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Erfahrungsbericht von mima007

Stephen King: *Atemtechnik* (Hörbuch): Meisterhafter Horror, gut gelesen

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Eine Frau, die ein Kind zur Welt bringt - das ist nicht Besonderes. Doch wenn diese Frau dabei keinen Kopf mehr besitzt, so ist das durchaus eine interessante Geschichte, die man sich zu Weihnachten, dem Fest des Christkindes, am Kaminfeuer erzählen kann.

Dieses Hörbuch enthält die ungekürzte Fassung der von Stephen King 1982 veröffentlichten Novelle \"Atemtechnik\". Die Novelle gehört zu den vier Geschichten in dem Band \"Frühling, Sommer, Herbst und Tod\". (Die Sommerstory ist das verfilmte \"Stand by me\".)

Sprecher ist Joachim Kerzel, der inzwischen als kongenialer Stephen-King-Sprecher anerkannt ist - auch von mir. Seine Erzählweise bei \"Briefe aus Jerusalem\" ist hinreißend und fesselnd. Er lehrt jeden Zuhörer das Fürchten.

Handlung
°°°°°°°°

Weinhachtszeit. Winter in New York City, etwa Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Wie wir aus der Rahmengeschichte erfahren, versammeln sich die Mitglieder eines ebenso mysteriösen wie exklusiven Clubs in einem geheimnisvollen Haus, das innen möglicherweise größer als außen ist. Ein magisches Haus also, magisch wie die Geschichten, die hier erzählt werden, und mysteriös wie die Bücher, die man hier findet, aber sonst niorgendwo im Rest der Welt.

Allweihnachtlich kommen die Mitglieder zusammen, um einer nahezu unglaublichen Geschichte zu lauschen. Diesmal erzählt ein recht undurchsichtiger betagter Herr namens McCarron: ein Begebenheit aus dem Jahre 1932, als die Weltwirtschaftskrise noch jüngste Vergangenheit war.

Es ist die Geschichte der jungen Miss Stanfield (nicht ihr richtiger Name), die alles daransetzt, ihr Ungeborenes gesund zur Welt zu bringen. Da es sich um ein uneheliches Kind handelt, kann ihr dessen Vater leider nicht helfen - zu streng sind noch die viktorianischen Sitten in der Stadt.

Obwohl Miss Stanfield, eine Kaufhausverkäuferin, einen klugen und entschlossenen Eindruck vermittelt, beschleicht selbst ihren Arzt, den fortschrittlichen gesinnten Mediziner McCarron, das ungute Gefühl, dass seine Patientin von finsteren Mächten verdammt ist. Sie selbst sagt es von sich: \"Ich bin... verdammt.\"

Je nun, wir wollen nicht gleich den Kopf hängen lassen, denkt sich der Arzt. Schließlich verarztete er Verwundete in den Schützengräben des 1. Weltkrieges. Er bringt ihr die revolutionäre Atemtechnik für Schwangere bei, die eine Franzose namens LaMaze entwickelt hat und die von den konservativen Kollegen McCarrons schlicht als Irrsinn und Hexerei abgetan wird. Diese Haltung wird symbolisiert von der Statue einer Mrs. White, die vor dem Hospital des Dr. McCarron gebieterisch aufragt.

Miss Stanfield erweist sich als über Erwarten aufgeschlossene Person und übernimmt die Atemtechnik mit Enthusiasmus. Sie entdeckt, dass sich mit dem richtigen Atmen auch die Energie eines drohenden Wutausbruchs ob einer Demütigung gut abbauen lässt. Unverheiratete Schwangere waren damals verpönt, ja geradezu geächtet.

Als bei Miss Stanfield die Wehen einsetzen, begeben sich sowohl Dr. McCarron als auch seine Patientin auf den Weg in die Klinik, um dort die Entbindung vorzunehmen. Doch dazu soll es nicht mehr kommen. Denn sowohl der Gott der Taxifahrer als auch Boreas, der die Straßen mit Eis überzieht, haben sich gegen eine \"normale\" Entbindung verbündet - wahrscheinlich sogar der Geist der statuesken Mrs. White.

Miss Stanfield kommt niemals lebend im Krankenhaus an, ihr Baby hingegen mit knapper Not: dank der hervorragenden Atemtechnik seiner Mutter...

Mein Eindruck
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Eine Geburt ist stets eine bedeutungsvolle Angelegenheit. Es muss sich ja nicht gleich um das Jesuskind handeln, es kann jedes Baby sein. Stephen King, der ja selbst eine Reihe von Kindern hat, zeigt an dem Beispiel eine gewissermaßen \"unnatürlichen\" Geburt auf, wo die Grenzen des Gewohnten, Akzeptieren und Erträglichen hinsichtlich Leben, Tod und Geburt aufhören und wo der Wahnsinn beginnt.

In seiner meisterlichen Novelle spielt er ganz klar die Kräfte des Modernen, symbolisiert durch die Atemtechnik, gegen die Kräfte des Konservatismus, symbolisiert durch die Statue der Mrs. White, aus und lässt das Neue, symbolisiert im überlebenden Neugeborenen, triumphieren. Der Vorgang der Geburt wird so zum Kampf zwischen alt und neu/jung, zwischen zwei Zeitaltern, zwischen Leben und Tod, Hoffnung/Kampf und Resignation. Es ist, als ob in diesem Moment Götter miteinander kämpften und es sei offen, welche Seite gewönne. Doch die guten Nerven des modernen Arztes McCarron geben offenbar den Ausschlag.-

Ist diese Geschichte wahr? Das ist die falsche Frage. Der Erzähler (King) und sein Berichterstatter aus der Rahmenhandlung bringen uns durch einen langen Anlauf, der praktisch die erste CD (rund 1 Stunde) ausmacht, dazu, die Authentizität der Erzählsituation zu glauben. Der Rest ist dann nur noch ein Kinderspiel. Dann glauben wir auch die Geschichte.

Aber darum es King nicht. Die Notwendigkeit für die Geschichte besteht nicht in ihrer Authentizität, sondern in ihrer Wahrhaftigkeit. Dies ließe sich auch als \"poetische Wahrheit\" übersetzen. Dies ist die Wahrheit, die einem Mythos wie dem von Prometheus oder der Büchse der Pandora eignet, einer Legende wie der von König Artus oder irgendeiner Geschichte, die bereits in das kollektive Bewusstsein übergegangen ist, wie etwa Kiplings \"Dschungelbuch\".

Der Unterschied: \"Atemtechnik\" liest sich nicht wie Fantasy, sondern wie ein Zeitungsbericht, den ein cleverer und sehr beredsamer Journalist verfasst hat. Die Zeitung wäre die Autorität, um den Glauben zu rechtfertigen. Doch diesmal wird die Geschichte dem undurchsichtigen Mitglied eines geheimnisvollen Clubs in den Mund gelegt, von dem man noch nie gehört hat. Glaube also, wer wolle, und stets auf eigene Gefahr.

Unterm Strich
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Die beiden letzten CDs enthalten die eigentliche Story und nur die letzte den atemlosen, schier wahnwitzigen Höhepunkt. Man folgt atemlos den wunderbar gesprochenen Worten Joachim Kerzels, als er das Unglaubliche schildert. (Ich werde mich hüten, hier die Pointe zu verraten.)

Michael Matzer (c) 2002ff

Info: LübbeAudio 2001, Bergisch Gladbach; 3 CDs, 166 Minuten, EU ca. 19,95, ISBN 3-7857-1153-0.

----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-08-23 11:41:09 mit dem Titel *Schwarz (Der Dunkle Turm 1)*: Western goes Fantasy

\"Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste, und der Revolvermann folgte ihm.\" So beginnt Stephen Kings berühmter 1. Band seines Zyklus\' um den Dunklen Turm, nach eigenem Bekunden sein magnum opus.
Auf mindestens 3000 Seiten hat King Rolands Suche nach dem Dunklen Turm bemessen – eine Voraussage, die angesichts von \"Schwarz\" und der Folgebände \"drei\", \"tot\" und \"Glas\" durchaus berechtigt erscheint. An diesen Umfang reicht zur Zeit nur noch Tad Williams\' Tetralogie \"Otherland\" heran, die es auf stolze 4000 Seiten bringen dürfte und auch sonst einiges mit Kings Zyklus gemeinsam hat, etwa die Übergänge zwischen den Welten.

