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Erfahrungsbericht von xtombrix

Thomas Mann: Die Buddenbrooks - einfach zu lesen und doch so viel mehr

Pro:

Für Kafkafans ein Muss: die Lebensbeschädigungen eines Menschen werden deutlich.

Kontra:

Kafka ist nicht für jeden etwas - über Geschmack kann man sich jedoch trefflich streiten.

Empfehlung:

Ja

Thomas Manns \"Buddenbrooks\" sind Thomas Manns meistgelesenes Werk - das liegt u.a. an ihrem klassischen Charakter als Schullektüre und den Verfilmungen. Ihr Ruhm brachte dem Dichter den Nobelpreis ein, und nicht wenige Leser fanden über seine Lektüre den Zugang zu anderen Werken Manns.

Das Buch ist einfach zu lesen, bunt und episodenreich, eine Welt tut sich auf. Dass es nicht ganz so einfach ist, möchte ich hier zeigen. So beschäftigt sich eine umfangreiche Forschungsliteratur mit Fragestellungen wie dem Verhältnis des Romans zur Sozialgeschichte des Bürgertums, der Realismusproblematik, der Verwendung von Leitmotiven und den literarischen und philosophischen Einflüssen auf den Autor. Aber keine Angst - hier wird nich Germanistik betrieben.

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1. Die Entstehung des Romans
2. Die Hauptpersonen des Romans und der Verfall
3. Eigene Bewertung
4. Stimmen der zeitgenössischen Rezeption
5. Internetadressen und Literaturauswahl

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1. Die Entstehung des Romans:

Die Vorarbeiten zu den \"Buddenbrooks\" beginnen in Italien (Rom und Palestrina) unmittelbar nach einem Brief des Verlegers Samuel Fischer vom 29. Mai 1897, der Thomas Mann zu einer größeren Arbeit auffordert. Das Manuskript datiert den Beginn auf \"Rom Ende Oktober 1897\". In München arbeite Thomas Mann bis zum 18. Juli 1900 an dem Roman weiter, d.h. er ist gerade erst 25, als er das Buch vollendet. Dass Thomas Mann dabei aus seiner eigenen Erfahrungswelt schöpfte, dass seine Familie in mehr als nur einer Hinsicht Pate stand, das ist klar. Dennoch geht das Buch nicht in einem Schlüsselroman auf.
Wer sich näher für den Entstehungsprozeß interessiert, kann das in der sehr gelungenen Biographie von Peter de Mendelssohn (S. 391-594; s.u.) tun, die sehr detailliert ist.

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2. Die Hauptpersonen des Romans und der Verfall:

Die Hauptpersonen des Romans sind u.a. die Chefs des Hauses Buddenbrook. In ihnen ist der Verfall der Familie angelegt. Der Germanist Hermann Kurzke (s.u.) sieht den Grund dafür in der überhandnehmenden Reflexivität. Nicht die wirtschaftliche Situation führe ins Aus, auch nicht Pech, Erbteilungen und Mitgiftjäger, sondern die von Generation zu Generation zunehmende Grübelei. Je mehr die Buddenbrooks von sich selber wüßten, desto kränker würden sie. Das belegt er anhand einer Charakteristik der männlichen Buddenbrooks. Man kann in der Tat zwei gegenläufige Tendenzen in den Figuren erkennen: das klare und praktische Lebensgefühl nimmt ab, dafür steigern sich Grübelei und Antriebschwäche vor allem mit der Hingabe oder besser dem Sich-selbst-Verlieren in Kunst und Fantasie. Indiz dafür sind auch die Krankheiten.

Johann Buddenbrook senior ist überaus heiter, irdisch, praktisch, hat keine Zweifel an sich und seiner Rolle und ist insofern naiv. Alles Irrationale hält er für Flausen. Musik und Poesie sind der Geselligkeit vorbehalten. Gegenüber sich ist er unkritisch, daher käme es ihm nie in den Sinn, für sein eigenes Verhalten das Wort Geldgier zu verwenden, obgleich es zutrifft. Der Vitalität gefährlich ist Kritik, die sich auf die Grundlagen des eigenen Seins richtet und diese durchschaut und damit auch ins Wanken bringt. Das ist hier noch nicht der Fall.
Johann Buddenbrook junior ist fromm. Das ist aber kein Vorteil, denn diese Frömmigkeit ist ein erstes Anzeichen des Verfallsprozesses. Sie ist dem vitalen Interesse des Geschäfts feindlich, da sie Schätze im Jenseits, nicht im Diesseits anzuhäufen fordert und den Geschäftsmann auf die christliche Mitleidsmoral verpflichtet. Damit kommt es zu Widersprüchen zwischen Geschäft und Christlichkeit. Dennoch ist Jeans Vitalität noch immer ungebrochen genug, so dass er im Konfliktfalle gegen das Mitleid und für das Geschäft votiert.
Thomas Buddenbrook, der Vertreter der dritten Generation, ist ein Ästhet, der die religiöse Direktheit scheut. Sein Glaube an sich selbst beginnt zu schwinden, und so meditiert er über den Erfolg, den er nicht mehr hat, weil er über ihn nachdenkt. Er kennt nicht mehr die natürliche Arbeitslust seiner Väter und ist im Grunde kein Bürger mehr, sondern nur noch ein Schauspieler, der die Rolle des Bürgers spielt. Dieses Schauspielerische ist die Folge der Nachdenklichkeit: Wenn nichts mehr von selber geht, muss man alles machen. Dieses Machen aber ist anstrengend, denn es bedeutet, dass der Mensch beständig, vom Wollen des Kopfes gesteuert, gegen sein wahres Sein verstoßen und gegen seinen Körper leben muß. Thomas Buddenbrook stirbt deshalb nicht umsonst bereits mit 48 Jahren an einem kranken Zahn.
Hanno Buddenbrook ist schließlich sogar die Möglichkeit, Bürgerlichkeit zu spielen, verloren gegangen. Er macht nicht einmal mehr Versuche, kaufmännisches Rüstzeug zu erwerben. Er ist kränklich, unpraktisch, ein Träumer. Er mag Musik, Leiden und Tod. Musik ist für ihn aber keine gesellige Unterhaltung, wie für Johann sen., sondern ein einsamer Rausch, der ihn über den Alltag hinwegtröstet und den Ekel an der Wirklichkeit betäubt. Er stirbt mit 15 Jahren, ohne dass er nur den geringsten Widerstand leistet. Bei ihm ist die Reflexivität umfassend geworden. Er hat keine Lebenstüchtigkeit mehr und verweigert den Konkurrenzkampf schon in der Schule.

Ganz anders die männlichen Gegenspieler der Buddenbrooks: Die Hagenströms sind das bürgerliche Gegenmodell. Während sie ihren Geschäften nachgehen, schwelgen die Buddenbrooks noch im Bewusstsein alter Größe und hanseatischer Vornehmheit. Die Hagenströms sind keine Aristokraten, sondern Neureiche und so benehmen sich nicht auch, nämlich normal, gewöhnlich, liberal. Das wird besonders klar in der Gegenüberstellung der Körperlichkeit. Hagenströms erscheinen widerwärtig, die Buddenbrooks vornehm. Aber auch hier ist schon Schauspielerei im Spiel, denn Thomas Buddenbrook muss heftig an sich arbeiten, um diesen Eindruck zu erwecken, während Hermann Hagenström das nicht einmal versucht, dafür aber seine Vitalität auch seine Geschäftstüchtigkeit zeigt.

Auch innerhalb der Familie Buddenbrook gibt es Gegenfiguren, die der Kontrastierung dienen. Christian Buddenbrook, der zu ernsthafter Arbeit unfähige Bruder von Thomas Buddenbrook verstößt gegen den guten Ton, ist schwatzhaft, hat Affären, zeigt großes Interesse für seine Körperlichkeit. Er steht damit für das Verdrängte im Leben der Familie Buddenbrook. Christian kann die unstandesgemäße Aline Puvogel heiraten. Seinem auf die Formen bedachten Bruder Thomas ist das nicht möglich, obwohl er eigentlich ein Blumenmädchen liebt. Er wahrt die Form und findet sich in eine standesgemäße Ehe ein.
Antonie (Tony) Buddenbrook ist das andere Gegenbild. Während Christian der Bürgerwelt entflieht, bleibt sie von Anfang bis Ende unverändert dieselbe - mit ihr beginnt und endet auch der Roman. Warum stirbt sie nicht, wieso will sie noch am Schluß den Kopf hoch tragen? Der Grund ist: Sie denkt nich nach. Das kann man an der Floskelhaftigkeit ihrer Sprache nachweisen, auch an der naiven Übernahme von Zitaten. Sie ist und bleibt vital, aber gleichzeitig auch beschränkt. Tony ist ein Spielball des Lebens, das sie nicht versteht. Dafür aber ist sie im Grunde glücklich.

Der Verfall wird auch über Symbole und Leitmotive verdeutlicht. Bei den männlichen Buddenbrooks nimmt die Vitalität ab, sie ermüden schneller, haben Herzrhythmusstörungen, nervöse Erscheinungen. Signalwirkung hat die Beschreibung von Zähnen, Vitalität spiegelt sich in einem starken Gebiß. Thomas leidet jedoch schon früh an schlechten Zähnen und stirbt schließlich daran. Hanno erbt diesen Mangel von seinem Vater. Insgesamt sinken auch Lebensdauer und die Zahl der Nachkommen.

