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ab 14,15
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Erfahrungsbericht von xtombrix

Jana Hensel: Zonenkinder

Pro:

Einblicke in die DDR - besonders in das Erziehungssystem und die Versuche, ein DDR-Staatsbewusstsein zu schaffen - und die Nachwendeprobleme

Kontra:

larmoyant und zum Teil überheblich - die Wir-Perspektive verzerrt

Empfehlung:

Ja

Wie wirkt sich der Wechsel des politischen Systems auf Jugendliche aus? Wie war es vorher? Was ist nachher? Die Fragen sind aktuell denn je (s. Irak). Antwort für Deutschland verspricht Jana Hensels Buch \"Zonenkinder\" - ob dieses Versprechen aber eingelöst wird, ist eine andere Frage.

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1. Die Autorin
2. Das Buch
3. Das Buch in der Diskussion
4. Bewertung

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1. Die Autorin:
Jana Hensel wurde 1976 in Leipzig geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit in der DDR und erlebte in der \"Heldenstadt\" die \"Wende\". Sie nimmt an den Demonstrationen teil, ohne sie zu verstehen. Ob sie den Umsturz heute begriffen hat? Später studiert sie in Leipzig, Berlin, Marseille und Paris. Heute lebt sie in Berlin.

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2. Das Buch:
In 8 Kapiteln schildert die Autorin ihr Ost-Erleben im Kontrast zur Nachwendezeit. Abgehandelt werden Kindheit, Heimat, Geschmack, Eltern, Erziehung, Liebe, Sport und Zukunft. Für den \"Wessi\" tut sich eine exotische und doch bekannte Welt auf - man muss lediglich etwas älter sein, und schon glaubt man sich in die 1960er Jahre versetzt. Für den \"Ossi\" ergeben sich fast von selbst Aha-Effekte und Wiedererkennungsmomente. Die DDR, so lesen wir auf fast jeder Seite, war anheimend und idyllisch, obwohl sie ständig Anforderungen stellte - oder gerade deshalb: Pioniernachmittage, \"freiwillige\" Hilfsleistungen, politische Erziehung, Selbstverpflichtungen usw. Aber dieses System schaffte Selbstverständlichkeiten, Sicherheit und Selbstgewissheit.
Überall klingt eine stille Trauer über den Verlust der Kindheit durch, mag sie sich auch nur auf \"Manne Murmelauge\" und andere Figuren der Kinderwelt beziehen. Man hat den Eindruck, eine ganze Generation trägt Trauer über die verlorenen Orte der Kindheit. Dabei wird kaum einer der Älteren diese Orte noch genauso vorfinden, wie sie in seiner Jugend waren - im Osten wie im Westen.
Überhaupt der Westen: Jana Hensel ist zu bedauern ob ihrer Freunde und Studienbekanntschaften. Eine Sammlung (karikierter? - wohl kaum: das Buch ist leider ernst gemeint) Wohlstandssnobs zieht am Leser vorüber. Wer mit solchen Freunden gestraft ist, braucht tatsächlich Bodenhaftung in Gestalt von Abraumhalden des Tagebaus. Aber schlimmer sind die NS-Vergangenheitsbewältigungsgespräche - wie erschütternd (Vorsicht: Ironie!).
Was bleibt? Eigentlich nur die große Leere der Freiheit und neben dem Verlust der Kindheit auch noch der der Eltern. Selten ist die Sprachlosigkeit zwischen Generationen so deutlich dargestellt worden. Aber wessen Eltern werden da beschrieben? Wieder sind es Karikaturen. Der \"Ossi\", der an sich leidet, der \"Wessi\", der nicht wirklich versteht.

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3. Das Buch in der Diskussion:
Über das Buch und andere Erinnerungen aus der DDR gibt es eine umfangreiche Literatur in Zeitungen und im Internet. Ich führe hier nur einige Links auf, die Anregung zum Weiterlesen sein sollen:

Rezension der \"Zonenkinder\" in der \"Welt\": http://www.welt.de/daten/2002/10/02/1002kli359930.htx

Rezension aus der \"NZZ\": http://www.nzz.ch/2002/09/26/fe/page-article8EKK1.html

Gespräch mit jungen Autoren aus der ehemaligen DDR in der \"Welt\": http://www.welt.de/daten/2002/11/09/1109lw367197.htx

Artikel der \"taz\" über DDR-Erinnerungsliteratur: http://www.taz.de/pt/2002/12/07/a0110.nf/text

Einen Überblick bietet: http://www.single-generation.de/kohorten/jana_hensel.htm

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4. Bewertung:
Das Buch ist interessant und leicht lesbar (es gibt sogar ein kurzes Glossar typischer DDR-Begriffe). Es bietet u.a. Einblicke in das DDR-Erziehungssystem (der beste Teil des Buchs) und in den Umstellungsprozess nach der Wende. Allerdings führt die \"Wir\"-Perspektive zu Verallgemeinerungen persönlicher Erlebnisse. Das eigene Schicksal mag dem anderer ähneln, es ist aber nicht dasselbe und in Gestalt Jana Hensels schon gar nicht repräsentativ (s. u.a. Studium im Ausland). Und wenn auch der \"Spiegel\" urteilt: \"Jana Hensel hat den Kindern der Zone, der ersten gesamtdeutschen Generation, schon jetzt ein kleines Denkmal gesetzt\" (Reinhard Mohr, 07.10.2002), so braucht man sich dieser Wertung nicht anschließen. Es wäre schwer erträglich, wenn alle \"Zonenkinder\" so larmoyant wären - damit lässt sich nämlich kein Staat machen.

Jana Hensel
Zonenkinder
Reinbek: Rowohlt, 2002
ISBN 3-498-02972-X