Nine Objects of Desire - Suzanne Vega Testbericht

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Erfahrungsbericht von mima007

*Nine Objects of Desire*: Vegas Groove swingt!

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Suzannne Vega hat endlich den Groove gefunden! Sinnliche Bossa-Nova-Rhythmen, hüpfende Basslinien, jazzige Drums und Percussion - man traut seinen Ohren kaum, wenn man dieses Album mit seinen ruhigen Vorgängern vergleicht (einzige Ausnahme: "99,9°F"). Einige dieser Stücke haben Drive und Verve, andere wieder sind unheimlich sinnlich bis zur Verführung, wieder andere laden zum Bauchtanz ein.

Einerseits kommt dieser Wandel hin zur physischen Sinnlichkeit von Vegas neuer Erfahrung als Liebende/Geliebte und Mutter, andererseits aber auch von ihrem Mann. Mitchell Froom ist zudem ihr Producer, Keyboadspieler und Sound-Tüftler. Er hat so manches überraschende Sample eingebracht, das einem Stück den richtigen Pfiff verleiht. Diese Stücke haben unterschiedliche Stimmungen, wohingegen jene auf dem Vorgänger "Days of open hand" eher einheitlich melancholisch-nachdenklich waren.

Als ich dieses Album in San Diego gekauft hatte, musste ich es erst einmal stundenlang anhören, um mich mit der ungewohnten Erscheinung dieser neuen Vega vertraut zu machen.

Die Themen

Wie der Titel bereits andeutet, geht es um die "Dinge", die wir begehren und ersehnen. Zu diesen "Dingen" gehören mitunter auch Lebewesen, wie etwa ein eigenes Baby (in "Birth-day"). Und als intelligente Frau untersucht Vega auch die Grenzlinien zwischen Wunsch und Gier, zwischen Freundschaft und sexueller Begierde ("Stockings"). Im vorletzten Stück, "Tombstone", macht sie einen Scherz: Sie begehrt einen hübschen Grabstein.

Das Artwork zeigt folgerichtig die Künstlerin mit einem grünen Apfel, wie ihn wohl Eva begehrt und gegessen haben mag. Und das Grün des Apfels hat sich auf sämtliche Cover-Seiten des Booklets ausgebreitet, ein Meer von Grün, in dem die Künstlerin im schwarzen Mantel wie eine Zauberin thront und den Betrachter lockt.

Die Songs

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Birth-Day (love made real)

Kann eine Geburt 24 Stunden dauern? Glaubt man Vegas Interviews, so war das der Fall, als sie ihre erstes Kind, die kleine Ruby, zur Welt brachte: "she's a hot little treasure". Schließlich war ein Kaiserschnitt nötig. Statt nun aber die empfundenen Schmerzen zu beklagen, erfüllt Vegas Stimme dieses Geburts-Tags-Stück mit einem solchen Drive, dass es klingt, als schreie sie ihren Zorn hinaus. "Strip and find the place to kneel/ ...Don't touch, don't talk, crawl the wall/ ...Shake all over like an old sick dog/ There's a needle here, needle there, tremble in the fog." Doch Erlösung ist nahe. Der Refrain lautet "one thing I know/this day will go".

"Ich dachte, ich würde mir wie ein Idiot vorkommen, wenn ich das singe, aber ich fühle mich nicht so," versichert sie. "I hatte noch nie von einem Lied gehört, das versucht, die Geburtserfahrung wiederzugeben. Ich schrieb das Stück nicht, um zu klagen, und es geht darin nicht nur um das Gebären, sondern um jede Art von Geburt. Du fühlst dich wie in der Hölle, dann gehst du jedoch strahlend hervor und sagst: "Also das ist es, wovon alle Welt redet", aber erst nachdem du aufgehört hast zu zittern."

Wie schon angedeutet, ist dieser Opener ungewöhnlich dynamisch. Sogar eine E-Gitarre wird eingesetzt, was bei Vega nicht selbstverständlich ist.

