Mehr zum Thema Rezensionen & Literaturkritik Testbericht

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Erfahrungsbericht von Libraia

Mankell \

Pro:

intelligent und sensibel geschriebener Roman, der sich um das Thema Geschlechteridentität dreht

Kontra:

keines ersichtlich

Empfehlung:

Ja

Letztes Jahr während meines Schwedenurlaubs lag dieses Buch unter dem Titel \"Pyramiden\" dort bereits stapelweise in den Läden herum. Da mein Schwedisch abgesehen von den üblichen Begrüßungsfloskeln leider nahezu nicht existiert, musste ich mich leider bis zum Erscheinen auf deutsch gedulden. Nun ist es endlich so weit. \"Pyramiden\" heißt jetzt \"Wallanders erster Fall\" und liegt endlich auch in Stapeln in den deutschen Buchhandlungen herum.
Nein, es handelt sich nicht um den ersten Fall von Wallanders Tochter Mona (an dem er ja gerüchteweise schreibt), sondern dieses Buch geht weit zurück in Wallanders Vergangenheit.

Zum Autor:
Kennt ihn etwa jemand wirklich noch nicht? Es ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, deshalb ganz kurz: Henning Mankell wurde 1948 in Härjedalen, Schweden, geboren. Bevor er als Krimiautor Furore wie selten jemand machte, war er bereits ein anerkannter Kinder- und Jugendbuchautor. Mit der Figur des melancholischen schonischen (Schonen heißt das Gebiet in Südschweden um Malmö herum) Kommissars Wallander erzielte er den absoluten Durchbruch. Jedem seiner Bücher gelang der Sprung in die Bestsellerlisten.
Mankell lebt die Hälfte des Jahres in Mosambik, er ist dort ein engagierter Theaterregisseur. Lobend erwähnen möchte ich noch seine beiden Afrikaromane \"Chronist der Winde\" und \"Die rote Antilope\". Viele seiner Bücher erhielten Preise und einige wurden auch (und zwar nicht schlecht) verfilmt.

Zum Buch:
Der Untertitel \"… und andere Erzählungen\" deutet schon darauf hin, dass sich dieser Krimi von seinen anderen unterscheidet. Es handelt sich zwar nicht um eine Sammlung von Kurzgeschichten, aber es werden mehrere Kriminalfälle aus unterschiedlichen Lebensepochen Wallanders erzählt.
In einem Vorwort erklärt Mankell, dass ihn die Leser selbst, die ihn oft nach der Vorgeschichte Wallanders gefragt hatten, auf die Idee zu diesem Buch gebracht hatten.
Beginnend mit dem jungen Streifenpolizisten, der gerne in den Kriminaldienst wechseln möchte und endend mit dem Auftakt zu dem in \"Mörder ohne Gesicht\" behandelten Fall erfahren wir nun also einiges über Wallander, wie er früher war.
Sein erster Fall, in den sein eigener Nachbar verwickelt ist, erklärt uns endlich, was es mit seinem Trauma, seiner Angst davor, im Dienst getötet zu werden auf sich hat. Immer wieder hat Mankell in seinen späteren Büchern eine lebensgefährliche Stichwunde erwähnt. Hier ist nun die Geschichte dazu. Genau genommen investigierte er damals noch ohne Auftrag, denn er war nur ein Streifenpolizist, aber die Lösung des Falls trug zu seinem schnelleren Wechsel in die begehrte Kriminalabteilung bei.
Der Fall: ein Nachbar, ein alter, einsamer Mann wird von Wallander tot in seiner Wohnung aufgefunden. Offenbar war es ein Selbstmord. Doch Wallander selbst glaubt im Gegensatz zu seinen Vorgesetzten nicht daran und begibt sich auf die Suche.
Der Fall an sich ist ganz spannend, mehr interessiert hier aber W.\'s Umfeld, seine - schon in den Anfängen nicht umkomplizierte - Liebe zu Mona, seiner späteren Frau und vor allen Dingen sein Verhältnis zu seinem kauzigen Vater, dem Maler der immergleichen Ölbilder. Auch die Entscheidung, Polizist zu werden, obwohl - es ist die Zeit der Proteste gegen den Vietnamkrieg und Polizist ist für viele identisch mit \"Bulle\" - wird thematisiert. Meiner Meinung nach aber nicht wirklich tiefgehend, nur so ein bisschen am Rande.
Dieser Fall ist mit 122 Seiten auch der längste im Buch.
Bei der nächsten Geschichte \"Der Mann mit der Maske\", wir befinden uns nun in Malmö im Jahr 1975, ist Wallander bereits seit einigen Jahren Kriminalbeamter. In der Ehe mit Mona kriselt es schon gewaltig, die gemeinsame Tochter Linda ist fünf Jahre alt. Der Umzug nach Ystad kündigt sich bereits an.
Am Weihnachtsabend ruft die Besitzerin eines kleinen Ladens bei der Polizei an, weil ein verdächtig aussehender Mann herumlungert. Als Wallander dort ankommt, ist die Frau bereits tot. Und er ist allein im Laden mit dem Mörder…
Eine kurze Geschichte, in der die Problematik von Ausländern, die illegal und schwarz kommen, angeschnitten werden.
Bei dem nächsten Fall: \"Der Mann am Strand\" machen wir einen großen zeitlichen Sprung, 1987 ist Wallander bereits Kriminalkommissar in Ystad. In der eigenen Ehe kriselt es noch stärker, die Tochter Linda hat das Gymnasium geschmissen, Wallander selbst arbeitet währenddessen gut mit seinem Idol und Vorbild Rydberg zusammen.
Ein Mann stirbt in einem Taxi ohne ersichtlichen Grund. War es überhaupt Mord, wenn ja, dann aber wie?
Im \"Tod des Fotografen\" ist Wallander nun schon von Mona getrennt, es soll eine Trennung auf Probe sein, Mona und Linda leben in Malmö, er selbst ist weiterhin in Ystad.
Ein im Ort alteingesessener Fotograf wird von seiner Putzfrau tot in seinem Atelier aufgefunden. Während der Nachforschungen stellt sich heraus, dass dieser Mensch, den nahezu jeder im Ort zu kennen glaubt, ei völlig unnahbarer und distanzierter Mann war, eigentlich kennt ihn keiner. Auch seine Frau gibt an, schon seit Jahren nichts mehr von ihm zu wissen, sie leben zwar noch zusammen, sprechen aber nicht mehr miteinander. Nach der Geburt einer stark behinderten Tochter schiebt der Fotograf diese in ein Heim ab und kümmert sich fortan nicht mehr um sie. Verständlich, dass seine Frau ihm dies nie verziehen hat. Sie selbst besucht die Tochter natürlich, aber sie ist nicht die einzige. Wer ist wohl die geheimnisvolle Frau, die immer mal wieder im Heim auftaucht?
Außerdem kommt ein etwas absonderliches Hobby des Fotografen ans Licht: er hat geheime Fotoalben, in denen er berühmte Personen verunstaltet, was hat es wohl zu bedeuten, dass auch Wallanders Bild in dieser Galerie zu finden ist?
Ich fand diese Geschichte sehr spannend, die Auflösung hingegen erschien mir etwas an den Haaren herbeigezogen.
Die letzte, auch im Original die titelgebende Geschichte, ist meiner Meinung nach auch die beste: \"Die Pyramide\".
Wallanders Vater spielt hier eine große Rolle, denn der alte Mann hatte es sich in den Kopf gesetzt, einmal in seinem Leben die Pyramiden zu sehen, kurz entschlossen bucht er eine Reise nach Ägypten. Sein Sohn, der gerade mitten in einem Fall ist, bei dem es um den Absturz eines nicht registrierten Flugzeuges geht, wird allerdings durch einen Hilferuf nach Ägypten beordert, sein Vater ist dort im Gefängnis gelandet, Wallander soll ihn wieder herausholen…
Im privaten Bereich gibt es auch Neues, denn die Scheidung von Mona ist durch, Wallander versucht sich mit einer netten, aber langweiligen Krankenschwester zu trösten, was aber gründlich misslingt. Sein Chef und Kollege Rydberg wird immer kränker, aber noch weiß man nicht, was er eigentlich hat.
Während die Ystader Polizei alles versucht, herauszufinden, was es mit dem Flugzeug und den sich darin befindlichen Leichen auf sich hat, geschieht ein zweites Unglück. Zwei alte Schwestern, die ein Handarbeitsgeschäft in der Stadt betreiben, gehen samt ihrem Haus in Flammen auf. Bald ist klar, dass es bei dem Brand nicht mit rechten Dingen zuging. Auch hier - ähnlich wie beim Fotografen - zeigen die Nachforschungen, dass der Schein oft trügt. Die beiden biederen alten Tanten führten ein Doppelleben. Ich glaube, ich verrate nicht zu viel, wenn ich andeute, dass beide Fälle miteinander zu tun haben.
Seine Reise nach Ägypten zu den Pyramiden bringen Wallander letztendlich auf den richtigen Gedanken…

