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Erfahrungsbericht von mima007

Jeffery Deaver: *Lautloses Duell*: Spannendes Hackerduell

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Ein atemloser Thriller, der dem Leser kaum eine Verschnaufpause gönnt. Ein Katz-und-Maus-Spiel um einen Serienmörder, der ein Computeractionspiel auf die Wirklichkeit übertragen hat und nun Menschen tötet. Kann die Polizeiabteilung für die Bekämpfung von Computerverbrechen den Killer stoppen?

Handlung

Das Silicon Valley südlich von San Francisco ist so etwas wie der Software und Dollars gewordene Amerikanische Traum: vom Programmierer zum Multimillionär. Doch neuerdings treibt sich in diesem Paradies des Kapitalismus eine ziemlich tödliche Schlange herum. Ein Hacker mit dem Decknamen Phate (\'fate\' = Schicksal) bringt mehrere Menschen um, darunter eine bekannte Frauenrechtlerin.

Die ermittelnde Polizeiabteilung für die Bekämpfung von Computerverbrechen findet heraus, dass sich Phate in die Computer seiner Opfer eingeloggt hat und sämtliche persönlichen Daten genauestens ausspähen konnte, ohne dass seine Opfer es merkten. Den dafür nötigen Virus namens Trapdoor (\'Falltür\') hat Phate selbst programmiert, ein geniales Stück Programmcode, wie sich zeigen wird. Die Polizei steht vor einem Rätsel, aber unter enormem Zeitdruck. Wenn der Hacker in das Polizeinetzwerk ISLEnet eindringt, greift er auch das FBI und andere Sicherheitsbehörden an. Dann gute Nacht, Weltfrieden!

Lieutenant Andy Andersons Polizeiabteilung für die Bekämpfung von Computerverbrechen wählt einen unkonventionellen Weg, um Phate Paroli bieten zu können und ihm endlich bei seiner nächsten Tat zuvor zu kommen. Die Polizisten schlagen dem im Knast sitzenden Hacker Wyatt Gillette einen Deal vor: Er bekommt einen Rechner gestellt, wenn er der Polizei hilft, Phate in die Enge zu treiben.

Natürlich hat die Sache einen dicken Haken, der sich noch bitter rächen wird: Gillette sitzt in Haft, weil er angeblich den Sicherheitsschlüssel des Pentagon geknackt hat. Da aber Anderson das Pentagon nicht fragte, ob er Gillette \"ausleihen\" darf, bekommt sein Nachfolger - Phate hat Anderson kaltgemacht - mächtigen Ärger aus Washington an den Hals.

Während sich die Behörden gegenseitig an die Kehle gehen, büchst eines Tages Gillette aus und macht sich selbständig. Nun fragt sich Inspektor Bishop natürlich, auf welcher Seite Gillette, der früher den Hacker-Codenamen \'Valleyman\' trug, in Wahrheit steht? Und wer steckt hinter diesem mysteriösen Phate-Freund namens Shawn, der anscheinend jede Bewegung der Polizei an Phate weitermeldet?

Mein Eindruck

Der Psychologe Deaver beweist in diesem Silicon-Valley-Thriller um Hacker und Serienmorde, wie genau er die ganze Hackerszene kennt: ihre Sprache, ihre Methoden, ihre Verhaltensweisen. Ebenso gründlich recherchiert hat er die Geschichte der Computerindustrie. Phate tötet nur an besonders wichtigen Jubiläumstagen, so etwa an dem Tag, als der frühe Rechner UNIVAC ausgeliefert wurde. Für Leser, die keine Computerfans sind, ist das natürlich nicht so wahnsinnig spannend - für mich aber war es das: Ich bin schon seit 1986 mit Personal-Rechnern zugange - und damals gab es noch nicht mal Microsoft-DOSe.

Die Spannung der Handlung steht und fällt natürlich mit dem Verhalten der Polizisten und ihres Hackerhelfers Gillette während des spannenden Duells zwischen den beiden Hackern. Das ist recht plausibel konstruiert, nur dachte ich die ganze Zeit, die Bullen können doch nicht so blöd sein und übersehen, dass \'Shawn\' ein Maulwurf in ihrem eigenen Team ist. Doch während ich felsenfest überzeugt war, es sei der unfähige Altprogrammierer Miller, war es natürlich jemand ganz anderes, und nicht mal ein Mann. Das zeigt sich aber erst ganz am Schluss, und daher will ich das auf keinen Fall verraten. Einen Schwachpunkt gibt es: Gillettes Motivation, Phate zu jagen, ist nicht ganz glaubwürdig begründet, zumindest nicht der Eifer, mit dem er das tut. Schließlich waren die beiden einst Mitglieder der gleichen Hackergang.

Die Message?

Was will uns Deaver mit dieser Story sagen? Ganz einfach: Wir alle, die wir E-Mails verschicken und persönliche Daten auf dem PC speichern, sind total angreifbar. Viren und Würmer sind nur die Publicity-trächtige Spitze des Eisbergs. \'Trapdoor\' ist eine - noch fiktive - Späh-Software, wie sie auch Behörden oder das Militär einsetzen könnten. Nicht nur, um Computer auszuspionieren, sondern auch um indirekt Menschen zu töten (eine solche Szene wird sogar im Buch durchgespielt) und rechnergesteuerte Gebäude in die Knie zu zwingen. Im Bosnien- und Kosovo-Krieg tobte - meist unbemerkt von der Öffentlichkeit - ein \"Infowar\" in den globalen Netzen (es gibt ja nicht nur das Internet), in dem Terroristen, Rebellengruppen und die Militärs einander bekriegten.

Was kann der einzelne PC-Nutzer tun? Sich so schnell wie möglich mit ordentlicher Antiviren-Software ausstatten und wenn möglich sogar eine Personal Firewall installieren. Regelmäßige Aktualisierungen nicht vergessen!

Fazit

Ich habe \"Lautloses Duell\" in drei Tagen verschlungen. Es ist für einen Computerkenner leicht verständlich geschrieben. Schwierigere Sachverhalte erklärt der Autor mit Diagrammen, aber die taugen auch nicht als Programmieranleitung, keine Angst.

Ein Glossar erklärt wichtige Fachbegriffe, auch solche, die bekannt erscheinen wie etwa den Begriff \"Zivilisten\" - das sind einfach weder Hacker noch Hackerfeinde, sondern \"normale\" User.

Natürlich gibt es wieder die Deaver-typischen Überraschungen und plötzlichen Wendungen, wenn man meint, den oder die Täter schon zu kennen. Dies bleibt so bis zu den letzten Seiten, so dass es enorm schwerfällt, das Buch zur Seite zu legen.