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3. Eigene Bewertung:

Die \"Buddenbrooks\" sind für mich ein Jahrhundertbuch. Ob man der Linie des Autors folgen will oder nicht, ändert nichts am Lesevergnügen. Mich selbst überzeugt die Konstruktion des Verfalls inhaltlich nur bedingt, denn warum sollten nachdenkliche und empfindsame Menschen nicht erfolgreich sein. Aber im Wirtschaftsleben dürften diese Eigenschaften eher von Nachteil sein. Von der Romananlage her ist der Verfallsprozess klar motiviert und in der Umsetzung einzigartig gelungen.
Man wird sich möglicherweise mit der Sprache und Thematik schwer tun, aber wenn man sich erst einmal eingelesen hat, dann verschlingt man den Roman. Besonders gut sind die detaillierten Schilderungen, der Sprachreichtum (z.B. die sprechenden Namen: Bendix Grünlich - igitt, Vorsicht, Grünspan - der Betrüger; Herr Permaneder - permanent im Wirtshaus sitzend) und einzelne Episoden (z.B. die Revolution in Lübeck). Man kann lachen und nachdenken, einfach vor sich hinlesen oder nach der Bedeutung fragen. Mir hat das Lesen ungeheuren Spaß gemacht, und noch mehr Spaß hatte ich beim zweiten Mal, als ich Literatur zu den \"Buddenbrooks\" gelesen hatte, die mir so manches deutlicher und klarer erscheinen ließ.

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4. Stimmen der zeitgenössischen Rezeption:

Thomas Manns Roman-Erstling erschien im Oktober 1901 bei S. Fischer, der endgültige Verkaufserfolg kam aber erst mit der 2. Auflage von 1903. Die Besprechung der \"Buddenbrooks\" zog sich über mehrere Jahre hin, denn die Rezensenten scheuten vor dem Mammut-Roman des relativ unbekannten Neulings zurück. Falsch ist also, dass der Roman gleich nach dem Erscheinen mit einhelligem Wohlwollen aufgenommen wurde. Dennoch sind vor allem die positiven Zeugnisse auch heute noch interessant. Dazu zwei Beispiele:

Samuel Lublinski - \"Berliner Tageblatt\": \"Und darum eben, weil sich in den Buddenbrooks ein erlebtes und tief empfundenes Weltgefühl mit einer bewußten Kunst innig verbunden hat, deshalb bleibt dieser Roman ein unzerstörbares Buch. Er wird wachsen mit der Zeit und noch von vielen Generationen gelesen werden: eines jener Kunstwerke, die wirklich über den Tag und das Zeitalter erhaben sind, die nicht im Sturm mit sich fortreißen, aber mit sanfter Überredung allmälig und unwiderstehlich überwältigen.\"

Rainer Maria Rilke - \"Bremer Tageblatt und General-Anzeiger\": \"Man wird sich diesen Namen unbedingt notieren müssen. Mit einem Roman von elfhundert Seiten hat Thomas Mann einen Beweis von Arbeitskraft und Können gegeben, den man nicht übersehen kann. [...] Und neben der kolossalen Arbeit und dem dichterischen Schauen ist diese vornehme Objektivität zu loben; es ist ein Buch ganz ohne Überhebung des Schriftstellers. Ein Akt der Ehrfurcht vor dem Leben, welches gut und gerecht ist, indem es geschieht.\"

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5. Internetadressen und Literaturauswahl:

a) wichtige Internetadressen zum Thema:

http://www.dhm.de/lemo/html/kaiserreich/kunst/buddenbrooks/ - Kurzdarstellung aus Kindlers Literaturlexikon
http://www.geocities.com/f_oberbichler/Die_Buddenbroo ks_-_Zerfall_ein/die_buddenbrooks_-_zerfall_ein.html - Kurzdarstellung aus Kindlers Neuem Literaturlexikon
http://www.derkanon.de/roman/buddenbrooks.html - Der deutsche Literaturkanon
http://www.biblioforum.de/buch_buddenbrooks.php - Schöne Buddenbrooks-Seite
http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_aut/ma nn_th/bud/mann_th_bud_booktips_ss.htm - Superseite zur Lektürehilfe

b) grundlegende Literatur zum Thema:

Kurzke, Hermann: Thomas Mann. Epoche - Werk - Wirkung. 3., erneut überarbeitete Auflage. München 1997, S. 60-82
Mendelssohn, Peter de: Der Zauberer. Das Leben des deutschen Schriftstellers Thomas Mann. In drei Bänden. Frankfurt am Main 1996, Bd.1, S. 391-594
Moulden, Ken, Wilpert, Gero von (Hrsg.): Buddenbrooks-Handbuch. Stuttgart 1988

Mann, Thomas: Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Taschenbuch, 758 Seiten, Fischer-Taschenbuch-Verlag 1989; ISBN: 3-596-294312; Preis: 9,90 Euro


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2003-04-18 13:33:46 mit dem Titel Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen

Heinrich Heines Vers-Epos \"Deutschland. Ein Wintermärchen\" ist wohldem Titel nach sein bekanntestes Werk, sieht man von der \"Loreley\" (\"Ich weiß nicht, was soll es bedeuten ...\") ab. Wer aber hat es gelesen? Das ist sehr schade, denn das \"Wintermärchen\" ist nicht nur ein Zeugnis von Heimatliebe, es ist auch ein Meisterwerk der satirisch-politischen Lyrik.

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1. Der Autor
2. Die Entstehungsgeschichte
3. Der Inhalt
4. Bewertung

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1. Der Autor:
Heinrich Heine wurde als Harry Heine (bis 1825) am 13.12.1797 in Düsseldorf als ältester Sohn des jüdischen Textilkaufmanns Samson Heine und seiner Ehefrau Elisabeth, geb. van Geldern, geboren. Das Lyzeum/Gymnasium verläßt er 1814 ohne Reifezeugnis.
Eine kaufmännische Lehre führt ihn 1815 erst nach Frankfurt am Main, er wechselt 1816 dann aber in das Bankhaus seines Onkels Salomon Heine in Hamburg. Dort verliebt er sich unglückliche in seine Cousine Amalie. 1817 veröffentlicht er schließlich unter einem Pseudonym seine ersten Gedichte.
Nach einem Geschäftskonkurs beginnt er ein Jurastudium, das von seinem Onkel finanziert wird. 1820 erscheint sein Aufsatz \"Die Romantik\". 1822 wird Heine Mitglied im \"Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden\". Eine Wanderung durch den Harz (1824) bildet den Ausgangspunkt für seine Reisebeschreibung \"Die Harzreise\", die 1826 erscheint. 1825 tritt Heine zum evangelischen Glauben über. Er promoviert zum Dr. jur., siedelt nach Hamburg über und lebt fortan als freier Schriftsteller.
1826 begegnet er seinem zukünftigen Hauptverleger Julius Campe. Der 1. Teil der \"Reisebilder\" erscheint, 1827 der 2. Teil, ebenso \"Das Buch der Lieder\". Dieser Gedichtband wird Heines populärstes Werk und erlebt allein zu seinen Lebzeiten 13 Auflagen. 1828 stirbt sein Vater in Hamburg. 1830 erscheinen die \"Reisebilder III\".
1831 entschließt er sich aufgrund mangelnder Berufsaussichten in Deutschland (eine Professur war von der katholischen Kirche verhindert worden), nach Paris überzusiedeln. Dort arbeitet er als Korrespondent für deutsche Zeitungen und Zeitschriften. Der Abdruck seiner Artikelserie \"Französische Zustände\" in der Augsburger \"Allgemeinen Zeitung\" wird aber von Metternich nach einigen Folgen unterbunden. Deren Buchausgabe wird in Preußen verboten.
1833 und 1834 erscheinen weitere Werke auch auf Französisch. 1835 werden im Zuge des Verbotes des \"Jungen Deutschlands\" sämtliche Werke Heines (Zitat Metternichs: \"Ausgezeichnet, ausgezeichnet. Das muß sofort verboten werden.\") im Deutschen Bund verboten. 1836 gewährt die Französische Regierung Heine eine Pension als politischem Emigranten. Er erkrankt an Gelbsucht und 1837 an den Augen. In den Folgejahren erscheinen weitere Werke.
1841 beginnt er die Arbeit an dem satirischen Versepos \"Atta Troll. Ein Sommernachtstraum\", das 1843 in der \"Zeitung für die elegante Welt\" erscheint wie auch das Gedicht \"Nachtgedanken\" (Zitat: \"Denk\' ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht.\"). Im selben Jahr reist er nach Hamburg. Nach seiner Rückkehr lernt er in Paris Karl Marx kennen.
1844 erscheinen \"Deutschland. Ein Wintermärchen\" und \"Neue Gedichte\". Nach dem Tod des Onkels Salomon beginnen Erbschaftsstreitigkeiten innerhalb der Familie. Er erhält nur dann weiter eine Familienpension, wenn er in seinen Werken keine Familienangehörigen erwähnt.
Ab 1845 verschlechtert sich sein Gesundheitszustand immer mehr. Dennoch berichtet Heine 1848 für die Augsburger \"Allgemeine Zeitung\" über die Pariser Februarrevolution. Er bricht im Louvre zusammen. Eine Erkrankung an Rückenmarkschwindsucht wird diagnostiziert. Nun beginnt sein Krankenlager in der \"Matratzengruft\" in der Avenue Matignon (bis zu seinem Tod).
Die letzten Jahre bringen eine ganze Reihe von Werken, so etwa 1851 den Gedichtband \"Romanzero\" und \"Der Doktor Faust\", ein Tanzpoem. Am 17.02.1856 stirbt Heine in Paris und wird drei Tage später auf dem Friedhof Montmartre beerdigt.

