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Erfahrungsbericht von Kunigunde

Hart, Maarten't: "Das Wüten der ganzen Welt" - als Hörbuch

Pro:

Musik macht die ganze Geschichte runder, anschaulicher

Kontra:

beim Autofahren kann man sich nicht genügend auf die Geschichte konzentrieren

Empfehlung:

Nein

Jeder kennt doch die Situation: Man ist zu einem Geburtstag eingeladen und möchte auch etwas Schenken, doch was? Je weniger man die Person kennt, umso schwieriger wird die ganze Sache. Vor genau diesem Problem stand ich letzte Woche. Der Herr, der Geburtstag hatte wurde runde 80 Jahre alt und so ziemlich das einzige, was ich wusste ist, dass er gerne gelesen hat und das nun nicht mehr kann, weil seine Augen so schlecht geworden sind. Die nächstliegende Schlussfolgerung meinerseits war: Aber es gibt doch Hörbücher. Das stellt zwar eine Umstellung dar, aber warum sollte man es nicht versuchen? Gedacht, getan! Mein Weg führte mich direkt in den nächsten Hugendubel, was ja bekanntlich sowieso eines meiner Lieblingskaufhäuser ist. Leider war das Angebot doch etwas beschränkter, als ich es mir vorgestellt hatte, und so musste ich etwas länger suchen. Da ich den Geschmack des alten Herren nicht so genau kannte, wollte ich etwas wählen, dass ich schon kannte und was mir gefallen hatte. Man soll schließlich das verschenken, was man selbst am liebsten hätte – so oder so ähnlich klingt mir meine Oma in den Ohren.

Nach einigem Suchen, hatte ich einige Sachen gefunden, die dem gestellten Kriterium gerecht wurden und eines, was ich nicht kannte, mich aber irgendwie faszinierte. Auf dem Umschlag stand folgendes:
„Das enge Milieu einer kleinen holländischen Hafenstadt in den 50ern. Alexander wächst zwischen Schrott, bigotten Kleinbürgern und Geschichten „von früher“ auf. Der Vater ist Lumpensammler, die Mutter geizig und fromm. Sein großes Glück ist die Musik. Da erschüttert ein Mord die Stadt. Hat der Anschlag ihm gegolten? Das Aufspüren des Täters beschäftigt ihn fast ein Leben lang.“

Was es genau war, vermag ich nicht mehr zu sagen, aber ich kaufte es und legte die erste der 2 Kassetten ins Deck meines Autoradios und lauschte gespannt, denn wie der Titel der Meinung schon sagt, hatte ich noch nie vorher einem Hörbuch gelauscht. Doch schnell wurden Kindheitserinnerungen wach – in denen ich vor einem Plattenspieler andächtig den Märchen der Gebrüder Grimm lauschte.

Der Prolog, gesprochen vom Autor selbst, ist ein wenig schwer zu verstehen, denn sein niederländische Akzent ist ziemlich stark und beim Autofahren muß man sich bekanntlich ja auch noch auf andere Sachen konzentrieren. Man erfährt von einem niederländischen Kutter auf dem Weg nach England, der Flüchtlinge an Bord hat und von einem deutschen U-Boot abgeschossen wird. (Die Deutschen werden hier aber nie wirklich dafür angeklagt oder verhasst dargestellt, denn genau mit diesem Weltbild wollte `t Hart nichts mehr zu tun haben.) Die Insassen müssen zurück in den Hafen rudern. Diese Geschichte zieht sich durch das gesamte Werk und bildet eine Art Schlüssel zu allem, der jedoch erst auf der letzten Seite ins richtige Schloß passt.

Die Hauptpersonen, personifiziert durch ihre Stimmen und die Umgebung werden so lebendig beschrieben, dass man sich fast hineinversetzt in diese südholländische Stadt und ihre Straßen und Gerüche. Der Sprecher mit seiner ruhigen und einfühlsamen Sprache, die nichts beschönigt, aber auch nichts anklagt, scheint irgendwie bekannt – der Blick auf die Sprecherliste im Booklet zeigt mir den Namen Christian Brückner und dieser Name steht für die Synchronstimme von Rober de Niro.

Zu der Geschichte selbst möchte ich eigentlich dem „Klappentext“ nichts mehr hinzufügen, denn in pregnanteren Worten lässt sie sich nicht zusammenfassen. Aber zur erwähnten Musik muß ich einfach noch ein paar Bemerkungen loswerden. Mein Verhältnis zu klassischer Musik ist eher sehr lose, um nicht zu sagen nur rudimentär vorhanden, aber durch die Hörspielbearbeitung kommt man immer wieder in den Genuß, Teile aus den Stücken zu hören, die Alexander am Klavier spielt oder sich gemeinsam mit seiner Klavierlehrerin anhört.

Auf dieses Extra muß man beim Lesen des Buches leider verzichten und ich sage leider, weil es die Gefühle und Gedanken von Alexander noch um einiges nachvollziehbarer macht, als die reine Beschreibung. Jede Stimmung hat ihre Musik: „Schubert steht für schwärmerische Gefühle, Beethoven für die existenzielle Ratlosigkeit des Menschen, Bach für Innerlichkeit und Brahms für Verliebtheit.“ (`t Hart) Der Titel stammt übrigens auch aus der Musik, nämlich aus der Kantate Nr. 80 von Bach. Mir persönlich hat die Musik viel gegeben und auch den Gesamteindruck des Werkes viel tiefer gestaltet. Ich bin mir sicher, dass ich das Buch nicht lesen möchte, weil mir sicher etwas fehlen würde, aber ich bin mir genauso sicher, dass ich mir die gesamte Geschichte noch einmal in Ruhe anhören werde, um alles genießen zu können.

In meinen Augen ist es kein Krimi, auch wenn das immer wieder zu lesen ist, denn es letztendlich um Mord. Es ist aber ebenfalls die Geschichte der kleinen Leute während der Besatzung durch die Deutschen mit all ihren Überlebensstrategien, ihrer Engstirnigkeit und ihren Vorurteilen. Und es ist die Geschichte einer Kindheit mit all ihrer Naivität und den Problemen des Erwachsenwerdens, in der die Liebe zur Musik eine dominierende Rolle spielt.

Dieses Buch muß man einfach gehört haben, denn lesen genügt hier einfach nicht! (Es gibt aber mittlerweile eine gebundene Sonderausgaben mit CD, aber auch das würde mir nicht genügen.) Vielleicht sollte man noch sagen, das Hörbücher nicht gerade zu den preiswertesten Geschenken gehören, aber selbst eine gebundene Ausgabe eines Buches oft billiger zu haben ist.
...Und trotz der Worte meiner lieben Oma, hab ich dieses Buch dann doch behalten

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