Headshots

Vega singt von Porträtfotos, nicht von Kopfschüssen. Auf einem dieser Fotos sieht sie einen Jungen mit berückenden Augen. Er erinnert die Sängerin an ihren Liebsten, aus den Anfangstagen einer vergangenen Liebesbeziehung. Doch der Blick des Jungen ist eine Mischung aus Schuldbewusstsein und Sympathie...

Der Rhythmus ist nicht mehr so schnell wie in "BirthDay", aber immer noch schwungvoll. Froom, der Tüftler, hat ein paar nette Samples von arabischen Streichinstrumenten beigesteuert.

Caramel

"Caramel" ist neben "Plum" das sinnlichste Stück des Albums: sehr langsam, basslastig und Vegas Stimme erreicht eine neue Qualität von Samtweichheit à la Juliette Greco. Der lateinamerikanische Rhythmus ist ein langsamer Bossa Nova, in dem man sich wiegen kann.

Ein träumerisches Stück, doch nicht von der Gitarre bestimmt, sondern von E-Bass und -Gitarre sowie Keyboards. Vega singt vom Begehren und der Sehnsucht, so wie man sich nach Süßigkeiten (Karamel) und guten Gerüchen (Zimt) sehnt. Doch es nützt nichts, wenn einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Doch da ist auch die Furcht vor der Erfüllung: Was werde ich zu geben bereit sein? Wie werde ich mit mir leben können, wenn du nicht gehst? - Eine genau beobachtete Spannung zwischen Ab- und Anwesenheit des Liebsten, des Begehrens und der Erfüllung.

Nette Anekdote: Froom wusste, dass das "Objekt des Begehrens" in diesem Stück nicht er selbst war. Er stellte seine Gattin zur Rede, bis er sich davon überzeugen ließ, dass die ganze Sache doch in Wahrheit erfunden war.

Stockings

Die Sängerin erzählt von einer Freundin. Diese mag keine Strumpfhosen (oder gar Höschen), sondern zieht Nylonstrümpfe mit Strapsen vor - sehr erotisch, wenn die Haut zu sehen ist. Das findet auch die Sängerin und fragt sich, wo Freundschaft endet und Leidenschaft beginnt - ebenso wie die Tage von Gin mit Tonic, wenn sich das Zimmer zu drehen beginnt (arabisches Bauchtanz-Sample setzt ein). Doch die Strapsträgerin ist eine Art Vamp und steht mehr auf Männer...

Der schwülen Bauchtanzatmosphäre des Stücks entspricht der schwingende ägyptische Shuffle-Rhythmus.

Casual match

Stell dir ein achtlos ("casual") weggeworfenes Streichholz ("match") vor, das in ein trockenes Feld geworfen wird. Was passiert, was könnte die Ernte sein? Die hitzige Erwartung spiegelt sich im vorwartsdrängenden, geradezu blindlings dahintaumelnden Rhythmus des Stücks.

Das entstandene Feuer ist ein inneres, und der Funke ist der Keim des Zweifels, der an der sicher gelaubten Liebe sein Zerstörungswerk verrichtet. Und was wird die Ernte sein? Die Ernte werden Feuer und Asche sein.

Thin Man

Wie schon bei Bob Dylans berühmter "Ballad of a thin man" (1966) geht es auch hier um einen Schnüffler. Bei Dylan war auch die Presse gemeint, bei Vega ist's ein Privatdetektiv. (Das Motiv geht auf eine gleichnamige Filmreihe um zwei Hobbydetektive zurück.)

Vegas Gesang auf diesem Stück erzeugt die Stimmung eines Verhörs in einem Film noir. Und genauso uneindeutig sind die Antworten, die die Sprecherin von sich gibt: "Er ist nicht mein Freund, aber er gehört zu mir". Der Ton ist der einer gesungenen Konversation. Die Antworten gelten dem Zuhörer, und ER ist der Thin man. Er ist vieles und vieles, das zwielichtig erscheint. Er ist der schleichende Tod und der Schatten, den man nicht los wird als Mensch..