Zur Übersetzung

Auf Seite 131ff (nicht im Glossar) findet sich der Begriff \"Stenanografie\". Damit ist eine Methode gemeint, Daten wie etwa schädlichen Code in Bildern und dergleichen zu verbergen. Meines Wissens sollte dies aber \"Steganografie\" heißen.

Auf Seite 169 steht natürlich prompt \"RFTM\" statt \"RTFM\", welches die klassische Anweisung ist: Read the f**king manual!\" - \"lies das verdammte Handbuch!\"

Michael Matzer (c) 2002ff

Info: The blue nowhere, 2001; Goldmann 04/2002, München, 512 Seiten, EU 9,00, aus dem US-Englischen übertragen von Gerald Jung; ISBN 3-442-45145-0

----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-05-29 18:29:51 mit dem Titel J. Deaver: *Der Insektensammler*: Menschenjagd mit Hindernissen

Dies ist in der Tat ein \"komplexer psychologischer Thriller\", wie es der Klappentext verspricht: Nichts ist wirklich so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die unscheinbare Kleinstadt im Hinterland der amerikanischen Ostküste ist ein wahres Hornissennest. Überraschungen tauchen dann auf, wenn man sie am wenigsten erwartet oder gebrauchen kann - bis zur letzten Seite.

Der Autor

Jeffery Deaver ist nach nur zwei Romanen bereits einer der bekanntesten Krimiautoren der USA. Denn einer dieser zwei Romane wurde von Hollywood verfilmt: Unter dem Titel \"Der Knochenjäger\" zeigte der Streifen Denzel Washington und Angelina Jolie in den Hauptrollen. Vorlage war Deavers Thriller \"Die Assistentin\", in der ebenfalls der Kriminalist Lincoln Rhyme die Hauptfigur darstellte.

Die Handlung

Amerikanische Ostküste, Bundesstaat North Carolina. Im ausgedehnten Sumpfgebiet am Paquenoke-Fluss wurde die junge Archäologin Mary Beth O\'Connnell entführt. Dringend verdächtig ist der 16-jährige Darrett Hanlon, der schon einiges auf dem Kerbholz zu haben scheint und in der Gegend nur \"Der Insektensammler\" genannt wird. Er ist ein sonderbarer Einzelgänger, der im Sumpf lebt und sich obsessiv mit \"Ungeziefer\" beschäftigt. Selbst vor Hornissen hat er keine Angst, denn er setzt ihre Nester manchmal als Waffe ein.

Hornissenstiche haben einen Deputy Sheriff von Tanner\'s Corner so vergiftet, dass er ins Koma fiel. Er konnte die junge schwarze Krankenschwester Lynda Johanson daher nicht mehr beschützen, als sie von dem Insektensammler entführt wurde. Merkwürdig ist es schon ein wenig, dass eine Krankenschwester sich an die Stätte eines Mordes begibt, um Blumen niederzulegen. Nun ist die Polizei unter Sheriff Jim Bell reichlich verzweifelt. Und sie greift daher zum letzten Strohhalm.

Lincoln Rhyme aus New York City und seine Assistentin Amelia Sachs sind nach North Carolina gekommen, damit er sich dort in einer Spezialklinik (wo auch Lynda Johanson arbeitet) an der Wirbelsäule operieren lassen kann. Rhyme ist seit einem Dienstunfall in New York City fast vollständig gelähmt. Seinen Spezial-Rollstuhl fährt er mit Hilfe einer \"Strohhalmsteuerung\", die er mit dem Mund bedient. Nur den beredsamen Kopf und den linken Ringfinger kann er noch bewegen.

Sheriff Bell, der von seiner Anwesenheit erfahren hat, tritt an ihn heran und bittet Rhyme um Hilfe bei der Lösung des Hanlon-Falles. Rhyme sieht eine Chance, sich die Langeweile vor der Operation zu vertreiben und willigt ein, unter der Bedingung, die Untersuchung kriminalistisch leiten zu können.

Mit Rhymes\' analytischem Verstand und seiner akribischen Spurensuche gelingt es ihm schon nach kurzer Zeit, mit Amelias Suchtrupp den Jungen in den Sümpfen aufzustöbern, ihn in die Enge zu treiben und schließlich in einer dramatischen Aktion zu verhaften. Lynda Johanson wird fast unversehrt befreit. So weit so gut. Doch wo ist die Geisel des Jungen versteckt: Mary Beth McConnell? Muss sie etwa verdursten? Der Junge weigert sich im Gefängnis, dazu eine Aussage zu machen. Er sagt, er wolle Mary Beth nur beschützen. Und Amelia, die Muttergefühle in sich spürt, merkt, dass der Junge Angst hat.

Unvermittelt erhält der Fall eine unerwartete Wendung: Amelia Sachs wechselt die Seiten. Sie flieht mit dem befreiten Jungen zurück in die Sümpfe, wobei sie clever ihre Verfolger in die Irre führt (gelernt ist gelernt: Amelias Vater war Streifenpolizist). Plötzlich sieht sich Mr. Rhyme einem äußerst intelligenten Gegner gegenüber. Wird es ihm gelingen, Amelia und den Jungen zu finden und die verschwundene Mary Beth zu retten?

Doch retten muss er sie alle, wie er zu seinem Entsetzen herausfindet: Er ist von Anfang benutzt worden, um Zeugen großer Verbrechen in Tanner\'s Corner zu finden, die von den Schergen eines mächtigen Hintermannes unschädlich gemacht werden sollen. Eine Wettlauf gegen die zeit beginnt, als nicht weniger als drei Trupps Jagd auf Amelia und Garrett machen. Die Menschenjagd führt zu einem bleihaltigen Showdown im Sumpf.

Das ist natürlich noch nicht das Ende, denn der Leser fragt sich ja, ob Amelia Sachs für ihre Untat in die Gaskammer geschickt wird. In den Südstaaten sollte man offenbar damit rechnen, legt der Autor nahe.

Mein Eindruck

Am Anfang hatte ich meine Mühe, mit der leicht etwas überheblich wirkenden Art des Chefermittlers Lincoln Rhyme zurecht zu kommen. Doch der Junge hat wirklich was auf dem Kasten, wie das Fortschreiten der Untersuchung zeigt. Seine Kompetenz bei der Spureninterpretation wird allgemein akzeptiert, doch Amelias Verhalten zeigt auch Rhyme, dass Spuren alleine nicht ausreichen: Sie können so und so gedeutet werden. Psychologie muss hinzukommen, damit aus den Hinweisen eine Geschichte wird. Und nicht einmal das muss zunächst die ganze Wahrheit sein - die Wirklichkeit hat Falltüren, wie Rhyme erkennen muss.