Handlung
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Der Revolvermann folgt also dem Mann in Schwarz. Der eine der letzte seiner Welt, ein Pistolero, dessen Hände schneller sind als der Kopf. Der andere ein Zauberer, der auf seiner Flucht intelligente und bösartige Fallen zurücklässt, in die der Revolvermann unweigerlich hineintappt. Da verwandeln sich harmlose Bewohner eines Wüstenkaffs unversehens in blutdürstige Bestien.

Aus der Flucht des Zauberers und der Jagd des Revolvermanns bis zum obligatorischen Showdown besteht die Haupthandlung des Romans. Doch abseits dieses Fantasy-Westerns warten tausend Geschichten darauf, erzählt zu werden. Rolands Vergangenheit, seine Liebschaften, seine Mannwerdung, sein Hass auf den Mann in Schwarz, seine Beweggründe – ein ganzes Leben will hier erzählt sein. Gewaltige Löcher tun sich noch in Rolands Vergangenheit auf, die zu füllen sind – in späteren Büchern.

Was der Dunkle Turm sein soll, ist hier noch ungewiss. Er scheint ein Verbindungsstück zwischen den Welten zu sein, ein regulierender Faktor von Raum und Zeit, gut bewacht von allen möglichen Gestalten, darunter ein gewisser Maerlyn. Da bedient sich King des großen Sagenschatzes um König Artus.

Fazit
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Gut gefallen haben mir zum einen Kings anschaulicher Stil, der die nüchterne Rationalität des Revolvermanns gut einfängt: Raue und kantige Männer à la Clint Eastwood mit einem guten Kern scheinen gar nicht weit entfernt zu sein. Western goes Fantasy!

Zum anderen ist es die unverkennbare Komplexität des Werkes: Die Jagd findet in einer Wüste statt, die offenbar zur Zukunft unserer Erde gehört, aber Roland selbst stammt offenbar von einer anderen Welt. Auch ein Junge aus dem heutigen New York spielt eine Rolle – der Leser verspricht sich ebenso wie Roland einige Antworten vom Dunklen Turm. Trotzdem bleibt die Lektüre relativ übersichtlich. Da lobt man sich seinen King.

Es gilt positiv zu vermerken, dass Heyne inzwischen \"Der Dunkle Turm\" mit auf den Titel genommen hat. Dessen Fehlen hat auf den ersten deutschen Ausgaben doch sehr gestört.

Achtung: Im Herbst kommt ein neuer Roman in diesem Zyklus auf den Markt!

Michael Matzer © 2002ff

Info: The Dark Tower: The Gunslinger; Heyne, Nr. 41/11 (Jumbo), München; 237 Seiten, DM 19,80, aus dem Amerikanischen übersetzt von Joachim Körber.


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-08-16 16:48:47 mit dem Titel Stephen King: *Der Buick*: Das Monster ist immer das Kult-Auto

Ein Kult-Oldtimer von 1958, ein sogenannter Buick 8, dezimiert die Polizeitruppe von Pennsylvania. Natürlich ist die Karre kein Auto, sondern ein außerirdisches Monster, und es rast auch nicht durch die Lande, sondern steht ruhig in seinem Schuppen. Doch diese Ruhe trügt natürlich...

Handlung
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Wie das Monster in die Welt kam
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Genau wie der Golem oder irgendein anderes unheimliches Wesen kam auch die Buick irgendwann in die hiesige Dimension. Das war 1979, an einer Tankstelle, und so erzählte es der Tankwart, Brad. Ein Mann in wehendem langem schwarzen Mantel und schwarzem Hut verlangte, dass sein Wagen betankt werden, während er zum Austreten ging - ein typischer \"niederer Mann\", wie er im King-Buch (in \"Atlantis\") steht.

Nur kam der unbekannte Finsterling nie wieder zurück, als der Tank des Wagens voll war (die Tankanzeige stand zu Anfang auf null - wie also war der Wagen überhaupt gefahren?). Und so mussten ihn die Jungs von der Pennsylvania State Police abschleppen. Ihr Maskottchen, der Hund Mister Dillon, merkt gleich, dass mit dem Wagen etwas nicht stimmt: Er rastet komplett aus und muss weggesperrt werden.

Das Monster macht Geschichten
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Rund 20 Jahre später steht die Karre immer noch im Schuppen B der Zentrale, wo die Abteilung Troop D eben jener Polizeitruppe ihr Hauptquartier und ihre Leitzentrale hat. Nun wird ein neuer Polizeianwärter in das Geheimnis um den Buick 8 eingeweiht. Es ist Ned Wilcox, der Sohn von Trooper Curtis Wilcox, der sich über die Jahre am besessensten und am wissenschaftlichsten mit dem Buick 8 befasste. Ned will herausfinden, warum sein Vater sterben musste. Der starb genau ein Jahr zuvor sinnlos auf der Landstraße, über den Haufen gefahren von eben jenem Tankwart Brad, bei dem der Buick 8 gelandet war.

Nun ist aber die Troop D eine \"große Familie\", wie die Erzähler selbst von sich sagen. Und jede Familie hat mindestens ein Geheimnis. Ihres ist der Buick. (Es gibt keinerlei Akten über das Auto.) Und der hat wohl Curtis, Neds Vater, auf dem Gewissen. Wieso? Weil das Vehikel natürlich kein Auto, sondern ein außerirdisches Lebewesen ist: Es übt eine psychische Anziehungskraft aus, die sich bereits für so manchen Trooper verhängnisvoll erwiesen hat. In dieser Hinsicht hat der Buick viel mit ES gemeinsam, dem Monster unter Derrys Straßen, das sich als Clown verkleidet, um kleine Kinder zu entführen. Und genau wie in \"ES\" ist auch eine verschworene Gemeinschaft nötig, um das Monster zu besiegen.

Die Erzählungen, die der junge Ned von der Polizeitruppe reihum hört, lassen ihn mit den Ohren schlackern. Es ist offensichtlich, dass der Buick kein Auto ist: Nicht nur sind alle Armaturen quasi Filmattrappen und das Lenkrad viel zu groß, sondern auch die ungeheuren elektromagnetischen Energieausbrüche, die \"das Ding in Schuppen D\" regelmäßig produziert, sind wohl keines irdischen Ursprungs. Sie lassen jedoch den Funkverkehr zusammenbrechen. Und machmal gebiert das Monster andere Monster.

Der Buick 8 ist nicht nur \"ein Rätsel, ein Mysterium, ein Wunder\", das jeden fasziniert, sondern auch ein Tor in eine andere Dimension, zu einer anderen Welt. Schon bald verschwindet ein Polizist, Ennis, später ein Delinquent, Brian Lipps - beide spurlos. Experimente mit dem selbsttätig sich öffnenden und schließenden Kofferraum ergeben, dass man nicht nur Sachen wegschicken kann; es kommen auch welche zurück. Curtis Wilcox, der Amateurwissenschaftler, seziert sie. Zu den Höhepunkten des Grauens gehört seine Obduktion eines fledermausartigen Wesens mit nur einem Auge. Und da auch die Leute am anderen Ende der Pipeline neugierig sind, taucht schließlich ein Außerirdischer höchstpersönlich auf...

Die Folgen der Geschichte(n)
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Das ist natürlich *nicht* das Ende vom Lied. Denn nachdem alle Geschichten erzählt sind, bleiben die Folgen nicht aus. Niemand kann solche Enthüllungen spurlos wegstecken, und ein junger Mensch wie Ned erst recht nicht. Es kommt zu einem zweiten Finale. Durch das Geschichtenerzählen wird die Vergangenheit wieder lebendig, mit Sinn erfüllt und so für jeden Zuhörer gerettet. Nun muss in Gestalt von Ned auch die Zukunft gerettet werden. Denn wie der Chef der Truppe, Sergeant Commanding Sandy Dearborn, eingangs sagt, besteht jedes Leben aus einer Kette - und am Ende wartet eine Schlinge...

