Noch einmal meine Mutter sehen (Taschenbuch) / Zana Muhsen Testbericht

ab 6,89
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Erfahrungsbericht von saida

Vom Vater verraten und verkauft - eine wahre Geschichte...

Pro:

Dass Zana Muhsen den Mut hatte, das Buch zu schreiben!

Kontra:

? Dass es so etwas tatasächlich gibt...

Empfehlung:

Ja

In letzter Zeit habe ich etliche Bücher gelesen, und eines davon möchte ich heute vorstellen.
Es war eigentlich als Weihnachtsgeschenk gedacht, aber ich habe es dann doch selbst behalten und gelesen, weil mich die Geschichte auf dem Klappentext so neugierig gemacht hat *g*


Es handelt sich um

NOCH EINMAL MEINE MUTTER SEHEN von
ZANA MUHSEN (und Andrew Crofts).


--------- Autorin/Handlung ---------

Zana Muhsen ist eine britisch-jemenitische Frau, die in diesem Buch eine unglaubliche Geschichte erzählt – umso unglaublicher, als sie diese selbst erlebt hat...
Die Autorin berichtet - meist ganz schlicht - davon, wie ihr jemenitischer Vater sie und eine ihrer Schwestern von Großbritannien aus wirklich und wahrhaftig in sein Heimatland verschachert hat:
Am Rande erfährt der Leser auch noch, dass bereits früher schon zwei Geschwister auf Veranlas-sung des Vater in den Jemen abgeschoben worden sind. Zwei weitere, jüngere Geschwister, haben den Jemen nie betreten...

Die Handlung beginnt, nach einem kurzen Kapitel über die Kindheit der Autorin, im Jahr 1980. Zana spricht zu diesem Zeitpunkt kein Wort arabisch, obwohl ihr Vater in England regelmäßig Kontakte zu seinen arabischen Freunden pflegt, und auch häufig zu Hause Besuch von ihnen bekommt...
Eine Woche vor ihrem 16. Geburtstag , vier Monate vor dem 15. Geburtstag ihrer Schwester Nadja, reist Zana gemeinsam mit Bekannten ihres Vaters in einen vermeintlichen Urlaub in den Jemen, um das väterliche Heimatland kennen zu lernen. Die Schwester soll ein paar Wochen später nachkom-men.
Die Reise selbst ist schon recht beschwerlich, es muss umgestiegen werden, und die erste Über-nachtung im Jemen erfolgt in einem Privathaus in der Stadt. Letztendlich kommen die Reisenden in einer Gebirgsregion des Jemen an, die nicht einmal komplett kartographisiert ist (vermutlich heute noch nicht!), und das Dorf, in dem Zana die nächsten Jahre verbringen soll, ist auch nur mit Gelän-dewagen erreichbar. Das Haus gar, in dem sie leben wird, kann nur durch einen Fußpfad vom Dorf aus erreicht werden. Überhaupt ist das ganze Leben dort so einfach, wie man es sich heutzutage kaum mehr vorzustellen wagt: Wasser muss mühsam vom Dorfbrunnen nach oben zum Haus getra-gen werden, die Beleuchtung besteht aus Öl-Lampen, das Korn muss beschwerlich von Hand ge-mahlen werden, Hauptnahrungsmittel sind Brotfladen und Milch, es gibt kein Telefon...

Zana ist von der Außenwelt abgeschnitten, und nach einigen Tagen beginnt sie sich zunehmend un-wohl zu fühlen. Einziger Lichtblick ist die bevorstehende Ankunft ihrer Schwester Nadja.
Ihre Schwester kommt tatsächlich auch an, aber in ein anderes Haus im Dorf. Beide Mädchen wer-den zwangsverheiratet – was konkret bedeutet, dass ihnen ein jeweiliger Sohn des Hauses gewis-sermaßen ins Zimmer gesperrt wird, und die Hausherren erst zufrieden sind, nachdem ihnen ihre Söhne erzählt haben, dass die Ehe vollzogen wurde.

Es gibt offizielle Ehedokumente, von den Vätern unterzeichnet, und die Pässe der Mädchen wurden zu Beginn der Reise den Bekannten des Vaters überlassen. So gibt es keine reelle Chance zur Flucht – selbst wenn ihnen der Weg in die Stadt gelingen sollte, könnten sie ohne ihre britischen Pässe den Jemen niemals verlassen!
Im Folgenden berichtet Zana in ganz einfachen Worten, aber sehr anschaulich, von den Jahren, die sie und Nadja dort gewissermaßen in Gefangenschaft verbracht haben. Die Mädchen erlernen den arabischen Dialekt des Jemen, und verschleiern sich außerhalb des Hauses bald auch wie jemeniti-sche Frauen; Zana bekommt einen Sohn, Nadja zwei Kinder.

Letztendlich schaffen es die beiden Frauen, mit Hilfe ihrer Mutter, der britischen Presse und einem jemenitischen Regierungsbeamten, zumindest in die Stadt Ta\'izz umsiedeln zu können. Beide erhal-ten wieder britische Pässe, denn die Mutter weist nach, dass ihre Töchter britische Staatsbürger sind, und da sie mit dem Vater der Mädchen in wilder Ehe gelebt hatte, hätte es auch ihrer Zustimmung zur Ehe bedurft. Trotzdem gelten die Ehen nach dem jemenitischen Gesetz wohl als gültig, und ohne Einverständnis der Männer dürfen die Frauen das Land immer noch nicht verlassen. Die Schwieger-väter der Mädchen haben die gesamte Familie im Griff, und ihre Söhne wagen es nicht, sich ihnen zu widersetzen, obwohl sie eigentlich schon lange eingesehen haben, dass ihre Ehen schlecht sind, weil die Frauen nach wie vor unglücklich sind...

