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Erfahrungsbericht von Hexe1962

Ich mag Lyrik

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Nein

Wenn es um Literatur geht, sind die Geschmäcker sehr verschieden. Und wenn es sich dabei auch noch um Lyrik handelt, dann scheiden sich die Geister. Für viele zählt Lyrik immer noch nur in Versen und Reimen. Dennoch setzt sich Lyrik, die sich nicht reimt immer mehr durch. Einer der Lyriker, die ich sehr gerne mag ist Jörn Pfennig. Und über seinen Gedichtband „Grundlos zärtlich“ möchte ich heute etwas schreiben. Diesen Bericht werde ich etwas anders strukturieren. Meine eigene Meinung werdet Ihr mitten im Text zum Buch finden.


*** Zum Buch ***

Nun ist es nicht so einfach, einen Gedichtband zu schreiben. Schliesslich geht es nicht um eine in sich kompakte Handlung, sondern um lauter Einzelstücke. Betrachtet man jedoch die Gedichte in diesem Buch genauer, ergeben diese auch ein kompaktes Bild zu einem Plädoyer für Gefühle. In den Gedichten von Jörn Pfennig geht es um Gefühle, um den Umgang mit diesen, Zärtlichkeit aber auch um ein Kennenlernen seiner selbst. Man liest ein Gedicht und denkt sich: Ja, genau so ist es. Ein Beispiel dafür:

LEICHT GESAGT
Wenn man begriffen hat
dass Lieben wichtiger ist
als Geliebtwerden
ergibt sich das Geliebtwerden
ganz von selbst.

Zugegebenermassen nichts Neues, theoretisch ganz einfach und doch so schwer. Die ganze Problematik der Liebe in wenigen Worten ausgedrückt.

Auch scheinbar sich widersprechende Worte findet man, wie z. B.:

Was du an Liebe brauchst
Kann ich allein nicht geben.
Was ich an Liebe geben kann,
ist für dich allein zuviel.

Mmmh, passt irgendwie nicht zusammen, oder vielleicht doch? Nun interpretiert ja jeder einen Text etwas anders. Ich fasse in wie folgt auf:

Person A möchte unheimlich viel Liebe haben und Person kann unheimlich viel Liebe geben. Aber was nutzt das, wenn A und B jeweils eine andere Vorstellung von Liebe oder gar von dem Wort „viel“ haben? Die Liebe die B hat, würde A vielleicht erdrücken.
Ich geh da mal von mir und meinem EX aus. Er wollte geliebt werden, wollte es spüren aber nicht hören. Ich wollte nicht nur spüren, sondern auch mal hören was er aber nicht sagen konnte. Und trotzdem haben wir uns geliebt.
Eine mir gut bekannte Kollegin aus der Esoterikbranche hat mir mal erzählt, dass viele ihrer männlichen Kunden jammern. Deren Frauen fühlen sich nicht geliebt und die Männer meinen: „Aber ich geb und tu doch alles, um meine Liebe zu beweisen“. Nur machen das eben die Männer anders als die Frauen.

Nun wie gesagt, das ist meine Meinung zu dem Text. Der ein oder andere von Euch fasst ihn vielleicht ganz anders auf. Wenn ja, schreibt es im Kommentar.

Ein Beispiel seiner Texte möchte ich Euch noch geben.

ICH KENNE LEUTE, DIE SPRECHEN VON LIEBE . . .

Ich kenne Leute, die sprechen von Liebe
nur wenn sie tapfer sind.
Ich kenne Leute, die sprechen von Liebe
nur wenn sie besoffen sind.
Ich kenne Leute, die sprechen von Liebe
und meinen Ehepflicht.
Ich kenne Leute, die sprechen nicht von Liebe
weil man über so was nicht spricht.
Andre wieder scheinen zu meinen
die Liebe ist Mittel zum Zweck
und geht, wenn der Zweck erreicht ist
von alleine wieder weg

Und dabei hocken sie stolz wie die Pfaun
auf ihrem eigenen Seelenmist
und wissen alle ja so genau
was Liebe wirklich ist.

Ich kenne Leute, die sprechen von Liebe
und meinen Abhängigkeit
Ich kenne Leute, die sprechen von Liebe
und meinen Lebenslänglich zu zweit.
Ich kenne Leute, die sprechen von Liebe
als sei es ein schlechter Witz.
Wieder andre scheinen zu glauben
die Liebe ist nicht mehr da –
die ist ja schon vergeben
an Farah Dhiba und den Schah

Und dabei hocken sie stolz wie die Pfaun
auf ihrem eigenen Seelenmist
und wissen alle ja so genau
was Liebe wirklich ist.

Ich kenne Leute, die sprechen von Liebe
als gäbe es sie überhaupt nicht.
Ich kenne Leute, die sprechen von Liebe
und werden dabei rot im Gesicht.
Ich kenne Leute, die sprechen von Liebe
als sei’s das beste Stück vom Rind.
Ich kenne Leute, die sprechen von Liebe
als sei es ein kränkelndes Kind.
Andre wieder sehn in der Liebe
eine Fortpflanzungstätigkeit –
getreu nach den Worten des Papstes
und der weiß ja schließlich Bescheid

Und dabei hocken sie stolz wie die Pfaun
auf ihrem eigenen Seelenmist
und wissen alle ja so genau
was Liebe wirklich ist.

Der eine ist katholisch
der andre ist naiv
der eine ist verbittert
der andre primitiv
der eine ist falsch erzogen
der andre ist verklemmt
der eine ist zynisch
der andre impotent
der eine ist ein Ferkel
der andre ist ein Christ –
die Hauptsache ist nur: sie wissen
was Liebe wirklich ist!

Ich gebe zu, ein etwas längerer Text. Aber ich finde ihn genial, weil ja darin nun wirklich alles beschrieben ist. Bis auf wenige Interpretationen habe ich die Liebe auch schon von allen Seiten gesehen. Und zeigt der Text nicht deutlich, dass wir auch in diesem Jahrhundert immer noch nicht wissen, was Liebe denn nun genau ist. Und zeigt es nicht auch, dass wir mehr in einem sein können. Ich meine der Naive kann doch auch ein Christ sein und das Ferkel vielleicht zynisch. Oder aber ein Naiver hat sich durch Impotenz zum Zyniker entwickelt. Alles ist möglich, nichts muss.

Jörn Pfennig drückt meines Erachtens gerade in diesem letzten Text alle Facetten des Menschen aus, die sich dann wiederum in den verschieden Arten von Liebe ausdrücken.

Bei manchen Texten in dem Buch merkt man nicht, dass sie von einem Mann stammen und andere strotzen geradezu von der typischen männlichen Gedankenwelt.


*** Ein paar Fakten zum Buch ***

Ich habe ein Taschenbuch vor mir liegen, erschienen im Heyne Verlag. Die ISB N ist 3-453-06636-7. Das Buch ist 1993 erschienen und hat damals DM 8,90 gekostet.


*** Zum Autor, dem Buch entnommen ***
Jörn Pfennig ist 1944 geboren, seine Jugend verbrachte er in Tübingen, 1964 zog er nach München. Ob er sich dort noch aufhält entzieht sich meiner Kenntnis. Er studierte Theaterwissenschaft. Seit 1979 veröffentlich er Bücher.


Wer zeitgemässe Lyrik mag und bei dem sich nicht alles reimen muss, dem kann ich diesen Gedichtband nur empfehlen. Natürlich gefallen einem bei so einem Band nie alle Gedichte. Aber wichtig ist doch, dass die Mehrheit der Gedichte ansprechen.