Nachtzug nach Lissabon (gebundene Ausgabe) / Pascal Mercier Testbericht

Plötzlich war Urlaub und ein Buch musste her. Bei dem Gedanken an Urlaub überkommt mich immer ein Gefühl von unendlich viel Zeit und Entspannung, Zeit zu lesen, was man sonst viel zu selten tut. Meine Frau brachte mir, dann auch zum richtigen Zeitpunkt ein Buch mit von dem ihre Kollegen meinten es sei gut.

Autor:
=====

Pascal Mercier, 1944 in Bern geboren, ist Professor für Philosopie an der Freien Universität Berlin. Für sein Romanwerk wurde er mit dem Marie Luise Kaschnitz.Preis 2006 ausgezeichnet.

ISBN: 978-3-442-73426-8
9,50 Euro
btb Verlag

Weitere Bücher:
Perlmanns Schweigen
Der Klavierstimmer

Klappentext:
==========

Mitten im Unterricht steht der Lateinlehrer Raimund Gregorius auf und verlässt seine Klasse. Aufgeschreckt vom plötzlichen Gefühl der verrinnenden Zeit, lässt er sein wohlgeordnetes Leben hinter sich und setzt sich in den Nachtzug nach Lissabon. Im Gepäck hat er ein Buch von dem Portugiesen Amadeu de Prado, dessen Ausführungen über das Leben, über Liebe, Einsamkeit, Endlichkeit, Freundschaft und Tod ihn nicht mehr loslassen. Er macht sich auf die Suche nach den Spuren dieses faszinierenden Menschen. Langsam meint Gregorius zu ahnen, wer der Schriftsteller war. Doch was hat das für Konsequenzen für sein eigenes Leben? Kann man denn einfach so ausbrechen und alles Gewohnte hinter sich lassen? Dieser Roman ist ein vielstimmiges Epos von einer Reise nicht nur durch Europa, sondern auch durch unser Denken und Fühlen.

Inhalt:
=====

Der Aufbruch:
------------------

Raimund Gregorius ist auf seine Art ein „Perfekter“ Mensch. Er braucht für sein tägliches Leben Ordnung und Sicherheit. Der Tagesablauf ist fast immer gleich. Er ist Lehrer an einem Berner Gymnasium, lehrt Latein und alte Sprachen. Er begeht nie Fehler, ist immer korrekt und auf seine Weise altbacken.

Eines Morgens begegnet er auf einer Brücke einer Frau, einer Portugiesin, die wie es scheint im Begriff ist zu springen. Sie hat einen Brief in der Hand, den sie zerreißt sich jedoch eine Telefon-Nr. notiert, die sie nicht vergessen möchte. Dies tut sie auf Gregorius’ Stirn. Genauso schnell, wie die Frau in sein Leben trat ist sie wieder verschwunden. Zurück bleibt die Telefon-Nr. auf seiner Stirn.

Seine Gedanken überschlagen sich. Kurzer Hand verlässt er ohne ein Wort den Unterricht und kommt nicht mehr zurück. Er besucht eine Buchhandlung in der er seit Jahren nicht mehr war und entdeckt dort ein Buch, dass sein Leben auf den Kopf stellt. Es ist ein Buch von Amadeu Inacio de Almeida Prado in portugiesisch. Da Gregorius nicht portugiesisch spricht übersetzt der Buchhändler ihm ein Stück des Buches.

Leseprobe:

>> Von tausend Erfahrungen, die wir machen, bringen wir höchstens eine zur Sprache, und auch diese bloß zufällig und ohne die Sorgfalt, die sie verdient. Unter all den stummen Erfahrungen sind diejenigen verborgen, die unserem Leben unbemerkt seine Form, seine Färbung und seine Melodie geben. Wenn wir uns dann, als Archäologen der Seele, diesen Schätzen zuwenden, entdecken wir, wie verwirrend sie sind. Der Gegenstand der Betrachtung weigert sich stillzustehen, die Worte gleiten am Erlebten ab, und am Ende stehen lauter Widersprüche auf dem Papier. Lange Zeit habe ich geglaubt, das sein ein Mangel, etwas, dass es zu überwinden gelte. Heute denke ich, dass es sich anders verhält: dass die Anerkennung der Verwirrung der Königsweg zum Verständnis dieser Vertrauten und doch rätselhaften Erfahrungen ist. Das klingt sonderbar, ja eigentlich absonderlich, ich weiß. Aber seit ich die Sache so sehe, habe ich das Gefühl, das erste Mal richtig wach und am Leben zu sein. <<