Mein Eindruck
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Der Einbruch des Grauens ins Alltägliche
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Auf Seite 376 verrät uns King, um was es im Grunde geht: Um \"den Einbruch des Grauens ins Alltägliche\". Dieses Grauen geht von einem faszinierenden, im Grunde verehrungswürdigen Kult-Auto der fünfziger Jahre aus: \"Rätsel, Geheimnis, Wunder\", kurzum: Mysterium. Es ist die Aufgabe des Horrorschriftstellers, wahrscheinlich sogar jeden Autors, der auf sich hält, den Einbruch dieses Grauens ins Alltägliche so darzustellen, dass die Geschichte über das Wunder und das Grauen geglaubt wird, sondern dass der Leser sogar mit-leidet, wenn die Helden der Geschichte leiden, sterben oder siegen.

Der Kampf gegen den Unglauben des Lesers
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Doch das mit dem Glauben an das Wunder ist nie einfach: Die meisten Leser waren nie in Pennsylvania und viele gab es im Jahr 1979 noch gar nicht. Also erklärt King vieles, beschreibt vieles, bis sich schließlich dem Gewebe des Erzählten und der verschiedenen Erzähler (die von sich selbst in der 3. Person berichten, was zunächst recht ulkig wirkt) ein \"Eindruck\" von Wahrheit entsteht: Ja, so könnte es gewesen sein.

Der John Updike des Schauerromans
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King macht aber nicht bei gewöhnlichen Fakten wie etwa der Lektüre eines Tankwarts halt. Nein, er grabbelt im Fundus der Populärkultur der weißen Mittelschicht: welche Musik man hörte (Sinatra), welche Zukunftspläne man hat (Uni, Job, Ehe, Kinder usw.) und vor allem welchen Slang man spricht. Hier hat King ausgezeichnet recherchiert und ist dabei zu einem John Updike des Schauerromans geworden.

Science Fiction in kleinen Dosen
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Der Horror ist in kleinen Dosen zu verabreichen, weiß jeder Profi. Doch damit die Wirkung anhält, muss die Dosis stetig gesteigert werden. Und so werden die Dinge, die das Monster gebiert immer größer und unheimlicher, bis zur Ankunft des Aliens. Das ist eigentlich auch Science Fiction, und doch Horror in Reinkultur. Wichtiger ist aber die Spiegelung des Horrors in den Figuren, die mit ihm konfrontiert sind. Diese Polizisten sind meist schon abgebrühte Burschen und von Unfällen auf den landstraßen bereits einiges gewöhnt. Daher ist es umso interessanter mitzuerleben, was diese Jungs wirklich umhaut: fledermausähnliche Viecher zum Beispiel. Und in dieser Reflexion des Horrors erahnt der Leser das wahre Ausmaß dessen, was der \"Einbruch des Horrors in das Alltägliche\" wirklich in den Seelen und Köpfen derer, die damit konfrontiert werden, anrichtet. (Ich denke unter anderem an die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York City).

Das Ende des Romans zeigt: Das Grauen endet ja nicht damit, dass der Buick wieder mal eines seiner ensetzlich faszinierenden Blitzgewitter beendet, sondern dass derjenige, der den Horror erlebt hat, umkommt. Es mag wie ein Unfall oder wie Freitod aussehen, doch Sandy & Co. wissen: Es war das Monster.

Über Erzählkunst
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\"Der Buick\" mag als Horrorroman taugen oder auch nicht - einerlei. Mir hat das Buch gefallen, denn es vermochte mich stets zu interessieren und zu fesseln, bis zum Schluss. Man kann viel Schlechteres über ein Buch sagen.

Aber das ist nicht alles. King hat auch ein Buch über die Erzählkunst geschrieben und demonstriert seine Thesen, die er bereits in \"Das Leben und das Schreiben veröffentlichte, anhand einer packenden Story. Immer wieder erinnert das Konzert der Stimmen an die uramerikanische Erzählsituation: Man sitzt um das Feuer - im Cowboylager, zu Weihnachten im Familienkreis, in irgendwelchen Camps im Ausland oder in Vereinshinterzimmern - und erzählt einander die hochstapelndsten Stories, die einem einfallen: \"tall stories\" ist der Fachausdruck dafür.

Mehrmals bezeichnet Sandy Dearborn, das alter ego des Autors, das Konzert der Stimmen als \"Theaterstück\". Und am Schluss könnte das Stück \"Warten auf Godot\" heißen. Ned Wilcox ist stets der Zuhörer, der Empfänger, und die älteren Herrschaften sind der griechische Chor: \"Junge hör auf uns\", sagen sie unterschwellig, \"lass die Finger vom Monster - denn wir wissen, was es anrichtet.\"

In dieser archetypischen Situation reicht eine Generation den Stab weiter an die nächste. Aber damit dies auch wirklich gelingt, reicht es nicht, nur zu erzählen. Wie das zweite Finale zeigt, muss die ältere Generation handfest zupacken, ja sogar ihr eigenes Leben riskieren, um die Zukunft, die jüngere Generation zu retten. Denn wozu hätte man sonst gelebt und erzählt?

Unterm Strich
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Ich brauche nicht auf alle Erzähltricks einzugehen, die King anwendet, all die unscheinbaren Verzögerungen, Beschleunigungen und Steigerungen, mit denen er den Leser packt und steuert. Das hat jeder seiner Leser schon x-mal unterschwellig erlebt.
Und der Übersetzer auch dies bringt das kompetent ins Deutsche.

Feststeht für mich, dass \"Der Buick\" durchaus ein annehmbarer Horrorroman ist, der mit einem ungewöhnlichen Monster aufwartet, aber im bekannten Fahrwasser von ES, \"Christine\" und den B-Movies der 50er-Jahre-Science Fiction dahinschippert - und der dennoch am Schluss zu überraschen weiß. Für mich ist das nicht zu wenig.

Michael Matzer (c) 2002ff

Info: From a Buick 8, 2002; Ullstein 2002, Berlin/München; 496 Seiten, EU 22,00, aus dem US-Englischen übertragen von Jochen Schwarzer; ISBN 5-550-08353-X



----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-08-17 10:49:11 mit dem Titel *ES*: Pennywise sieht dich!

Kinder retten die Welt - und Kings Kinder retten ihn. Daher auch seine Widmung an sie, die ihn \"lehrten, frei zu sein\". Derrys Kinder retten nicht nur Derry, sondern die innere Welt jedes einzelnen, der dieses Buch liest. Wird der Leser dadurch gleichzeitig freier? Vielleicht verlieren sich ein paar Ängste auf dem Weg.

Warum ausgerechnet Kinder? Sie kommen in Kings Romanen und Erzählungen, z.B. in \"Stand by me/Die Leiche\" - häufig vor. Kindliche Vorstellungswelten und Phantasiebilder sind noch elementar und weitgehend ungetrübt bzw. überformt von der rationalen, auf logische Zusammenhänge ausgerichteten Denkweise, die die Erwachsenen als Schild gegen ihre Urängste übernehmen (ganz abgesehen davon, dass sie in der Schule dazu gezwungen werden). Bei Kindern entscheidet oft allein der Glaube über Dichtung oder Wahrheit. Es gibt das Ungeheuer im dunklen keller (oder unterm Bett), weil sie noch an kinderfressende Ungeheuer glauben. Kinder sind deshalb eher in der Lage, das Irreale zu akzeptieren - Erwachsene werden darüber wahnsinnig.

Deshalb sind es die Kinder, die ES sich als Opfer aussucht, weil ES von ihren Ängsten und Alpträumen lebt; aber es können auch nur Kinder sein, die ES schließlich besiegen.

Handlung
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Die Geschichte spielt in Derry, einer fiktiven großen Kleinstadt im US-Bundesstaat Maine. In Bangor/Maine lebt bekanntlich King himself. Die Story beginnt rückblickend im Jahr Oktober 1957, alss Bill Denbroughs kleiner Bruder George brutal getötet wird; Täter unbekannt. Bis zum Sommer 58 verschwinden weitere kleine Kinder, deren Leichen schrecklich zugerichtet aufgefunden werden.

