Napola (DVD) Testbericht

ab 5,44
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  • Romantik:  niedrig
  • Humor:  wenig humorvoll
  • Spannung:  sehr spannend

Erfahrungsbericht von marenmoon

Geteilte Meinung

Pro:

dito

Kontra:

dito

Empfehlung:

Ja

Napola. Ich gebe zu, bevor der Film ins Kino kam, hatte ich dieses Wort noch nie gehört. „Napola – Elite für den Führer“. Noch immer konnte ich wenig mit dem Titel anfangen. Erst nach und nach füllte er sich für mich mit Inhalt. Napola, das waren nationalpolitische Erziehungsanstalten. Für Eliteschüler, die nach abgeschlossener Laufbahn hohe Ämter in Hitlers Reich bekleiden sollten. Eine Thematik also, die sich zwar einreiht in Kinofilme, die sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigen, dennoch etwas besonderes, da das Thema den meisten Menschen nicht so sehr im Bewusstsein sein dürfte. Umso interessanter also, zu sehen, was Regisseur Dennis Gansel aus dem Stoff gemacht hat.

Die Story ist zu Beginn fast märchenhaft. 1942, der Krieg dauert schon drei Jahre, beginnt sie in Berlin mit einem Jungen auf einem Fahrrad. Der Junge heißt Friedrich Weimer (Max Riemelt), ist 17 Jahre alt, wohnt in Wedding und kann gut boxen. So gut, dass er hier und dort gewinnt und nach und nach auch von den Lehrern einer Napola beobachtet wird.

Soll heißen: Sie erscheinen zu einem Wettkampf, um zu sehen, ob er an einer Napola aufgenommen werden könnte. Und wie das in einem Märchen so ist, wollen sie ihn. Da gibt es für Friedrich nur ein kleines Problem: Sein Vater, zutiefst antinazistisch, will ihm nicht erlauben, auch noch zu einer Eliteschule des verhassten Regimes zu gehen. Was tut Friedrich? Bricht bei Nacht und Nebel auf, unterschreibt für seinen Vater, dass er zur Napola Alleinstein gehen kann und zählt fortan zu Elite des deutschen Nachwuchses.

In der Napola lernt der zunächst zurückhaltende Friedrich Albrecht (Tom Schilling) kennen. Albrecht ist Sohn des Gauleiters, eines skrupellosen Mannes (gespielt von Justus von Dohnanyi). Albrecht und Friedrich werden gute Freunde, ebenso wie sich die gesamte Schülerschaft der Napola prächtig zu verstehen scheint. Und hier kommt der Punkt, an dem das Märchen zuende ist. Hatten sie bisher nur Trockenübungen gemacht, d.h. gelernt, wie man ein Gewehr lädt, wie man „den Feind“ an seiner Schädelform erkennt etc., müssen die Schüler der Napola ihre Kenntnisse plötzlich real einsetzen. Der Gauleiter schickt sie auf die nächtliche Suche nach „Feinden“, ausgerüstet mit Gewehren und mit der ausdrücklichen Erlaubnis, zu schießen. Und genau das passiert. Völlig entsetzt über ihr Handeln stürmen die Jungs zu der Lichtung, auf der sich etwas bewegt hat. Sie haben nicht „den Feind“ erschossen, sie haben Kinder erschossen. Albrecht bricht zusammen, das erste Mal bekommt die kameradschaftliche Idylle einen Knicks. Bereits an dieser Stelle wird klar, in welchem Dilemma sich Albrecht befindet – zwischen Loyalität zu seinem Vater und persönlicher Verwundbarkeit.

Aus dieser Verwundbarkeit heraus entsteht auch der Aufsatz, den Albrecht am nächsten Schulmorgen vorliest. Er verurteilt den vorangegangenen Einsatz, wendet sich gegen seinen Vater. Der Skandal ist perfekt. Der unterschwellige Konflikt bricht endgültig aus. Spätestens jetzt merkt auch Friedrich, dass die Napola keine heile Welt ist. Albrecht weigert sich, seinen Aufsatz zurück zu nehmen. Und bringt sich schließlich um. Auch Friedrichs Augen werden geöffnet, so scheint es zumindest...

Napola zeigt also, ja was eigentlich? Die Laufbahn eines Jungens, der sich aus seinem Arbeitermilieu hocharbeiten möchte? Die Laufbahn eines anderen Jungens, der dem Drill nicht gewachsen ist? Beides irgendwie, und doch nichts genau.