Gregorius kauft das Buch und legt sich einen portugiesischen Sprachkurs zu. Er verbarrikadiert sich in seiner Wohnung, schreibt einen erklärenden Brief an den Direktor seiner Schule, übersetzt weitere Stellen im Buch und beschließt dann in den Nachtzug nach Lissabon zu steigen.

Im Zug begegnet er Jose Antonio da Silveira, auch er wird ein Begleiter seiner Reise ins Leben von Prado. In Lissabon angekommen sucht er sich ein Hotel und liest weiter in Prados Buch. So recht weiß er nicht warum er nun eigentlich hier ist. Begibt sich aber auf die Suche nach seinem Helden. Immer mehr vergleicht Gregorius, das Leben des reichen Portugiesen mit seinem eigenen und reist somit auch in seine eigene Vergangenheit.

Leider macht Gregorius die Entdeckung, dass Amadeu Inacio de Almeida Prado bereits Jahre zuvor verstorben ist. Doch das lässt seine Suche nicht enden. Prado war ein bekannter Mann und so begegnet Gregorius vielen Menschen die ihn kannten oder von ihm wissen. Gregorius versucht den Verlag zu finden und stößt dabei auf einen alten Bibliothekar der ihm von der Familie Prado erzählt.

Die Begegnung:
-------------------

Gregorius beschließt sich auf die Suche nach dem blauen Haus, der Praxis des Arztes Prado, zu machen. Er hat bereits viel über seinen Buchautor erfahren. Sein Leben war bestimmt vom strengen, kalten, kranken Richter Prado, seinem Vater und von dem Schicksal, dass er einem bekannten Unterdrücker das Leben rettete wofür ihn die Menschen verachteten.

Er sucht nun nach und nach die noch verbliebenen Familienangehörigen auf. Prado hatte 2 Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Der älteren rettete Prado einmal das Leben, wofür sie ihn vergötterte und nur noch für ihn lebte. Gregorius schafft es nach und nach, sie aus der Vergangenheit zu befreien und in die Gegenwart zurück zu holen. Er sucht Prados ehemaligen Lehrer auf und erfährt viel über den Widerstand der damaligen Zeit. Prado wollte seinen „Fehler“ wieder gut machen und arbeitete auch für den Widerstand. Er begegnet einem Widerstandskämpfer, der gefangen wurde und viele Foltern erleiden musste. Er fährt in Prados alte, bereits verfallene Schule und richtet sich in einem Klassenzimmer eine art zuflucht in seine Traumwelt ein.

Das für Gregorius eindrucksvollste Erlebnis ist jedoch das Zusammentreffen mit Prados bestem Freund. Jedoch bleiben immer noch viele Geheimnisse über Prado, vor allem warum er sich mit seinem besten Freund so überwarf, dass sie sich fremd wurden.

Auch Äußerlich verändert sich Gregorius. Seine Brille geht kaputt und er muss in der fremden Stadt einen fremden Arzt aufsuchen. Es ist eine Augenärztin, die ihm eine vollkommen neue Art von Brillengläsern verschreibt, die ihn auch die reale Welt mit anderen Augen sehen lässt. Er kauft sich einen neuen Anzug und lässt Teile seines altbackenen Lebens hinter sich.

Der Versuch:
----------------

Gregorius unternimmt einen Versuch in sein altes Leben zurückzukehren. Er fährt nach Hause und versucht seine eigene Vergangenheit wieder zu finden und zu spüren, wie sein Leben war. Er sucht die Orte auf an denen er so lange gelebt hat, die er täglich besucht hat. Die wie ein Ritual immer seinen Tagesablauf bestimmten. Er versucht sich auch wieder mit seinen alten Sprachen zu beschäftigen.

