New York Testbericht

New-york
ab 17,61
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Erfahrungsbericht von cxgirl

Lokalaugenschein

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Queens, Flushing. Die Flugzeuge fliegen tief. Sehr tief. Doch keiner schaut auf. Im Flushing, dem multiethnischen Stadtteil von Queens, donnern Verkehrsmaschinen bedrohlich über die zwei- bis dreistöckigen Häuser. Ein Jahr, nachdem sich das Bild der in die Türme des World Trade Center krachenden Boeings in das Gedächtnis der Weltöffentlichkeit eingebrannt hat, kümmern die am nahen Flughafen La Guardia landenden und startenden Maschinen niemanden. Man hat sich daran gewöhnt. Obwohl die U-Bahn nicht einmal eine Stunde in das Herz Manhattans benötigt, ist das Leben von Uptown und Downtown fern. Doch nun rückt Queens ein Stück näher an Manhattan: Das Museum of Modern Art hat für die zweijährige Dauer der Renovierung des Stammhauses nahe der noblen Fifth Avenue ein Ausweichquartier im nahen Long Island City bezogen. Mehrere Künstler übersiedelten gleich mit und entdeckten, dass beinahe überall in Queens die Immobilienpreise günstig, der Platz groß und die Infrastruktur gut ist. Und so lassen sich junge Kreative und schicke Ethno-Lokale inmitten der persischen, griechischen oder eben japanisch-koreanischen Community nieder.

Manhattan, Financial District. Die Wunde ist noch offen: Auf einer Fläche mehrerer Fußballfelder ist vom World Trade Center nichts mehr geblieben. „Größte Baugrube der Welt“, nennen Zyniker diesen Ort. Wo einst die Zwillingstürme standen, wird gerade eine neue kleine Stadt geplant. Das hätte die Gegend bitter nötig. Viele kleine Geschäfte und Restaurants mussten nach der Katastrophe zusperren, weil die Kunden ausbleiben. Unternehmen im und rund um das World Trade Center zogen in anderen Stadtteile um. Und viele, die bleiben, spüren die Folgen: Das Danube – ein exzellentes Restaurant mit österreichischer Küche – sperrt mittags zu, weil keiner zum Business-Lunch kommt. Auch am Abend meiden die New Yorker diese Gegend, die in dicke Staubwolken gehüllt wochenlang in den Medien war. Wer will schon beim Ausgehen daran erinnert werden, dass man Opfer eines Attentats werden kann. Keiner – nur Touristen gaffen in die Grube. Im nahen Tribeca – dem Dreieck unter der Canal Street – wo die Mieten höher sind als sonstwo in Manhattan, kämpft der Schauspieler Robert de Niro um die Wiederbelebung des Viertels. Mit einem Filmfestival etwa versucht der prominente Besitzer des noblen japanischen Restaurants Nobu und des Tribeca Grill das Szene-Volk wieder hierher zu locken.

Brooklyn, Williamsburg. Hier treffen sich die Jungen der Stadt. Die Bars sind jeden Abend voll, etwa das Galapagos, eine Club-Bar mit Indoor-Pool in einer ehemaligen Fabrik. Vom Wasser aus hat man diesen herrlichen Blick auf Manhattan, den kaum ein Tourist fotografiert. Die Lokale mit System-Gastronomie sind hier spärlich, Luxus-Wohnungen werden nicht gebaut. Am Ufer machen sich einige Obdachlose breit, untertags sitzen junge Verliebte dort, deren schlechte Tätowierungen sie von den schicken Töchtern und Söhnen unterscheiden. Am Tag der Katastrophe standen sie hier, die armen und weniger armen Bewohner des ehemals jüdisch-orthodoxen Viertels, starrten fassungslos auf die rauchenden Türme. Das neue New York ist nachdenklich, kreativ und fröhlich, aber an der Party-Stimmung von einst nicht mehr interessiert. Konzerte mit bekannten Bands, wie dem Black Rebel Motorcycle Club, werden in geradezu intimer Atmosphäre gegeben. Im kleinen Club Berliniamsburg trifft sich Freitag nachts die gestylte Gay-Crowd. Doch von den wilden Studio-54-Zeiten der 80er-Jahre spürt man nichts mehr. Und der Besucher aus Europa wird ein Deja-Vu-Gefühl nicht los. Solche Clubs gibt es auch in Berlin, Paris – oder Wien. Angesagte Galerien wie das Pierogi 2000 sind hier angesiedelt. Und nicht selten wohnen nebenan die Künstler. Gemeinsam mit Galeristen und Studenten gehen sie in die billigen polnischen Restaurants im nahen Greenpoint essen.