Mit dem Insektensammler Garrett Hanlon hat der Autor eine interessante Figur geschaffen. Der einsam lebende Waisenjunge selbst würde einem Schnüffler wie Rhyme kein paroli bieten könne. Doch mit dem Wissen, das er sich aus Fachbüchern über Insekten angelesen und der praktischen Erfahrung, die er sich erworben hat, schafft er es, Taktiken aus dem Insektenreich in sein Verhalten zu integrieren - so entkommen er und Amelia dem Zugriff der gesammelten Verfolgertrupps. Amelia staunt, wieviel sie selbst von Garrett lernen kann, um zu überleben.

Vertrauen zwischen ihr und dem Jungen entsteht vor allem durch eine Szene. Sie fordert ihn auf, sich einen leeren Stuhl (siehe Originaltitel!) mit jemandem darin vorzustellen, dem er gerne etwas sagen möchte. Dieser Akt der Vorstellungskraft ist Teil der Gestalttherapie und dient dazu, einen \"Patienten\" zum Aussprechen seiner Sorgen und Anliegen zu bringen. Es funktioniert hervorragend, denn nun weiß Amelia, wer am Tod von Garretts leiblichen Eltern schuld ist. Vielleicht lebt sie lange genug, um es Rhyme sagen zu können.

Hornissennester sind nicht nur Waffen in diesem Buch, sondern auch ein Symbol. Rhyme und Amelia sehen die Mitglieder der sie umgebenden Verschwörung erst, als sie angegriffen werden - sogar noch auf dem Operationstisch! Ich finde es wenig glaubhaft, wenn Deaver eine gesamte Kleinstadt und somit die Südstaaten als amoralisch, korrupt und selbstmörderisch hinstellt. Logisch, dass dann die rettende Kavallerie aus dem Norden kommen muss. -- Tennessee Williams und John Grisham haben weiter an diesem Bild gestrickt. Und patricia Cornwell hat sogar einen neuen Roman mit dem Titel \"Die Hornisse\" veröffentlicht. Ihre Geschichten spielen bekanntlich in der alten Hauptstadt des Südens: nein, nicht in Atlanta, sondern in Richmond, Virginia.

Fazit

Es wäre sicherlich unfair zusagen, dass die Roman Handlung im Grunde aus lediglich zwei Menschenjagden (jedesmal auf den Titelhelden) bestünde. Das hieße, die Psychologie und die Kriminalistik unter den Tisch zu kehren. Aber andererseits bezieht der Roman seine Spannung hauptsächlich aus dieser Action. Und zwar in solchem Maße, dass man die Seiten 280 bis 410 nur so durchrast, um herauszufinden, wie Amelias Flucht mit dem Jungen endet. Wie gesagt: Deaver hält danach noch einige Überraschungen bereit.

Jeffery Deaver: Diesen Namen sollte man sich merken.

Michael Matzer (c) 2002ff

Info: The empty chair, 2000; Blanvalet 8/2001, München, 480 Seiten, DM 44,00, aus dem US-Englischen übertragen von Hans-Peter Kraft; ISBN 3-7645-0128-6

----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-06-08 12:00:05 mit dem Titel Jeffery Deaver: *Die Saat des Bösen*: Thriller-Duell der Redner

Ein effektvoller psychologischer Thriller, der mich mit seiner kritischen Haltung gegenüber Erweckungs- und Fernsehprediger wie auch Staatsanwälten überrascht hat. Ein früher Roman Deavers, des Meisters der raffinierten Psychologie und akribischen Gerichtsmediziner.

Handlung

Eine Mordserie ereignet sich im ländlichen Virginia und versetzt eine ganz bestimmte Familie in Angst und Schrecken, die Familie von Tate Collier. Dass er von seiner Frau Bett McCall schon seit Jahren geschieden ist, stört den Killer nicht. Er fängt mit Tates Tochter an.

Die 17-jährige Megan wird immer die \"verrückte Megan\" genannt. Sie kommt nämlich nach der Scheidung ihrer Eltern mit ihren Problemen nicht mehr zurecht und hat sich bereits mit mehreren ungewöhnlichen Männern eingelassen. Nach einer besonders turbulenten Nacht lässt sie sich von ihrer Mutter, Bett McCall, dazu überreden, den Psychotherapeuten Dr. James Paters aufzusuchen. Peters gelingt es in der Tat, Megans Vertrauen zu gewinnen. Immer tiefer in ihrer Psyche bohrend stößt er auf sehr viel Zorn und Frustration und überredet Megan, ihre Wut rauszulassen und aufzuschreiben.

Das Mädchen ahnt nicht, dass Peters keine Approbation hat und ein Mörder ist. Am nächsten Morgen ist sie spurlos verschwunden. In Tate Colliers Haus tauchen nur die verhängnisvollen Gesprächsaufzeichnungen Megans auf. Sie lesen sich nun wie wütende Abschiedsbriefe. Darauf fällt auch die Polizei herein: Wer sucht schon nach einer Ausreißerin, die wahrscheinlich schon längst im Zug nach New York City sitzt?

Tate Collier, ein ehemaliger Staatsanwalt und seit fünf Jahren im Ruhestand, bittet seinen alten Freund Konnie von der Polizei, dennoch nach Hinweisen auf Megans Entführung zu suchen. Konnie ist ein hervorragender Schnüffler. Schon bald stößt er auf Ungereimtheiten. So etwa scheint der letzte Megan-Lover, der ältere Englischlehrer Carson, sich selbst verbrannt zu haben, weil er sich Vorwürfe macht, Megan und andere Mädchen verführt zu haben.

Ein weiterer Lover Megans ist der Farbige Joshua LeFevre, ein rebellischer Kunstmaler aus betuchtem Hause. Als er mit Colliers und Konnies Hilfe Megans Spur aufnimmt, stößt er in den Bergen Virginias, den höhlenreichen Appalachen, auf ein unheimliches und abgelegenes Anwesen. Zwei Erweckungsprediger hätten hier ihre Gottesdienste mit feurigen Reden abgehalten, erzählt ihm eine Anwohnerin. Doch hier stößt Joshua nur auf Aaron Matthews. Er ahnt nicht, dass Matthews mit Dr. James Peters identisch ist.

Peters/Matthews setzt wie schon bei Megan seine heimtückische Überredungskunst und seinen psychologischen Scharfblick ein, um Joshua aus dem Konzept zu bringen. Joshua ahnt ja, dass er Megan hier finden könnte. Doch als er sich ablenken lässt, unterliegt er.