Meine Meinung:
Ich habe das Buch, wie alle seine anderen Bücher, gerne gelesen und fand es sowohl spannend als auch vom persönlichen her interessant. Dennoch habe ich den Eindruck, dass es nicht zu seinen besten gehört. Kein Vergleich zur \"fünften Frau\" oder zum \"Mittsommermord\".
Die Kriminalfälle an sich sind ganz gut, doch auch hier muss ich kleine Abstriche machen, denn der \"Mann mit der Maske\" beispielsweise schneidet Themen an, die nicht so oberflächlich angerissen bleiben sollten. Auch störte ich mich an dem Ende der Geschichte \"Tod des Fotografen\", denn Mord aus Leidenschaft will einfach nicht zu diesen eiskalten spießigen Typen passen.
Was ich aber noch bedauerlicher finde, ist, dass einige Figuren aus Wallanders Privatleben, über die der Leser (mindestens der Leser, der andere Bücher von ihm kennt) gerne mehr erfahren hätte, seltsam blass bleiben.
Seine Ehefrau Mona beispielsweise gewinnt nicht an Kontur. Es bleibt völlig unklar, was die beiden überhaupt zusammengebracht hat, so verschieden wie sie sind.
Auch Rydberg, der ja später immer wieder zitiert wird, gibt nur einige mehr oder weniger weise Sätze von sich, auch er wird leider nicht zu einer echten Persönlichkeit.
Ganz klasse hingegen die Darstellung von Wallanders Vater, so charakteristisch und mit Eigenleben erfüllt hätte ich mir auch die anderen (auch die Kollegen beispielsweise) gewünscht.
Interessant ist es aber allemal, denn die Person unseres grummeligen, übergewichtigen, schwermütigen und opernliebenden Kommissars wird uns viel näher gebracht als zuvor. Und das allein ist das Lesen schon wert.

Fazit:
Wallander Fans müssen es sowieso lesen (das sollen sie auch), allen Mankell Neulingen würde ich eher zu anderen Büchern raten. Wenn sie denn süchtig geworden sind, gibt es dieses dann wohl auch schon als Taschenbuch…


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-08-16 23:12:47 mit dem Titel Roth, Philip "Der menschliche Makel"

Philip Roth \"Der menschliche Makel\" erschien ursprünglich im Houghton Mifflin Verlag in New York unter dem Titel \"the human stain\".
Auf deutsch ist es gerade im Hanser Verlag herausgekommen , der Übersetzer ist Dirk van Gunsteren.
Warum ich den Übersetzer extra erwähne?
Da ich mich durch Roth\'s \"I married a communist\" (auch hier bereits besprochen) auf englisch mühsam hindurch gearbeitet hatte, weiß ich die Arbeit dieses wirklich guten Übersetzers um so mehr zu schätzen, denn Roth benutzt ein sehr vielschichtiges, gewiss nicht einfaches Englisch, das große Ansprüche an einen Übersetzer stellt. Van Gunsteren meistert diese Herausforderung.

Zum Autor:

Der 1933 in New Jersey geborene Philip Roth gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen Schriftstellern. Er hat praktisch alle wichtige amerikanischen Literaturpreise, die man so bekommen kann erhalten, darunter auch den begehrten Pulitzerpreis.
Für das vorliegende neue Buch erhielt er den PEN/Faulkner Award.
Nun bedeutet die Tatsache, dass jemand ein preisgekrönter, von der Literaturkritik hochgelobter Autor zu sein, ja nicht unbedingt, dass i c h ihn gut finden muss. Tue ich aber! Ich hab das schon in meiner Besprechung zu \"I married a communist\" gesagt und wiederhole es hier noch einmal:
Philip Roth ist ein großartiger Schriftsteller auf höchstem literarischem Niveau, dessen Bücher zu lesen immer eine besondere (nicht nur) intellektuelle Freude bereitet. Es gelingt ihm, Menschen, deren Schicksal, ihre oft alles andere als geradlinigen Geschichten so echt und tief zu beschreiben, dass man sich als Leser einerseits sehr gut einfühlen kann, andererseits immer auch eine große objektivierende Distanz zu den Helden bestehen bleibt.
Roths Figuren erlauben es dem Leser nicht, einfach Sympathie oder Antipathie zu empfinden, es gibt hier n i e simple Schwarz-Weiß-Malerei. Ebenso wie Roths Sprache vielschichtig ist, sind es auch seine Romanfiguren, man wird einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt, wenn einen das Verhalten der Hauptfiguren einmal absolut empört, man einige Seiten später aber wieder von tiefem Mitleid und großer Sympathie und einem Ansatz von Verständnis für das empörende Verhalten erfüllt wird.
Was muss sonst noch erwähnt werden, bevor ich näher auf seinen neuen Roman eingehe? - Roth ist ein jüdischer Autor - und das ist in all seinen Romanen ein mehr oder minder wichtiges Thema . Neben Woody Allen ist es Roth, durch den ich das Milieu jüdischer amerikanischer Intellektueller, aber auch das der kämpfenden jüdischen Mittelschicht kennen gelernt habe.
Er ist außerdem auch ein Schriftsteller, der viel, gerne und sehr direkt über Sex schreibt, natürlich über die männliche Sichtweise; auch daraus habe ich, glaube ich, etwas gelernt.
Und nicht zuletzt: in fast all seinen Romanen baut er sich selbst durch sein Alter Ego \"Nathan Zuckerman\" ein.
So ist es auch im \"menschlichen Makel\"

Zum Inhalt:

Nathan Zuckerman, ein alternder berühmter jüdischer Schriftsteller ist, um in Ruhe gelassen zu werden und fernab vom Großstadttrubel schreiben und leben zu können, nach Athena, eine provinzielle, spießige amerikanische Kleinstadt, in der es aber immerhin eine Universität gibt, gezogen.

Hier denkt er nach über Bill Clinton und Monica Lewinsky, die gerade das Thema Nr. 1 in den Staaten sind, über seine Prostataoperation und über seine daraus folgende Impotenz. Mitten in diese -zwar nicht gerade sorgenfreie - Idylle bricht Coleman Silk, Professor für Altphilologie, 71 Jahre, ein wie ein zorniger Wirbelwind.
Silk wurde Unrecht getan, großes Unrecht; und er ist gekommen, damit Zuckerman sich seine Geschichte anhört und ein Buch darüber schreibt, denn ihm, dem berühmten Literaten, wird man glauben, Coleman Silk hingegen nicht.
Silk, der sich als Dekan der Uni große Verdienste erarbeitet hatte, der verknöcherte Strukturen aufgebrochen und neuen Schwung und intellektuelles Leben hineingebracht hatte, war ein Mensch, der sich seine brillante Universitätskarriere durch Zielstrebigkeit, Mut, Intelligenz und eine unbändige Energie immer wieder neu verdient hatte.
Zwei kleine Wörter sind es, die ihn von dieser Höhe herunterstoßen, die alles, was er vorher lebenslang erkämpft hatte, mit einem Schlag zerstören: Er nennt zwei abwesende Studenten, die er noch nie zu Gesicht bekommen hatte, \"dunkle Gestalten\". Das sollte eine Anspielung sein auf ihr eventuelle ausschweifendes Nachtleben, das sie das Tageslicht der Vorlesungen scheuen ließ, aber da die beiden Schwarze sind (was Silk aber nicht wusste) wird ihm dieser Ausdruck als eine rassistische Äußerung ausgelegt.
Alle Erklärungen nützen nichts, Silk merkt, dass er Feinde hat, dass auch vermeintliche Freunde nicht zu ihm stehen, die ganze Maschinerie (Abmahnungen, offizielle Fragebögen, Untersuchungsausschüsse ...) läuft an.
Silk erträgt das nicht mehr und scheidet \"freiwillig\" aus. Wesentlich schlimmer noch ist allerdings der Umstand, dass seine Frau ob der Demütigungen und Aufregungen stirbt. Zumindest ist sich Silk sicher, dass das der Grund für Iris\' plötzlichen Herztod ist. Er sinnt auf Rache, er möchte Aufklärung, Bestrafung der Schuldigen, er versucht, selbst ein Buch zu schreiben, das die wahren Hintergründe zeigt. In dieser verzweifelten Situation kommt er zu Zuckerman, um ihn um Hilfe zu bitten.
Zuckerman weigert sich zwar, das Gewünschte zu schreiben, doch er ist andererseits fasziniert von diesem Mann. Die beiden freunden sich immer stärker an und er (dadurch auch wir) erfährt eine Menge über das Leben von Coleman Silk.
Die Art, wie diese langsame Annäherung der beiden vor sich geht, ist wundervoll beschrieben. Die Freude Zuckermans, einen neuen, gleichaltrigen und ihm intellektuell nicht unterlegenen Freund gefunden zu haben, ist sehr anrührend beschrieben. Allerdings erfährt man als Leser auch einiges über Alterssex, über Viagra und Inkontinenzprobleme, was man nicht unbedingt so genau wissen möchte ( und doch: auch das ist irgendwie interessant, denn wann denkt man schon darüber nach...)
Nach und nach dringen wir immer tiefer in Colemans Geschichte und in seine Psyche ein. In Rückblenden wird seine Jugend, seine Lieben, seine Ehe, Freuden und Probleme mit seinen Kindern und natürlich immer wieder die Sache mit der Uni aufgerollt. Nicht alles erfährt Zuckerman von seinem Freund selbst, einiges bekommt er von anderen erzählt oder muss es rekonstruieren, Wir als Leser werden immer in einer gewissen Spannung gehalten, denn Roth ist halt nicht Zuckerman, sondern er begeht viele Wege ,Schleifen und Umwege, um uns einen Menschen mit all seinen Facetten nahe zu bringen.
Ich habe darüber nachgegrübelt, wie viel ich von dem eigentlichen Clou der Story \"verraten\" kann, ohne die ganze Geschichte zu erzählen und bin zu dem Schluss gekommen, nur sehr wenig preiszugeben, denn ich möchte euch potentiellen Lesern nicht um die Überraschung, Empörung, den Ärger und auch das Verständnis gegenüber der Hauptperson, das ich selbst beim Lesen empfunden habe vorenthalten.
Nur so viel:
Coleman Silk ist nicht der, der er zu sein scheint, irgendwann in seiner Jugend war er an einem Punkt, an dem er beschloss, ein anderer zu werden. Von nun an lebte er mit einer großen Lebenslüge, die immense Auswirkungen hat, nicht nur auf ihn, sondern auch auf alle ihm nahestehenden Menschen .
.Neben den beiden Männern Zuckerman und Silk gibt es jedoch noch eine Frau, die in der Jetztzeit eine wichtige Rolle spielt: Faunia, Analphabetin, Putzfrau an der Uni, misshandelte und vor ihrem Exehemann flüchtende Mitttdreißigerin. Ausgerechnet sie wird Colemans heimliche Geliebte, man kann sich vorstellen, dass dieser Beziehung jede Menge Zündstoff innewohnt.
In einem ausgezeichneten Kapitel (sie sind zwar alle ausgezeichnet, aber dieses ist so anders als der Rest des Buches) wird aus Faunias Sicht erzählt, aber nichts über das, was wir eigentlich oberflächlich über sie wissen wollen, sondern eine Art Zwiegespräch zwischen ihr und einem Vogel. So sonderbar sich das liest, anschließend hatte ich das Gefühl, diese ungreifbare Frau jetzt verstanden zu haben, einen Zugang zu ihr gefunden zu haben.