Heine ist einer der bedeutendsten und einflußreichsten deutschen Dichter und zugleich Mitbegründer des modernen Feuilletons. Zahlreiche seiner Lieder wurden vertont, zum Teil von Schubert, Schumann u.a. Während der NS-Herrschaft galten seine Werke als \"jüdisch entartet\", so daß sogar seine \"Loreley\" in den Schulbüchern einem unbekannten Dichter zugeschrieben wurde. Eines seiner Worte ist legendär und fast prophetisch: \"Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.\"

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2. Entstehungsgeschichte:
Die Entstehungsgeschichte von \"Deutschland. Ein Wintermärchen\" ist sehr gut dokumentiert.
Seit 1831 befindet sich Heine im Exil in Frankreich. Schon damals schreibt er August Varnhagen in Berlin: \"Fliehen wäre leicht, wenn man nicht das Vaterland an den Schuhsohlen mit sich schleppte!\" Diese Verbundenheit mit seiner Heimat bleibt ihm ein Leben lang, so daß er am 18. Oktober 1843 an seine Mutter nach Hamburg schreibt: \"Ich will dich [...] noch in diesem Jahr [sehen]\". Die Reise muß aber streng geheimgehalten werden; denn er ist ein verbotener Dichter, dem vorgeworfen wird, \"die ganze gesellschaftliche Ordnung in Deutschland, die Religion, die Moral, die fürstliche Gewalt, kurz alles, was dem Menschen heilig ist, stürzen zu wollen\". Am 29.10.1843 trifft er in Hamburg ein, besucht seine Familie und alte Freunde. Er reist, ungeachtet der Gefahr, daß er verhaftet werden könnte, durch das Land und erfährt, was sich in Deutschland während seiner Abwesenheit ereignet und verändert hat. Von Hamburg über Hannover, Bückeburg, Minden, Paderborn, den Teutoburger Wald, Hagen, Köln und Aachen geht die Reise - im Versepos werden die Stationen in umgekehrter Reihenfolge durchlaufen. Am 13.12.1843 ist Heine wieder in Paris. Seine Erlebnisse schreibt er anfangs 1844 nieder. Seinem Verleger Campe schreibt er am 20.02.1844: \"Hab, seitdem ich zurück, viel gearbeitet, z. B. ein höchst humoristisches Reise-Epos, meine Fahrt nach Deutschland, ein Cyklus von 20 Gedichten, gereimt. Sie werden sehr mit mir zufrieden sein und das Publikum wird mich in meiner wahren Gestalt sehen. Meine Gedichte, die neuen, sind ein ganz neues Genre, versifizierte Reisebilder, und werden eine höhere Politik athmen als die bekannten politischen Stänkerreime [...] Dieses Gedicht wird den hohen Herren Schrecken einjagen - denn sie sehen wessen ich fähig bin, wenn ich will [...]\"
Am 17.04.1844 schließlich steht der Titel \"Deutschland. Ein Wintermärchen\" fest, für Heine, wie er seinem Verleger schreibt, ein Werk, das \"der prosaischbombastischen Tendenzpoesie den Todesstoß geben [...]\". Der Verleger fürchtet jedoch die Politik, zurecht wie man daraus erkennen kann, daß das Werk sofort 1844 in Preußen, Frankfurt am Main, Bayern, Württemberg und Hannover verboten wird. Ende des Jahres ordnet der preußische König Friedrich Wilhelm IV. sogar die Verhaftung Heines an, sollte er die preußischen Grenze überschreiten. Die Verbote setzen sich auch im darauffolgenden Jahr fort. Von der katholischen Kirche wird das Buch auf den Index librorum prohibitorum gesetzt.

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3. Inhalt:

Vorwort
Das Vers-Epos geginnt mit einem Vorwort, in dem Heinrich Heine kurz auf seine Arbeit am Werk eingeht, bevor er sich der aktuellen politischen Situation widmet, der Rheinfrage, in der zum Beispiel \"Die Wacht am Rhein\" entstand.

Caput I
Heine beginnt seine Reise und das \"Wintermärchen\" mit den wundervollen Versen:

Im traurigen Monat November war\'s,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.

Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.

Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zumute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute.

Wer das liest und glaubt, Heine habe ein Haßgedicht auf Deutschland geschrieben, dem kann nicht mehr geholfen werden.
Dann wird er programmatisch:

Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von ihrem Spiele.

Sie sang von Liebe und Liebesgram,
Aufopfrung und Wiederfinden
Dort oben, in jener besseren Welt,
Wo alle Leiden schwinden.

Sie sang vom irdischen Jammertal,
Von Freuden, die bald zerronnen,
Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt
Verklärt in ew\'gen Wonnen.

Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.

Caput II
Im zweiten Kapitel überschreitet Heine die Grenze. Dabei wird er kontrolliert:

Während die Kleine von Himmelslust
Getrillert und musizieret,
Ward von den preußischen Douaniers
Mein Koffer visitieret.

Beschnüffelten alles, kramten herum
In Hemden, Hosen, Schnupftüchern;
Sie suchten nach Spitzen, nach Bijouterien,
Auch nach verbotenen Büchern.

Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht!
Hier werdet ihr nichts entdecken!
Die Konterbande, die mit mir reist,
Die hab ich im Kopfe stecken.

[...]

Und viele Bücher trag ich im Kopf!
Ich darf es euch versichern,
Mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest
Von konfiszierlichen Büchern.

Glaubt mir, in Satans Bibliothek
Kann es nicht schlimmere geben;
Sie sind gefährlicher noch als die
Von Hoffmann von Fallersleben! -

Caput III
In Aachen sinniert Heine über Karl den Großen und die Vergänglichkeit von Größe:

Zu Aachen, im alten Dome, liegt
Carolus Magnus begraben.
(Man muß ihn nicht verwechseln mit Karl
Mayer, der lebt in Schwaben.)

Ich möchte nicht tot und begraben sein
Als Kaiser zu Aachen im Dome;
Weit lieber lebt\' ich als kleinster Poet
Zu Stukkert am Neckarstrome.

Dem Preußischen Militär begegnet er feindlich:

[...]
Sah wieder preußisches Militär,
Hat sich nicht sehr verändert.

Es sind die grauen Mäntel noch
Mit dem hohen, roten Kragen -
(Das Rot bedeutet Franzosenblut,
Sang Körner in früheren Tagen.)

Noch immer das hölzern pedantische Volk,
Noch immer ein rechter Winkel
In jeder Bewegung, und im Gesicht
Der eingefrorene Dünkel.

Sie stelzen noch immer so steif herum,
So kerzengerade geschniegelt,
Als hätten sie verschluckt den Stock,
Womit man sie einst geprügelt.

Caput IV
Köln ist die nächste Station der Reise. Dort setzt sich Heine mit der Rolle der Kirche auseinander:

Ja, hier hat einst die Klerisei
Ihr frommes Wesen getrieben,
Hier haben die Dunkelmänner geherrscht,
Die Ulrich von Hutten beschrieben.

Der Cancan des Mittelalters ward hier
Getanzt von Nonnen und Mönchen;
Hier schrieb Hochstraaten, der Menzel von Köln,
Die gift\'gen Denunziatiönchen.

Die Flamme des Scheiterhaufens hat hier
Bücher und Menschen verschlungen;
Die Glocken wurden geläutet dabei
Und Kyrie eleison gesungen.

Dummheit und Bosheit buhlten hier
Gleich Hunden auf freier Gasse;
Die Enkelbrut erkennt man noch heut
An ihrem Glaubenshasse. -

Caput V
Im fünften Kapitel spricht er mit Vater Rhein, der sich beklagt über seinen politischen Mißbrauch. Er verspricht ihm bessere Lieder über ihn:

Zu Biberich hab ich Steine verschluckt,
Wahrhaftig, sie schmeckten nicht lecker!
Doch schwerer liegen im Magen mir
Die Verse von Niklas Becker.

Er hat mich besungen, als ob ich noch
Die reinste Jungfer wäre,
Die sich von niemand rauben läßt
Das Kränzlein ihrer Ehre.

Wenn ich es höre, das dumme Lied,
Dann möcht ich mir zerraufen
Den weißen Bart, ich möchte fürwahr
Mich in mir selbst ersaufen!

[...]

Gib dich zufrieden, Vater Rhein,
Denk nicht an schlechte Lieder,
Ein besseres Lied vernimmst du bald -
Leb wohl, wir sehen uns wieder.

Caput VI
Immer noch in Köln begegnet er nächtens einem Geist, der ihm die Umsetzung seiner Gedanken verspricht.

Caput VII
Dieses Kapitel ist eines der berühmtesten. Heine beschreibt dort den Nationalcharakter der Deutschen:

Man schläft sehr gut und träumt auch gut
In unseren Federbetten.
Hier fühlt die deutsche Seele sich frei
Von allen Erdenketten.

Sie fühlt sich frei und schwingt sich empor
Zu den höchsten Himmelsräumen.
O deutsche Seele, wie stolz ist dein Flug
In deinen nächtlichen Träumen!

Die Götter erbleichen, wenn du nahst!
Du hast auf deinen Wegen
Gar manches Sternlein ausgeputzt
Mit deinen Flügelschlägen!