Nun schweben nicht nur Megans Eltern in ernster Gefahr, sondern auch der alte Polizist Konnie, der sich auf die Spur des Dr. Peters gesetzt hat. Doch auch Konnie hat einen schwachen Punkt, wie jeder. Es erscheint schier unglaublich, aber auch diesen abgebrühten und zynischen Polizisten \"schafft\" Dr. Peters mit seiner Beredsamkeit. Schließlich aber trifft er auf seinen eigentlichen Gegner: Tate Collier war einmal der brillanteste Staatsanwalt Virginias. Seine Beredsamkeit ist mindestens ebenso so groß wie die von Matthews/Peters. Und damit hatte er fünf Jahre zuvor dessen Sohn hinter Gitter gebracht...

In einer der vielen Höhlen findet der folgerichtige Showdown zwischen diesen beiden Meistern der Beredsamkeit statt. Und vielleicht gibt es für die entführte Megan noch eine Überlebenschance.

Mein Eindruck

Der Leser ist von Anfang im Bilde, was gespielt wird. Wir folgen den Machenschaften Matthews/Peters\' ebenso wie den verzweifelten Befreungsversuchen, die Megan in den unheimlichen Kellern auf dessen Anwesen unternimmt. Getreu dem alten Hitchcock-Grundsatz sind wir den Vertretern des Guten stets weit voraus und bangen um ihr Überleben: So wird Suspense aufgebaut. Wir können dem Tod bei der Arbeit zusehen und fragen uns, wer das moralische Recht hat, zu überleben.

Als der Autor immer mehr Einzelheiten über die Geschehnisse fünf Jahre zuvor enthüllt, die zu Peters\' Rachefeldzug und Colliers Amtsniederlegung führten, gerät Collier zunehmend ins Zwielicht. Der Vertreter von Gesetz und Ordnung scheint ja über Leichen gegangen zu sein, wenn es seiner Sache dienlich war. Vielleicht hat ja am Ende der Mörder Recht? Als es diesem auch noch gelingt, Bett McCall für sich einzunehmen und zwischen sie und ihren Ex-Mann einen Keil zu treiben, scheint Collier auf verlorenem Posten zu stehen. Die Chancen für Megans Überleben schmelzen dahin.

Und so hängt alles von der finalen Konfrontation der beiden männlichen Hauptfiguren ab. Diese Szene ist ebenso hervorragend ausgearbeitet wie jene Szene, in der Konnies Fall und Vernichtung angebahnt wird. Hier spielt Deaver sein ganzes Wissen als Psychologe und sein Können als Rhetoriker aus. Und erst in dieser Szene, kurz vor Schluss, zieht Collier sein größtes Ass aus dem Ärmel (ich werde mich hüten, das hier zu verraten!). Und das haut nicht nur seine Zuhörer um.

Der Titel: Deavers kritische Haltung

Der Originaltitel lautet \"Speaking in tongues\", also \"in Zungen sprechen\". Das Taten bekanntlich die Leute und Jünger Jesu zu Pfingsten, als sie den Geist Gottes em-PFING-en. Davon leitet sich die Erweckungsbewegung ab, die Pentecost-Sekte. Ihr gehörte beispielsweise auch Jeannette Wintersons Mutter an, wie J.W. in ihrem Roman \"Orangen sind nicht die einzige Frucht\" (neu als Taschenbuch bei BVT) erzählt.

Im Buch zog Aaron Matthews mit seinem Vater von Dorf zu Dorf, um flammende Erweckungsreden, angeblich göttlich inspiriert, abzuhalten und den zuhörenden Lämmern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Natürlich war das Ganze inszeniert. Doch der Autor zieht von hier aus eine direkte Parallele zu Tate Colliers Tätigkeit als Staatsanwalt von Fairfax County in Virginia. (Die Polizei zählt nicht: Sie ist den Besitzenden hörig.) Und er rückt somit die Rechtssprechung auf eine Stufe mit Scharlatanen wie Matthews & Sohn. Da ist eine extrem kritische Haltung, die Deaver hier andeutet - mindestens so kritisch wie jene des frühen John Grisham, etwa in \"Die Firma\".

Die Parallelen gehen noch weiter, wie der Titel des ersten Buchteils andeutet: Es geht um die jeweiligen Erstgeborenen von Matthews und Collier. Nach dem altbiblischen Gesetz von \"Auge um Auge, Zahn um Zahn\" vergilt Matthews\' den Tod seines Sohnes an Colliers Tochter, Megan. Aber hat dieses Gesetz heute noch Gültigkeit? Und somit auch die Worte zahlloser Fernsehprediger in den USA und anderswo?

Die Figuren

Was mich etwas nervte, war die etwas naive Haltung von Bett McCall. Sie wird auch als Esoterikfanatikerin etwas lächerlich gemacht. Dennoch ist sie ebenso realistisch gezeichnet und plausibel gezeichnet wie der angeblich so gefühlskalte Tate Collier. So richtig sympathisch ist eigentlich nur der arme alte Polizist Konnie, der ein weitaus besseres Ende seines Lebens und seiner Laufbahn verdient hätte.

Unterm Strich

Dieser Thriller ist hundertmal spannender als irgendein Grisham, hat mehr Action und Intelligenz in den entscheidenden Szenen und lässt den Leser nicht mehr los bis zur letzten Szene. Von späteren Deaver-Romanen unterscheidet er sich lediglich dadurch, dass nicht so viele überraschende Wendungen enthalten sind und keine \"Knochenjäger\" auftauchen.

Michael Matzer (c) 2002ff

Info: Speaking in tongues, 1995; Goldmann 1998, Nr. 43715, München; 412 Seiten, EU 8,45, aus dem US-Englischen übertragen von Hans-Joachim Maass; ISBN 3-442-43715-6


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-10-24 17:46:20 mit dem Titel Matt Dickinson: *Die weiße Hölle*: Drama am Mt. Everest

Wieder eine Katastrophe am Everest, dem höchsten Gipfel - muss das sein, fragt man sich. Doch dieser Roman ist kein Neuaufguss der bekannten Krakauer-Story, sondern etwas Eigenständiges mit glaubwürdigen Charakteren. Ich habe das Buch in zwei Tagen verschlungen: ein unterhaltsamer Actionthriller, doch ohne Agenten und anderes Krimizubehör.

Handlung
°°°°°°°°

Josie, die junge englische Journalistin, und der sportliche Medienmogul Sebastian Turner sind ein Paar wie aus dem Bilderbuch: jung, gut aussehend und beruflich erfolgreich. Außerdem lieben sie einander sehr. Er hat einen Privatsender aufgebaut, und sie ist seine Star-Moderatorin. Alles scheint bestens zu laufen. Da setzt sich Sebastian in den Kopf, als erster Amerikaner - nur ein Japaner hat das vor ihm geschafft - per Gleitschirm vom Gipfel des Mt. Everest zu schweben. Um die Einschaltquoten des Senders hochzutreiben, soll Josie über den Gipfelsturm und das Wagnis berichten.