Er unternimmt einen Versuch der Bewältigung seiner eigenen Vergangenheit. Er hat einen Antwortbrief seines Direktors erhalten, der ihm für seinen Mut eine solche Unternehmung zu starten alles Gute wünscht und ihn bewundert. Er besucht seine Ex-Frau, die ihn wegen dieses eintönigen und geordneten Lebens wieder verließ. Letztendlich kehrt er jedoch wieder nach Lissabon zurück mit der Feststellung, dass ihn mit dem alten Leben nichts mehr verbindet und begibt sich weiter auf die Suche nach Prados Leben.

Langsam bemerkt er jedoch auch eine gesundheitliche Veränderung an sich, die ihm Angst macht. Prado starb an einem Aneurysma, von dem er schon geraume Zeit vorher wusste. Gregorius kämpft mit Schwindelanfällen, die er nicht einordnen kann.

Die Rückkehr:
------------------

Gregorius Schwindelanfälle werden immer stärker und kommen häufiger. Es wird sogar so schlimm, dass er in Ohnmacht fällt. Freunde und auch Ärzte raten ihm sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Am besten dort, wo er die Sprache richtig versteht.

Auch Gregorius selbst sieht das ein. Er beginnt sich von allen, die er kennen gelernt hat zu verabschieden. Nur eine Person aus Prados Leben ist übrig. Er besucht sie kurz entschlossen auf dem Rückweg nach Bern und erfährt dort die letzten Geheimnis um das Leben von Prado.

In Bern angekommen setzt er sich mit seinem Arzt in Verbindung, der für ihn alles Nötige veranlasst. Einen Tag später geht Gregorius ins Krankenhaus.

Fazit:
=====

Nachtzug nach Lissabon ist ein Buch der edlen Worte. Während die Geschichte des Raimund Gregorius meist in einfachen und gut verständlichen Worten geschrieben ist, muss man sich bei den zahlreichen Übersetzungen aus Prados Buch sehr konzentrieren. Es sind wunderbare Worte, die einen zum Nachdenken bringen, wenn man den Sinn erfasst hat, aber sehr kompliziert geschrieben. Die vielen Briefe und vor allem das Buch das Gregorius während seiner Reise übersetzt sind sehr philosophisch. Oft musste ich es mehrere Male lesen um wirklich des Sinn zu verstehen.

Die Reise des Raimund Gregorius löst in einem den Gedanken daran aus, wie es wäre einfach das alte Leben hinter sich zu lassen und sich einer anderen Geschichte zuzuwenden. In manchen Teilen fand ich es jedoch etwas unrealistisch. Vor allem in der Vorstellung, dass fremde Menschen bereitwillig und ohne zu zögern ihre Lebensgeschichte zum Besten geben. Auch den Anlass für Gregorius Reise kann ich nicht ganz nachvollziehen. Aber dafür ist es ein Buch und man kann selten Erfassen, was andere Menschen zu ihren Taten bewegt.

Man erfährt einiges über das Leben und den Widerstand zu der damaligen Zeit und die verschiedenen Arten damit umzugehen. Nach und nach muss man immer öfter überlegen ob es sich nun um Gregorius’ oder Prados Leben handelt, da sich die beiden immer mehr ineinander verflechten.

Das Buch kommt nahezu ganz ohne Spannung und irgendwelche Abenteuer aus. Es ist aber sehr fesselnd Gregorius bei seiner Reise in das Leben eines Anderen zu begleiten. Es ist faszinierend zu sehen, wie sich ein Mensch aufgrund innerer Erkenntnisse eines Anderen selbst verändert und auch beginnt über sein Leben nachzudenken.

Nachtzug nach Lissabon ist ein wunderbares Buch für stille Abende am Kaminfeuer. Aber ich kann jedem davon abraten es sich für den Urlaub zu kaufen. Ich tat mich oft sehr schwer damit bei der Sache zu bleiben. Die teilweise sehr langen Übersetzungen aus Prados Buch, die fast nur über Gedanken und Gefühle kreisen machen es sehr schwer die Konzentration zu behalten. Aber wie schon gesagt, es sind sehr schöne und wahre Worte.