Franzosen und Russen gehört das Land,
Das Meer gehört den Briten,
Wir aber besitzen im Luftreich des Traums
Die Herrschaft unbestritten.

Hier üben wir die Hegemonie,
Hier sind wir unzerstückelt;
Die andern Völker haben sich
Auf platter Erde entwickelt. - -

In einem Albtraum jagt Heine dann den Aberglauben aus dem Kölner Dom.

Caput VIII
Die Reise führt weiter über Mühlheim nach Hagen. Heine schwelgt in Erinnerungen.

CAPUT IX
In Hagen wird zu Mittag gegessen. Dort betrachtet er eine Gans:

Es stand auf dem Tische eine Gans,
Ein stilles, gemütliches Wesen.
Sie hat vielleicht mich einst geliebt,
Als wir beide noch jung gewesen.

Sie blickte mich an so bedeutungsvoll,
So innig, so treu, so wehe!
Besaß eine schöne Seele gewiß,
Doch war das Fleisch sehr zähe.

CAPUT X
Nachts macht man dann zu Unna im Wirtshaus halt. Hier kommentiert er die Westfalen in Erinnerung an seine Göttinger Zeit:

Der Himmel erhalte dich, wackres Volk,
Er segne deine Staaten,
Bewahre dich vor Krieg und Ruhm,
Vor Helden und Heldentaten.

Er schenke deinen Söhnen stets
Ein sehr gelindes Examen,
Und deine Töchter bringe er hübsch
Unter die Haube - Amen!

CAPUT XI
Die REise führt weiter durch den Teutoburger Wald. Heine überlegt, was wohl gewesen wäre, hätte Varus die Schlacht gewonnen und nicht Hermann. Er kommt zu dem Ergebnis:

Gottlob! Der Herrmann gewann die Schlacht,
Die Römer wurden vertrieben,
Varus mit seinen Legionen erlag,
Und wir sind Deutsche geblieben!

Wir blieben deutsch, wir sprechen deutsch,
Wie wir es gesprochen haben;
Der Esel heißt Esel, nicht asinus,
Die Schwaben blieben Schwaben.

Diese Verse sind nur dann verständlich, wenn man weiß, das Esel und Schwaben lateinische Lehnwörter sind, die lediglich deutsch aussehen.

CAPUT XII
Im nächtlichen Wald bricht ein Rad der Kutsche. Heine unterhält sich mit den Wölfen.

CAPUT XIII
Bei Paderborn denkt Heine angesichts eines Wegkreuzes über Christus nach:

Mit Wehmut erfüllt mich jedesmal
Dein Anblick, mein armer Vetter,
Der du die Welt erlösen gewollt,
Du Narr, du Menschheitsretter!

Sie haben dir übel mitgespielt,
Die Herren vom hohen Rate.
Wer hieß dich auch reden so rücksichtslos
Von der Kirche und vom Staate!

Zu deinem Malheur war die Buchdruckerei
Noch nicht in jenen Tagen
Erfunden; du hättest geschrieben ein Buch
Über die Himmelsfragen.

Der Zensor hätte gestrichen darin,
Was etwa anzüglich auf Erden,
Und liebend bewahrte dich die Zensur
Vor dem Gekreuzigtwerden.

Ach! hättest du nur einen andern Text
Zu deiner Bergpredigt genommen,
[...]
Unglücklicher Schwärmer, jetzt hängst du am Kreuz
Als warnendes Exempel!

CAPUT XIV bis CAPUT XV
Die Sonne lenkt Heines Gedanken auf die Kyffhäusersage, und er entlarvt die Barbarossasehnsucht als Ammenmärchen. Er spricht im Traum mit dem Kaiser und erzählt die Geschichte der Revolution. Das Gespräch gipfelt in folgenden Worten:

Der Kaiser fiel mir in die Red\':
\"Schweig still, von deiner Maschine
Will ich nichts wissen, Gott bewahr\',
Daß ich mich ihrer bediene!

Der König und die Königin!
Geschnallt! an einem Brette!
Das ist ja gegen allen Respekt
Und alle Etikette!

Und du, wer bist du, daß du es wagst,
Mich so vertraulich zu duzen?
Warte, du Bürschchen, ich werde dir schon
Die kecken Flügel stutzen!

Es regt mir die innerste Galle auf,
Wenn ich dich höre sprechen,
Dein Odem schon ist Hochverrat
Und Majestätsverbrechen!\"

Als solchermaßen in Eifer geriet
Der Alte und sonder Schranken
Und Schonung mich anschnob, da platzten heraus
Auch mir die geheimsten Gedanken.

\"Herr Rotbart\" - rief ich laut -, \"du bist
Ein altes Fabelwesen,
Geh, leg dich schlafen, wir werden uns
Auch ohne dich erlösen.

Die Republikaner lachen uns aus,
Sehn sie an unserer Spitze
So ein Gespenst mit Zepter und Kron\';
Sie rissen schlechte Witze.

Auch deine Fahne gefällt mir nicht mehr,
Die altdeutschen Narren verdarben
Mir schon in der Burschenschaft die Lust
An den schwarzrotgoldnen Farben.

Das beste wäre, du bliebest zu Haus,
Hier in dem alten Kyffhäuser -
Bedenk ich die Sache ganz genau,
So brauchen wir gar keinen Kaiser.\"

CAPUT XVII
Heine nimmt - aufgewacht - sein Worte zurück, um damit umso mehr die Zustände der Gegenwart zu geißeln:

Das Mittelalter, immerhin,
Das wahre, wie es gewesen,
Ich will es ertragen - erlöse uns nur
Von jenem Zwitterwesen,

Von jenem Kamaschenrittertum,
Das ekelhaft ein Gemisch ist
Von gotischem Wahn und modernem Lug,
Das weder Fleisch noch Fisch ist.

Jag fort das Komödiantenpack,
Und schließe die Schauspielhäuser,
Wo man die Vorzeit parodiert -
Komme du bald, o Kaiser!

CAPUT XVIII
In Minden wird übernachtet, wo Heine wieder einen Albtraum hat.

CAPUT XIX
Über Bückeburg geht es weiter nach Hannover.

CAPUT XX
In Hamburg schließlich besucht Heine seine Mutter. Er weicht klaren Antworten nach seiner Frau aus, wobei das eher den Vergleich von Deutschland mit Frankreich betrifft:

\"Mein liebes Kind! in welchem Land
Läßt sich am besten leben?
Hier oder in Frankreich? und welchem Volk
Wirst du den Vorzug geben?\"

\"Die deutsche Gans, lieb Mütterlein,
Ist gut, jedoch die Franzosen,
Sie stopfen die Gänse besser als wir,
Auch haben sie bessere Saucen.\" -

Auch die Politik ist Thema:

\"Mein liebes Kind! Wie denkst du jetzt?
Treibst du noch immer aus Neigung
Die Politik? Zu welcher Partei
Gehörst du mit Überzeugung?\"

\"Die Apfelsinen, lieb Mütterlein,
Sind gut, und mit wahrem Vergnügen
Verschlucke ich den süßen Saft,
Und ich lasse die Schalen liegen.\"

CAPUT XXI und CAPUT XXII
In diesen Kapiteln geht es um die Zerstörung der Stadt Hamburg durch Brand, noch mehr aber um die Verwüstung ihrer Bewohner.

CAPUT XXIII bis XXVI
Heine begegnet Hammonia, Hamburgs Schutzgöttin, die ihn führt. Man gerät ins Politisieren. Die Verbindung zu Karl dem Großen stellt sich her. Die Göttin zeigt ihm Deutschlands Zukunft:

\"Die Zukunft Deutschlands erblickst du hier,
Gleich wogenden Phantasmen,
Doch schaudre nicht, wenn aus dem Wust
Aufsteigen die Miasmen!\"

Sie sprach\'s und lachte sonderbar,
Ich aber ließ mich nicht schrecken,
Neugierig eilte ich, den Kopf
In die furchtbare Ründung zu stecken.

Was ich gesehn, verrate ich nicht,
Ich habe zu schweigen versprochen,
Erlaubt ist mir zu sagen kaum,
O Gott! was ich gerochen! - - -

[...]

Entsetzlich waren die Düfte, o Gott!
Die sich nachher erhuben;
Es war, als fegte man den Mist
Aus sechsunddreißig Gruben. - - -

[...]

Doch dieser deutsche Zukunftsduft
Mocht alles überragen,
Was meine Nase je geahnt -
Ich konnt es nicht länger ertragen - - -

CAPUT XXVII
Mit diesem Kapitel schließt das \"Wintermärchen\". Es endet in Hoffnung und einem Appell:

Es wächst heran ein neues Geschlecht,
Ganz ohne Schminke und Sünden,
Mit freien Gedanken, mit freier Lust -
Dem werde ich alles verkünden.

Schon knospet die Jugend, welche versteht
Des Dichters Stolz und Güte,
Und sich an seinem Herzen wärmt,
An seinem Sonnengemüte.

[...]

O König! Ich meine es gut mit dir,
Und will einen Rat dir geben:
Die toten Dichter, verehre sie nur,
Doch schone, die da leben.

Beleid\'ge lebendige Dichter nicht,
Sie haben Flammen und Waffen,
Die furchtbarer sind als Jovis Blitz,
Den ja der Poet erschaffen.

Beleid\'ge die Götter, die alten und neu\'n,
Des ganzen Olymps Gelichter,
Und den höchsten Jehova obendrein -
Beleid\'ge nur nicht den Dichter!