Doch am Tag der letzten Austiegsetappe kommt am Gipfelgrat ein ungewöhnlich plötzlicher und heftiger Sturm auf und selbst der erfahrenste Bergführer hat keine Chance, rechtzeitig für Rettung zu sorgen: Fassungslos erfährt Josie vor laufender Kamera, dass ihr Ehemann und sein Bergführer Rick Fielding vermisst werden. Eine Rettung kommt leider nicht mehr in Frage, denn die Schneesturmsaison ist bereits angebrochen. Die gefrorenen Leichen der Bergsteiger bleiben auf dem Berg.

Auf einer Gedenkfeier ein paar Wochen später lernt die am Boden zerstörte Josie, die sich mit Selbstmordgedanken trägt, den Alaskaner Hal Maher kennen, den sie im Norden den Lawinenmann nennen, weil er in einer dramatischen Situation nicht nur eine Lawinenkatastrophe richtig vorausgesagt, sondern auch selbst bedrohte Siedler gerettet hat. Bei jener Aktion war seine geliebte Rachel verletzt worden. Auch Hal ist also ein Mann mit inneren Verwundungen.

Hal ist ein enger Freund Ricks gewesen. Obwohl er bei einer von ihm geführten Everestexpedition nur knapp dem Tod entging und sich schwor, nie wieder zahlende Kunden auf den Everest zu lotsen, willigt er schließlich doch ein, Josie auf den Berg zu führen. Denn Ricks Witwe wird von geretteten Opfern verklagt, und er sieht die Chance, Beweise für Ricks Unschuld zu beschaffen, wenn er Ricks Leiche sucht. Josie erfleht von ihm die Gelegenheit, auf dem Berg Sebastians Tod zu verarbeiten, um so wieder auf die Beine zu kommen. So kann man sich täuschen.

Sie begeht zudem den verhängnisvollen Fehler, live von ihrer Gipfelbesteigung für ihren Sender berichten zu wollen, um die fallenden Quoten zu steigern. Die Dreharbeiten fordern wertvolle Stunden, die Hal und Josie beim Abstieg fehlen. Ein eisiger Sturm kommt auf, der Sauerstoff geht aus und obendrei taucht ein verrückt gewordener Ukrainer auf, der unbedingt ein Gipfelfoto ergattern will. Diese Kombination von unvorhergesehenen Umständen kostet Josie und Hal beinahe beide das Leben.

Die letzten 100 Seiten gehören zum Spannendsten, was ich an Everestliteratur gelesen habe und können leicht mit Krakauers dokumentarischem Bericht \"In eisige Höhen\" aufnehmen. Ich fand Dickinson sogar dramaturgisch besser aufgebaut, so dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte.

Fazit
°°°°°

Bei solchen Büchern kommt es stets darauf an, wer der Autor ist. Er muss Detailkenntnis und Glaubwürdigkeit vereinigen. Matt Dickinson, in England ein bekannter TV-Journalist, ist selbst ein Everestbezwinger, der 1996 in der Krakauer-Saison am Berg war. Sein Buch über die Everest-Besteigung, \"Death Zone\" (Todeszone), war in den USA und England ein Bestseller. Sollte es auf Deutsch erscheinen, werde ich auf jeden Fall zugreifen.

Die fünf Manuskriptfassungen für diesen Roman haben sich auf jeden Fall gelohnt. Das Ergebnis der jahrelangen Arbeit ist ein ansprechender Roman mit glaubwürdigen Charakteren, die so existiert haben könnten. Die Handlung vereint Sachkenntnis mit menschlichem Drama, Action wechselt sich mit psychologischen Vorgängen und Wandlungen ab.

Erst die menschliche Dimension lässt die Lektüre zum packenden Erlebnis werden. Denn viel zu oft schon ist der Bergliebhaber mit Berichten über die Everestbesteigung und ihre Schrecken zugeschüttet worden, so dass wir zwar alle die Fakten kennen, aber nicht das schreckliche Gefühl, auf dem Berg in eine Katastrophe zu geraten. Wer weiß schon, wie es sich anfühlt, wenn einem die Zehen und Finger erfrieren, wenn man sich Lunge aus dem Leib husten möchte oder man schneeblind wird wie Josie?

Wer weiß, wie es ist, zwei Nächte in einem Schneesturm in der Todeszone zu verbringen - wie Hal? Dickinson schafft die Vermittlung dieses Gefühls. Dafür muss man in Kauf nehmen, dass seine Erzählung an \"langsamen Stellen\" mit viel statischer Emotion etwas unbeholfen daherkommt. Aber das nimmt man gerne in Kauf, denn er entschädigt dafür mit grandiosen Szenen.

Michael Matzer (c) 2002ff

Info: High risk, 2000; Goldmann 2001, Nr. 41659, München; 444 Seiten, DM 20,00, aus dem Englischen übertragen von Ulrike Röska; ISBN 3-442-41659-0


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-10-30 15:55:59 mit dem Titel Jenny Diski: *Regenwald*: Selbstfindung einer jungen Frau

Eine junge Frau findet zu sich selbst, wobei sich ihr rationales Denken mit der \'irrationalen\' natur auseinandersetzen muss.

Dies ist der zweite Roman der britischen Autorin Jenny Diski, die mit dem sado-erotischen Roman \"Küsse und Schläge\" Ende der 80er Jahre bekannt wurde.

Handlung

Auf den ersten Blick geht es in \"Regenwald\" um alles andere als Sexualität. Die junge Wissenschaftlerin Mo arbeitet an einem ökologischen Projekt im Regenwald von Borneo. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sollen für die Klimakontrolle genutzt werden.

Als rational denkende Wissenschaftlerin fühlt sie sich herausgefordert, hinter dem Chaos von Wachsen und Wandel irgendeine Art von Gesetzmäßigkeit zu entdecken. Sie findet keine. Während Mo ihre Untersuchungsraster über den nassen Waldboden legt und Resultate in Tabellen einträgt, setzt sich der Regenwald - mit seiner Vitalität ein Symbol für die Macht der Natur an sich - am Rand von Mos Bewusstsein fest.

Wieder nach London zurückgekehrt, fühlt sich die selbstsichere junge Frau durch die sexuellen Avancen des neuen Dozenten Joe Yates zwar in Versuchung geführt, lehnt jedoch letzten Endes sein Angebot ab. Bald darauf verändert sich ihre nächste persönliche Umgebung, beispielsweise beginnt ihr verheirateter Kollege Liam ein Verhältnis mit einer seiner Studentinnen, und Mos Mutter enthüllt ihr, dass sie vom Verhältnis ihres verstorbenen Mannes (Mos Paps) zu einer anderen Frau stets gewusst habe.