In diesem Sommer bildet sich der \"Club der Verlierer\": sieben Kinder zwischen 10 und 11 Jahren, mit Bill als ihrem Anführer. Sie haben zwei Dinge gemeinsam: Sie sind der gnadenlosen Verfolgung durch eine Bande älterer Kinder ausgesetzt, und sie haben alle etwas Unbeschreibliches, Alptraumhaftes erlebt. ES hat sich den \"Verlierern\" in unterschiedlichsten Gestalten gezeigt, aber sein \"allgemeines\" Kostüm ist das eines Clowns (den Tim Curry im Film exzellent spielt) mit orangefarbenen Pompons und einem blutigrot geschminkten Mund, der ab und zu spitze Zähne offenbart.

Seltsame und entsetzliche Geschehnisse überzeugen die Kinder bald davon, dass sie nicht zufällig zusammengefunden haben. Sie wurden vielmehr mit Bedacht auserwählt, denn sie haben eine Pflicht zu erfüllen, eine schreckliche Pflicht: Sie müssen ES töten. In den Abwasserkanälen unter Derry kommt es zur (ersten) entscheidenden Auseinandersetzung.

Die zweite Handlungsebene setzt 27 Jahre später ein. Auslöser ist diesmal der Mord an einem Homosexuellen, dem im Verlauf des Frühjahrs 1985 weitere (Kinder-) Morde folgen. Schließlich greift Mike, einer der Original-Sieben, zum Telefonhörer. Er ist in Derry geblieben und hat auf SEIN Wiedererscheinen gewartet. Einem Schwur zufolge, den die Kinder vor 27 Jahren mit Blut besiegelt hatten, müssen sie alle nach Derry zurückkehren, wenn ES noch lebt.

Alle bis auf Stan folgen Mikes Ruf, obwohl sie inzwischen ihre Kindheit in Derry fast völlig vergessen haben. Nicht so Stan: In einem Anfall grenzenloser Panik begeht er Selbstmord. Die anderen machen in Derry eine Reise in die Vergangenheit. Die Parallelen zu damals sind unheimlich und furchterregend. ES hat sie zurückgerufen, um sich zu rächen. Werden die Erwachsenen noch einmal wie die Kinder von damals sein können, um heldenhaft zu vollbringen, was damals nicht gelang: ES endgültig zu vernichten?

King entrollt diese Geschehnisse in stetigen Sprüngen zwischen 1958 und 1985, so, wie sich allmählich die Erinnerungslücken der Erwachsenen schließen. Eingestreut sind Ereignisse aus der Geschichte Derrys, wie sie Mike, der Bibliothekar, in Erfahrung gebracht hat. Diese Seiten verhelfen dem Leser und der Spannungskurve zu dringend benötigten Verschnaufpausen.

Die letzte Episode hätte sich King aber besser gespart, denn die Glaubensbereitschaft des Lesers wird hier doch etwas überstrapaziert.

Mein Eindruck
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Dies ist nicht nur einer besten und bekanntesten Horrorromane, sondern natürlich auch ein Generationenporträt. Die Elvis-Presley-Ära wird der Reagan- und New Wave-Ära gegenübergestellt. King ist in beiden praktisch zu Hause und weiß sie auch auf den Punkt zu bringen.

Es, pardon: \"ES\" ist aber auch ein Science-Fiction-Roman. ES stammt ja keineswegs von der Erde, sondern wie die Monster in \"Desperation\", \"Regulator\" und \"Tommyknockers\" aus dem entferntesten Weltraum. (Armes Derry, das hat es nicht verdient, dass sich die Alien ausgerechnet im friedlichen Maine breitmachen!) An einer Stelle des Kampfes der Erwachsenen fühlt sich einer der Helden in das schwarze Vakuum hineingezogen, aus dem ES stammt.-

Der Special Effect der Zeitreise lässt sich vom Autor ganz einfach, aber unauffällig durch das Hin- und Herschalten zwischen den beiden Zeitebenen erzielen.

Übersetzung
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Noch ein Wort zur 1. deutschen Übersetzung: Es sollte sich herumgesprochen haben, dass man Gallonen, Fahrenheit und Fuß durchaus ins metrische System übertragen kann - unter einem 80 Grad Fahrenheit heißen Tag kann ich mir einfach nichts vorstellen. Diese Fehler wurden in der Überarbeitung durch Joachim Körber ausgemerzt.

Michael Matzer © 2000/2002ff

Info: IT, 1988; Heyne 1989 (2. Auflage), Nr. 01/8702, München; 1097 Seiten (ungekürzte Fassung), DM 24,80, aus dem US-Englischen übertragen von Alexandra von Reinhardt, bearbeitet & tw. neu übersetzt v. J. Körber; ISBN 3-453-06302-3


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-08-19 10:47:55 mit dem Titel *Riding the Bullet - Achterbahn*: sehr kurzer Schocker

Wir alle wissen, was Stephen King am Straßenrand nahe Bangor widerfuhr: Er wurde über den Haufen gefahren und landete schwer verletzt im Krankenhaus von Maine. Wie mochte er wohl den Fahrer des Unglücksautos gehasst und verwünscht haben, als er sich nach den Operationen im Krankenbett wiederfand. Ich schätze, mit \"Riding the Bullet\" hat er nicht nur dieses einschneidende Erlebnis kreativ verarbeitet und sogar für den Hass eine Lösung gefunden. Er konnte dem mittlerweile verstorbenen Unglücksfahrer vergeben. Zahlreiche Parallelen dazu in \"Riding the Bullet\" sollten also nicht allzu sehr verwundern.

Handlung
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Alans Mutter liegt 100 Meilen entfernt im zentralen Krankenhaus von Maine, und er will sie unbedingt besuchen, obwohl seine Studentenkarre im Eimer ist. Beim Trampen durch die Wälder erlebt Alan so einiges, das man sich nicht als Alltagsroutine wünschen würde. Da ist der alte Witwer, der sich dauernd mit seiner \"Affenklaue\" im Schritt kratzt, weil ihn sein Leistenbruch schmerzt. Und schließlich landet Al auch noch nächtens auf dem Friedhof – allerdings nicht als Leiche, sondern als Verletzter.

Was man mit einer Beule am Kopf so alles träumt... Zum Beispiel, dass man in einem 60er jahre Ford Mustang von einem Toten mitgenommen wird, der beim Rauchen Qualm aus den Stichen bläst, mit denen sein Kopf angenäht ist...

Geträumt oder nicht: Fakt ist, dass Al bei seiner Ankunft im Hospital einen Button am Revers trägt: \"Ich bin in Thrill Village, Laconia, mit dem BULLETT gefahren\". Zu dumm, dass Al nur einmal in Laconia, New Hampshire gewesen ist: Als kleiner Junge, begleitet von seiner Mutter. Doch weil ihm die Achterbahn dort Angst machte, benahm er sich wie ein Feigling, und seine Mutter versetzte ihm eine schmerzhafte Kopfnuss. An so etwas erinnert man sich sein Leben lang.

Und jetzt liegt sie im Krankenbett, mit einem Schlagfall, und Al denkt, sie ist tot, und er ist schuld. Klar, denn der Tote im Mustang war sein Alter Ego, und es stellte ihn vor die Wahl: Wenn ich dich hinbringen soll, musst du wählen: Wer soll leben – du oder deine Mutter? Und nun, als Alan vor dem Zimmer steht, in dem seine Mutter liegt, weiss er es einfach...

Fazit
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Stephen King hat eine wunderbare Geschichte über Schuld, Angst und Versöhnung geschrieben. Sie lässt einen auch nach der Lektüre nicht mehr los. Ständig hat man diese Szene im Mustang des Toten im Sinn. Sie hat ihr Gegenstück in der Szene, als Alan an das Krankenbett seiner Mutter treten muss. Dazwischen liegt ein ganzes Leben, ein Alptraum, eine immense Spannung, die diesem kurzen Stück Prosa seinen besonderen Reiz verleiht.