Die Götter bestrafen freilich sehr hart
Des Menschen Missetaten,
Das Höllenfeuer ist ziemlich heiß,
Dort muß man schmoren und braten -

Doch Heilige gibt es, die aus der Glut
Losbeten den Sünder; durch Spenden
An Kirchen und Seelenmessen wird
Erworben ein hohes Verwenden.

[...]

Doch gibt es Höllen, aus deren Haft
Unmöglich jede Befreiung;
Hier hilft kein Beten, ohnmächtig ist hier
Des Welterlösers Verzeihung.

Kennst du die Hölle des Dante nicht,
Die schrecklichen Terzetten?
Wen da der Dichter hineingesperrt,
Den kann kein Gott mehr retten -

Kein Gott, kein Heiland erlöst ihn je
Aus diesen singenden Flammen!
Nimm dich in acht, daß wir dich nicht
Zu solcher Hölle verdammen.

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4. Bewertung:
Das Epos gehört zu den großen Werken der deutschen Literatur und ist eines meiner Lieblingsstücke. In ihm sind viele Themen aufgegriffen: Religion, Zensur, Geschichte, Heimat ... Über Deutschland zu schreiben, hieß für viele Dichter auch an Deutschland verzweifeln. Ich hoffe, dass es für diese Verzweiflung keinen Anlass mehr geben wird, aber das ist ein \"weites Feld\" ...

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\"Deutschland. Ein Wintermärchen\" ist in vielen Ausgaben erhältlich. Wer nur den Text lesen will, der ist mit der Sammlung Gutenberg im Internet (\"http://gutenberg.spiegel.de/heine/wintmaer\") gut bedient. Alle anderen Möglichkeiten reichen von Reclams Universalbibliothek bis zu bibliophilen Ausgaben. Auf jeden Fall sollte es aber in jedem Bücherregal seinen Platz finden, noch mehr aber in jedem Herzen.

----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2003-04-21 19:45:38 mit dem Titel Thomas Mann: Der Tod in Venedig

So manches ist schon über Thomas Mann und seine Novelle \"Der Tod in Venedig\" geschrieben worden, denn das Werk ist schier unerschöpflich: da gibt es die Homosexuellenproblematik und eine philosophische Deutung - Gegensatz des Apollinischen und des Dionysischen. Zu ergänzen wären biographische Aspekte und die Bedeutung der Ironie, vor allem aber die Traumdeutung. Diese Aspekte möchte ich hier ansprechen.

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1. Thomas Manns Biographie zur Entstehungszeit der Novelle
2. Knappe Inhaltszusammenfassung
3. Aschenbach als ironische Selbstdarstellung Thomas Manns
4. Ironie als Kennzeichen von Thomas Manns Schreibstil
5. Die Bedeutung der Träume in der Novelle
6. Fazit

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1. Thomas Manns Biographie zur Entstehungszeit der Novelle:
Der am 6. Juni 1875 in Lübeck geborene Schriftsteller lebte seit 1894 in München, wobei er allerdings von 1896 bis 1898 in Italien weilte. Die \"Buddenbrooks\" (1901) brachten den endgültigen literarischen Durchbruch. 1903 erschien die Novellensammlung \"Tristan\", die u.a. den \"Tonio Kröger\" enthält. Die Themen in Thomas Manns Frühwerk sind der Gegensatz von Leben und Kunst sowie der Verfall. 1905 heiratete er Katia Pringsheim und richtete sich im großbürgerlichen Leben ein. Er schrieb ein Drama, \"Fiorenza\" (1907), das den meisten nicht bekannt ist, und seinen zweiten Roman \"Königliche Hoheit\" (1909). \"Der Tod in Venedig\" (1912) schließt Manns Frühwerk ab. Allerdings geriet er dann in eine Schaffenskrise.

2. Knappe Inhaltszusammenfassung:
Eine Schaffenskrise des Schriftstellers Gustav von Aschenbach bildet den Ausgangspunkt der Novelle. Im 1. Kapitel wird Aschenbachs nachlassende Energie beschrieben, die bisher von seinem Willen bestimmt war. Ein Tagtraum bringt ihn dazu zu verreisen, wobei diese Reise eine \"hygienische Maßregel\" (S. 10) sein soll.
Im 2. Kapitel werden Aschenbachs Biographie und seine Kunst beschrieben. Seine schwache Konstitution prägen auch seine Kunstauffassung: außerordentliche Leistung lassen sich für ihn durch eisernen Willen, Strenge und Zucht erzielen. Er verbannt alles Nichtrationale aus Leben und Werk und stilisiert es ins Mustergültige, aber: \"Blickte man hinein in diese erzählte Welt, sah man die elegante Selbstbeherrschung, die bis zum letzten Augenblick eine innere Unterhöhlung, den biologischen Verfall vor den Augen der Welt verbirgt [...]\" (S. 16).
Das 3. Kapitel bringt die Reise nach Venedig, wo er dem Knaben Tadzio begegnet. In Aschenbachs Leben bricht die bisher vom Willen verdrängte Sinnlichkeit - zunächst unbewußt - ein. Ein halbherzig vorgenommener Fluchtversuch scheitert.
Vorübergehend gelingt Aschenbach im 4. Kapitel die Überwindung seiner Schaffenskrise. Grund dafür ist Tadzio, in dem Aschenbach das erste Mal das vollkommen Schöne zu erblicken meint. Ihm gelingen \"anderthalb Seiten erlesener Prosa\" (S. 55). Was als ästhetische Leidenschaft das Werk befruchtet (\"Glück des Schriftstellers ist der Gedanke, der ganz Gefühl, ist das Gefühl, das ganz Gedanke zu werden vermag.\"; S. 55), steigert sich jedoch zu einem offenen Liebesbekenntnis.
Das 5. Kapitel bringt den völligen Verfall Aschenbachs. Seine Leidenschaft schlägt um in rauschhafte und würdelose Zügellosigkeit. Äußeres Kennzeichen davon ist eine kosmetische Behandlung, die ihn jünger und für Tadzio attraktiver machen soll. Am Ende stirbt er an der - äußerlich zumindest - Cholera.

3. Aschenbach als ironische Selbstdarstellung Thomas Manns:
Im \"Tod in Venedig\" greift Thomas Mann Themen seiner frühen Novellen auf, mit ihm verabschiedet er sich aber auch von einigen seiner Pläne. Er schreibt sie als Titel Gustav Aschenbachs Biographie zu:
\"Der Autor der klaren und mächtigen Prosa-Epopöe vom Leben Friedrichs von Preußen; der geduldige Künstler, der in langem Fleiß den figurenreichen, so vielerlei Menschenschicksal im Schatten einer Idee versammelnden Romateppich, \'Maja\' mit Namen wob; der Schöpfer jener starken Erzählung, die \'Ein Elender\' überschrieben ist [...]; der Verfasser endlich [...] der leidenschaftlichen Abhandlung über \'Geist und Kunst\' [...]\" (S. 13)
Alle diese Werke wurden von Mann konzipiert, es liegen sogar Entwürfe vor, aber nicht vollendet. Mit der Übertragung an Aschenbach entledigt er sich ihrer weitgehend.
Aschenbachs Biographie weist jedoch auch nicht fiktivie Parallelen zu der von Thomas Mann auf. So entspringt er einer \"Blutmischung\" von pflichttreuen preußischen Beamten väterlicherseits, während die Mutter Tochter eines böhmischen Kapellmeisters ist und feurige Impulse setzt. Thomas Mann selbst bekommt vom Vater hanseatische Nüchternheit, die Mutter bringt südamerikanisches Temperament in die Familie. Auch die Adelung Aschenbachs (\"Gustav Aschenbach oder von Aschenbach, wie seit seinem fünfzigsten Geburtstag amtlich sein Name lautete\"; S. 7) findet ihre Entsprechung in der 1909 erfolgten Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Bonn, eine Art bürgerlicher Adelung also.
Auch die Schauplätze der Handlung sind Thomas Mann nicht nur vertraut, er lebte ja in München und bewunderte Venedig, auch der äußere Kern der Handlung, die Begegnung mit einem polnischen Jungen in Venedig - \"Tadzio\" - hat es wirklich gegeben.
Nun ist das für Manns Werk durchaus nichts Ungewöhnliches. Er greift schon von Anfang an auf Autobiographisches zurück, ganz deutlich ist das ja in seinen \"Buddenbrooks\". Die Ironie der Selbstdarstellung ist hier aber u.a. dadurch gegeben, daß er selbst ja weder negativ auffällt in Venedig noch stirbt. Gleichwohl erscheint seine \"würdige\" Stellung innerhalb der Gesellschaft ironisch gebrochen. Das betrifft letztlich auch Manns Kunst- und Künstlerverständnis.

4. Ironie als Kennzeichen von Thomas Manns Schreibstil:
Ironie zu erkennen, fällt schwer. Noch schwerer ist das, wenn sie ihre Wirkung nicht etwa aus der Wortwahl gewinnt, sondern aus der Komposition des gesamten Textes - und genau das ist hier der Fall, denn vergleichbare Situationen treten auf und werden als Entsprechung und Spiegelung gestaltet. Damit verändern sie rückwirkend die Sicht auf das erste Auftreten. Aschenbachs Verachtung eines alternden Gecks (3. Kapitel) schlägt auf ihn zurück (5. Kapitel). Seine Kunstprinzipien (2. Kapitel) tauchen später wieder auf (5. Kapitel), diesmal jedoch in veränderter Situation, was eine ironische Färbung dieser Begriffe, die Aschenbachs Leben prägen, hervorbringt. Gleiches gilt für die Darstellung Venedigs, bei der äußerer Schein und inneres Sein sich nicht entsprechen.