Und worin besteht die Lockung des Todes? "Im Versprechen eines Friedens, den ich nie gekannt habe". Sie darf ihm nicht nachgeben, doch SEIN Kuss ist so wirklich, echt und wahr...

No cheap thrill

Ein recht flotter Refrain ist eingebettet in eine erzählende Umgebung. Wieder nimmt uns Vega mit in die Symbolwelt des Kartenspiels (wie schon bei Solitär auf "Red and Gray"). Hier geht es wieder um die Spieler, die beim Pokern den "billigen Nervenkitzel" (cheap thrill) suchen. Doch in der Liebe wird es dem Liebsten der Sängerin nichts nützen, gut zu pokern: Sie wird ihm alles abverlangen, und er muss zahlen, zahlen, zahlen.

World before Columbus

Die Sängerin stellt sich in diesem träumerischen Akustikstück vor, wie es wäre, wenn sie die Liebe ihres Liebsten (= Babys) verlöre. Die Welt wäre dann wie "die Welt vor Kolumbus", also unentdeckt, dunkel und vor allem: eine Scheibe. Im Refrain beklagt sie jene Männer, die nach Gold und materiellem Reichtum streben. Sie wissen nicht, welchen Wert ein geliebter Mensch hat. - Dies ist eine der schönsten Liebesballaden, die ich kenne. Sie ist Vegas kleiner Tochter Ruby gewidmet. Das Stück erzielt eine merkwürdige Schönheit zwischen rollenden Klavierakkorden, melodischer Gitarre und ernüchternden Vorstellungen (Welt ohne Entdecker, Welt der Gier).

Lolita

Jeder hat von der Lockung, die Lolita darstellt, gehört, doch nur wenige haben sie erlebt (würden das aber nie im Leben zugeben!). Vega aber singt zur Abwechslung von Lolitas eigenen Wünschen und gibt ihr ein paar gut gemeinte Ratschläge: "Geh nach haus! Sein nicht dein ganzes Leben ein Hund, der auf einen Brotkrumen Zuwendung bettelt. Versuch nicht, jemandes Gattin zu sein, so jung, dass du ein Word des Schutzes brauchst." Die Sängerin weiß, wovon sie redet: "Ich war schon dort, wo du jetzt stehst, in der Eingangshalle lehnend, im schwarzen Kleid deiner Mutter - so hungrig nach dem einen, der dich versteht; auf der Suche nach einem Unterpfand des Blutes oder der Zärtlichkeit... Lolita, geh nach hause!"

Der Gesang ist teils ein Weckruf ("Lolita, geh...!"), teils eine angespannte Erzählung und Beschreibung. Interessant ist die Instrumentierung: Trompeten und Flöten unterstreichen die aufrufende Stimmung des ansonsten eher gemessen vorankommenden Stücks.

Honeymoon Suite

Eine klassische Ballade, die von Vegas akustischer Gitarre getragen wird, allerdings in einem eher hüpfenden Rhythmus. Da es um ein Erlebnis in Frankreich (Paris?) geht, darf ein Anklang an ein verfremdetes Akkordeon (Frooms Beitrag) nicht fehlen. Auch der Bass ist diesmal ein akustischer.

Herr und Frau Froom haben sich ein Zimmer in einem frz. Hotel genommen, dessen Zimmerdecke von tanzenden Engeln geziert wird. Sehr heimelig! Da er sich nicht wohlfühlte, legte er sich hin, und als er erwachte, klagte er über Kopfschmerzen und einen merkwürdigen Traum.

Ihm träumte, dass hundert leute in ihr Zimmer gekommen seien, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen und seine Hand zu berühren. Er erklärte jedoch immer wieder, dass sie zu dem falschen Mann gekommen sein müssten.