Michael Matzer © 2000ff

Info: Riding the bullet, 2000; Ullstein, 2000, Nr. 25121, Berlin; 95 Seiten, DM 7,90, aus dem US-Englischen übertragen von Edith Pänke; ISBN 3-548-25121-8


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-08-24 18:53:49 mit dem Titel S.King: *Stark - The dark half*: Unheimliche Spaltung und Spannung

King oder Bachman – diese Frage stellten sich die Fans nicht mehr, seitdem sich der Meister aus Maine selbst outen musste. In dem Roman \"Stark\" greift er die schizophrene Seite dieser Dualität mit souveräner Kreativität auf.

Handlung
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Der mit Qualitätsliteratur relativ erfolglose Schriftsteller Thad Beaumont schreibt unter dem Pseudonym \'George Stark\' gängige, kommerziell sehr erfolgreiche Actionromane, zum Beispiel \"Machine\'s Way\". Er kann daher seine Familie gut ernähren. Als man ihm auf die Schliche kommt, lüftet er als Präventivangriff sein Pseudonym und begräbt sein anderes Ich als Werbegag auf dem Friedhof von Castle Rock, Maine (dem Staat, in dem auch King lebt).

Doch damit hat sich die Sache beileibe nicht erledigt: Stark wühlt sich aus der Grabestiefe ans Licht, die dunkle Hälfte Thads hat sich quasi verselbständigt. Als erstes beginnt George, die für sein Ableben Verantwortlichen zur blutigen Rechenschaft zu ziehen. Doch Starks körperlicher Verfall lässt sich nur aufhalten, wenn Thad wieder zur Feder greift und einen neuen, sechsten Stark-Roman zu Papier bringt. Hier spielt das Alter Ego sozusagen den Fan aus \"Misery\" (\"SIE\").

Dummerweise weigert sich Thad jedoch, will er doch das mordende Monster endlich los sein. Alles kulminiert in der finalen Auseinandersetzung zwischen Stark und Thad, in der die den ganzen Roman gleichsam als roter Faden durchziehenden Sperlinge eine wichtige Rolle spielen. Das Ende soll hier aber nicht verraten werden. (Leute, die die Verfilmung von George Romero kennen, wissen eh, wovon die Rede ist.)

Fazit
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Gegenüber den Vorgängern wie \"Das Monstrum\" und \"SIE\" zeichnet sich \"Stark\" durch viel tiefere, detailliertere Zeichnung der Charaktere aus, die in der psychologisch motivierten Handlung auch entsprechend zum Tragen kommen kann. Durch das Motiv der Sperlinge als Seelenbegleiter erhält die Gegenüberstellung der Figuren noch den rechten mystischen Dreh.

An gewisse Werke des Splatterpunk erinnern lediglich die blutigen Mordszenen, die George Stark auf seinem Rachefeldzug reichlich verursacht. Schwache Mägen gehen hier kurz mal auf die Toilette. Ziemlich in den Hintergrund gerät hingegen die Beschreibung der Schauplätze, die doch sonst so ausladend ausfiel. Das führt dazu, dass sich der Leser sehr stark (ähem!) auf die beiden Hauptfiguren konzentrieren kann.

King schildert intensiv und gefühlsgeladen, wenn auch nicht 100prozentig überzeugend die Lage Thads, der \"guten Hälfte\" des Menschen, sozusagen Dr. Jekyll. Hilflos muss er die Morde an Bekannten, die Entführung seiner Frau und Kinder sowie die Machtlosigkeit der Polizisten miterleben. Ja, er wird sogar selbst zur Zielscheibe ihrer Verdächtigungen. Eher eine Überraschung stellt das all diese Rätsel auflösende Finale dar. Es rutscht stellenweise in Pathos ab. Aber das ist mir lieber gewesen als unangebrachte Komik (\"bathos\").

Und was lernen wir daraus: man sollte es sich beizeiten überlegen, bevor man \"Qualitätsliteratur\" zu produzieren versucht. Man sieht ja, wohin dies führen kann.

Michael Matzer © 2002ff

Info: Stark - The dark half, 1988; Heyne 1998, München; 520 Seiten, aus dem US-Englischen übertragen von Christel Wiemken; ISBN 3-453-?


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-09-05 19:17:01 mit dem Titel Stephen King: *Nachtschicht*: Rasenfressende Monster

Dies ist Stephen Kings erste Sammlung von Stories überhaupt - und wohl auch die wichtigste, denn sie umfasst beinahe alle Werke des Meisters, die er in seiner Anfangszeit schrieb. Das Qualitätsniveau ist leider recht unterschiedlich.

Eines der besseren Werke dürfte wohl \"Die Kinder des Zorns\" (es wurde mies verfilmt; den Film setze ich als bekannt voraus) sein, ebenso wie \"Quitters, Inc.\", ein psychologischer Schocker. Darin versucht ein Raucher sich mit rabiaten Methoden sein Laster abzugewöhnen.
King wäre nicht King, wenn er nicht auch makabre Stories geschrieben hätte.

Auch \"Der Rasenmähermann\" wurde bekanntlich verfilmt. King lässt hier ein grünes Monster den rasen eines Bürgers abfressen. Leider ist sein Appetit nicht zu zügeln und so frist es noch ganz andere Dinge.

Monster, Mörder, Psychopathen, Hausfrauen, Geschäftsleute und Otto Normal – um solche Figuren drehen sich Kings Geschichten. Die meisten von ihnen sind in raffinierte Handlungen verwickelt, doch leider findet sich auch die eine oder andere dümmliche oder nichtssagende Geschichte.

In seinem Vorwort verrät der Meister viel über seine spezielle Art und Weise zu denken und zu schreiben. Der Verlag brachte neben diesem großformatigen Paperback auch eine gediegene Hardcover-Ausgabe in schwarz und rot heraus

Fazit

Ein interessanter Blick in die Werkstatt Stephen Kings, wie sie in frühen Jahren aussah. Vieles davon wurde verfilmt, nun kann man nachlesen, was die Regisseure jeweils falsch gemacht haben. Insgesamt reicht das Buch immer noch eine oder zwei wohlig durchschauerte Nächte.

Michael Matzer © 2000/02ff

Info: Nighshift, 1986; Bastei-Lübbe 1987, Bergisch Gladbach; 416 Seiten, aus dem US-Englischen übertragen von diversen Übersetzern; ISBN 3-404-28xxx-x


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-09-06 08:38:30 mit dem Titel Stephen King: *Das Leben und das Schreiben*: So werde ich Bestsellerautor?!

In gewisser Hinsicht hat hier einer der erfolgreichsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts seine wichtigsten Einsichten zusammengefasst. Es ist ein persönliches, geradezu intimes Buch, andererseits aber auch ein Sachbuch mit hervorragenden Ratschlägen für angehende Schreiber.

Inhalte
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Nach drei Vorwörtern legt King endlich los: mit einem von zwei biographischen Teilen. Die Zweiteilung rührt natürlich von jenem schmerzhaften und einschneidenden Unfall im Sommer 1999 her. Davor hatte King bereits rund 50-60 Prozent des Buches fertig, vor allem den ersten Teil.

Er erzählt zunächst, wie er überhaupt dazu kam, Geschichten zu mögen, viel zu lesen und schließlich selbst welche zu erfinden und festzuhalten. Seine Mutter bestärkte ihn darin ebenso sehr wie es später seine Frau Tabitha tun sollte. Die Episode, wie sein erster veröffentlichter (nicht geschriebener) Roman \"Carrie\" entstand, ist schon häufig erzählt worden – ich brauche sie nicht nochmals wiedergeben. Interessanter ist da schon, wie er sein Handwerk verbesserte, etwa indem er als Sportreporter bei der Lokalzeitung arbeitete und zudem richtiges Redigieren lernte. Weitere Tipps bekam er von ablehnenden Lektoren der Zeitschriften, denen er seine Stories anbot (\"2. Fassung = 1. Fassung minus 10%\" und dergleichen).