5. Die Bedeutung der Träume in der Novelle:
Träume sind in literarischen Werken immer Hinweise für den Leser, während die Figuren sie meist nicht oder nur eingeschränkt zu deuten wissen. Das gilt auch für Thomas Manns Novelle, und dies umso mehr als Mann Siegmund Freud intensiv rezipiert hat. Danach zeigt sich in jedem manifesten Traum ein latenter Traumgedanke. Ich will die Deutung hier am ersten Traum Aschenbachs in München exemplarisch zeigen und dies mit einer ausführlichen sprachlichen Analyse vertiefen:

Was bringt Aschenbach dazu, sein wohlgeordnetes Leben zu verlassen? Schon auf den ersten Seiten des Buches wird deutlich, daß er sich in einer Krise befindet, er ist \"überreizt\" (S. 7). Um sich zu entspannen, unternimmt er einen Spaziergang durch den Englischen Garten; auf dem Rückweg begegnet ihm auf einem Friedhof eine fremdländische Erscheinung, ein Wanderer, der ihm wild entgegensieht, so daß er sich abwendet. Durch diese Begegnung wird Aschenbach aber angeregt, etwas zu empfinden, das er als \"Reiselust, nichts weiter\" (S. 9) definiert. Diese erscheint aber so \"ins Leidenschaftliche, ja bis zur Sinnestäuschung, gesteigert\" (S. 10), daß der Schriftsteller eine Vision \"wie mit leiblichem Auge\" vor sich sieht. Ihm steht eine \"ungeheure Landschaft, ein tropisches Sumpfgebiet [...] eine [...] Urweltwildnis\" vor Augen, die wild wuchert und von exotischen Tieren, \"Vögel von fremder Art\" und einem Tiger, nicht aber von Menschen bewohnt wird, ihn scheint sogar der \"mephitische Odem\" dieser Welt anzuhauchen, so daß er \"sein Herz [...] vor Entsetzen und rätselhaftem Verlangen [pochen] [fühlt]\". Aus dieser Vision in die Realität zurückgekehrt, nimmt Aschenbach dann aber seinen Spaziergang - wenn auch unter \"Kopfschütteln\" - wieder auf, denn Reisen ist ihm sonst keine Lust. Die Erscheinung zeitigt trotz dieser Distanzierung Folgen, denn noch auf dem Heimweg entschließt sich Gustav v. Aschenbach zu verreisen.

Der tiefe Eindruck, den die Vision auf Aschenbach macht, wird auch durch erzähltechnische Mittel verdeutlicht. Gibt im vorhergehenden Abschnitt der Novelle ein auktorialer Erzähler daß Geschehen wieder (\"Wohl möglich, daß Aschenbach es [...] an Rücksicht hatte fehlen lassen;\" S. 9), so ist die Erzählsituation nun personal. Die Vision wird ohne Erzählerkommentar aus Innensicht dargestellt: Aschenbach \"sah [...] eine ungeheure Landschaft [...] Dem Schauenden war es, als hauchte der laue, mephitische Odem [...] ihn an\" (S. 10). Dies demonstriert in der fehlenden Erzähldistanz den starken Sinneseindruck auf Aschenbach. Auch die erlebte Rede (\"Es war Reiselust, nichts weiter;\" S. 9), die Aschenbachs Versuch einer Selbstberuhigung zeigt, hat diese Funktion der Eindringlichkeitssteigerung. Der Schriftsteller kann sich der \"Sinnestäuschung\" (S. 10) nicht entziehen, nicht seine Rationalität, sondern seine \"Begierde\" (S. 10) zwingt ihn, sich ihr auszusetzen. Er findet auch nicht aus freien Stücken aus der Vision heraus, sie \"wich\" (S. 10). Aschenbach wird also als passiv dargestellt, er ist der \"Schauende\" (S. 10). Erst danach kann er wieder selbständig handeln, er schüttelt den Kopf und nimmt seine Promenade wieder auf. Im folgenden Abschnitt informiert nun auch wieder die auktoriale Erzählinstanz, daß Aschenbach sonst nie aus Neigung reist. Der Konjunktiv II (\"[...], zum mindesten seit ihm die Mittel zu Gebote gewesen wären\", S. 10) demonstriert das Gleiche. Auch der Satzbau zeigt sich als erzählerisches Mittel. So herrscht vor der Vision ein eher einfacher Stil, der sich auch danach wieder einstellt. Die Vision selbst folgt einem verschachtelten Satzbau. Hier spiegeln sich sowohl die Urwaldwildnis selbst als auch Aschenbachs Gefühlsverwirrung wider. Die Sinneseindrücke sind dicht, so intensiv, daß sie nicht gereiht, sondern nur gehäuft wiedergegeben werden können. Diese Eindrücke werden auch in der Wortwahl deutlich. Der Erzähler verwendet aussagekräftige, schildernde und eindrucksstarke Adjektive (\"dickdunstig\",\"feucht\", \"üppig\", \"haarig\", \"wunderlich ungestalt\") und Substantive (\"Urweltwildnis\", \"Schilffelder\"). Er benutzt Vergleiche (\"so dick wie Hände\") sowie Metaphern (\"Pflanzenwerk\"). Die Natur erscheint personifiziert, so \"haucht\" etwa Aschenbach der \"Odem dieser geilen und untauglichen Öde\" an (S. 10). Diese intensive Schilderung der Natur, die eindrucksverstärkend wirkt, geht in eine bestimmte Richtung, die sich in Aschenbachs Herzklopfen vor \"Entsetzen und rätselhaftem Verlangen\" (S. 10) äußert. Die Vision ist exotisch, ein \"tropisches Sumpfgebiet\" mit \"Vögeln von fremder Art\" und einem Tiger. Aschenbachs Verlangen könnte sich daraus erklären lassen, daß er als Schriftsteller schöpferisch tätig ist, ihm das \"Werden\" also nahe steht. Gleichzeitig ist in seinem Erschrecken die andere Seite, daß diese Vision vom Gegenpol des Erschaffens, dem \"Vergehen\", durchdrungen ist, wirksam. Dies zeigt eine Analyse der Wortfelder, denen die Adjektive und Substantive der Vision entstammen. Krankheit (\"ungesund\", \"gequollen\", \"mephitisch\"), Gefahr (Tiger, Sumpf, \"Heere von Geharnischten\") und Chaos (\"Urweltwildnis\", \"überwuchert\", \"verworren\", \"unförmig\") sowie Tod (Öde, \"Vergehen\") prägen sie. Verstärkt wird dieser Eindruck auch vom Vokalismus. Dumpfe und geschlossene Selbstlaute (o, u) dominieren. In der Wortbildung finden sich vor allem bei den Adjektiven negierende (un-geheuer,-förmig, -beweglich) Präfixe, was ebenfalls die Lebensfeindlichkeit dieser Welt zeigt.

Wie ist der Traum nun sowohl erzähltechnisch als auch in verdeckten Hinweisen auf das spätere Geschehen der Novelle zu deuten? Aschenbach befindet sich in einer Krise, er is verwirrt. Diese für ihn untypische Situation ermöglicht es, daß ihn eine ihm sonst fremde Reiselust überfällt, der er sich genausowenig entziehen kann wie der Vision. Diese lockt in in die Ferne, gleichzeitig scheint Gefahr auf. Die Atmosphäre der Urwelt ist ungesund, genauso ungesund wie Venedig. Die Seuche, der Aschenbach zum Opfer fallen wird, stammt aus dem Ganges-Delta (Tiger). Werden somit Krankhelt und Venedig verbunden, so ähnelt auch die Topographie der Wildnis jener Venedigs: Wasseradern, Wirrwarr van Gassen und Inseln. Die todesgeschwängerte Darstellung läßt den schon im Titel der Novelle genannten Ausgang der Handlung erwarten. In der Maße, wie Aschenbach den Boden der Realität unter den Füßen verliert und nicht mehr seiner Vernunft folgt, wie sein Gefühlsleben über ihn Macht gewinnt, kommt er seinem Verderben näher. Sollte er der Vision folgen, also seiner Reiselust, so geht er den Weg in seinen Untergang. Die Gefährdung Aschenbachs wird somit in dem Tagtraum deutlich. Die gefährliche Natur des Traums ist das genaue Gegenteil der eingehegten Natur, in der Aschenbach in übertragenem Sinn lebt. Aschenbachs Reaktion auf diese Vision besteht jedoch im Versuch, sie zu rationalisieren und zu bagatellisieren. Er versteht den Traum nicht als Warnung, der geübte Leser aber sehr wohl.

6. Fazit:
Thomas Manns Novelle ist mit diesen wenigen Zeilen nicht annähernd ausgedeutet. Das sollte hier auch nicht geschehen, vielmehr sollte der Appetit auf mehr geweckt werden, Appetit auf eines der Hauptwerke Thomas Manns, und da der Hunger beim Essen kommt, auch Appetit auf Manns andere Erzählungen in diesem Band (besonders gelungen ist \"Das Gesetz\", das uns einen \"anderen\" Moses als die Bibel vorstellt) und seine Romane. Als \"Einstieg\" dazu eignet sich \"Der Tod in Venedig\" genauso wie als eigenständige Lektüre. Und wer sich auf die Traumdeutung in dieser Novelle einläßt, der läßt sich auch auf Thomas Manns Sprachkunst ein, und in diese zu versinken ist nicht bedrohlich, sondern höchst genußvoll.