Nachdem man keine vernünftige Erklärung für dieses Erlebnis bekommen hat, fragt sich die Sängerin, warum, um Himmelswillen, kein einziger dieser hundert Leute ihr selbst erschienen sei? Schließlich hätten sie so nahe beieinander gelegen, dass sie am Torweg zwischen ihren Bewusstseinen diesen Augenblick verpasst haben müsse. Ein Rätsel, wie es kam, dass bei all ihrer Nähe zueinander dennoch kein vollständiges Teilen möglich ist.

Tombstone

KLIRR macht das Becken. BÄNG macht die Trommel. Und schon steigt das Klavier ein, doch nein - noch zu früh, der Einsatz. Aber dann: Und eins und zwei und drei und vier. Schon sind wir mitten im schönsten Jazzstück, frisch und frech. Dabei geht es eigentlich um Grabsteine!

"Ich mag einen Grabstein, weil er so schön verwittert, und ob er stehnbleibt oder zerfällt, erweist nur die Zeit. Wenn ihr meinen Namen in den Marmor meißelt, so müsst ihr ihn tief einschneiden. Und Tanzen auf dem (flachen) Grabstein ist strikt untersagt, ihr müsst mich schlafen lassen." Refrain: "Und Zeit verbrennt, sie brennt hinfort." Und so geht's weiter bis zum Himmelstor...

Noch nie habe ich das Thema Sterben so fröhlich, energisch und selbstsicher behandelt gehört. Zu dem Thema gibt es ja viele Bluesstücke ("In my time of time" von Led Zeppelin, Bob Dylan u.a.), doch keines ist so fröhlich, dass sich der Sänger seinen Grabstein vor(be)stellt. Das Stück klingt mit einem einsetzenden E-Gitarren-Solo aus (fading) - groovy.

My favorite plum

Gravitätisch! Feierlich geradezu, als ob eine Eloge oder Lobeshymne auf einen Gegenstand der Verehrung zu singen wäre. Und um nichts weniger geht es hier: "meine Lieblingspflaume". Kein Wunder, dass die Instrumentierung die eines Streichquartetts ist: "sie hängt so fern von mir; sieh wie sie mich ruft, sieh woie sie glänzt - sie wird so süß sein und saftig, und ich bin so vertrocknet!"

Nur beim Refrain wird das Tempo flotter, zuversichtlicher: "ich kriege dich, mein Pflaume, denn du bist die eine für mich, und ich habe die Besten und den Rest gesehen: du bist die eine für mich".

Der Gegenstand der Sehnsucht ist immer vollkommen und immer die Vervollständigung der eigenen Mängel: die Perfektion des unsicheren Ichs. Doch diese Perfektion hängt weit entfernt - unerreichbar wie jedes Ideal, dem wir uns nur durch Anstreben nähern können. Die Musik ist der beste Beweis für die Annäherung ans Ideal: ein barock anmutendes Streichquartett, das auf einer vollkommenen Harmonie ausklingt.

Mein Eindruck

Wie schon eingangs angedeutet, gefällt mir diese Platte insgesamt sehr gut. Ich habe aber im Laufe der Jahre gemerkt, dass die Stücke durch ihre Kürze - keines ist länger als 3,5 Minuten - und die sparsam eingesetzten Effekte - häufig Samples - doch recht vorhersehbar und berechenbar geworden sind. Kein Stück außer "Tombstone" hat Ecken und Kanten, an dem sich der geschmack reiben könnte. Und so erscheint mir das Album inzwischen doch als recht brav produziert, beinahe massenkompatibel.

Für denjenigen, der mit vega nicht oder nur wenig vertraut ist, hält das Album jedoch Überraschungen und Entdeckungen bereit, besonders in den Texten. Die nähere Beschäftigung lohnt sich, wenn man sich die Zeit dafür nimmt. Denkt daran: "Die Zeit brennt, sie brennt hinfort!" Sollen doch die anderen mitbrennen...

Michael Matzer (c) 2002ff

Info: 1996, A&M records, Nr. 31454-0583-2

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