Dass es kein klassisches \"Happy End\" geben kann, versteht sich aufgrund der Art, wie die Geschichte angelegt ist, eigentlich von selbst. Dennoch möchte ich auch jetzt nicht das Ende vorwegnehmen. Lest es lieber selbst!!

Mein Fazit:

Ich habe jetzt schon so viel von Roth gelesen und alles gut gefunden, einiges aber sehr gut und noch einiges absolut ausgezeichnet. Wo in dieser Skala soll ich dieses Buch einreihen???
Ich bin mal wieder begeistert von seinem Stil, seinem Können, seinem tiefen Verständnis für Menschen, auch von der Story, die wirklich sehr interessant und aufwühlend ist.
Dennoch haben mich (auch nicht zum ersten mal bei Roth) einige Dinge gestört: an manchen Stellen wird er sexistisch (ich möchte zum Beispiel nicht lesen müssen, dass eine Frau gut im Bett ist, weil sie als Kind missbraucht wurde, das schreibt er aber einmal, allerdings nimmt er das einige Seiten später wieder zurück). Auch fand ich die Lebenslüge des Coleman Silk so unglaublich, dass sie mir anfangs zu konstruiert vorkam (habe mich aber überzeugen lassen, dass seine Story gar nicht so ausgefallen und absurd ist).
Auch fehlen mir einige Aspekte, die ich an anderen Roths so liebe: sein Versteckspiel , wer ist Zuckerman, wer ist Roth, fehlt hier völlig.
Aber was soll\'s! Man merkt, dass alle eventuellen Einwände gleich widerlegbar sind, deshalb mein endgültiges Fazit:
Ein sehr gutes Buch, ein ausgezeichnetes Buch (aber er hat bereits noch bessere geschrieben!)



----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-09-02 23:20:13 mit dem Titel Jonathan Franzen , "Die Korrekturen"

\"Lesen worüber jeder spricht\" mit diesem Spruch wirbt nicht etwa der Suhrkamp Verlag für den neuen Walser, sondern der Rowohlt Verlag für den US Shooting Star Jonathan Franzen.
Ob wirklich schon \"jeder\" drüber redet - ich bezweifle es, aber immerhin wurde dieser Roman in nahezu jedem Feuilleton, in jeder Zeitschrift und Zeitung im Land ziemlich ausführlich besprochen.
Ich selbst wurde bereits im Herbst 2001 durch eine dermaßen begeisterte und begeisternde Lobeshymne - ich glaube es war in der \"Zeit\" - auf Franzen aufmerksam. Mein lieber Mann schenkte mir daraufhin die englische Originalausgabe, die - wegen des schwierigen Anfangs - allerdings einige Monate lang ungelesen in der Ecke lag. Erst als jetzt im Juni 2002 die deutsche Ausgabe auf den Markt kam, packte mich der Ehrgeiz: mal sehen, ob ich das nicht doch noch auf englisch \"schaffe\".
In einer der unzähligen - fast durchweg positiven - Rezensionen wurde ich dann auch etwas getröstet wegen meiner Anfangsschwierigkeiten. Die ersten 30 Seiten seien \"zum Zähne daran ausbeißen\", also lagen meine Schwierigkeiten wohl doch nicht an meinen mangelnden Englischkenntnissen, sondern an dem auch in der Übersetzung schwierigen Einstieg in den Roman.
Ich finde jetzt - nachdem ich mich durchgebissen habe - den Einstig übrigens sehr sehr schön, poetisch und atmosphärisch dicht, beklemmend und beeindruckend.
Dennoch bin ich froh, dass das Buch nicht so weiter geht, sondern im Gegenteil sehr gut lesbar wird.

Zum Autor:
Jonathan Franzen, Jahrgang 1959, schrieb mit The Corrections bereits sein drittes Buch. Die Titel \"The 27th City\" und \"Strong Motion\" mit denen er in den USA Achtungserfolge erzielt hatte, wurden bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt. Er studierte übrigens auch zwei Jahre lang in Deutschland (München und Berlin) Literaturwissenschaften.
Es gibt eine witzige, aber auch recht erhellende Anekdote über ihn zu erzählen. In den USA gibt es zwar viele Talkshows, eine aber ist sozusagen die Über - Super - Talk - Show, die jeder kennt: \"Oprah Winfrey\". 99% aller Amerikaner würden sich die Finger danach abschlecken, einmal in Oprahs Show erwähnt zu werden. Nicht so Jonathan Franzen. Als Oprah seine Corrections als Buch des Monats vorstellen wollte (was ihm hundertprozentig tolle Verkaufszahlen beschert hätte), weigerte er sich beleidigt und empört. Er schreibe \"richtige\" Literatur (und kein \"Buch des Monats\" in einer Talkshow) in Richtung National Book Award (den er dann tatsächlich auch bekommen hat) und Booker Prize.
Man mag ein solches Verhalten arrogant oder lächerlich finden (das ist es sicher auch) andererseits beweist es auch die Ernsthaftigkeit Franzens, sein inneres Anliegen und auch eine gewisse Unbestechlichkeit.
Sein Anspruch an die moderne Literatur ist es eigentlich, einen Mittelweg zu finden zwischen der anspruchsvollen Literatur eines Th. Pynchon und De Lillo (mit dem er übrigens befreundet ist), die aber nur von einer intellektuellen Elite gelesen wird und dem eher plot- und figurenorientierten Stories populärer Unterhaltungsschriftsteller. In einem Essay, das er 1996 geschrieben hatte, beklagt er die scharfe Trennung zwischen diesen beiden Genres. Dass er sich gegenüber Oprah Winfrey dann doch so eindeutig auf die eine Seite - die der höheren Literatur - stellte, ist gemessen an seinem eigenen Anspruch leíder etwas inkonsequent.

Zum Buch:

In diesem Buch wird die Geschichte einer durchschnittlichen middle-upperclass Familie aus dem mittleren Westen der USA erzählt. Alfred, ein pensionierter höherer Eisenbahnangestellter und Freizeitforscher, der allerdings fast nur noch antriebslos und verstummt in seinem Lieblingssessel im Hobbykeller sitzt und seine Frau Enid, die ihn vergeblich zu irgendwelchen Aktivitäten zu motivieren versucht und die drei erwachsenen Kinder Chip, Denise und Gary.
Vordergründig geht es nur darum, dass Enid sich in den Kopf gesetzt hat, die gesamte Familie möglichst mit den Enkelkindern zu einem letzten Weihnachten in ihrem Haus zusammen zu bringen. Sie weiß, dass ihr Mann immer kränker und sonderbarer wird, dass sie das Haus möglicherweise nicht alleine halten kann und dass eine Zukunft in einem Pflegeheim droht. Ebenso ist ihr klar, dass sich die Kinder schon seit langem innerlich von ihr und voneinander entfernt haben, jeder sein eigenes Leben führt, von dem sie wenig weiß und auch einiges lieber nicht wissen möchte. Um so stärker wird ihr Wunsch, noch ein einziges Mal ein perfektes Familientreffen zu organisieren: mit Weihnachtsbaum, selbst Plätzchen backen, eine Nussknackerballettaufführung besuchen und allem, was dazu gehört.
Dieses halsstarrige und vielen Widrigkeiten trotzende Bemühen Enids zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch.
In der Eingangsszene des Romans gibt Franzen eine tief beeindruckende Vorstellung davon, wie bedrückend das Leben der beiden alten Leute ist, die eine sehr traditionelle Ehe führten, was so viel heißt wie wenig Partnerschaft, viel Verschweigen, keine Gefühle zeigen und eine strenge Rollenaufteilung.
In den weiteren Kapiteln werden nacheinander die Kinder vorgestellt.