Anmerkung: Zitiert wird hier nach: Mann, Thomas: Der Tod in Venedig und andere Erzählungen. Frankfurt am Main 1992; Taschenbuch, 328 Seiten, Fischer-Taschenbuch-Verlag; ISBN: 3-596-20054-7; 7,90 Euro

----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2003-04-22 11:09:51 mit dem Titel Franz Kafka: Brief an den Vater

Franz Kafkas \"Brief an den Vater\" ist für mich eines der ergreifendsten Dokumente der Weltliteratur. Man kann ihn lesen als Ausdruck einer ganz persönlichen Auseinandersetzung zwischen Sohn und übermächtigem Vater, als Generalisierung des Generationenkonflikt, als Anklageschrift oder als Selbstzerfleischung eines psychisch Labilen. Darüber hinaus ist er \"der\" Schlüsseltext, will man Kafkas Werke biographisch deuten.
Um den Brief sinnvoll deuten zu können, bedarf es freilich einiger Überlegungen zu Kafkas Leben und zur Gestaltung des Briefs selbst. Daher gliedere ich die Ausführungen wie folgt:

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1. Franz Kafkas Leben
2. Franz Kafkas Lebensprobleme
3. Der Vater Hermann Kafka
4. Der Vater in Franz Kafkas Werk am Beispiel von \"Die Verwandlung\"
5. Analyse des Briefs - Hauptlinien
6. Wertung
7. Auszüge aus dem \"Brief an den Vater\"
8. Quellenangabe
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1. Franz Kafkas Leben:

Frühe Kindheit: Franz Kafka wird am 3. Juli 1883 als ältester Sohn von Hermann Kafka und seiner Frau Julie, geb. Löwy, in Prag geboren. Als Jude wird er eine Woche nach seiner Geburt in der elterlichen Wohnung beschnitten. Seine frühe Kindheit verläuft unruhig: fünf Umzüge bis zur Einschulung, Existenzsorgen der Eltern wegen ihrer Geschäftsgründung, die ein Jahr vor Kafkas Geburt erfolgte. Da die Mutter arbeiten muß, wird der Sohn von einer Amme großgezogen. So erlebt er seine Mutter kaum, seinen Vater aber als unerbittlicher Tyrann.
Schulzeit und Studium: Franz Kafkas Schulzeit setzt diese Situation fort. 1889 in der Deutschen Knabenschule am Fleischmarkt eingeschult, bringt ihn die Köchin der Eltern zur Schule, die ihm bedrohlich erscheint. 1893 erfolgt der Wechsel auf das Altstädter Deutsche Gymnasium. In seinen letzten Gymnasialjahren macht Kafka seine ersten Schreibversuche. Da Kafkas Eltern keine gläubigen Juden sind, wird er wenig religiös erzogen.
Ab 1901 nimmt Franz Kafka ein Studium der Rechtswissenschaft an der Deutschen Universität (Ferdinand-Karls-Universität) in Prag auf, das er 1903 \"mit gutem Erfolg\" abschließt. Nebenher besucht er germanistische Veranstaltungen. 1902 lernt Kafka Max Brod kennen, der ihm zeit seines Lebens begleitet und posthum seine Werke veröffentlicht. Schon während seiner Studienzeit ist seine Gesundheit angegriffen, so daß er nach dem Examen zur Erholung in ein Sanatorium fährt. Das wiederholt sich ein Jahr später. Dennoch beginnt er seine Promotion zum Doktor der Rechte, die 1906 abgeschlossen ist. Nach einer kurzen Überbrückungszeit in einer Kanzlei absolviert er seine Rechtspraxis am Prager Landgericht.
Schon während seiner Ausbildung ist er schriftstellerisch tätig. Er beginnt 1904 mit der ersten Fassung der \"Beschreibung eines Kampfes\" und verfaßt einige Skizzen, 1907 dann das Romanfragment \"Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande\".
Die ersten Berufserfahrungen sammelt er ab Oktober 1907 als Angestellter bei der Triester Versicherungsgesellschaft \"Assicurazione Generali\", wo es ihm aber nicht gefällt, so daß er 1908 schließlich zur halbstaatlichen \"Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag\" wechselt. Die gesundheitlichen Schwierigkeiten dauern an, trotzdem wird er befördert. Dadurch wächst jedoch die berufliche Belastung, so daß Kafka in dem Dilemma steht, Arbeit und Schreiben miteinander zu verbinden, für ihn ein \"schreckliches Doppelleben\". Er leidet an dieser so von ihm empfundenen Unverträglichkeit. So erscheinen seine Krankheitsschübe auch als Flucht. Immerhin gelingen ihm in seinen ersten Berufsjahre auch einige Veröffentlichungen in Zeitschriften.
Prägend für sein weiteres Leben ist die Begegnung mit Felice Bauer am 13. August 1912, einer fünfundzwanzigjährigen Angestellten aus Berlin. Er ist von ihr fasziniert, und eine intensive Korrespondenz entwickelt sich, die einen fast fünf Jahre währenden Kampf zwischen der Sehnsucht nach Nähe und der Flucht vor zuviel Nähe bei Kafka zeigt. Das ständige Hin und Her gipfelt in zwei aufgelösten Verlobungen. Allerdings gehört die Bekanntschaft mit Felice zu den entscheidenden Auslösern für Kafkas literarischen Durchbruch. Er schreibt in einem Zug \"Das Urteil\" und beginnt den Roman \"Der Verschollene\" (1927 unter dem Titel \"Amerika\" veröffentlicht). \"Die Verwandlung\" entsteht. Eine 1914 erfolgte Aussprache mit Felice wird von Kafka als \"Gericht\" wahrgenommen und dürfte das auslösende Moment für den Beginn der Niederschrift des \"Prozeß\"-Romans gewesen sein. Neben der Arbeit am \"Prozeß\" bringt das Jahr die Niederschrift des letzten Kapitels des Romans \"Der Verschollene\", daneben die Werke \"In der Strafkolonie\" und \"Vor dem Gesetz\". 1915 schreibt er mehrere Erzählungen und \"Vor dem Gesetz\" und \"Die Verwandlung\" erscheinen. 1916 verfaßt Kafka u.a. \"Der Gruftwächter\" und die Fragmente des \"Jäger Gracchus\"; im Winter 1916/17 entstehen zudem zahlreiche Erzählungen wie \"Ein Landarzt\", \"Auf der Galerie\" und \"Der Kübelreiter\". Kafkas Produktivität hält auch im Frühjahr 1917 an, so schreibt er etwa \"Beim Bau der chinesischen Mauer\" und \"Ein Bericht für eine Akademie\".
Im August 1917 erleidet Kafka einen Lungenblutsturz, der zunächst als Bronchialkatarrh, später als Lungenspitzkatarrh diagnostiziert wird. Die akute Tuberkulosegefahr führt zu einen dreimonatigen Urlaub, den Kafka bei seiner Schwester Ottla in Zürau verbringt. 1918 - nach kurzer Wiederaufnahme seiner Arbeit - erkrankt er schwer an der Spanischen Grippe, im selben Jahr dann erneut. Zur Erholung in Schelesen, lernt er 1919 die dreißigjährige Tschechin Julie Wohryzek kennen und beginnt mit ihr eine Beziehung. Im Sommer verlobt sich Kafka mit ihr, was seinem Vater nicht gefällt. Das ist wohl auch der Ausgangspunkt für die Niederschrift des \"Briefes an den Vater\". Die geplante Hochzeit scheitert jedoch. Nun folgt eine Zeit ständigen Wechsels zwischen Sanatorium und Arbeit, wobei er 1920 den Roman \"Das Schloß\" beginnt. Ende September 1921 verfaßt er dann den sogenannten \"Tintenzettel\", sein erstes erhaltenes Testament, in dem er Max Brod drum bittet, alles Geschriebene aus seinem Nachlaß zu verbrennen. Brod erklärt jedoch, er werde die Bitte nicht erfüllen. 1922 verfaßt er verschiedene Texte, u.a. \"Ein Hungerkünstler\".
1922 beantragt Kafka schließlich seine vorzeitige Pensionierung, die bewilligt wird. Er zieht nach Planá an der Luschnitz (Böhmerwald), wo er bei seiner Schwester Ottla wohnt. Im Herbst verfaßt er sein zweites Testament an Brod, den sogenannten \"Bleistiftzettel\". Er bittet um die Vernichtung alles von ihm schriftlich Überlieferten mit Ausnahme der \"Bücher: Urteil, Heizer, Verwandlung, Strafkolonie, Landarzt\", der \"Betrachtung\" und der im Oktober erschienenen Erzählung \"Ein Hungerkünstler\". 1923 fährt er nach Berlin zu der 19jährigen Dora Diamant, die er bei einem Urlaub kennengelernt hat, und zieht er mit ihr zusammen. Dort entsteht \"Der Bau\". Kafka will durch Vernichtung alter Manuskripte neue schriftstellerische Freiheit gewinnen, und so muß Dora vor seinen Augen zahlreiche seiner Texte verbrennen. Aber Kafkas Gesundheitszustand verschlechtert sich, so daß er 1923 nach Prag in die Wohnung seiner Eltern zurückkehrt, wo er seinen letzten literarischen Text, \"Josefine die Sängerin\", verfaßt. Im April wird er in das Sanatorium \"Wiener Wald\" in Ortmann (Niederösterreich) gebracht, wo Kehlkopftuberkulose diagnostiziert wird. Sein weiterer Leidensweg führt über die Universitätsklinik in Wien in das Sanatorium Kierling bei Klosterneuburg, wo er am 3. Juni 1924 stirbt. Er wird nach Prag überführt und am 11. Juni auf dem jüdischen Friedhof in Prag-Straschnitz begraben.
Obwohl Kafka verfügt hatte, seine literarische Hinterlassenschaft \"restlos und ungelesen zu verbrennen\", veröffentlicht Brod postum den Roman \"Der Prozeß\" und in den kommenden Jahren das \"Schloß\", \"Amerika\" sowie weitere Fragmente, Briefe und die Tagebücher seines Freundes.

