren Werken findet in den Buddenbrooks tatsächliche Handlung statt, die Charaktere interagieren in Dialogen miteinander und verlieren sich nicht wie bspw. in "Tod in Venedig" in inneren Monologen.
Der Untertitel des Romans "Verfall einer Familie" bezieht sich nicht nur auf den vordergründigen Handlungsverlauf - nämlich das Aussterben der männlichen Buddenbrooks (Ausnahme: Christian), sondern bringt auch die in der Literatur-Szene des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts herrschende pessimistische Stimmung zum Ausdruck: Künstlerisch betrachtet schien es kaum die Möglichkeit zu geben, etwas Neues zu schaffen, alle Formen von Kunst und Literatur waren scheinbar auf die ein oder andere Art schon dagewesen. Die einzige Möglichkeit, sich von anderer, älterer Kunst abzusetzen, bestand in einer Verfeinerung und Veredelung der künstlerischen Formen - die Kunst um der Kunst willen.
Thomas Manns Vorstellung von dieser Verfeinerung (Stichwort: Dekadenz) ist geprägt von den Gedanken Nietzsches und Schopenhauers: der Künstler, welcher nur Künstliches schafft, verliert den Kontakt zum Leben, seine Vitalität schwindet, er verliert die Lebensfähigkeit. Der Verlust der Vitalität zusammen mit dem Verlust der Nützlichkeit für die Gesellschaft geht einher mit einem Gewinn an Erkenntnis. Oder anders: die Fähigkeit, zu erkennen, die wahren Beweggründe hinter bürgerlichen Fassaden zu durchschauen, ist untrennbar verbunden mit sozialer Isolation und Unangepasstheit.
In den "Buddenbrooks" wimmelt es von Charakteren, die zwischen den beiden Polen Künstler - Bürger pendeln und Elemente beider Welten in sich vereinen. Durch Ironie werden die Charaktere in ihrem wahren Wesen enttarnt bzw. enttarnen sich durch ihr Handeln selbst. Die männlichen Buddenbrooks - angefangen mit Johann Buddenbrook sen. bis hin zu Hanno Buddenbrook - verlieren an Handlungsfähigkeit und Entschlusskraft, ihre Vitaltität schwindet im gleichen Maße wie ihr kaufmännisches Gespür, ihre Lebenserwartung nimmt von Generation zu Generation ab. Die Entwicklung gipfelt im Tod von Hanno Buddenbrook, der noch nicht volljährig an Typhus verstirbt. Seine Liebe galt immer der Musik, nie dem Kaufmannsberuf.
Trotz der negativen Entwicklung der Familie gibt es durchaus positive Momente. Die Gegenüberstellung der Brüder Christian und Thomas beispielsweise zeigt, dass die bürgerliche Fassade, die ihm Laufe des Romans sooft niedergerissen wird, durchaus ihre nützlichen Seiten hat: durch die Fassade kann das bürgerliche Umfeld weiterhin funktionieren. Eine Novelle, in der Thomas Mann zeigt, welche Auswirkungen das Fallenlassen der Fassade hat ist z.B. "Tristan".
Neben dem realistischen Element des detailreichen Gesellschaftsporträts liefern die Buddenbrooks also gleichzeitig die Grundpfeiler der Mannschen Philosophie. Der Roman des damals 25jährigen (!) stellt den Auftakt dar, zu einem Gesamtkunstwerk, dass sich im Sinne Nietzsches zu einem organischen Ganzen zusammenfügt.
Die hier angedeuteten philosophischen "Folien" auf denen die "Buddenbrooks" geschrieben sind, sollten meiner Meinung nach nicht von einer Lektüre abschrecken. Durch seinen Witz und seine Ironie, seine genauen Beschreibungen und sein Gespür für Sprache offenbart Thomas Mann sich als der faszinierende Mensch der er ist. Deswegen meine Empfehlung: unbedingt lesenswert!!!
21 Bewertungen, 11 Kommentare
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27.02.2006, 13:07 Uhr von chrimichael
Bewertung: sehr hilfreichsh würde mich über Rücklesung freuen
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23.02.2006, 00:51 Uhr von Lotosblüte
Bewertung: sehr hilfreichSuper geschrieben - sh! <br/>lg
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23.02.2006, 00:33 Uhr von topware2002
Bewertung: sehr hilfreich<SH> .... :>)
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22.02.2006, 22:20 Uhr von bubbelchen05
Bewertung: sehr hilfreichSH <br/>Liebe Grüße <br/>Marina
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22.02.2006, 21:04 Uhr von wm_2006
Bewertung: sehr hilfreichklasse geschriebener Bericht - hat Spaß gemacht ihn zu lesen
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22.02.2006, 20:55 Uhr von Sarah1509
Bewertung: sehr hilfreichfreue mich immer über gegenlesungen lg sarah
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22.02.2006, 20:25 Uhr von HiRD1
Bewertung: sehr hilfreichSH. Gruß, Ralf
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22.02.2006, 20:21 Uhr von DOMMEL
Bewertung: sehr hilfreichsh würde mich über rückbewertungen freuen
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22.02.2006, 20:21 Uhr von Gemeinwesen
Bewertung: sehr hilfreich<b><i>Kotau.</i></b> Beste Grüße vom Gemeinwesen.
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22.02.2006, 20:07 Uhr von morla
Bewertung: sehr hilfreichsehr hilfreich <br/>
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22.02.2006, 20:06 Uhr von Ibizagirl1977
Bewertung: sehr hilfreichschöner bericht <br/>liebe grüße sonja => die sich immer über eine gegenlesung freut ;-)
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