Mo, die dieses Wissen jahrelang als geheime Verbindung zu ihrem geliebten Vater gehütet hatte, ist wie vor den Kopf geschlagen. Vater und Mutter sind plötzlich zwei andere Menschen geworden. Die Frage stellt sich ihr nun, was sie selbst ist in diesem Ozean des Wandels?

Fluchtartig in den Regenwald auf Borneo zurückgekehrt, sperrt Mo ihre Gedanken in den engen Rahmen ihrer Untersuchungsraster. Ihr labiles Gleichgewicht wird zerstört, als Joe Yates wieder auftaucht. Er stürzt sie zunächst in Zweifel über ihre eigene Arbeitsmethode und \"nimmt\", als kein Protest erfolgt, dann sie selbst.

Als er zwei Tage später weiterzieht, ist Mos Welt aus den Fugen geraten - Mo verfällt, da sie nun ihre Arbeit mit anderen Augen betrachtet, zunächst in Verzweiflung, dann in tiefste Depressionen. Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus sucht sie sich eine Stelle als Putzfrau. Dinge an ihren Platz zu stellen, befriedigt ihr Bedürfnis nach Ordnung. Aus dieser Perspektive erzählt sie die Geschichte ihres früheren Ichs.

Fazit

Chaos und Ordnung, Natur und Kultur, Verstand und Lust, Vernunft und Wahnsinn - zwischen diesen Polen entspinnt sich die Erzählung von Mos Leben. Während die meisten von uns noch an die Allmacht der Wissenschaft glauben mögen, zeigt Jenny Diski den Menschen in seiner Ver-rücktheit: Indem er nämlich meinte, er mache sich die Natur untertan, verlor er den Kontakt zu ihr, den festen Standpunkt. Nicht mehr als Teil von ihr agierend, ist sein Untergang vorhersehbar, und keine Wissenschaft vermag dies abzuwenden.

Diski, nach ihrem Debütroman \"Küsse und Schläge\" schon als Doris Lessings Nachfolgerin in der Rolle der Kassandra angesehen, hat ein zwar weniger bizarres, dafür jedoch umso provokativeres Buch geschrieben.

Dass uns die Sprachsensibilität der Autorin so erreicht, wie es in ihrer Absicht lag, ist das Verdienst der sehr guten Übersetzung von Bettina Runge.

Michael Matzer (c) 2002ff

Info: Klett-Cotta 1990, Stuttgart; 220 Seiten, DM 36,00, aus dem Englischen übertragen von Bettina Runge; ISBN 3-608-?

----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-11-05 17:02:41 mit dem Titel Dahle/Leyerer: *Madeira*: Der schwimmende Garten im Atlantik

Auf 96 Buchseiten eine so vielfältige Insel wie Madeira einzufangen, ist schon ein Kunststück. Und so kann es nicht verwundern, dass zwar zwar sehr viel Material zusammengetragen wurde, man aber die eher \"unansehnliche\" Hochplateau-Seite der Insel ausgespart hat. Das Buch ist weniger als Reiseführer geeignet als vielmehr als Bildband, als Erinnerung an einen schönen Urlaub.

Die Autoren und der Fotograf

Während Wendula Dahle seit 1971 Professorin für Kommunikations- und Kulturwissenschaft (Schwerpunkt Germanistik) und Wolfgang Leyerer Dozent für Medienwissenschaften, aber auch freier Fotograf. Beide sind also gestandene Akademiker. Hubert Stadler zeichnet für die meisten Bilder des Buches verantwortlich. Er veröffentlicht seit 1989 regelmäßig in Zeitschriften und Reiseführern. Von ihm erschienen mehrere Bände im Bucher- und im Südwest-Verlag - ein absoluter Profi also.

Inhalte

Der Inhalt des Buches ist in zwei Schwerpunkte aufgeteilt: in den beschreibenden Teil \"Schwimmender Garten im Atlantik\" und in den Faktenteil \"Madeira: Planen, reisen, genießen\", der etwa ein Drittel des Buches einnimmt. Dieser Teil ist am ehesten ein \" Praktischer Reiseführer\", der mit lokalen Informationen zu Sehenswürdigkeiten und entsprechenden Karten aufzuwarten weiß. Stand der Informationen ist das Jahr 2000; damals wurde der neue Flughafen eingeweiht. Ein Register rundet den Faktenteil standesgemäß ab, so dass man schnell findet, was man sucht.

Wie in jedem Bildband, der keinen Baedeker-Anspruch erhebt, müssen sich Text und Foto ergänzen. Dem entsprechend stehen den über 150 durchgehend farbigen Abbildungen auch ergänzende Texte gegenüber, die die Eigenarten der Insel und ihrer Bewohner eingehen. Sieben Spezialthemen in ganz oder doppelseitigen Essays heben besonder Aspekte heraus: über Blumen, Portwein, Herrenhäuser, handbemalte Kacheln, Korbschlitten usw.

Die Fotos

Irgendwann muss es einmal eine erste Auflage dieses Buches gegeben haben, und das war vermutlich in den seligen siebziger Jahren. Also zu jener Zeit, als Portugal der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG beitrat. Woher ich das weiß? Insbesondere das Straßenbild sieht, meinem eigenen Aufenthalt in 2001 nach zu urteilen, anders aus, moderner. Die auf den gezeigten Fotos sichtbaren Automodelle stammen aus den 70er Jahren: deutsche Mercedes-Taxis und die ersten VW Golfs. Die gezeigten Landstraßen ist nahezu menschen- und autoleer. Heutzutage ist hier fast das ganze Jahr über viel mehr los, denn Portugal/Madeira hat einen beträchtlichen Aufschwung erlebt. Man sieht es z.B. am Autobahnausbau westlich der Inselhauptstadt Funchal. Die entsprechende Karte ist meines Wissens aktuell.

Es macht aber nichts, dass manche Fotos älter sind. Die Landschaft hat sich wenig verändert, die Weinkeller noch weniger. Hubert Stadler hat den Reise - meist Hotels und Herrenhäuser - einfach neu fotografiert. Man sieht es seinen Fotos auch an: Sie sind gestochen scharf.

Ich weiß nicht, warum es mir die alpine Hochfläche im nordwestlichen Madeira so angetan hat, aber ich vermisse sie in diesem Band. Auch mehr Fotos von den Levadas (Entwässerungskanälen mit Wanderpfaden). Dafür bekommt der Betrachter schöne Strand- und Küstenfotos von der Nachbarinsel Porto Santo zu sehen.