Manhattan, Harlem. Die New York Times spricht seit Jahren von einer Harlem-Renaissance. Jetzt könnte es wirklich soweit sein. Bill Clinton arbeitet in einem Büro in der 125. Straße, wo vor wenigen Jahren kein vernünftiger New Yorker auch nur einen Fuß hinsetzte. Das Studio Museum in Harlem zeigt moderne schwarze Kunst. Und auf vielen aktuellen Werken sind sie zu sehen – die getroffenen Türme. Mittlerweile eröffnet ein Lokal nach dem anderen: mit kreolischer Küche und afroamerikanischem Soulfood, etwa im Amy Ruth oder im Copeland’s. Natürlich hat auch der Kommerz zugeschlagen, Starbucks ist nur ein Zeichen dafür. In der „worldfamous“ Talente-Show „Amateurs Night“ im Apollo Theater sind weiße Besucher längst die Regel, die Hälfte sind Schwarze. Wie in den Türmen – dort haben genauso viele Weiße wie Schwarze ihr Leben verloren, heißt es immer wieder in der Post-September-Eleven-Romantik. Manhattan, Soho. Es war hart: Tagelang kein Martini im Mercer, kein DJ im Soho Grand, kein Wodka im Pravda. Das nahe Downtown gelegene Zentrum für Party-People war am Tag der Katastrophe wie eine Geisterstadt. Auch wenn das Viertel südlich der Houston Street noch mit anderen Problemen kämpft. Die jungen, mutigen Galeristen und Designer wandern aus Kostengründen ab in die Lower East Side, die wirklich Bekannten haben sich längst in Chelsea niedergelassen. Als Künstlerviertel zehrt Soho vom Image vergangener Tage. Und solange das so ist, bleiben die Modeschöpfer und die Models hier wohnen. Ein Becher Cafe´-au-lait vom Nobelfranzosen Balthazar, Wochenendeinkauf bei Dean & Deluca, Mittagessen bei Kelly & Ping, vorbei an Helmut Lang und Woche für Woche zum wichtigsten Tempel der weltweiten Konsumgesellschaft: dem Flagshipstore von Prada.

Manhattan, Lower East Side. Zum Wohnen oder Essen gehen die jüngeren, coolen New Yorker in die Lower East Side. Dort, wo die Miete gerade noch leistbar ist, ein Drink unter zehn Dollar kostet. Gleich in der Nähe liegt eine weitere Attraktion für Touristen – oder für Patrioten: Der NYFD-Store, das Geschäft der Feuerwehr für Helden-Merchandising aller Art. Doch Feuerwehr-T-Shirts kommen in der hippen Lower East Side nicht gut an. Wer in den Lokalen entlang der Clinton Street einen Tisch bekommen will, muss zumindest einen Haarschnitt wie Julian Casablanca, der Sänger der New Yorker Kommerz-Band The Strokes, vorweisen. „Manhattan – the new Brooklyn“ titelte das Stadtmagazin Time Out vor kurzem und meinte damit, dass die jungen Wilden endlich von Williamsburg zurückkehren und sich etwa an der Lower East Side breitmachen. Hier gibt es die wirklich angesagten Lokale. Das Suba in der Ludlow Street sei ja so viel urbaner als das Galapagos. Und so manche Party ist von Brooklyn wieder an die Lower East Side oder das East Village übersiedelt. Manhattan, Midtown ist laut wie eh und je. Seit Monaten hält sich das Gerücht: Im Chrysler Building soll am Dach ein Restaurant eröffnen. Ein Windows of the World-Nachfolger des mit dem World Trade Center zerstörten Panorama-Lokals. Doch das Art-de´co-Haus ist für die Öffentlichkeit gesperrt. Hinein kommt, wer mit einer Identitätskarte beweisen kann, dass er hier arbeitet. Die zeitraubenden Sicherheitsvorkehrungen in den Gebäuden der Stadt sind selbstverständlich. Spätestens seit die Menschen zu Hunderten am Morgen des 11. September fassungslos an den Fenstern standen und den Zusammenbruch der gegenüberliegenden Türme beobachten mussten. Genauso wie Tausende Menschen am Times Square auf den fußballfeldgroßen Flachbildschirmen die CNN-Übertragung mitverfolgten. Heute flimmern dort längst wieder Werbespots und Börsenkurse, die von echten New Yorkern konsequent ignoriert werden. Wer in die Luft schaut, outet sich als Tourist – auch ohne Stadtplan unterm Arm.

Einen Block weiter, auf der achten Avenue, ist es ruhiger. Ein Anhänger mit dem überlebensgroßen bronzenen Denkmal eines Feuerwehrmannes parkt hier. Und während die Stadt-Zeitungen immer noch rätseln, wo das Ding eigentlich hingehört, legen Menschen davor Blumen nieder. Die Touristen sollen finanziell wettmachen, was die New Yorker bei Party-Touren auslassen. Die einstige Riesen-Disco Shelter ist in zwei Clubs geteilt – einer spielt Soul, der andere 80er-Jahre-Sound. Eine Disco für Hundertschaften will ein Jahr danach keiner mehr. Denn die Party ist vorbei.

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