Chip, ehemals vielversprechender Literaturwissenschaftler, der nun, mit 40 Jahren, wegen einer Affäre mit einer Studentin aus seiner Stelle an der Uni gekickt wurde, hängt voll durch. Seine - allerdings sowieso verheiratete - Freundin hat ihn verlassen, sein Theaterstück findet keinen Verleger und die Schulden bei seiner jüngeren Schwester Denise werden immer höher. Und dann kündigen sich auch noch die Eltern zu einem Besuch an. Er hatte seiner Mutter vorgemacht, er arbeite beim \"Wall Street Journal\", leider schreibt er in Wirklichkeit nur ab und zu unbezahlte Artikel für das völlig unbekannte \"Warren Street Journal\". Wie aus einem ursprünglich ganz simplen akustischen Missverständnis eine immer größere Lüge wird, das beschreibt Franzen sehr witzig und komisch, auch wenn es eigentlich traurig ist.

Gary, der älteste Sohn hat es hingegen wirklich \"geschafft\". Er ist erfolgreicher Anlageberater, verheiratet mit der intelligenten und schönen Caroline und Vater dreier Söhne. Trotz seines Erfolgs und seinen beruflichen Möglichkeiten hat er nie das Ziel vergessen, ja nicht so zu werden wie sein Vater, der immer nur für den Beruf und wenig für die Familie gelebt hatte. Gary macht keine Überstunden, er kocht regelmäßig und spielt mit seinen Kindern. Warum er dennoch immer depressiver und unglücklicher wird, kann er nicht verstehen. Die Aufforderung seiner Mutter, gemeinsam mit seiner Familie Weihnachten bei ihr und Alfred zu verbringen, bringt seine Ehe an den Rand einer Katastrophe. Caroline weigert sich kategorisch, Gary wird innerlich zerrissen von den Ansprüchen seiner Mutter einerseits und seiner Frau andererseits. Wie eine - von außen betrachtet - so unbedeutende Kleinigkeit dennoch alle innere Stabilität seines Lebens ins Wanken bringt und vor allen Dingen mit wie viel tausend Tricks und Selbstüberredungskünsten Gary versucht, sich und seine Umwelt davon zu überzeugen, dass er auf keinen Fall depressiv sei, das geht einem ganz schön nahe…

Die Tochter Denise ist eine äußerst erfolgreiche Starköchin, sie verdient nicht nur sehr gut, sondern sie liebt auch ihren Beruf. Ihre Mutter könnte sehr gut angeben mit ihr, wenn sie nicht geschieden wäre. Außerdem befürchtet Enid, dass Denise ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann habe. Ganz so einfach liegen die Dinge jedoch nicht, denn nach zwei gescheiterten Beziehungen mit verheirateten Männern, ihrer - allerdings freundschaftlich - gescheiterten Ehe mit dem jüdischen Starkoch Emile und einer ebenfalls gescheiterten lesbischen Beziehung möchte Denise eigentlich nur noch kochen und arbeiten. Bis sie sich unrettbar in Robin, die Frau ihres netten und attraktiven Chefs verliebt.
Der Leser lernt alle gut kennen: Robin mit ihrem schwierigen Familienhintergrund, deren Töchter, ihre Schwierigkeit mit dem plötzlichen Reichtum ihres Mannes klar zu kommen und vor allen Dingen Denise, die versucht, hinter allen Rollen, die sie jemals gespielt hat, ihr eigenes Ich zu finden.
Ich könnte noch viel erzählen über absurde Verwicklungen, über Chip, der mit dem Exmann seiner Exfreundin nach Litauen fliegt, um dort zwielichtige Internetgeschäfte abzuwickeln, über Robins kriminellen Halbbruder, über die ereignisreiche Kreuzfahrt, zu der Enid ihren Mann Alfred überredete, aber dann könnte ich kein Ende mehr finden…
Vielleicht , so hoffe ich, ist dennoch eines klar geworden_ bei den \"Korrekturen\" gibt es keinen wahnsinnig spannenden Handlungsstrang, der den Leser bei der Stange hält, weil er unbedingt wissen möchte, wie es ausgeht. Außer man findet die Frage, ob sich die Familie nun Weihnachten trifft, ausreichend spannend, was ich mir aber nicht so recht vorstellen kann:)
Es handelt sich hier eher um ein breit angelegtes Epos, das sich in viele kleinere Untergeschichten verzweigt. Diese verschiedenen Handlungsstränge und die Menschen, die man hier kennen lernt, sind allerdings durchwegs interessant und gut charakterisiert, ja und eben doch sehr spannend…

Zum Stil:
Auch wenn alle Feuilletons schreiben, dass Franzen \"modern\" und \"neu\" schreibt, dass es ihm gelinge, den amerikanischen Roman nahezu wieder neu erfunden zu haben, ich kann das nicht finden. Auch sehe ich die oft zitierte großartige Gesellschaftskritik nicht.
Klar wird vieles angesprochen: Kapitalismuskritik, starre Rollenbilder, Geldgeilheit, Snobismus, ein bisschen Kritik an der weißen Oberschicht, amerikanische Prüderie, Geschlechteridentitäten, den Umgang der Gesellschaft mit den Themen Krankheit, Tod und Depression. Wenn man so drüber nachdenkt, dann packt Franzen tatsächlich sehr, sehr vieles hinein in seinen Roman und man kann es auf dieser Ebene tatsächlich lesen.
Ich allerdings habe einen Familienroman gelesen über Menschen, die ich mir sehr gut vorstellen kann, mit denen ich eine Zeit lang mit gelebt habe.
Ich finde, dass Franzen weder besonders innovativ noch intellektualisierend schreibt, mag sein, dass er hier und da mal was ausprobiert, aber eigentlich schreibt er eine geradlinige und traditionelle Geschichte in einem Erzählstil, der einem so unbekannt nicht vorkommt.
Im Tagesspiegel wurde sein Stil mit Ph.Roth und Updike verglichen. Gar nicht so falsch, denke ich (obwohl er nicht an Roth heranreicht); auf alle Fälle kann er sowohl intelligent als auch gut lesbar schreiben - und wenn das nicht mal auf alle Fälle sehr lobenswert ist, was dann?!

Fazit: ein Buch, bei dem ich es schade fand, als es zu Ende ging, ich hätte gerne einfach immer weiter gelesen….


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-09-06 23:09:02 mit dem Titel Mankell "Wallanders erster Fall"

Wallanders erster Fall

Letztes Jahr während meines Schwedenurlaubs lag dieses Buch unter dem Titel \"Pyramiden\" dort bereits stapelweise in den Läden herum. Da mein Schwedisch abgesehen von den üblichen Begrüßungsfloskeln leider nahezu nicht existiert, musste ich mich leider bis zum Erscheinen auf deutsch gedulden. Nun ist es endlich so weit. \"Pyramiden\" heißt jetzt \"Wallanders erster Fall\" und liegt endlich auch in Stapeln in den deutschen Buchhandlungen herum.
Nein, es handelt sich nicht um den ersten Fall von Wallanders Tochter Mona (an dem er ja gerüchteweise schreibt), sondern dieses Buch geht weit zurück in Wallanders Vergangenheit.

Zum Autor:
Kennt ihn etwa jemand wirklich noch nicht? Es ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, deshalb ganz kurz: Henning Mankell wurde 1948 in Härjedalen, Schweden, geboren. Bevor er als Krimiautor Furore wie selten jemand machte, war er bereits ein anerkannter Kinder- und Jugendbuchautor. Mit der Figur des melancholischen schonischen (Schonen heißt das Gebiet in Südschweden um Malmö herum) Kommissars Wallander erzielte er den absoluten Durchbruch. Jedem seiner Bücher gelang der Sprung in die Bestsellerlisten.
Mankell lebt die Hälfte des Jahres in Mosambik, er ist dort ein engagierter Theaterregisseur. Lobend erwähnen möchte ich noch seine beiden Afrikaromane \"Chronist der Winde\" und \"Die rote Antilope\". Viele seiner Bücher erhielten Preise und einige wurden auch (und zwar nicht schlecht) verfilmt.

