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Erfahrungsbericht von Libraia

Roth, Philip Das sterbende Tier

Pro:

Roths Stil

Kontra:

die Story ist nicht die allerbeste

Empfehlung:

Ja

Es gibt einige Themen, die Philip Roths Werk durchziehen, die in vielen, wenn nicht gar in jedem seiner Romane auftauchen. Ihn interessiert vor allem die menschliche Psyche, deren Abgründe, er zeigt seine Charaktere immer ungeschminkt, nackt, oft in ihrer ganzen Banalität und ihrer Lächerlichkeit, dennoch kommt er seinen Helden so nahe, dass gerade durch diese Ehrlichkeit und der Genauigkeit verpflichtete Haltung deren Würde immer gewahrt bleibt. Vater- Sohn – bzw. Vater - Tochter Konflikte sind ein immer wiederkehrendes Thema, Freundschaft zwischen Männern, das Leben als Jude in den USA, Literatur, Politik, Anspielungen auf sein Alter Ego als Schriftsteller (darin enthalten viel Autobiographisches), Täuschungsmanöver, all das sind Motive seiner Romane, eines seiner hervor stechenden Themen ist jedoch Sex in allen möglichen Variationen. Einige seiner Bücher sind so angelegt, dass Sex zwar eine Rolle spielt, andere aber so, dass Sex schlichtweg die eine große, die Hauptsache ist. Manche Kritiker nennen seine Bücher schlichtweg pornographisch.

Ich halte Philip Roth für einen der mit Abstand bedeutendsten und besten Schriftsteller der Gegenwart. Ich mag pornographische Bücher nicht, ich kann seinem Hang zu riesigen Brüsten wenig abgewinnen, ich habe auch nichts übrig für alternde Machos, die gerne möglichst junge Frauen flachlegen. Genau darüber schreibt er aber. – Wie passt das zusammen? Wieso liebe ich Roth, obwohl ich seine Inhalte oft sehr kritisch sehe?
Was kann er, was andere nicht können?

Zum Autor:

Philip Roth (man spricht seinen Namen übrigens wie auf deutsch aus, also ohne das englische „th“) wurde 1933 in Newark, New Jersey als Sohn einer gutbürgerlichen amerikanisch - jüdischen Familie geboren. Er ist mittlerweile Träger so ziemlich aller wichtigen amerikanischen und internationalen Literaturpreise, so z.B. des PEN-Faulkner Awards, des National Book Awards, des National Book Critics Circle Awards und sogar des Pulitzerpreises (1998 für sein absolut tolles Buch \"Amerikanisches Idyll\"), den Nobelpreis hat er aber immer noch nicht bekommen. Nun ja, dieses Schicksal teilt er mit einigen anderen herausragenden Schriftstellern (wie etwa einem meiner Lieblingsschriftsteller Lobo Antunes)…

Zum Inhalt:

Der 62-jährige Literaturprofessor David Kepesh (Roth – Lesern dürfte dieser Name als weiteres Alter Ego neben Nathan Zuckerman bekannt vorkommen) ist ein rechter Schwerenöter. Immer schon hat er seine attraktivsten Studentinnen, allerdings erst dann, als sie nicht mehr seine Kurse belegten, gerne verführt. Er wurde immer älter, die Studentinnen blieben gleich jung. Er schwärmt vom „reinen Ficken“, verabscheut feste Beziehungen, die Ehe hält er für eine der den Menschen (vor allem, aber nicht nur den Mann) zerstörenden Einrichtungen, die es überhaupt gibt. Sein Alter scheint den jungen Mädchen nichts auszumachen, denn sie sind fasziniert von seinem Esprit, seiner Ausstrahlung und nicht zuletzt von seinem Ruhm, denn er ist nicht nur regelmäßig im Fernsehen bei einer Kultursendung zu sehen, sondern überhaupt eine lokale Größe. Ruhm verhilft ebenso wie Macht oder Geld zu einem gewissen Sexappeal. Ob sich eventuell auch die Tatsache, dass er „gut im Bett“ ist, herumgesprochen hat, wird im Roman zwar nicht angesprochen, man kann sich das aber gut dazu denken.
Als er die 24-jährige Studentin Consuela, eine Exilkubanerin aus gutem Hause kennen lernt, denkt er anfangs nur an ihre wunderschönen großen Brüste, an ihre stolze Haltung und ihre Schönheit. Natürlich will er mit ihr ins Bett. Doch da geschieht das Unvorhersehbare: er verliebt sich, er kann ohne sie nicht mehr sein.
Er ist zwar einerseits glücklich, dass sie immer wieder zu ihm kommt, aber er leidet mit und durch sie andererseits auch ununterbrochen: er leidet wenn sie da ist (sie könnte ja gleich wieder gehen) und er leidet noch mehr, wenn sie fort ist. Seine Eifersucht, die durch nichts in ihrem Verhalten genährt wird, bringt ihn zur Verzweiflung. Er ist eifersüchtig auf die Blicke junger Männer, er ist sicher, eines Tages wird einer dieser jungen Männer sie ihm wegnehmen. Er ist sich deshalb so sicher, weil er selbst einmal genau dieser junge Mann war, er blickt sie an mit den Augen seines jüngeren Ichs und er weiß, wie er sie damals bekommen hätte.
Consuela und er verbringen fast zwei Jahre miteinander; Jahre, in denen es ihr sehr gut geht, und es ihm hätte gut gehen können, wenn er sich nicht selbst durch seine Verlustangst verrückt gemacht hätte. Diese Zeit ist angefüllt mit Sex, sicher gab es auch Gespräche über Bücher, über ihre Familie, über Musik, aber hauptsächlich verbringen sie ihre Zeit mit Vögeln.
Doch Kepesh merkt, dass es das von ihm ersehnte „reine Ficken“ nicht wirklich gibt, nicht geben kann in einer längeren Beziehung. Consuela berührt ihn, sie geht ihm nahe, sie lässt ihn nicht los. Sein bester Freund fordert ihn immer wieder auf, mit ihr Schluss zu machen, denn er sei nicht mehr der Alte.
Das Ende der Beziehung geht dann tatsächlich von ihr aus, der Anlass ist aber kein junger Mann, der sie Kepesh „wegnimmt“, sondern ein ganz banaler Streit, wie er auch unter Gleichaltrigen vorkommen könnte.
Kepesh erholt sich langsam und schwer, aber er erholt sich, nie nimmt er Kontakt zu ihr auf, obwohl er es könnte, er hat Angst davor, ihr wieder zu verfallen, bis eines Tages, 8 Jahre später, Consuela wieder an ihn herantritt : Sie bittet ihn, der wie kein anderer Mensch je zuvor oder danach ihren Körper so sehr geliebt hatte, um einen letzten Gefallen, einen Gefallen ihren Körper, ihren Busen betreffend. Consuela hat Brustkrebs in einem weit fortgeschrittenen Stadium. Nun ist es an David, einem Mann, der sich einfach vom Alter (mittlerweile 70 und nicht mehr ganz so fit wie früher) her dem Tode immer näher fühlt, ihr, der jungen Frau beim Sterben beizustehen. Erst hier beweist sich für mich, dass er Consuela eben nicht nur „hörig“ war, sondern dass er sie liebte.

Zum Stil:

Nun, die Story an sich haut mich nicht wirklich um, auch wenn die Pointe, dass Consuela, die in Kepeshs Augen die schönsten Brüste der Welt hat, nun gerade und ausgerechnet an Brustkrebs zerstört wird, schon nicht schlecht ist. Aber das Faszinierende an Roths Schreiben ist ja selten die Story (obwohl es in anderen Büchern ganz sicher bessere gab als hier) sondern sein Stil.
Ich kann nur wiederholen, was ich schon in anderen Besprechungen über seine Bücher ausgedrückt habe: Roth zu lesen, ist ein intellektuelles Vergnügen! Es gelingt ihm hier, eine Geschichte, die ich nicht übermäßig spannend finde, eine Geschichte, die mich manchmal sogar etwas abstößt –auch wenn ich den Vorwurf der Pornographie, der ihm mal wieder gemacht wurde, nicht teilen kann – dennoch so zu schreiben, dass ich sie sehr gerne gelesen habe und eventuell noch einmal lesen werde.
Wie er über Sex schreibt, die Detailgenauigkeit (den Schwung ihrer Brüste, wenn sie im Bett zu klassischer Musik einen imaginären Taktstock schwingt und ihn das unheimlich erregt), die Intensität, das ist einfach sehr gekonnt. Sogar eher „perverse“ Handlungen werden immer so dargestellt, dass man seine wahre Liebe zum weiblichen Körper spürt, seine Begeisterung für Frauen.
Für mich ist Schreiben dann pornographisch, wenn der weibliche (oder männliche) Körper als „Nutzobjekt“ dargestellt ist, wenn Frauen mehr oder weniger auf ihre Geschlechtsorgane reduziert werden, wenn die Sexualobjekte austauschbar bleiben. Um es etwas drastischer auszudrücken: wenn Frauen als ein Loch mit ein bisschen was drum herum gezeichnet werden. Wenn das jedoch die Definition von Pornographie ist, dann ist Roths Buch genau das Gegenteil!
Er feiert Frauen gerade zu, er liebt ihren Körper, er nimmt sie als Individuen wahr und freut sich über ihre Lust am Sex.
Doch abgesehen von der Haupthandlung gibt es Gott sei Dank auch hier wieder die Nebengeschichten, seine kleinen Abschweifungen, die ich so gerne mag. Wenn er etwa die Geschichte des Todes seines Freundes beschreibt, dann tut er das so originell, so überraschend und auch so schockierend, dass das gut und gerne Stoff für ein eigenes Buch wäre. Auch seine kleinen feinen Seitenhiebe auf die politische Einstellung der Exilkubaner gefielen mir gut.
Seine Gedanken über Literatur, über das Älterwerden, über den Tod und über Freundschaft kommen mir in jedem seiner Bücher wieder wie neu vor, er wird nie platt oder wiederholt sich (nun ja, außer wenn er von großen Brüsten schwärmt;)). Sehr beeindruckend fand ich auch Passagen über die Rolle der sexuellen Befreiung, über die sexuelle Revolution in den 60ern und frühen 70ern; denn hier wird noch mal ganz klar deutlich, dass er wirklichen Respekt vor freien Frauen hat, vor sexuell aktiven, fordernden und offenen Frauen. Klar, er lässt seine Romanhelden diese sexuelle Freiheit auch ganz schön ausnutzen, aber eben nicht in dem Sinne von „benutzen und dann verächtlich wegwerfen“, sondern in dem Sinne von Freude, die Mann und Frau sich gegenseitig spenden können.

Ja, Roth hat in diese wenigen Seiten eine ganze Menge hineingepackt und das mal wieder meisterhaft.

Zur Umschlaggestaltung:

Selten äußere ich mich zu diesem Thema, weil es mir im allgemeinen nicht so wichtig ist. Hier möchte ich aber eine Ausnahme machen, denn sowohl das englische Taschenbuch als auch das deutsche Exemplar werden von einem ganz großartigen Gemälde von Modigliani geziert. Zu sehen ist ein liegender Frauenakt, eine sehr entspannt aussehende Schlafende mit großem schönem Busen (sic!) und sehr schwungvoller Hüftrundung. Diesmal passen Inhalt und Titelgestaltung wirklich ausgezeichnet zueinander.

Meine Meinung:
Ich habe – laut Aussage meines Mannes – beim Lesen immer mal wieder geschimpft und mich geärgert über bestimmte Passagen. Auf seine Frage hin, ob mir denn der neue Roth diesmal nicht gefiele, musste ich aber eindeutig verneinen. Doch, das Buch lohnt sich!
Es lohnt sich wegen Roths Sprache (ich habe es auf englisch gelesen, aber im Normalfall sind die Übersetzungen, die im Hanser Verlag herauskommen, immer sehr gut), wegen seiner Gedanken, ein bisschen auch wegen der Geschichte…

Fazit:
Ich habe irgendwo gelesen, dass Philip Roth mit jedem Buch besser wird. Ich kann das nicht ohne weiteres unterschreiben. Mir persönlich gefiel sein letzter Roman „Der menschliche Makel“ wesentlich besser. Wenn jemand noch gar nichts von diesem Autor gelesen hat, dann ist „Das sterbende Tier“ wahrscheinlich nicht der richtige Einstieg. Ich halte es, auch wenn es sehr gut ist, sicher nicht für sein bestes Buch. Aber immer noch um so viel lohnenswerter als die Masse der allermeisten Verlagsprodukte, die derzeit so auf den Markt geworfen werden…

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