Mein Eindruck

Es ist sicher nicht einfach, eien derart vielgesichtige, facettenreiche Insel wie Madeira vollständig einzufangen. Unter den gegebenen Umständen, besonders dem niedrigen Preis, bekommt der Käufer einen guten Übrblick sowie einen repräsentativen Querschnitt durch die Reize von land, Kultur, Menschen, Essen & Trinken, Vegetation, Transport und Geschichte.

Unterm Strich

Das Buch eignet sich als Einstieg zum Thema, aber auch als Urlaubserinnerung. Als Reiseführer würde ich es nicht unbedingt mitnehmen, dafür gibt es zu wenig Karten, Adressen und andere Daten.

Michael Matzer (c) 2002ff

Info: Bucher Verlag 07/2002, München; 96 Seiten, Format 24 x 30 cm,EU 15,95, ISBN 3-7658-1328-1

----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-12-08 18:00:42 mit dem Titel P.K. Dick: *Blade Runner*: Verbindung von Humor, Philosophie und Action

Dies ist die literarische Vorlage für Ridley Scotts kultigen Science Fiction-Film \"Blade Runner\" von 1982, in dem Harrison Ford eines seiner besten Auftritte hat, neben Rutger Hauer und Daryl Hannah. Dabei hieß der Roman ursprünglich ganz anders: \"Träumen Androiden von elektrischen Schafen?\".

Der Autor

Philip K. Dick, der 1982 starb, war einer der fruchtbarsten und inzwischen wichtigsten Science Fiction-Autoren. Von ihm stammen die literarischen Vorlagen zu den Filmen \"Minority Report\" (mit Tom Cruise), \"Total Recall\" (mit A. Schwarzenegger), \"Screamers\" (mit Paul \"Robocop\" Weller) und \"Impostor\" (der bei uns nie ins Kino kam, mit Gary \"Das letzte Gefecht/The Stand\" Sinise).

Handlung

Die Handlung ähnelt stark der des Films: Der Kopfgeldjäger Rick Deckard erhält den Auftrag, entflohene Androiden aufzuspüren und \"in den Ruhestand zu versetzen\", d.h. zu eliminieren. Da es sich um künstliche und nicht um natürliche Organismen handelt, kann man nicht von \"töten\" sprechen. (Diese wackelige Grenzlinie ist eines der Hauptthemen in Dicks Büchern.)

Die von der Tyrell Corporation hergestellten Konstrukte sind von natürlichen Menschen kaum zu unterscheiden: Man benötigt spezeielle psychologische Tests. Einer davon verläuft gleich zu Beginn (des Films) tödlich für den Tester. Deckards Aufgabe, die von anderen Welten zurück auf die Erde geflohenen Androiden der Reihe Nexus-6 zu eliminieren, wird in 24 Stunden erledigt. 6 Droiden \"tot\", einer frei. Denn Deckard hat sich in die schöne Androidin Rachel Rosen verliebt (im Film: Sean Young) und lässt sie laufen.

Aber Deckard ist mit seinem ordentlichen Tagespensum nicht zufrieden. Denn lohnt es sich überhaupt, die Menschen und diese Erde zu schützen? Nach dem World War Terminus, in dem die Erdoberfläche radioaktiv verstrahlt wurde, starben alle Tiere aus, und es gilt als höchstes Statussymbol, ein künstliches Tier zu besitzen. Deckard hat ein solches Schaf auf dem Dach seines Hauses. Die andere Hauptfigur des Buches, der Hipster-Philosoph J.R. Isidore, erzählt ihm, was diese Welt noch im Überfluss zu bieten hat: \"Kipple\". Kipple ist jener Abfall, den man am Abend herumliegen lässt, doch am anderen Morgen stellt man verwundert fest, dass es nun doppelt so viel Kipple gibt. Hmmm.

Außerdem hängen alle Figuren einer neuen Pseudoreligion an: dem Mercerismus. Sie erleben Visionen, während sie die Griffe an einer \"Empathiebox\" festhalten. (Dieses Element fehlt im Film.) Ein Großteil der Menschheit ist zu anderen, unverseuchten Welten ausgewandert. Und so stehen riesige Apartmentblöcke leer, im Film z.B. das Bradbury Haus, auf dem der Showdown stattfindet. Im Buch führt die Spur des letzten Androiden zu J.R. Isidores Apartment.

Ein weiteres Detail fehlt im Film: jeglicher Humor. Davon findet sich allerdings einiges im Buch. Deckard ist nämlich nicht jener einsame Cowboy des Films, sondern ein treu sorgender Ehemann. Er und seine Gattin besitzen eine Penfield-Stimmungsorgel. Diese schalten sie vor dem Zubettgehen ein und steuern so die Stimmung für den kommenden Tag.

Perverserweise programmiert seine Frau für sich sechs Stunden Depression mit Selbstvorwürfe. Er empfiehlt ihr, sich doch lieber auf \"das Begehren, Fernsehen zu gucken\" zu programmieren, ganz egal, was gezeigt wird. Oder noch besser: \"freudvolle Anerkennung der Tatsache, dass der Ehemann in allen Dingen über das höhere Maß an Weisheit verfügt\". Wie auch immer, am Abend nach Deckards getaner Arbeit beim Droidenkillen stellt sie die Stimmungsorgel so ein: \"längst verdienter Friede\".

Mein Eindruck

Der Roman ist sicherlich nicht Dicks bester oder genialster Roman. Der stets in geldnot steckende Autor hat ja sehr viel veröffentlicht, manchmal sogar aneinandergereihte Kurzgeschichten, und das Buch wurde sicherlich ebenfalls in sehr kurzer Zeit produziert. Aber das Buch ist immer noch besser als der Film. Während der Film auf die Actionelemente abhebt und die Philosophie nur an der Oberfläche kratzt (wenn auch sehr stimmungsvoll), schürft der Roman wesentlich tiefer und ist wenigstens humorvoll.

Die Handlung kreist um das Wesen des Menschseins. In Deckards Figur sind tiefgründige Zweifel an der einfachen Formel \"Künstlichkeit = Unmenschlichkeit und Gefühllosigkeit\" personifiziert. Das von Zerfall geprägte Szenario stellt die Frage nach der Natur der Realität. Düster ist auch die These des Autors, dass wer handelt, unweigerlich auch Schuld auf sich lädt.

Die vorliegende Ausgabe, die 1:1 von der Ausgabe des Haffmans-Verlags 1993 übernommen wurde, enthält die wertvollen Ergänzungen, die J. Dougoud an der Übersetzung durch N. Wölfl vorgenommen hat. Das ist besonders im Kapitel 9 zu sehen, wo nun ganze Absätze neu auftauchen. Ein anspruchsvoller Satz wie \"Und wieder erkannte er sich sub specie aeternitatis [unter dem Aspekt der Ewigkeit] als Formzerstörer, hervorgerufen von dem, was er hier sah und hörte\" muss den ursprünglichen Herausgebern wohl zu schwierig erschienen, als dass sie ihn dem Leser zumuten wollten.