Zum Buch:
Der Untertitel \"… und andere Erzählungen\" deutet schon darauf hin, dass sich dieser Krimi von seinen anderen unterscheidet. Es handelt sich zwar nicht um eine Sammlung von Kurzgeschichten, aber es werden mehrere Kriminalfälle aus unterschiedlichen Lebensepochen Wallanders erzählt.
In einem Vorwort erklärt Mankell, dass ihn die Leser selbst, die ihn oft nach der Vorgeschichte Wallanders gefragt hatten, auf die Idee zu diesem Buch gebracht hatten.
Beginnend mit dem jungen Streifenpolizisten, der gerne in den Kriminaldienst wechseln möchte und endend mit dem Auftakt zu dem in \"Mörder ohne Gesicht\" behandelten Fall erfahren wir nun also einiges über Wallander, wie er früher war.
Sein erster Fall, in den sein eigener Nachbar verwickelt ist, erklärt uns endlich, was es mit seinem Trauma, seiner Angst davor, im Dienst getötet zu werden auf sich hat. Immer wieder hat Mankell in seinen späteren Büchern eine lebensgefährliche Stichwunde erwähnt. Hier ist nun die Geschichte dazu. Genau genommen investigierte er damals noch ohne Auftrag, denn er war nur ein Streifenpolizist, aber die Lösung des Falls trug zu seinem schnelleren Wechsel in die begehrte Kriminalabteilung bei.
Der Fall: ein Nachbar, ein alter, einsamer Mann wird von Wallander tot in seiner Wohnung aufgefunden. Offenbar war es ein Selbstmord. Doch Wallander selbst glaubt im Gegensatz zu seinen Vorgesetzten nicht daran und begibt sich auf die Suche.
Der Fall an sich ist ganz spannend, mehr interessiert hier aber W.\'s Umfeld, seine - schon in den Anfängen nicht umkomplizierte - Liebe zu Mona, seiner späteren Frau und vor allen Dingen sein Verhältnis zu seinem kauzigen Vater, dem Maler der immergleichen Ölbilder. Auch die Entscheidung, Polizist zu werden, obwohl - es ist die Zeit der Proteste gegen den Vietnamkrieg und Polizist ist für viele identisch mit \"Bulle\" - wird thematisiert. Meiner Meinung nach aber nicht wirklich tiefgehend, nur so ein bisschen am Rande.
Dieser Fall ist mit 122 Seiten auch der längste im Buch.
Bei der nächsten Geschichte \"Der Mann mit der Maske\", wir befinden uns nun in Malmö im Jahr 1975, ist Wallander bereits seit einigen Jahren Kriminalbeamter. In der Ehe mit Mona kriselt es schon gewaltig, die gemeinsame Tochter Linda ist fünf Jahre alt. Der Umzug nach Ystad kündigt sich bereits an.
Am Weihnachtsabend ruft die Besitzerin eines kleinen Ladens bei der Polizei an, weil ein verdächtig aussehender Mann herumlungert. Als Wallander dort ankommt, ist die Frau bereits tot. Und er ist allein im Laden mit dem Mörder…
Eine kurze Geschichte, in der die Problematik von Ausländern, die illegal und schwarz kommen, angeschnitten werden.
Bei dem nächsten Fall: \"Der Mann am Strand\" machen wir einen großen zeitlichen Sprung, 1987 ist Wallander bereits Kriminalkommissar in Ystad. In der eigenen Ehe kriselt es noch stärker, die Tochter Linda hat das Gymnasium geschmissen, Wallander selbst arbeitet währenddessen gut mit seinem Idol und Vorbild Rydberg zusammen.
Ein Mann stirbt in einem Taxi ohne ersichtlichen Grund. War es überhaupt Mord, wenn ja, dann aber wie?
Im \"Tod des Fotografen\" ist Wallander nun schon von Mona getrennt, es soll eine Trennung auf Probe sein, Mona und Linda leben in Malmö, er selbst ist weiterhin in Ystad.
Ein im Ort alteingesessener Fotograf wird von seiner Putzfrau tot in seinem Atelier aufgefunden. Während der Nachforschungen stellt sich heraus, dass dieser Mensch, den nahezu jeder im Ort zu kennen glaubt, ei völlig unnahbarer und distanzierter Mann war, eigentlich kennt ihn keiner. Auch seine Frau gibt an, schon seit Jahren nichts mehr von ihm zu wissen, sie leben zwar noch zusammen, sprechen aber nicht mehr miteinander. Nach der Geburt einer stark behinderten Tochter schiebt der Fotograf diese in ein Heim ab und kümmert sich fortan nicht mehr um sie. Verständlich, dass seine Frau ihm dies nie verziehen hat. Sie selbst besucht die Tochter natürlich, aber sie ist nicht die einzige. Wer ist wohl die geheimnisvolle Frau, die immer mal wieder im Heim auftaucht?
Außerdem kommt ein etwas absonderliches Hobby des Fotografen ans Licht: er hat geheime Fotoalben, in denen er berühmte Personen verunstaltet, was hat es wohl zu bedeuten, dass auch Wallanders Bild in dieser Galerie zu finden ist?
Ich fand diese Geschichte sehr spannend, die Auflösung hingegen erschien mir etwas an den Haaren herbeigezogen.
Die letzte, auch im Original die titelgebende Geschichte, ist meiner Meinung nach auch die beste: \"Die Pyramide\".
Wallanders Vater spielt hier eine große Rolle, denn der alte Mann hatte es sich in den Kopf gesetzt, einmal in seinem Leben die Pyramiden zu sehen, kurz entschlossen bucht er eine Reise nach Ägypten. Sein Sohn, der gerade mitten in einem Fall ist, bei dem es um den Absturz eines nicht registrierten Flugzeuges geht, wird allerdings durch einen Hilferuf nach Ägypten beordert, sein Vater ist dort im Gefängnis gelandet, Wallander soll ihn wieder herausholen…
Im privaten Bereich gibt es auch Neues, denn die Scheidung von Mona ist durch, Wallander versucht sich mit einer netten, aber langweiligen Krankenschwester zu trösten, was aber gründlich misslingt. Sein Chef und Kollege Rydberg wird immer kränker, aber noch weiß man nicht, was er eigentlich hat.
Während die Ystader Polizei alles versucht, herauszufinden, was es mit dem Flugzeug und den sich darin befindlichen Leichen auf sich hat, geschieht ein zweites Unglück. Zwei alte Schwestern, die ein Handarbeitsgeschäft in der Stadt betreiben, gehen samt ihrem Haus in Flammen auf. Bald ist klar, dass es bei dem Brand nicht mit rechten Dingen zuging. Auch hier - ähnlich wie beim Fotografen - zeigen die Nachforschungen, dass der Schein oft trügt. Die beiden biederen alten Tanten führten ein Doppelleben. Ich glaube, ich verrate nicht zu viel, wenn ich andeute, dass beide Fälle miteinander zu tun haben.
Seine Reise nach Ägypten zu den Pyramiden bringen Wallander letztendlich auf den richtigen Gedanken…

Meine Meinung:
Ich habe das Buch, wie alle seine anderen Bücher, gerne gelesen und fand es sowohl spannend als auch vom persönlichen her interessant. Dennoch habe ich den Eindruck, dass es nicht zu seinen besten gehört. Kein Vergleich zur \"fünften Frau\" oder zum \"Mittsommermord\".
Die Kriminalfälle an sich sind ganz gut, doch auch hier muss ich kleine Abstriche machen, denn der \"Mann mit der Maske\" beispielsweise schneidet Themen an, die nicht so oberflächlich angerissen bleiben sollten. Auch störte ich mich an dem Ende der Geschichte \"Tod des Fotografen\", denn Mord aus Leidenschaft will einfach nicht zu diesen eiskalten spießigen Typen passen.
Was ich aber noch bedauerlicher finde, ist, dass einige Figuren aus Wallanders Privatleben, über die der Leser (mindestens der Leser, der andere Bücher von ihm kennt) gerne mehr erfahren hätte, seltsam blass bleiben.
Seine Ehefrau Mona beispielsweise gewinnt nicht an Kontur. Es bleibt völlig unklar, was die beiden überhaupt zusammengebracht hat, so verschieden wie sie sind.
Auch Rydberg, der ja später immer wieder zitiert wird, gibt nur einige mehr oder weniger weise Sätze von sich, auch er wird leider nicht zu einer echten Persönlichkeit.
Ganz klasse hingegen die Darstellung von Wallanders Vater, so charakteristisch und mit Eigenleben erfüllt hätte ich mir auch die anderen (auch die Kollegen beispielsweise) gewünscht.
Interessant ist es aber allemal, denn die Person unseres grummeligen, übergewichtigen, schwermütigen und opernliebenden Kommissars wird uns viel näher gebracht als zuvor. Und das allein ist das Lesen schon wert.

Fazit:
Wallander Fans müssen es sowieso lesen (das sollen sie auch), allen Mankell Neulingen würde ich eher zu anderen Büchern raten. Wenn sie denn süchtig geworden sind, gibt es dieses dann wohl auch schon als Taschenbuch…


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-10-05 21:52:55 mit dem Titel "Chourmo" - der zweite Teil von Jean-Claude Izzos Marseille-Trilogie

Chourmo

Nachdem ich den ersten Teil der \"Marseilletrilogie\" von Jean Claude Izzo mit großem Gefallen gelesen hatte, musste sofort auch noch der zweite Band \"Chourmo\" her.
Bis zur Seite 57 muss man auf die Erklärung des Titels warten, ich werde das Rätsel aber gleich für Euch auflösen: Chourmo kommt vom provenzalischen \"chiourme\" was so viel wie \"Ruderer auf einem Galeerenschiff\" bedeutet also Sklaven, Sträflinge, die sich abrackern müssen. Im übertragenen Sinne sind junge Menschen in Marseille gemeint, vorwiegend Einwanderer, aber nicht nur, die ständig mit einem Bein, seien sie schuldig oder auch nicht, im Knast stehen. Ihr Lebensgefühl drückt sich auch in einer bestimmten Musikart aus. Die Fangemeinde der Raggamuffin Gruppe \"Massilia Sound System\" hatte zuerst diesen Ausdruck aufgegriffen. Mittlerweile kennzeichnet \"chourmo\" neben der Bedeutung einer Unterstützer-bzw. Fangruppe auch einen innereren Zusammenhalt. Junge Leute treffen sich, machen gemeinsam Musik, arbeiten an Soundsystems, geben Fanzeitschriften heraus, vor allem aber treffen sie sich, helfen sich gegenseitig und kommen zusammen. Es entsteht eine Art von \"Chourmo - Geist\" d. h. man gehört irgendwie zusammen oder um wieder auf die Sklavengaleere zurückzukommen: \"man rudert in derselben Galeere! Um rauszukommen! Zusammen!\" (letzteres ist ein Zitat aus dem Buch selbst).
Selten habe ich so viel Platz auf die Erklärung eines Titels verwendet, aber ich finde die Bedeutung schon ganz interessant und hoffe es geht Euch auch so.