An diese Ratschläge hält sich King noch heute.
Sodann erklärt er, was Schreiben ist: \"Telepathie natürlich\". Und er weiß diese erstaunliche Auffassung gut zu begründen. Im folgenden Teil beschreibt er den Inhalt der drei Ebenen des \"Werkzeugkastens\" eines Schriftstellers. Dazu gehören natürlich allen voran die Sprache, die Grammatik und die Stilistik. Für ihn ist die kleinste Bucheinheit nicht das Wort oder der Satz, sondern der Absatz.

Der folgende teil \"Über das Schreiben\" ist sicherlich der wichtigste, wenn man selbst schriftstellerische Ambitionen hat – und die werden wohl die meisten Käufer dieses nicht ganz billigen Buches mitbringen. Alle von Kings Ratschlägen sind brauchbar, manche sogar genial. Häufig hebt der frühere Englischlehrer den Finger, hebt sogar das Verbotsschild in die Höhe, doch die häufig eingesetzte Selbstironie schwächt diese wichtigtuerischen Posen immer wieder ab.

Ich selbst kann zahlreichen von Kings Ratschlägen nur zustimmen, schließlich habe ich selbst über zehn jahre in Schreibwerkstätten und –seminaren (auf deren Nutzen geht er selbstverständlich ebenfalls ein) verbracht und meine Sachen vorgelesen und begutachten lassen. Nie jedoch wurden mir dort solche gut begründeten Tipps gegeben.

Eine Kostprobe: Vermeide Adverben wie die Pest! Adverben fügen einem bereits vorhandenen verb oder einer Äußerung nur einen unterstreichenden Aspekt hinzu, sind also von vornherein relativ überflüssig, es sei denn, das Adverb erweitert die bedeutung des Verb oder der Äußerung. Adverbialkonstruktionen kann man natürlich zu einem Stilmerkmal machen (wie die \"Swifties\"), man kann es damit auch übertreiben und so einen ironischen Effekt erzielen.

Natürlich gibt es in der Prosa noch zahlreiche weitere Falltüren, die es aufzuspüren und zu vermeiden gilt. King bietet angehenden Autoren auch in ihren Publikationsbemühungen Hilfe an: Man darf ihm bestimmte Manuskripte an www.stephenking.com schicken. Er warnt vor gierigen Agenten und tückischen Verlagsverträgen (etwa bei Doubleday!). Eine Leseliste bietet weiterführende Tipps zu Büchern, die der Meister gut findet oder fand. Dazu gehört v.a. seine Stilbibel \"Elements of Style\".

Absolut erschütternd ist hingegen der zweite Teil seiner Biografie zu lesen, also der Unfall selbst, bei dem er fast starb, und die Zeit der Rekonvaleszenz bis zu jenem Tag, an dem er wieder an diesem Buch schreiben konnte.

In einem der Nachträge kann man dem Meister über die Schulter schauen. \"Siehst du: So sah die 1. Fassung der Story aus – und jetzt schau her: So sieht die 2. Fassung aus.\" Er begründet die Änderungen und macht so deutlich, worauf es ihm bei seinem Handwerk ankommt. Diese Story ist unter dem Titel \"1408\" in der Hörbuch-Trilogie \"Blut und Rauch\" zu finden, die es ebenfalls bei Ullstein gibt.

Mein Eindruck
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Dieses lehrreiche Buch gibt nicht nur durch Erfahrung erworbene und erprobte Ratschläge an Jungautoren, sondern erzählt auch viele Geschichten – nicht zuletzt natürlich Kings eigene, die sehr interessant ist, aber auch die vieler anderer Leute (seine Familie, seine Frau, die Schulen, die Verleger usw.).

Für Bücherwürmer wie mich sind auch Kings Bemerkungen über andere Schriftsteller und ihre Produkte sehr wertvoll. Sie erfüllen fast die gleiche Funktion wie eine Rezension. Dabei scheut der Autor auch nicht vor handfester, aber berechtigter Kritik zurück. Er hat eben seinen Standpunkt und weiß ihn gewohnt eloquent zu vertreten.

Auf jeden Fall ist das Buch sehr kurzweilig zu lesen, sofern man sich für das Schreiben und die Vorgänge dabei interessiert. Andere leser dürften v.a. von den biografischen Teilen profitieren.

Michael Matzer © 2002ff

Info: On Writing, 2000; Ullstein 2000, München; 333 Seiten, DM 38,00, aus dem US-Englischen übertragen von Andrea Fischer; ISBN 3-550-07143-4


----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-09-11 15:15:46 mit dem Titel Stephen King: *Das Mädchen*: Rotkäppchenhorror, aber gut erzählt

Dieses Buch gibt es in einem weißen und in einem schwarzen Umschlag. So oder so trifft man eine gute Wahl - ein großartiges Leseerlebnis wartet auf euch.

Handlung
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Die neunjährige Patricia McFarland geht auf einer Wanderung durch die westlichen Wälder und Vorberge Maines verloren. Eigentlich wollte sie ihrer Mutter und ihrem Bruder Pete, die sie vor lauter Streit nicht mehr an Trishas Existenz zu erinnern schienen, nur eins auswischen: Schaut, ich bin weg - macht euch in die Hosen vor Angst um mich! Es ist wie ein kleiner Selbstmord.

Doch aus dem kleinen Abstecher wird bitterer Ernst, als sich Trisha immer weiter im undurchdringlichen Urwald verliert, aus dem kein Weg herauszuführen scheint. Bis zu ihrer Rettung 30 Meilen weiter im Westen verliert sie mehr als zehn Kilo von ihren mageren 44 Kilo!

Mutterseelenallein kämpft sie sich durch eklige Sümpfe und Schwärme von Stechmücken. Und ein wildes Tier schleicht wie ein Gespenst um sie herum. Schließlich hat sie Visionen, so etwa vom Gott der Verirrten, der aus Wespen zu bestehen scheint.

Einzig und allein ihr Walkman-Radio bewahrt sie vor dem Durchdrehen aus völliger Verzweiflung. Sie hört die Reportagen von Baseballspielen in Maine. Zu den Red Sox gehört ihr verehrter Lieblingsspieler Tom \"Flash\" Gordon. Sie trägt eine von ihm signierte Baseballkappe. Nach mehr als einer Woche, völlig entkräftet, beginnt er sie zu begleiten. Er erklärt ihr, wann ihre letzte Chance, dieses Todesspiel für sich zu entscheiden, gekommen ist: \"Gott erscheint immer erst in der zweiten Hälfte des neunten Durchgangs\", also kurz vor Schluß. Und so kommt es, daß sich Trisha in einer schier übermenschlichen Anstrengung das Leben bewahren kann.

Mein Eindruck
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Das Leben als tödliches Baseball-Match? Für die kleine Trisha schon. Und wie viele kleine Kinder reißen von zu Hause aus, weil ihre Eltern geschieden sind und sie die Trennung unerträglich finden, nur um dann in der Drogenszene oder Prostitution zu enden? Das Leben hat Zähne, und es beißt zu, wenn man es am wenigsten erwartet - diese Lektion bekommt Trisha am eigenen Leib zu spüren.

Hier nimmt sich Stephen King ohne allzu viel Spezialeffekte des Schicksals der Opfer von gescheiterten Beziehungen an. Die Kinder sind zudem die schwächsten Opfer. Geliebte Idole wie Tom Gordon helfen offenbar nach Kings Meinung, einiges zu überstehen. Tom erzählt Trisha nicht nur vom Leben, sondern auch von Gott. Der hilft dir nur, wenn du bereit bist, dich nicht selbst aufzugeben. Und das schafft das kleine Mädchen - mit knapper Not. Der Glaube an Gott steht ihrer Neigung entgegen, sich der Lockung des Gottes der Verirrten zu ergeben: der Verzweiflung durch das Aufgeben der letzten Hoffnung. So findet in ihr der ewige Kampf um das Festhalten an einem Sinn für das eigene Leben statt, den jeder ausfechten muß.