Diese Kurzbiographie folgt der hilfreichen Online-Biographie bei http://www.literon.de/literatur/kafka/bio/lbio.htm (Kafka-Biographie)

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2. Franz Kafkas Lebensprobleme:

Franz Kafkas Leben war problembeladen.
Das beginnt bei dem Verhältnis zu seinem Vater (s.u.; \"Brief an den Vater\") und setzt sich fort in seiner Unfähigkeit, Beziehungen einzugehen beziehungsweise auf Dauer zu stellen. So hatte Kafka in seinem Lebens nur wenige Freunde. Er war zwar dreimal verlobt, eine Heirat scheiterte jedoch immer an dem Grundkonflikt zwischen Bindung an einen anderen Menschen mit den entsprechenden Konsequenzen und Freiheit fürs Schreiben. Erst kurz vor seinem Tod war im ein kurzes Glück mit Dora Diamant beschieden, deren Vater jedoch eine Eheschließung ablehnte.
Es mangelte Kafka an Selbstwertgefühl, was durch seinen Vaters erzeugt und bestärkt wurde (s.u.).
Er war darüber hinaus in mehrfacher Hinsicht ein Außenseiter: als Deutscher unter den Tschechen in Prag, als Jude unter den Deutschen. Aber auch mit dem Judentum kam er nicht zurecht, was ihn wiederum heimatlos machte. So war er als Jude unter Juden auch ein Fremder.
Dazu kommt, daß ihn ein Ohnmachtsgefühl gegenüber Institutionen beherrschte, wie an den Romanen \"Der Prozeß\" und \"Das Schloß\" überdeutlich wird. So steht das Wort \"kafkaesk\" für seine Welterfahrung: Menschen sind machtlos einer Organisation/Institution - kurz: der Welt - ausgeliefert, die sie nicht zu durchschauen vermögen.

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3. Der Vater Hermann Kafka:

Daß der Vater maßgeblich an Kafkas Lebensproblemen beteiligt war, ergibt sich aus dem \"Brief an den Vater\". Doch muß man zugestehen, daß der Brief natürlich Franz Kafkas Sicht enthält. Andere empfinden nicht so wie er, auf sie wirkt Hermann Kafka völlig normal. Wer war also jener Hermann Kafka?

Er wurde 1852 als Sohn eines Fleischhauers und Schächters in Wossek in Südböhmen als viertältestes von sechs Kindern geboren. Mit seiner Familie wuchs er in großer Armut auf, weshalb auch die Kinder schon früh zum Lebensunterhalt der Familie beitragen mußten. Als Vierzehnjähriger verließ er sein Zuhause, um seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Als Zwanzigjähriger trat er in die Armee ein und brachte es bis zum Zugführer. Mit 30 heiratete er die wohlhabende Brauerstochter Julie Löwy und eröffnete wenig später einen Galanterieladen, ein Geschäft für Kurzwaren und Gebrauchsartikel. Später erweiterte er das Geschäft zu einer Großhandlung. Sein oberstes Ziel war das Erlangen und Erhalten einer sicheren sozialen Stellung, Reichtum und Status, was durch die Armut seiner Kindheit erklärlich ist. Dieses Ziel erreichte er jedoch nur mittels Ellenbogenmentalität und Konzentration, was auch seinen Erziehungsstil prägte, der den gesellschaftlichen Normen der Zeit entsprach. Dabei war er nicht dumm, sondern redebegabt und geistesgegenwärtig. Aber er machte gerade den relativen Wohlstand, den er erreicht hatte, seinen Kindern zum Vorwurf oder sprach ihnen die Fähigkeit ab, seine eigene Jugend nachvollziehen zu können. Er wollte Mitgefühl für das, was er erduldet hatte, und Anerkennung für seine Lebensleistung. Leitbild seines Handels waren letztlich eine gesicherte Existenz, ein geregeltes Leben und ein festes Einkommen. Deshalb drängte er auch seinen Sohn Franz zum Jurastudium. Alle Mitglieder der Familie hatten sich dem Lebensstil und den Prinzipien Hermann Kafkas unterzuordnen, so auch seine Frau. Lediglich Franz und seine Schwester Ottilie, die jüngste Tochter, gehorchten nicht seinen Vorstellungen. Während aber Franz sich immer weiter bemühte, ihnen zu entsprechen, aber nicht die Anerkennung fand - schon gar nicht als Schriftsteller -, gelang es Ottilie, sich davon zu emanzipieren.

Eine auführliche Darstellung des Vaters findet sich bei http://www.geo.uni-bonn.de/cgi-bin/kafka?Rubrik=vater&Punkt=kurzbiographie .

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4. Der Vater in Franz Kafkas Werk am Beispiel von \"Die Verwandlung\":

Neben dem \"Brief an den Vater\" finden sich auch andere Belege für das Hineinwirken Hermann Kafkas in Franz Kafkas literarische Welt - besonders deutlich ist das in \"Die Verwandlung\" (Text hier zitiert nach: http://gutenberg.spiegel.de/autoren/kafka.htm). Ich leite in eckigen Klammern von Abschnitt zu Abschnitt über, damit der Sinnzusammenhang erhalten bleibt:

[Gregor Samsa wacht eines Tages auf und findet sich in einen Käfer verwandelt. Zunächst verbirgt er sich. Sein Vater mahnt ihn - man beachte die \"Faust\"!]

Infolge der Holztür war die Veränderung in Gregors Stimme draußen wohl nicht zu merken, denn die Mutter beruhigte sich mit dieser Erklärung und schlürfte davon. Aber durch das kleine Gespräch waren die anderen Familienmitglieder darauf aufmerksam geworden, daß Gregor wider Erwarten noch zu Hause war, und schon klopfte an der einen Seitentür der Vater, schwach, aber mit der Faust. »Gregor, Gregor«, rief er, »was ist denn?« Und nach einer kleinen Weile mahnte er nochmals mit tieferer Stimme: »Gregor! Gregor!« Das war für Gregor eine große Aufmunterung; aber alle hätten ihm zurufen sollen, auch der Vater und die Mutter: ?Frisch Gregor\", hätten sie rufen sollen.

[Weil Gregor nicht zur Arbeit geht, kommt der Prokurist seiner Firma zu ihm nach Hause. Gregors Vater will den Schein wahren:]

»Gregor«, sagte nun der Vater aus dem Nebenzimmer links, »der Herr Prokurist ist gekommen und erkundigt sich, warum du nicht mit dem Frühzug weggefahren bist. Wir wissen nicht, was wir ihm sagen sollen. Übrigens will er auch mit dir persönlich sprechen. Also bitte mach die Tür auf. Er wird die Unordnung im Zimmer zu entschuldigen schon die Güte haben.«

[Der Vater will das Zimmer, in dem Gregor sich verschanzt hat, aufbrechen lassen:]

»Anna! Anna!« rief der Vater durch das Vorzimmer in die Küche und klatschte in die Hände, »sofort einen Schlosser holen!«

[Gregor vermiß Anteilnahme bei den Eltern:]

»Hören Sie nur«, sagte der Prokurist im Nebenzimmer, »er dreht den Schlüssel um.« Das war für Gregor eine große Aufmunterung; aber alle hätten ihm zurufen sollen, auch der Vater und die Mutter: »Frisch, Gregor«, hätten sie rufen sollen, »immer nur heran, fest an das Schloß heran!«

[Als es gelingt, die Tür zu Gregors Zimmer zu öffnen, ist die Reaktion des Vaters bezeichnend:]

Der Vater ballte mit feindseligem Ausdruck die Faust, als wolle er Gregor in sein Zimmer zurückstoßen, sah sich dann unsicher im Wohnzimmer um, beschattete dann mit den Händen die Augen und weinte, daß sich seine mächtige Brust schüttelte.

[Statt seinem Sohn zu helfen, scheucht er ihn später in sein Zimmer zurück:]

Leider schien nun auch diese Flucht des Prokuristen den Vater, der bisher verhältnismäßig gefaßt gewesen war, völlig zu verwirren, denn statt selbst dem Prokuristen nachzulaufen oder wenigstens Gregor in der Verfolgung nicht zu hindern, packte er mit der Rechten den Stock des Prokuristen, den dieser mit Hut und Überzieher auf einem Sessel zurückgelassen hatte, holte mit der Linken eine große Zeitung vom Tisch und machte sich unter Füßestampfen daran, Gregor durch Schwenken des Stockes und der Zeitung in sein Zimmer zurückzutreiben. Kein B