Zunächst ist der Film voll und ganz auf Friedrich fokussiert. Friedrich, wie er in einem dunklen Keller boxt. Friedrich, wie er wieder boxt. Friedrich, wie er mit seiner Familie am Tisch sitzt. Bereits zur Zeit vor der Napola drängt sich die Frage auf, was in diesem Jungen eigentlich vorgeht. Er scheint entschlossen, aus seinem Leben etwas zu machen. Wie auch immer. Ist das schon der Punkt, an dem man ihm einen Vorwurf machen muss? Sollte? Schon zu Beginn des Films wird klar, dass Friedrich die Nazi-Ideologie nicht durchschaut. Sein Vater, klarer Gegner des Regimes, kann ihn auch nicht durch Verbote dazu bringen, seine Pläne zu überdenken. Weil Friedrich einfach in der nazistischen Ideologie aufgewachsen ist, und er sie weder in Frage stellt noch ihr wissentlich zustimmt. Sie ist einfach da. Da, um von ihm für seine Karriere genutzt zu werden.

Und so ist es für ihn mehr als deutlich, dass er das Angebot nutzen muss, das ihm die Napola-Funktionäre machen. Gegen seine Familie, gegen seinen Vater. Eine kurze Szene, die ihn in der Unterhaltung mit seinem Bruder zeigt, macht dies deutlich. Oberflächlich scheint er mit seinem Bruder verbunden, wie das halt unter Geschwister so üblich ist…später jedoch ist ihm auch sein Bruder egal. Karriere ist halt wichtiger.

Diese etwas egoistische Denkweise schwächt sich in der Napola etwas ab. Friedrich wird auf Kameradschaft gedrillt, bleibt aber trotzdem eher zurückhaltend, abwartend. Einzelgänger. Jemand, der zeigt, dass er gut ist. Der die sportlichen Anforderungen ohne Mühe bewältigt. Jemand, der es zu etwas bringen will.

Ein krasser Gegensatz dazu ist Albrecht. Ein Junge, der von Aussehen und Gedankengut so gar nicht in die absurde Arier-Idylle der Napola passt. Schmächtig, nachdenklich. Jemand, der die Dinge genau beobachtet und sie nicht einfach hinnimmt. Jemand, der nicht sportlich ist. Jemand, der ganz andere Dinge im Kopf hat als Kameradschaft, Nazi-Gedankengut. Jemand ohne Ziel. Es zeigt sich ganz deutlich, dass Albrecht in diesem Film eher der gefühlsmäßige Gegenpol zu Friedrich sein soll. Oberflächliche Anpassung gibt es auch bei ihm, allerdings wissend, dass er mit dem Tun insbesondere seines Vaters innerlich nicht klar kommt. Der Unterschied zu Friedrich besteht darin, dass Friedrich darüber überhaupt nicht nachzudenken scheint. Klar wird auch er ob der brachialen Methoden der Napola manchmal stutzig, doch nimmt er sich den Spruch seines Boxlehrers („Kein Mitleid“) scheinbar zu Herzen. Mitleid, das ist genau das, was Albrecht zum Verhängnis wird.

Sein erster Ausbruch, nachdem die Truppe russische Kinder erschossen hat, zeigt nur allzu deutlich, dass er in seinen Gefühlsregungen im krassen Gegensatz zu seinem Vater steht. Der kann es sich als Gauleiter nicht leisten, Schwäche zu zeigen. Auch nicht gegenüber seinem Sohn. So kommt an dieser Stelle etwas zu tragen, was für den ganzen Nationalsozialismus symptomatisch ist: Das Durchdringen der Privatsphäre von der Politik und Ideologie. Jeder einzelne ist dem Führer verpflichtet. Auch wenn Familie auch in dieser Ideologie einen hohen Stellenwert hat, so sind Vergehen von Familienmitgliedern, die sich gegen den Nationalsozialismus richten, genauso schlimm wie Vergehen von Unbekannten. Der Gedanke, seinen Sohn anders zu behandeln, als die anderen Jungs der Napola, kommt seinem Vater erst gar nicht. Er erscheint skrupellos, besonders mit dem Vorschlag, seinen Sohn an die Ostfront zu schicken. Man fragt sich, ob er sein eigenes Kind ermorden will. Man fragt sich, ob es solche Menschen wirklich geben kann. Die Antwort muss wohl „ja“ lauten. Deshalb, weil wir zwar heute von außen auf dieses Regime blicken, Albrechts Vater aber damals diesen Weitblick ausblendete. Ebenso wie seine väterliche Liebe.

Die Frage nach der Schuld der einzelnen Personen ist eine Grundsätzliche. Konnte man damals erkennen, dass dieses Regime schlecht ist, dass die Rassenlehre und die Judenhetze grausam und falsch sind? Der Film gibt keine eindeutige Antwort. Ich für meinen Teil habe sie gefunden, und sie lautet: ja. Man konnte. Besonders durch die Tagebücher von Victor Klemperer, der als Halbjude selbst unter Verfolgung gelitten hat, ist mir klar geworden, dass es durchaus möglich war, das System zu durchschauen. Vielleicht nicht jedem. Aber das Denken kann man schließlich nicht verbieten. Man fragt sich also, ob „Napola“ in dieser Frage den richtigen Blickwinkel vermittelt. Da ist Friedrich, der sich tatsächlich keine Gedanken zu machen scheint. Und da ist Albrecht, allerdings scheint auch er nichts Grundsätzliches in Frage zu stellen. Gut, der Einsatz gegen die Kinder. Aber sonst? Was ist mit dem Drill, der tagtäglich in der Napola stattfindet? Was ist mit den Strafen für Bettnässer? Albrecht scheint somit eher gefühlsmäßíg mit der Situation nicht klar zu kommen, denn deshalb, weil er lange darüber nachgedacht hat.