Jetzt kurz zu den Formalien:
Das Buch ist im Schweizer Unionsverlag (meinem Lieblingsverlag, das sage ich immer wieder mal) unter der ISBN: 3-293-20187-3 als Taschenbuch erschienen, es kostet 8,90 Euro und hat knapp 270 Seiten.

Zum Autor:
Jean Claude Izzo ist 1945 in Marseille geboren, 2000 ebendort an Lungenkrebs verstorben. Er war Journalist, ein politisch aktiver Mensch mit einer großen Liebe zu seiner Heimatstadt Marseille. Als er aus politischen Gründen (genaues weiß ich nicht) von seiner Stelle als Redakteur der Zeitschrift \"Viva\" entlassen wurde, begann er mit 50 Jahren Krimis zu schreiben. Die \"Heldin\" dieser Romane ist in erster Linie die Stadt und ihre Bewohner.
In Frankreich sind seine Krimis Bestseller und auch in Deutschland wächst die Fangemeinde. Im Jahr 2001 hat er den ersten Platz beim \"Deutschen Krimipreis\" erhalten.

Zum Buch:
Im ersten Band war Fabio Montale noch Polizist, ein recht frustrierter zwar, aber dennoch. Jetzt ist er es nicht mehr, er hat gekündigt und lebt in seinem bescheidenen Häuschen glücklich mit seiner Jugendliebe Lole (die man aus dem ersten Buch schon kennt) zusammen und verbringt seine Zeit vor allem mit fischen, gut essen und trinken (natürlich auch wieder seinen Lieblingswhiskey Lagavulin). Seine alte Nachbarin Honorine, die bereits früh an ihm und seinen mittlerweile getöteten Jugendfreunden Ugo und Manu so eine Art Mutterersatz gespielt hat, umsorgt ihn und kocht hervorragende Fischgerichte für ihn. Doch ganz so idyllisch ist es nicht mehr, denn Lole, mit der er im letzten Buch gerade eine Beziehung begonnen hatte, hat ihn nun schon wieder verlassen. Offensichtlich waren sie aber sehr lange zusammen und Fabio hofft noch sehr auf ihre Rückkehr.
Sein väterlicher Freund Fonfon, der Besitzer seiner Lieblingskneipe, bietet ihm an, den Laden zu übernehmen, da er Angst um Fabio, der anscheinend nur noch aufs Meer raus will und fischen, hat.
Doch so weit wird es nicht kommen. Fabio bekommt nämlich Besuch von seiner schönen Cousine Gelou, in die er als Jugendlicher sehr verliebt war, mit der er aber keinerlei Kontakt mehr hatte. Gelou ist getrieben von der Sorge um ihren ältesten Sohn Guitou, der von einer Reise nach Marseille nicht mehr nach Hause gekommen ist. Fabio soll ihr bei der Suche nach dem gerade mal 17jährigen Jungen helfen. Da es sich um eine Liebesgeschichte handelt, glaubt Fabio erst mal an nichts Schlimmes. Guitou hat sich nämlich in eine junge Araberin namens Naima verliebt und sich mit ihr gegen den Willen der Eltern in Marseille getroffen. Die mittlerweile sehr wohlhabende Gelou und ihr Mann Gino erweisen sich als Rassisten, was Fabio zwar anwidert, aber natürlich macht er sich doch auf die Suche nach dem Jungen.
Die Spur führt über viele Umwege zu einer politischen Sache: radikale Islamisten haben einen arabischen Intellektuellen ermordet, der offensichtlich mit Naima und Guitou bekannt war. Dass es hier einen Zusammenhang gibt, ist bald evident, aber wo genau ist er und was ist mit den beiden jungen Menschen passiert?
Nun, hier muss ich einschieben, dass das Schlimmste eigentlich schon auf den ersten Seiten steht (deshalb kann ich es auch verraten): Guitou lebt nicht mehr…
Nach der ersten Liebesnacht seines Lebens wird er brutal getötet. Das weiß zwar der Leser (und leidet mit, das Eingangskapitel geht ganz schön an die Nieren!), aber Fabio weiß es noch nicht und weder Fabio noch wir Leser wissen, was aus Naima geworden ist.
Bei der Suche nach Naimas Familie begegnet Montale Serge wieder, einem Sozialarbeiter, mit dem er bei früheren Polizeieinsätzen sehr eng (für seine Kollegen und Vorgesetzten, die eher für die \"harte\" Polizeitaktik waren, viel zu eng) zusammengearbeitet hatte. Noch bevor er ein Wort mit Serge wechseln kann, wird dieser aus einem fahrenden Auto heraus erschossen. Seinen früheren Kollegen macht es offensichtlich große Freude, Montale, der nun als Zeuge vernommen wird, zu verdächtigen und zu piesacken.
Fortan wird Montale versuchen, beides aufzuklären: das Verschwinden Guitous und den Mord an Serge. Er findet heraus, dass Serge sich intensiv mit den Verbindungen von Islamisten in Frankreich beschäftigt hatte und ganze Dossiers über involvierte Personen, über Querverbindungen und ihre Gefährlichkeit angelegt hatte. Ist hier das Motiv für seinen Tod zu suchen oder findet man es eher in Serges angeblicher Liebe zu Knaben?
Sehr gut fand ich auch die Darstellung von Naimas Familie, der Mutter, die ihrer Tochter helfen will, sich in der Welt zwischen den Kulturen zurechtzufinden, aber nicht recht weiß, wie sie es tun soll, der jüngere Bruder, der zum \"chourmo\" gehört und ebenfalls versucht, auf anständige aber eigenständige Weise sein Leben trotz aller Widrigkeiten, denen junge \"Beurs\" (so werden in Frankreich die arabischen Einwanderer genannt bzw. so nennen sie sich selbst) zu gestalten. Im Gegensatz dazu der ältere Bruder, der ein immer gläubigerer Muslim wird, wogegen nichts zu sagen wäre, wenn er nicht seine Familie ebenfalls dazu zu zwingen versuchte und wenn seine Freunde nicht immer gefährlichere, radikalere Typen wären.. Nicht zuletzt der Großvater, ein verständnis- und humorvoller Mann, der das Beste für seine Enkel will, aber mit der zunehmenden Radikalisierung des Ältesten nicht mehr klar kommt.
Wie schon im ersten Buch spielt auch hier das innere Leben Fabio Montales, Erinnerungen an früher, immer wieder seine unglückliche Liebe zu Lole und das Graben in der Vergangenheit eine große Rolle. Nicht zu vergessen die Liebe zur Musik, zum Meer, zu Marseille und seinen alten Freunden. Auch über seine Cousine Gelou (die schon immer wie Claudia Cardinale aussah) denkt er viel nach und verliert sich in Kindheitsreminiszenzen. Es gibt auch noch andere, nicht weniger interessante Seitenstränge der Handlung, die ich aber nicht alle erwähnen kann; nur so weit, dass einige \"Fälle\" die mit Fabios früherer Zusammenarbeit mit Serge zu tun haben und deren Bedeutung in die Gegenwart hineinreichen. So wird z.B. das entsetzliche Schicksal einer jungen Drogensüchtigen geschildert.
Was ist mit Naima geschehen und wer ist schuld an Serges Tod? Nun, das könnt und sollt ihr selbst herausfinden…

Zum Stil:
Ich würde sagen, sehr anspruchsvoll - besonders gemessen am üblichen Kriminiveau - und teilweise auch ungewöhnlich. Was aber nicht heißt, dass es schwierig zu lesen wäre. Ab und an finde ich die Sprache etwas zu poetisierend, aber das ist eine Frage der Mentalität. Insgesamt gefällt mir Izzos Stil aber sehr gut.

Meine Meinung:

Ich hoffe, dass Izzos Romane nicht mehr lange nur noch \"heimliche Bestseller\" sind, sondern bald richtige werden. Schade, dass er seinen Erfolg nicht mehr richtig mitbekommen hat!
Das Buch ist mindestens so gut wie das erste, ich hab auch gleich das dritte danach in Angriff genommen.
Aber da ich ja doch immer ein bisschen was zu meckern habe, tue ich es auch diesmal:
Es gibt eine Stelle im Buch, in der Montale einem Menschen, der in akuter Lebensgefahr ist, nicht hilft. Dieser Mensch ist ein absolutes Charakterschwein und Montale hasst ihn (er hat auch allen Grund dazu). Dennoch: einerseits ist er so absolut moralisch, andererseits hat er noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei? Und redet sich obendrein noch ein, dass das ja keine Tötung sei, weil er ja nicht aktiv dazu beigetragen hat? Nun ja, diese Art der Erklärung und der Verdrängung der eigenen Schuld will mir nicht wirklich behagen.
Aber warum sollte Montale bzw. sein Erfinder Izzo auch der \"perfekte\" Mensch sein. Da erwarte ich wohl zu viel, aber halt deshalb weil ich insgesamt so begeistert von ihm bin, da wird meine innere Messlatte wohl ein bisschen zu hoch.