Zana selbst, mit Hilfe ihrer Mutter (und wieder der Presse), konnte nach ca. 8 Jahren aus dem Jemen als geschiedene Frau ausreisen. Man hatte ihren Mann (im Gefängnis) zur Unterschrift gezwungen. Ihr Kind musste sie dort zurück lassen. Ihre Schwester Nadia wollte ihre Kinder auf keinen Fall verlie-ren, und ihr Mann hatte kein Visum für England bekommen – somit ist sie damals mehr oder weniger freiwillig im Jemen geblieben. Seither kämpften Zana, ihre Mutter und Freunde weiter darum, dass ih-re Schwester ebenfalls nach Großbritannien kommen könnte – aber bis heute ist ihnen das nicht ge-lungen. Es gibt noch ein zweites Buch (A Promise to Nadja) von Zana Muhsen, aber in einem Nach-wort zu ihrem ersten Buch schreibt sie im Jahr 2002, dass sie für ihre Schwester wohl nichts mehr tun kann. Kontakt haben sie keinen mehr, aber durch Zeitungsinterviews, die Nadja gegeben hat, weiß Zana, dass es ihrer Schwester zumindest einigermaßen gut geht, und dass diese noch immer in der Stadt lebt...



---------- Meine persönliche Meinung -----------


Zuerst dachte saida, die Geschichte sei so ähnlich wie in [Nicht ohne meine Tochter], nur halt statt I-ran mit Jemen als Schauplatz des Erlebten.

Doch ich empfinde die Geschichte von Zana Muhsen als noch viel schlimmer – ein Vater, der regel-recht Menschenhandel mit seinen Kindern treibt, Mädchen, die zur Ehe gezwungen werden, ein au-thentischer Bericht, wie weit zurück tatsächlich noch das Leben in den unzugänglichen Teilen des Jemen ist. Frauen gewissermaßen ohne Rechte, mehr oder weniger als Sklaven benutzt, ein Leben wie hier vor 100 oder 200 Jahren...

Wirklich erschreckend, dass so etwas tatsächlich möglich ist, und dass man es nicht geschafft hat, Nadja nach England zu holen!!

Ich habe beim Lesen so manches Mal ein Tränchen im Augenwinkel zerdrückt, so betroffen war ich oft davon, was die Autorin erleben musste. Bei diesem Buch kenne ich nur die deutsche Übersetzung; aber ich nehme an, dass auch die englische Version in einfachen Worten geschrieben wurde, reali-tätsnah, oft brutal beschrieben – aber Wort für Wort der Wahrheit entsprechend.
Manches Mal kamen mir Situationen zwar übertrieben dargestellt vor, jedoch glaube ich, dass Zana es dann einfach nicht geschafft hat, ihren neutralen Standpunkt weiter zu verfolgen – was ja wohl auch kein Wunder ist, denn schließlich war sie ja eine Hauptperson der Handlung!!

Und trotzdem ist kein wirklicher Hass in den Worten der Autorin spürbar, was ich umso bemerkens-werter finde, nachdem ich die ganze Geschichte gelesen hatte.

Wahrscheinlich werde ich mir auch das zweite Buch noch kaufen (aber im englischen Original); ich möchte gerne erfahren, wie es Zana Muhsen nach so vielen Jahren geraubter Jugend im Jemen dann in England wieder ergangen ist, und was sie ihrer Schwester verspricht...



----------- Summa Summarum ------------

Jedem, der ein wenig Einblick in das Leben einer uns so fremden Kultur gewinnen möchte, kann ich dieses Buch nur ans Herz legen. Nach dem Lesen dieses Buches glaubt man erst wirklich, dass eine solch unglaubliche Geschichte tatsächlich wahr sein kann...

Ich möchte unbedingt alle, die das Buch lesen möchten, inständig darum bitten, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, und das Erlebte der Autorin nicht auf alle arabischen Länder und/oder alle Mus-lime zu projizieren. Aber vermutlich lesen sowieso nur selbständig und kritisch denkende Menschen solch ein Buch, und meine Bitte ist damit hinfällig *g*

Also:
Für Menschen, die sich von Vorurteilen leiten lassen (wollen) - nicht wirklich empfehlenswert.
Für Leute, die ohne Vorurteile an das Buch herangehen - empfehlenswert,
Für wirklich aufgeschlossene, interessierte Menschen - uneingeschränkte Kaufempfehlung!!

Ach ja: in der Mitte des Buches sind auch noch einige Schwarzweiß-Fotos eingefügt, die Zana und ihre Schwester vor ihrer Abreise und im Jemen, sowie Zana, die in England geheiratet hat, mit Mann und drei Kindern zeigen.
Damit hat das Buch natürlich volle Punktzahl verdient – selbstredend!


------------ Und zum Schluss: die trockenen Fakten ------------


Noch einmal meine Mutter sehen – vom eigenen Vater in die Sklaverei verkauft
[© 1991 by Zana Muhsen und Andrew Crofts: SOLD. A Story of Modern-Day Slavery; published by Macdonald&Co Ltd, London & Sydney]

ISBN 3-453-86935-4
Heyne Verlag (Heyne Sachbuch 19/876),
aktualisierte Taschenbuchausgabe 5/2003; 2. Auflage
272 Seiten
8,95 Euro (im Dezember 2003)



©saida/24.03.2004


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