Trotzdem. Er bleibt die interessanteste Figur im Film. Tom Schilling schafft es, ihm ein Denker-Image zu verleihen, das beeindruckt. Er ist auch derjenige, der den Film an vielen Stellen so beklemmend macht. Schilling schafft es, einen von seinen eigenen Gefühlen überrannten Jungen darzustellen, bei dem man nicht so genau weiß, ob er sich wirklich darüber im Klaren ist, was er da gerade sagt oder tut. Der es einfach macht, ohne Rücksicht auf Konsequenzen oder gar Angst vor diesen. Eigentlich jemand, der zum wahren Held der Geschichte taugen würde. Aber nein, Regisseur Gansel zeigt, dass in „Napola“ der Held zum Scheitern verurteilt ist. Bei einer Tauchübung ertränkt er sich selbst, indem er im eiskalten Wasser nicht wieder auftaucht. Diese Szene ist die beklemmendste des ganzen Films. Aber zugleich auch fragwürdig, was das Verhalten von Friedrich angeht. Sein „bester“ Freund ertränkt sich, aber was macht er? Bleibt stehen, guckt, regt sich auf. Nicht, dass er ihm nachtauchen würde. Er nimmt seinen Selbstmord hin. Und versucht hinterher, eine Todesanzeige seines Freundes in der Napola-eigenen Zeitung unterzubringen. Merkwürdig. Man könnte argumentieren, dass er den Selbstmord seines Freundes „akzeptiert“, da Albrecht sich so die Front ersparen will. Trotzdem, er zeigt eine Reaktion, die man von einem Freund nicht erwarten würde.

Überhaupt ist Max Riemelts Darstellung des Friedrich bei weitem nicht so überzeugend wie Tom Schillings Albrecht. Wenig Mimik, eher steife Bewegungen, sind das, was seinen Charakter beschreiben. Bis zu einem gewissen Teil liegt das in der Anlage des Friedrich begründet. Der eben eher der Typ ist, der sich fügt. Aber auch die Szenen, in denen er nachdenklich wirken soll, erscheinen wenig intensiv und eher kühl. Ein bisschen mehr Gefühle hätte man auch einem Friedrich zugetraut, der tatsächlich nur mit seiner Karriere beschäftigt ist. Sein episodenhaft auftretendes Mitleid wirkt deshalb auch eher befremdlich. Es soll wohl eine allmähliche Veränderung seiner Person beschreiben, gelingt aber nicht gut.

Weiterhin erwähnenswert sind Musik und Bilder des Films. Der Soundtrack ist höchst unaufdringlich, und gerade deswegen so gut. Zwar gibt es auch hier typische orchestrale Filmmusik, allerdings eher im Hintergrund, wenig monumental. Komponist Angelo Badalamenti sorgt dafür, dass Stimmung aufgebaut wird – und einige Schreckensmomente erzeugt. Sie steht in wunderbarem Einklang mit den Bildern des Films. Schrecken wird erzeugt durch Weglassen des Schlimmsten. Als sich der Bettnässer auf eine Handgranate bringt, um sich umzubringen, zeigt man nicht seinen zerfetzten Körper (was natürlich auch sehr krass gewesen wäre), sondern die blutbespritzten Kameraden. Man zeigt nicht deutlich die Erschießung von Flüchtlingen, sondern das helle Feuerwerk der Gewehrsalven. Und erzeugt so ein Gefühl des Grauens im Zuschauer, gegen das der sich nur schwer wehren kann.

Bleibt als abschließendes Fazit wohl nur die Aufforderung, sich selbst ein Bild zu machen. Der Film ist durchaus sehenswert, auch wenn er einige Schwächen aufweist und nicht fähig ist, zufrieden stellende Antworten zu geben. Trotzdem, Denkanstöße über ein Thema, über das die meisten von uns noch nie nachgedacht haben, vermittelt er allemal.


©marenmoon 10.o7.2oo5

21 Bewertungen, 3 Kommentare

  • biborilla

    18.08.2005, 11:27 Uhr von biborilla
    Bewertung: sehr hilfreich

    geschriebener bericht, der zeigt, daß du dir viel gedanken um den film gemacht hast. mir persönlich her der film sehr gefallen!

  • anonym

    10.07.2005, 20:16 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    diese Art der filmischen Aufarbeitung nicht. Dein Bericht aber: Spitze.

  • Astarte

    10.07.2005, 19:12 Uhr von Astarte
    Bewertung: sehr hilfreich

    in Bezug auf das Thema. Schön beschrieben:)