Fazit: unbedingt lesen!!!


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-10-21 22:57:56 mit dem Titel 3. und letzter Teil der Marseilletrilogie

„Solea“ ist der Titel des letzten Teils der Marseille – Trilogie von Jean-Claude Izzo. In diesen drei Krimis geht es immer um zwei „Helden“: die Stadt Marseille und Fabio Montale.
Da ich in meinen Besprechungen der ersten beiden Teile schon genauer darauf eingegangen bin, also meine „treuen“ Leser nicht langweilen möchte, andererseits ja doch die Bücher unabhängig voneinander vorstellen muss, versuche ich mich – entgegen meiner sonstigen Gewohnheit – einfach mal etwas kürzer zu fassen, was den allgemeinen Teil angeht.
„Solea“ ist ein Taschenbuch aus dem Unionsverlag, hat die ISBN: 3-293-20203-9 und kostet 8,90 Euro.

Zum Autor:
Jean-Claude Izzo , 1945 in Marseille geboren, war Journalist bevor er mit 50 Jahren begann, Krimis zu schreiben. Gleich sein erstes Buch „Total Cheops“ wurde ein Bestseller. Im Jahr 2000 starb er an Lungenkrebs. Er konnte seinen schriftstellerischen Erfolg also nur knapp 5 Jahre lang genießen. So erfuhr er auch nicht, dass er 2001 für sein zweites Buch „Chourmo“ den Deutschen Krimipreis erhielt.

Zum Buch:
Wie auch in den anderen Bänden ist die Geschichte aus der Sicht von Fabio Montale geschrieben. Fabio, der im ersten Buch noch Polizist war, am Ende dann aus Frust über den Rassismus und die Korruption innerhalb der Polizei gekündigt hatte, lebte im zweiten Buch als Fischer in seinem Häuschen am Meer und versuchte vergeblich, ein ruhiges Leben zu führen. Wenn er schon in „Chourmo“ in unfreiwilligen Kontakt mit der Mafia gekommen ist, so geht es im vorliegenden Buch erst so richtig zur Sache.
Fabio ist immer noch tief unglücklich über die Trennung von seiner Lebensgefährtin Lole, er hält sich von Liebesbeziehungen fern, seine sexuellen Bedürfnisse befriedigt er bei Prostituierten. Bis er eines abends Sonia kennen lernt. Zum ersten Mal seit Loles Fortgang kann er sich wieder vorstellen, mit jemandem neu anzufangen. Lange dauert diese vage Ahnung von Glück jedoch nicht, denn schon nach der ersten gemeinsamen Nacht ist Sonia tot, ermordet…

Fabio war seit vielen Jahren mit der Journalistin Babette befreundet. Babette hatte aus beruflichen Gründen über die Mafia recherchiert und dieses Thema ließ sie nicht mehr los. Ihr Lebenspartner, ein italienischer Rechtsanwalt wurde von der Mafia gefoltert und ermordet. Nun sind sie hinter ihr her; Babette flieht zu einem Freund nach Frankreich, in eine der letzten Landkommunen, die von der 68er Bewegung noch übrig waren. Doch sie bittet auch Fabio um Hilfe. Fabio Montale jedoch hat Angst, denn auch er kennt die Unerbittlichkeit und die Methoden der Mafia. Er möchte sich auch nicht mehr einmischen, nicht mehr Detektiv spielen und die Welt verbessern. In gewisser Weise hat er resigniert vor der Bösartigkeit der Welt. Er möchte aus Meer hinausfahren, fischen, sich mit seinen Freunden in „Hassans Bar“ treffen, die gute Fischsuppe seiner alten Nachbarin Honorine essen und – wie auch anders- seinen geliebten Whiskey Lagavulin trinken. Doch die Ereignisse überrollen ihn. Spätestens seitdem er einen Anruf bekommen hatte, in dem ihm befohlen wurde, Babette ausfindig zu machen, ist Sich – Heraushalten plötzlich keine Alternative mehr.
Montale soll also Babette für die Mafia aufspüren, sie quasi ans Messer liefern. Selbstverständlich weigert er sich, aber dann findet er Sonia, die er gerade angefangen hatte, zu lieben. Was anfangs nur eine Ahnung war, wird zur bitteren Gewissheit: wenn Fabio nicht mitmacht, werden Menschen, die er liebt, sterben…
Die Mafia ahnt jedoch nicht, dass Babette alle Daten, die sie über die französische Mafia gesammelt hat und die sehr viele Menschen, hohe Tiere, Wirtschaftsmagnaten und Politiker
in große Bedrängnis bringen würde, bereits auf Disketten gespeichert und an Fabio geschickt hat. Fabio sitzt also da mit dem „heißen“ Material.
In dieser inneren Zwickmühle entschließt er sich, Babette tatsächlich zu finden und zu versuchen, sie von der Veröffentlichung der Daten abzubringen. Er ist überzeugt, dass es in Frankreich nichts ändern würde. Im Gegensatz zu Italien, in dem eine kritische Öffentlichkeit hinter den mutigen Richtern und Staatsanwälten der „mani puliti“ (so wird die Bewegung von anständigen Richtern, Rechtsanwälten und Polizisten genannt, die in Italien den Kampf gegen die Mafia und die Korruption aufgenommen haben, genannt) steht, würde hier alles nur verpuffen. Die Verwicklung von Politikern, der Wirtschaft, den Medien und der Mafia sei so groß, dass auch die genauest erforschten Daten einer einzelnen Journalistin nichts bewirken würden. Außerdem: das Leben seiner Freunde ist ihm das nicht wert – und: auch er selbst möchte noch weiterleben, obwohl er bereits überall den Tod riecht.
Hilfe bekommt er von eher unerwarteter Seite, nämlich von der Polizei. Genauer gesagt von der Kommissarin Helene, einer Frau, die eine ähnliche Vorstellung von Polizeiarbeit hat, wie er selbst früher: Helfen, das Leben zu verbessern, gegen die Umstände zu kämpfen, die Verbrechen verursachen, unbestechlich bleiben und Mitgefühl zeigen. Helene wird ihm beistehen, wenn es hart auf hart kommt. Nur dumm, dass der Marseiller Polizeiapparat halt auch so seine Lücken aufweist, und die Mafia eben überall ihre Finger drin hat.
Wird es Fabio Montale gelingen, seine Freunde zu beschützen, wird er Sonias Tod rächen können (der Gedanke an Rache taucht immer stärker auf, obwohl ihm dieses „Auge um Auge Denken“ eigentlich wesensfremd ist) und wird es ihm gelingen, Babette von einer Veröffentlichung ihrer Materialen abzuhalten?

WER DAS ENDE NICHT WISSEN MÖCHTE, SOLL BITTE ERST BEI „MEINE MEINUNG“ WIEDER WEITERLESEN!

Warum ich gegen meine Gewohnheit diesmal den Schluss verraten möchte, das hat einen ganz einfachen Grund: ich finde ihn absolut genial!
Izzo traut sich wirklich, seinen Helden, mit dem er gerade absolut erfolgreich ist, sterben zu lassen. Izzo hätte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit weitermachen können mit Fabio Montale, er hätte anknüpfen können an Kommissar Wallander, an Commissario Brunetti und wie sie alle heißen und er hätte noch eine Menge Geld damit verdienen können. Aber nein: die Angst davor, eine Romanfigur, ein Thema so lange zu bedienen, bis alle Kraft daraus verschwunden ist, hielt ihn davon ab. Das mag der eine Grund sein, der andere ist ein weitaus ernsterer: Izzo wusste, dass die Mafia tatsächlich keine Gnade kennt und dass sie in der Realität einfach mächtiger ist als ein intelligenter und mutiger kleiner Exbulle und eine tapfere Journalistin. In „Solea“ (das ist übrigens der Titel eines Lieblingsliedes von Fabio) werden noch weitere Menschen, die Fabio liebt, getötet werden. So, wie es eben in der Realität auch geschieht. Es kommt zu einem dermaßen bitteren Ende, dass es einem den Atem verschlägt.
Es ist nicht nur Schluss mit unserem Romanhelden (und mit einigen anderen, die dem Leser nahe gekommen sind), sondern es ist auch Schluss mit der Hoffnung auf einen guten Ausgang im Kampf David gegen Goliath!

Meine Meinung:

Waren schon die ersten beiden Bände dieser Trilogie ziemlich faszinierend, so begeistert mich der letzte Teil total.
Nein, hier geht es nicht mehr um einen spannenden Krimi oder einen gut gestrickten Plot! Das ist zwar durchaus vorhanden (und nicht schlecht!) aber das ist nicht die Hauptsache. Hier geht es um den inneren Kampf eines Menschen, der wie auch immer er sich entscheidet, eine falsche Entscheidung treffen wird. In diesem Sinne ist es also eine echte klassische Tragödie.
Aber auch was die politischen Dimensionen angeht, ragt „Solea“ weit über vergleichbare Literatur hinaus. Selten ist mir so deutlich klar geworden, wie weit und wie intelligent verzweigt die Mafia (ich meine damit nicht nur eine bestimmte Gruppe, sondern im Sinne von: organisierter Kriminalität) mittlerweile ist, in welchen Bereichen sie Einfluss hat und wie abhängig nicht nur ganze Wirtschaftszweige, sondern eben auch die Gesellschaft im Allgemeinen von ihr ist.
Izzo schreibt über mafiöse Strukturen in Frankreich, am Rande auch in Italien, aber ich denke (bzw. teilweise weiß man es auch) dass sich vieles auf Deutschland und andere Länder problemlos übertragen lässt.
Ich bin ziemlich erschüttert! So, wie wenn einem jemand etwas erzählt, was man eigentlich schon lange weiß, aber nie so richtig an sich ran ließ bis jemand plötzlich die richtigen Worte dafür findet.
Wer den letzten Teil meines Berichts nicht gelesen hat, dem möchte ich nur noch sagen, dass ich Izzos Ende dieser Marseille Trilogie genial, mutig und richtig großartig fand.