Trishas ist mit Sicherheit die glaubwürdigste weibliche Figur, die King je geschaffen hat. Seine Prosa war selten angemessen und wirkungsvoll, auch wenn ab und zu auktoriale Absätze mit Erklärungen eingeschoben sind. Er scheut sich nicht, die peinlichsten Situationen zu schildern und bricht (nur amerikanische?) Tabus, wenn er ein kleines weißes Mädchen Wörter wie \"Scheiße\", \"Zum Teufel\" und sogar \"Fuck\" sagen läßt. Die deutsche Übersetzung von Wulf Bergner (ausnahmsweise mal nicht Joachim Körber) nimmt ebenso kein Blatt vor den Mund. So geht nichts von der sprachlichen Wucht des Textes verloren, der sich kein Leser entziehen kann.

Eins steht für mich fest: Wer beim Lesen dieses Buches nicht ins Lachen, Zittern und Weinen kommt, dessen Herz steht unter Vollnarkose.

Michael Matzer © 2002ff

Info: The Girl who loved Tom Gordon, 1999; 302 Seiten, aus dem US-Englischen übertragen von Wulf Bergner, München, Schneekluth, 2000, ISBN 3-7951-1740-2

----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-12-13 17:50:09 mit dem Titel St. King: *Die Verurteilten*: Spannender Knastausbruch

Wie schafft man es, 27 Jahre lang Gefängnishaft durchzuhalten, die man unschuldig verbüßen muss, und dann doch noch gegen alle Wahrscheinlichkeit auszubrechen? Stephen King gibt die Antwort, doch die Erklärung ist sehr lang und vielschichtig geraten.

Auch wer die Verfilmung der Geschichte gesehen hat, wird dem Hör-Buch selbst noch etwas abgewinnen können: Die Filmemacher haben nämlich zahlreiche Aspekte und Details verdreht, verzerrt, verdichtet und fast bis zur Unkenntlichkeit verändert. Nur die Grundstory ist die gleiche.

Der Autor

Stephen King, geboren 1947 in Portland/Maine, begann schon in jungen Jahren mit dem Schreiben. Inzwischen ist sein Name gleichbedeutend mit guter, wirkungsvoller Horrorliteratur. Fast jedes seiner Bücher ist verfilmt worden, angefangen bei \"Carrie\" bis hin zu \"Der Sturm des Jahrhunderts\" und \"Dreamcatcher/Duddits\".

Die vorliegende Novelle \"Die Verurteilten\" aus dem Band \"Frühling, Sommer, Herbst und Tod\" - sie ist die Frühlings-Erzählung - wird ungekürzt gelesen. Ihre Verfilmung durch Frank Darabont wurde für einen Oscar nominiert.

Der Sprecher

Lutz Riedel, Synchronregisseur und Synchronsprecher u.a. von Samuel L. Jackson, liest Die Verurteilten wirklich fesselnd und nuancenreich.

Handlung
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Der Investmentbänker Andy Dufresne (sprich: dü\'frähn) wird 1947 wegen Mordes an seiner Ehefrau und ihrem Liebhaber zu lebenslänglich verurteilt. Man schickt ihn in das Gefängnis Shawshank, wo er Red kennenlernt, der uns von ihm erzählt. Red ist derjenige, der alles, was ihm vernünftig erscheint, \"organisieren\" kann. Wenn Red von Andy erzählt, dann erzählt er auch seine eigene Geschichte. Denn sein Schicksal ist an das von Andy gebunden.

In Shawshank gilt der intellektuelle, studierte Banker und Geologe als Einzelgänger. Er scheint einen Mantel zu tragen, der ihn von allen anderen Insassen trennt. Es ist der Mantel der Hoffnung. Denn Andy Dufresne arbeitet 27 Jahre lang, bis 1975, an einem ungewöhnlichen Gefängnisausbruch, bei dessen Vorbereitung mehrere Poster mit Pinup-Girls, die nacheinander in Andys Zelle hängen, eine entscheidende Rolle spielen...

Mein Eindruck

Die ungekürzt gelesene Erzählung unterscheidet sich in zahlreichen Punkten von der weitaus bekannteren Filmfassung, in der Tim Robbins Andy Dufresne und Morgan Freeman den Chronisten Red spielen. Das Filmdrehbuch schneidet die ganze handlung auf den Konflikt zwischen Andy und dem System zu, welches in der Gestalt eines einzigen Gefängnisdirektors, Mr. Norton, personifiziert ist. In der Erzählung erlebte Andy natürlich eine ganze Reihe von Direktoren. Er hatte sogar einmal einen Zellengenossen. Der beklagte sich über die Zugluft in Andys Zelle...

Die Erzählung ist also zwar etwas komplizierter als der vereinfachende Film, doch der Spannung am Verfolgen der Ereignisse im Shawshank-Gefängnis tut dies keinen Abbruch. Im Gegenteil: Man hat noch mehr davon, sich in die Gedankengänge von Andy Dufresne hineinzuversetzen, so wie es Red, der Chronist, tut.

Und das ist der eigentliche Witz dabei. Hierdurch erst wurde mir klar, welche Rolle seine Geologenkenntnisse für Andys Geduld spielten: Wenn es um Geologie geht, so Andy zu Red, dann kommt es alles auf den Druck an - und auf die Zeit. Beides hatte Andy in reichlichem Maße, wie sein erfolgreicher Ausbruch beweist. Und als Geologe dachte Andy in sehr langen, eben geologischen Zeiträumen.

Aber er hätte andererseits mit seinem Ausbruch nicht länger warten dürfen, denn der Fluchtweg sollte umgebaut werden: die Abwasserkanäle für Block 5. So kam er gerade noch rechtzeitig raus. Und er sorgte dafür, dass auch Red den Weg zu ihm fand. Hoffnung, so lernen wir, ist eine schöne und wichtige Sache. Doch oft muss man ihr ein wenig nachhelfen.

Der Sprecher

Lutz Riedel versteht es ausgezeichnet, die Knackpunkte eines komplizierten Sachverhaltes - und davon gibt es etliche - herauszuarbeiten, so dass der Hörer noch mitkommt. Auch muss man sich reichlich viele Namen merken. Jeden davon betont Riedel mit einer Kunstpause davor. Auch seine Intonierung der Sätze ist bewundernswert gelungen. Er singt zwar nicht (bewahre!), aber es ist schön anzuhören, wie er die Sätze zu einem Kunstwerk aufbaut, bis die gewünschte Wirkung erzielt ist.

Unterm Strich

Stephen Kings Erzählung \"Die Verurteilten\" gehört zu seinen schönsten und wirkungsvollsten. In der Lesung von Synchronsprecher Lutz Riedel gerät sie zu einem Drama, dem man gespannt lauscht.

Michael Matzer (c) 2002ff

Info: Different Seasons: Pin-up, 1982; LübbeAudio 10/2002, Bergisch Gladbach; übersetzt von Harro Christensen; 288 Minuten auf 4 CDs, im Doppelpack EU 49,90, ISBN 3-7857-1223-5

Im Doppelpack mit der Erzählung \"Der Musterschüler\" enthält diese CD-Box bereits die 1. CD der 2. Erzählung. Also bitte nicht trennen!

----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2002-12-15 13:47:02 mit dem Titel St. King: *Der Musterschüler*: Ein US-Junge wird Nazi und mordet

Diese Geschichte erzählt nicht nur die seltsame \"Hassfreundschaft\" zwischen einem alten Nazi und einem jungen Amerikaner. Sie beschreibt, wie sich der Geist des Rassenwahns und der Unmenschlichkeit aufgrund der Faszination, die er auf unvorbereitete Menschen ausübt, fortpflanzen kann. Der Autor warnt davor, wozu die entsprechende Indoktrination führt: Zuerst müssen die Hilf- und Wehrlosen dran glauben - und dann?

Der Autor

Stephen King, geboren 1947 in Portland/Maine, begann schon in jungen Jahren mit dem Schreiben. Inzwischen ist sein Name gleichbedeutend mit guter, wirkungsvoller Horrorliteratur. Fast jedes seiner Bücher ist verfilmt worden, angefangen bei \"Carrie\" bis hin zu \"Der Sturm des Jahrhunderts\" und \"Dreamcatcher/Duddits\". Die Novelle \"Der Musterschüler\" wird hier ungekürzt gelesen.