Für wen sich dieses Buch eignet

Wer in diesem Roman lediglich die Action sucht, wird schwer enttäuscht werden. Ist schon die Originalfassung nicht gerade die einfachste Geschichte der Welt, so finden sich auch in der jetzigen Übersetzung etliche Elemente, die ein flüssiges Lesen auf der Suche nach Action geradezu unmöglich machen. Man halte sich dann lieber an die Fortsetzungen, die z.B. K.W. Jeter geschrieben hat.

Wer einen philosophischen Roman mit tiefgründigen Fragestellungen nicht verschmäht - zumal wenn man Dick-Fan ist -, der liegt hier richtig. Und wer auch mit Humor in zwischenmenschlichen beziehungen etwas anzufangen weiß, der dürfte sich zufriedengestellt sehen.

Michael Matzer (c) 2002ff

Info: Do androids dream of electric sheep?, 1968; Heyne Nr. 01/13653, München 07/2002; 269 Seiten, EU 9,95, aus dem US-Englischen von Norbert Wölfl und Jacqueline Dougoud; ISBN 3-453-21728-4



----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2003-01-27 21:02:34 mit dem Titel P. Dunne: *Das Maya-Ritual*: Arac Attack in Yucatan

Amerikanische Bürger finden auf der mexikanischen Halbinsel in blutigen Ritualen den Tod. Was steckt dahinter? Es gibt zudem Hinweise auf eine schreckliche Seuche, deren Erreger von Öko-Terroristen nach Florida verfrachtet werden soll. Kann man sie rechtzeitig stoppen?

Der Autor
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Patrick Dunne wurde in Dublin, Irland, geboren. Nach einem Literatur- und Philosophiestudium wollte er zunächst Musiker werden und führte mit seiner Band ein Musical über keltische Themen auf. Inzwischen blickt er auf 20 Jahre als Regisseur und Produzent beim irischen Rundfunk und Fernsehen zurück.

Bei uns wurde er erst 2000 mit seinem Keltenthriller \"Die Keltennadel\" bekannt, der ebenfalls im Limes-Verlag erschien.

Handlung
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Mexiko, Halbinsel Yucatan, Chitzen Itza: Die Meeresbiologin Jessica Madison, die in der Ich-Form von den Geschehnissen erzählt, und ihr Partner, der Tauchlehrer Ken Arnold, beginnen einen Abstieg in einen gefährlichen Großbrunnen, um dort unter Wasser nach einem makabren Objekt zu suchen: dem abgeschlagenen Kopf eines US-amerikanischen TV-Regisseurs namens Nick Goldberg.

Der Brunnen ist nicht irgendein \"Zenote\", deren es auf Yucatan Tausende gibt. Es handelt sich vielmehr um DEN heiligen Brunnen der legendären Maya-Hauptstadt, in den menschliche Opfer gestoßen wurden, nachdem sie zuvor dem Gott Kukulcan geweiht worden waren. Wurde Goldberg ebenfalls ein Opfer eines wieder aufgeflammten Maya-Nationalismus\'?

Jessica findet zwar den grässlich zugerichteten Kopf, aber ihr Freund Ken erleidet eine rätselhafte Infektion, die ihn binnen drei Tagen dahinrafft. Dafür, dass die ganze Aktion im Auftrag der mexikanischen Bundespolizei stattfand, hätte man sie auch vor solchen Gefahren warnen können, findet Jessica empört (wenn auch etwas spät).

In dem einheimischen Professor de Valdivia findet Jessica einen kenntnisreichen Ratgeber. Als einheimischer Maya-Abkömmling verfügt er über eine ihrer heiligen Schriften, die über 1000 Jahre alt ist. Offenbar kehrt alle 200 Jahre eine schreckliche Seuche wieder, die nicht nur die Maya-Kultur binnen kurzem verschwinden ließ. Nun ist es mal wieder an der Zeit, dass die Seuche ausbricht. Ihre Erreger befinden sich nicht nur im heiligen Zenote von Chitzen Itza, sondern in allen Brunnen der Halbinsel. Und Spinnen spielen auch eine Rolle....

Doch nicht genug damit: Die Maya-Nationalisten machen sich diese Tatsache zunutze, um die Tourismusindustrie in Cancun und Cozumel zu vernichten. Ihr nächstes Ziel: die amerikanische Küste und Disneyworld...

Mein Eindruck
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Die ersten 80 Seiten sind wirklich gut gelungen ein ein effektiver Einstieg in das, was ein mitreißender, aktueller Thriller über modernen Ökoterrorismus hätte werden können. Das Finale auf den letzten 50 Seiten ist dann auch wieder recht packend und platzt fast vor intelligent aufgezogener Action.

Leider zieht es der Autor vor, uns zwischen diesen beiden Polen mit diversen Unwichtigkeiten zu langweilen. Man mag die schleppende Entfaltung der Geschichte ja unter dem Aspekt des Realismus akzeptieren, aber das muss nicht bedeuten, den Leser zu langweilen.

So erfahren wir also, geführt von der etwas ahnungslosen Jessica, dass es a) Maya-Nationalisten gibt, die amerikanische Bürger tödlichen Ritualen unterziehen; es b) ehemalige Greenpeace-Mitglieder gibt, die der Menschheit den Garaus machen wollen Stichwort: Ökoterrorismus) und dass zu \"guter\" Letzt Mexiko und die USA kurz vorm Krieg stehen, dank der Internetpropaganda der Maya-Nationalisten.

Dies alles ist nicht so wahnsinnig interessant und wird von Jessica in eher gemächlicher Form erzählt. Das kann man sympathisch finden, verwirrend oder eben langweilig. Jedenfalls geht es weit über einen üblichen Thriller hinaus.

Unterm Strich
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\"Das Maya-Ritual\" ist eine Kombination aus Öko-, Medizin- und Polit-Thriller, am Anfang und am Schluss mit ordentlicher Action und Spannung aufwartet, aber dazwischen einen langen Durchhänger überwinden, während dem ein Gewirr von rätselhaften Zusammenhängen aufzuklären ist. Sympathisch ist vor allem die Erzählerin und Hauptfigur, die vor keinem Mysterium zurückschreckt und keinem Befehl gehorcht.

Michael Matzer (c) 2003ff

Info: The skull rack, 2001; Limes 08/2002, München; 405 Seiten, EU 20,50, aus dem Englischen übersetzt von Fred Kinzel; ISBN 3-8090-2456-2

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