Fazit: Lesen, lesen, lesen!!!


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-10-26 00:41:07 mit dem Titel Mein erster ( und wohl auch letzter) "Knochen"Krimi

Kathy Reichs, geboren in Chicago, unterrichtet, wenn sie nicht gerade Krimis schreibt, an der University of North-Carolina. Sie ist forensische Anthropologin, eine von insgesamt nur 50, die in den USA und Kanada eine Zulassung besitzen.
In ihren Kriminalromanen dreht es sich dementsprechend immer um Fälle, in denen Gerichtspathologen und Anthropologen den größten Anteil an der Aufklärung haben.
Ihre Bücher \"Tote lügen nicht\" \"Knochenarbeit\" und \"Lasst Knochen sprechen\" sind sehr erfolgreich und drohen, ihre Konkurrentin auf diesem Fachgebiet Patricia Cornwell langsam, aber sicher den Rang abzulaufen.
Folgerichtig wirbt - zumindest die amerikanische Ausgabe des Buches, das im Original \"A fatal voyage\" heißt groß mit dem Spruch: \"Better than Patricia Cornwell!\"
Ob das tatsächlich der Fall ist und ob die Verkaufszahlen durch Qualität gerechtfertigt sind, das wollte ich gerne herausfinden.

\"Durch Mark und Bein\" ist 2002 im Blessing Verlag erschienen, es kostet 22,90 Euro, ist 450 Seiten dick, auf englisch ist es als Taschenbuch für 12,30 Euro erhältlich.
Wie auch in ihren anderen Romanen spielt die wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem gerichtsmedizinischen Institut Tempe Brennan die Hauptrolle. Tempe ist eine von ihrem Mann getrennt lebende Mutter einer erwachsenen Tochter, irgendwo in den Vierzigern und immer auf der Suche nach dem richtigen Mann. Die Frage, ob es vielleicht doch ihr Ex, mit dem sie noch gut befreundet ist, oder vielleicht der FBI-Agent Ryan sein könnte, zieht sich als Nebenstrang durch das ganze Buch.
Kurz noch für diejenigen, die sich (trotz meiner natürlich hervorragenden :) Buchbesprechung von Ondaatjes \"Anils Geist\", in der es auch um eine forensische Anthropologin geht) nichts unter dem Beruf unserer Heldin vorstellen können eine Erklärung: durch Untersuchungen an Leichen können, egal in welchem Verwesungszustand sich diese befinden oder auch bei ganz alten Skeletten wertvolle Hinweise zur Aufklärung von Verbrechen erarbeitet werden; etwa wie alt, welches Geschlecht, in begrenztem Umfang auch welche Rasse, hatte der Tote ein Hüftleiden etc. Besonders wichtig sind dabei natürlich auch die Hinweise auf die Todesursache. Forensische Anthropologen werden neben der Beratung der Kriminalpolizei auch von Menschenrechtsorganisationen und der Uno zur Aufklärung von politischen Morden, etwa bei Auffindung von anonymen Massengräbern eingesetzt.
Nun aber zum vorliegenden Buch:

Inhalt:
Tempe Brennan wird anlässlich eines schrecklichen Flugzeugunglücks, bei dem alle Insassen ums Leben gekommen sind, zu Hilfe gerufen.
Die Anfangsszenen beschreiben in einer sehr direkten und schockierenden Aufdringlichkeit den Zustand der einzelnen Unfallopfer bzw. der Teile dieser Menschen.
Wer einen derartig krassen Stil nicht verträgt oder nicht mag, sollte am besten gleich die Finger von dem Buch lassen.
Bei dem Einsammeln einzelner Körperteile stößt sie auf einen Fuß, der anscheinend zu keinem der Flugzeuginsassen gehört. Noch während sie gemeinsam mit Lucy Crowe, einer energischen breitschultrigen \"Sheriffin\" (das Wort hab ich gerade kreiert) herauszufinden versucht, was es mit diesem Fuß auf sich hat, wird sie zu ihrem Auftraggeber zitiert. Man wirft ihr unerlaubtes Eindringen in nichtöffentliches Gelände, Mitnahme eines noch nicht katalogisierten Objekts (sie nahm den Fuß nur mit, damit er nicht von wilden Tieren noch weiter angenagt würde) und dergleichen mehr vor. Nachdem auch ihr direkter Vorgesetzter trotz jahrelanger freundschaftlicher Zusammenarbeit nicht mehr hinter ihr steht und ihr trotz der Absurdität der Anschuldigungen quasi ein Berufsverbot auferlegt wird, zumindest bis zur Aufklärung der Vorwürfe (was bekanntlich lange dauern kann...), wird ihr langsam klar, dass es wohl höhere Mächte bzw. einflussreiche Personen sind, die ihre Arbeit behindern wollen.
Doch eine Tempe Brennan gibt nicht auf!
Mit der gelegentlichen Hilfe von Boyd, dem ihr kurzzeitig anvertrauten Hund ihres Ex, von Sheriff Crowe und auch von Ryan, meist aber ganz alleine, versucht sie dennoch herauszufinden, was es mit dem Fuß und den Gründen ihrer \"Verbannung\" auf sich hat.
Im Zuge ihrer Recherchen stößt sie auf ein verlassenes Haus, auf eine weitere Leiche (diesmal jemand, den sie kannte und mochte) und auf einige verschwundene Personen. Diese sind alles ältere Menschen, ihr Verschwinden ist verteilt über längere Zeiträume, weshalb bisher auch niemand jemals einen Zusammenhang gesehen hatte.
Ich möchte nicht zu viel von der weiteren Handlung verraten, unsere tapfere Tempe wird allerdings noch auf einige makabre, furchteinflößende und skandalöse Geheimnisse treffen.
Am Ende wird es dann noch mal richtig schön spannend, das Durchhalten lohnt sich also1

Meine Meinung:
Warum spreche ich vom \"Durchhalten\"? Ist das Buch denn so langweilig und dröge, dass man sich durchkämpfen muss?
Nein, so ist es nicht gemeint, es ist schon recht spannend und die Story als solche (gerade die Teile, die ich jetzt nicht erzählen kann) gefallen mir ziemlich gut; allerdings hatte ich einige Schwierigkeiten, mich einzulesen. Abgesehen davon, dass mich der brutale und blutrünstige Anfang abstieß, störten mich die unendlich vielen mir oft unverständlichen Abkürzungen (wobei ich nicht sicher bin, ob die in der deutschen Übersetzung auch so stehen gelassen wurden, ich habe es auf englisch gelesen), was Polizeiränge und medizinische Titel anbelangt.
Außerdem kam mir die Hauptperson als solche nicht wirklich nahe, ihre Liebesgeschichten fand ich eher langweilig, die Tatsache, dass sie sich gerne von Boyd, dem Hund, abschlecken lässt, fand ich ekelhaft, unsympathisch ist sie dennoch nicht, die Tempe, aber mein Herz fliegt ihr auch nicht gerade zu (besser gefiel mir Sheriff Crowe).

Zur Frage, ob sie besser als die Cornwell ist, da kann ich mich nicht wirklich entscheiden, ich fand die Cornwellkrimis (kenne ja nicht alle) eigentlich spannender, aber bei ihr störten mich die zunehmende drastische Beschreibung von perversen Serienkillern immer mehr und vor allem ihre sehr konservative Einstellung gegenüber der Todesstrafe und ihrer Definition vom \"Bösen\". Ich habe irgendwann aufgehört, Cornwell zu lesen, obwohl die Fälle wirklich packend in einem Zug zu lesen sind.
Kathy Reichs geht anders an das gleiche Genre ran: Die Einstellung ihrer Heldin ist differenzierter und überlegter, was mir sehr gut gefällt. Ihre Berufswahl begründet sie mit dem Wunsch, den unbekannten Toten Respekt zu erweisen und den Lebenden, ihren Angehörigen das Gefühl zu vermitteln, dass ihren Toten Anteilnahme entgegengebracht wird, dass auch tatsächlich versucht wird, herauszufinden, wer und was dahintersteckt.
Gerade im vorliegenden Buch beklagt sie, dass besonders bei älteren Menschen oft nicht genügend nachgeforscht wird, ob ein Verbrechen vorliegt oder nicht. Auch das gefällt mir.

Wenn ich nur 3 Sterne gebe, ist das vielleicht ungerecht, aber ich habe sowieso das Gefühl, dass ich oft zu \"gut\" bewerte, wenn es das gäbe, dann würde ich etwas zwischen 3 und 4 Sternen vergeben.

Fazit:
Kann man gut lesen, ist spannend, keine verlorene Zeit, aber wenn man es nicht liest, ist man auch nicht dümmer oder ärmer dran...


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-11-05 23:37:42 mit dem Titel Khartum fällt im Janua

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