Die Sprecher

Oliver Rohrbeck ist als Theaterschauspieler und Synchronsprecher bekannt geworden. Er machte sich v.a. in der Hörspielreihe \"Die drei ???\" einen Namen. Er leiht dem Musterschüler Todd Bowden seine Stimme.

Till Schult, ein erfolgreicher Schauspieler und Sprecher, interpretiert hintergründig und flexibel den Lagerkommandanten Kurt Dussander: Man brüllt er demütigend, mal flüstert er einschmeichelnd. Er ist der ideale Gegenspieler, der den Hörer in seinen Bann zieht. Seine Stimme ist weitaus tiefer als die für \"Todd Bowden\".

Handlung

Das Böse übt auf Todd Bowden eine gewisse unheilvolle Faszination aus. Der nette, aufgeweckte Junge von 13 Jahren sucht den Kontakt zu einem ehemaligen Lagerkommandanten der Nationalsozialisten, den er nach dem Durchstöbern von Zeitungsberichten zufällig auf der Straße erkennt. Er erpresst den alten Mann: Wer er ihm nicht zu Willen sei, werde er ihn an die Nazijäger aus Israel und Wien verraten. Der Alte muss zähneknirschend einwilligen, doch er wartet auf seine Chance.

Von Kurt Dussander alias Arthur Denker lässt sich Todd die Verbrechen im Konzentrationslager des ehemaligen Kommandanten haargenau schildern. Er bekommt davon Alpträume, die auch erotischer Natur sind. Seine Schulzensuren gehen in den keller. Immer mehr gerät er in den Strudel der Sucht nach Macht und in die Gedankenwelt des Dritten Reiches. Bis er selbst zu morden beginnt.

Inzwischen hat Dussander eine Handhabe gegen Todd gefunden. Er werde ihn nach seinem Tod verraten, weil er der Polizei nichts von dem gesuchten Kriegsverbrecher Kurt Dussander erzählt habe, wie es Todds Pflicht gewesen wäre. Und Dussander geht noch weiter: Er rettet Todds Zensuren durch strenge Anleitung zum Lernen und durch ein Gespräch mit dem zuständigen Rektor, Ed French. Hier tritt Dussander sogar als Todds Großvater auf.

Die Jahre vergehen. Todds Bekanntschaft mit Dussander begann im Jahr 1974. Mehrere jahre später hat er nun einen guten Schulabschluss hingelegt und soll nun in die Footballmannschaft von Santo Donato, seinem Heimatort, aufgenommen werden, eine besondere Ehre. Doch sein Foto in der Zeitung bringt gewisse Leute auf seine Fährte.

Denn was soll man von der anhaltende Mordserie an Pennern und Landstreichern in der Gegend um Santo Donato halten? Als Dussander einen Herzinfarkt erleidet, bricht das unsichtbare Geflecht aus Erpressung und Schutz, das Todd und Dussander aneinander band, zusammen. Todd, der eine glänzende Karriere nach einem Collegeabschluss vor sich gesehen hatte, sieht seine Zukunft gefährdet. Als auch noch Polizei, Nazijäger und Ed French bei ihm auftauchen, brennen bei ihm die Sicherungen durch.

Mein Eindruck

Mit 511 Minuten Länge ist diese Erzählung schon keine Story mehr, sondern ein ausgewachsener Roman. Dafür spricht auch, dass hier nicht nur die Perspektive von ein oder zwei Figuren im Mittelpunkt steht, sondern auch Nebenfiguren wie Todds Eltern oder Ed French mit langen Szenen bedacht werden. Das kommt in Kurzgeschichten recht selten vor und ist eher das Vorrecht eines Romans.

Gespannt verfolgt der Zuhörer, wie sich die beiden Hauptfiguren kennenlernen, sich eine psychische Bindung entwickelt und wie sie sich schließlich gegenseitig erpressen: ein klassischer \"double-bind\", der eine stabile kriminelle Partnerschaft gewährleistet. Doch als eine der beiden Seiten (Dussander) geschwächt wird und ausfällt, beginnt das auf dieser Konstruktion errichtete Leben von Todd Bowden auseinanderzufallen.

Es ist dies das Leben eines Serienkillers. Todd hat seine Opfer, die Landstreicher und Obdachlosen, das Äquivalent zum \"lebensunwerten Leben\" der Nazis, systematisch umgebracht, um ein Ventil für seine Gewaltfantasien und seinen Hass auf den alten Lagerkommandanten zu finden. Dass der alte Knacker schlauer und skrupelloser ist als er, der amerikanische, wohlausgebildete Junge, wurmt Todd ganz besonders.

Obwohl er sich selbst für clever genug hält, um die am Ende bei ihm aufkreuzende Polizei zu überlisten, macht er doch kleine Fehler, die den Polizisten stutzig machen. Sein Selbstbewusstsein, das ihm erlaubt, Hilflose abzustechen, ist zu übersteigert, um ihn daran zu hindern, vorsichtig zu sein. Seine Überheblichkeit, die er wie ein echter Nationalsozialist oder Lagerkommandant entwickelt und kultiviert hatte, wird ihm doch noch zum Verhängnis.

Denn Todd ist ein Nazi geworden. Nicht dem Namen nach natürlich, aber im Geiste. Und das bedeutet, dass die Ideologie der Nazis, ihr Rassenwahn und ihre Überheblichkeit, prinzipiell überall in den Vereinigten Staaten Wurzeln schlagen können. Sie haben dies in der tat bereits getan: Die meisten \"arischen\" Publikationen im Internet stammen laut Dokumentationen aus den USA. In Oregon und Idaho existieren rechtsgerichtete Gruppierungen und sogar bewaffnete Milizen, die vom FBI (angeblich) scharf beobachtet werden. (Der Roman \"Ausgeliefert\" von Lee Child beschreibt ein solches Milizenlager ausführlich als Schauplatz der actionreichen Handlung; siehe dazu meinen Bericht).

Der Sprecher

Till Schulte spricht die Szenen, in denen die Perspektive des Alten, Kurt Dussanders, bestimmend ist. Es kommen also auch andere Figuren zu Wort, besonders Todd. Seine tiefe Stimme ist beeindruckend, fein moduliert und der jeweiligen Figur angemessen. Das, was er ruhigen Tones schildert, lässt einem manchmal die Haare zu Berge stehen.

Oliver Rohrbeck, der die Perspektive Todds spricht, ist ein ganz anderes Kaliber. Nicht nur ist seine Stimme angemessen höher, aber es fehlt ihm auch hörbar an Erfahrung (oder ausreichend Übung), um jeden Satz optimal zu betonen. Außerdem hat er Mühe, französische und spanische Wörter korrekt auszusprechen (aber das ist bei vielen Sprechern so, selbst noch bei englischen Wörtern).

Unterm Strich

\"Der Musterschüler\" ist ein Hörbuch für die Geduldigen. Wie eingangs gesagt, beinhaltet die romanartige Erzählung eine Warnung des Autors an den Leser/Hörer, gewissen Ereignisse der jüngsten Geschichte nicht zu vergessen. Sonst werden sie unweigerlich wiederholt.

Die Qualität der Sprecher erscheint mir höchst unterschiedlich. Während Till Schulte eine erfahrener Profi ist, so muss Oliver Rohrbeck noch hart an seinem zweifellos vorhandenen Können arbeiten, um die gleiche Meisterschaft zu erlangen.

Hinweis

Die Beschreibungen von gewalttätigen und sexuellen Szenen machen die Hörbücher \"Der Musterschüler\" und \"Die Verurteilten\" nicht für Jugendliche unter 16 Jahren geeignet.

Michael Matzer (c) 2002ff

Info: Different Seasons: Apt pupil, 1982; LübbeAudio 10/2002, Bergisch Gladbach; übersetzt von Harro Christensen; 511 Minuten auf 7 CDs, EU 49,90 im Doppelpack mit \"Frühling: Die Verurteilten\", ISBN 3-7857-1223-5

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