Phantom der Oper Testbericht

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Erfahrungsbericht von Musical-World

Musical-World´s PHANTOM-Lexikon

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

DAS PHANTOM DER OPER geistert schon lange nicht mehr einzig und allein in den Kellergewölben der Pariser Oper umher - und es ist nicht alles WEBBER, wo PHANTOM draufsteht. Folgender kleiner Exkurs soll über die wahren Phantome und ihre Möchtegern-Nachfolger aufklären.
Beginnen wir mit erwähnenswerten CD-Einspielungen zum Thema Christine & Co.:

1. Original Cast CD mit Michael Crawford, Sarah Brightman, Steve Barton
Gesamtaufnahme der Weltpremiere in London (2CD)
Musik: Andrew Lloyd Webber
Texte: Charles Hart, Richard Stilgoe
1. Akt: 54 min, 07 sec
2. Akt: 46 min, 23 sec
Polydor 1987

"The Phantom Of The Opera" ist nach "Cats" das berühmteste und bekannteste Musical von Andrew Lloyd Webber. Kaum ein Musical-Sampler kommt ohne einen Hit aus dieser Show, wie "Phantom Of The Opera", "Music Of The Night", "All I Ask Of You", "Think Of Me" oder "Whishing You Were Somehow Here Again" aus. Aber diese Coverversionen treffen nicht immer den "richtigen Ton".
Wenn schon Phantom, dann doch bitte die bisher unerreichte Original-Cast Aufnahme von 1987 mit Michael Crawford, der die Rolle des Phantoms mit zarter und kräftiger Stimme geprägt hat, und Sarah Brightman, deren Christine von ihrem Ex-Ehemann Sir Andrew Lloyd Webber auf ihre Stimmbänder geschrieben zu sein scheint.

Diese perfekte Aufnahme mit großem Orchester läßt trotz ihres Alters keine Wünsche offen und die Musik der Dunkelheit hält selbst in ihren dissonanteren Stücken den Zuhörer im Bann. Schnell sind dann auch kleinere Ungereimtheiten in der adaptierten Handlung von Gaston Laroux Romanvorlage vergeben und vergessen.
In der Gesamtaufnahme können wir dem Chormädchen Christine problemlos in die Unterwelt der Pariser Oper folgen, wo sie Gesangsstunden von dem maskierten Fremden mit der perfekten Stimme erhält, der ihr von ihrem toten Vater als der Engel der Musik in vielen Geschichten beschrieben worden ist. Doch Neider vereiteln die Karriere des Shooting-Stars, so daß grausame Morde den Weg zum Ruhm ebnen müssen. Aber die reine Jungfrau mit der kristallklaren Engelsstimme verliebt sich in einen Grafen aus dem Publikum und der Meister der Musen muß wieder einschreiten, bevor seine geliebte Schülerin für die Kunst verloren ist...
Auch ohne den live im Theater herunterkrachenden Kronleuchter ist diese CD ein Hörgenuß.

Fazit: Für jeden Musical-Fan ein Muß!


2. Original Cast CD mit Alexander Goebel, Luzia Nistler, Alfred Pfeifer
Gesamtaufnahme der deutschsprachigen Erstaufführung in Wien (2CD)
Musik: Andrew Lloyd Webber
Texte: Charles Hart, Richard Stilgoe (deutsch von Michael Kunze)
1. Akt: 60 min, 00 sec
2. Akt: 45 min, 45 sec
Polydor 1989

Bereits 2 Jahre nach der Londoner Uraufführung lag mit der österreichischen Produktion des Theaters an der Wien die erste deutschsprachige Version des Webber-Welterfolges vor. Michael Kunze bewies ein gutes Händchen bei der Übersetzung des Originals, so daß Alexander Goebel und Luzia Nistler in ihren Hauptrollen mit überdurchschnittlichen Stimmen eine gute Figur machen können. Qualitativ hoch ist auch das restliche Ensemble, das praktisch akzentfrei mit Bravour die für Musicalverhäntnisse doch schon anspruchsvolle Partitur meistern.

Opernhaft opulent, wie es bei dem Thema nötig ist, spielt das große Orchester mit der beeindruckenden Orgel auf. Auch diese Doppel-CD vermittelt als Gesamtaufnahme einen passablen Eindruck der unheimlichen Geschehnisse in der Pariser Oper im Jahre 1861.

Fazit: Perfekte Gesamtaufnahme mit klasse Künstlern für alle, die das Phantom in deutscher Sprache bevorzugen.


3. Original Cast CD mit Peter Hofmann, Anna Maria Kaufmann, Hartwig Rudolz
Höhepunkte der Aufführung aus Hamburg
Musik: Andrew Lloyd Webber
Texte: Charles Hart, Richard Stilgoe (deutsch von Michael Kunze)
60 min, 17 sec
Polydor 1990

Die deutsche Originalaufnahme aus Hamburg wartet mit dem Star-Tenor Peter Hofmann in der Titelrolle auf. Doch der blonde Lohengrin trifft als Phantom sicherlich nicht den Geschmack des überzeugten Musicalfans - zu sehr erinnert seine Stimme doch an die klassische Oper. Aber weil das Stück ja selbst in der Oper spielt, wollen wir mal nicht zu streng sein. Außerdem war die Wahl des Hauptdarstellers zur Deutschland-Premiere damals von Stella klug gewählt, da der Tenor schließlich einen bekannten Namen hatte.
Die weibliche Hauptrolle machte aus Anna Maria Kaufmann, deren Akzent auf der Einspielung manchmal doch unangenehm auffällt, einen gefeierten Musicalstar, von dem sie heute noch zehrt. Der wirkliche Musicalstar Hartwig Rudolz erscheint aus heutiger Sicht in der Rolle des Raoul ungewöhnlich besetzt, doch seine Leistung ist solide.

Im Vergleich zur Gesamtaufnahme aus Wien erscheint das Orchester dünn, blechern und zu sehr mit Syntheziser durchsetzt. Textlich hat es auch einige Veränderungen gegeben, die sicherlich ebenfalls Geschmacksache sind (ob nun ENGEL DER LIEDER oder MUSE, DIE MUSIK DER DUNKELHEIT klingt runder als die der NACHT und DER LETZTE SCHRITT ist einfacher getan als ein VON NUN AN GIBT ES KEIN ZURÜCK).

Fazit: Wien schlägt Hamburg 3:0 (in Hauptdarstellern, Orchester und Übersetzung)


4. Original Cast CD mit Henk Poort, Joke De Kruif, Peter De Smet
Höhepunkte der niederländischen Produktion aus Scheveningen
Musik: Andrew Lloyd Webber
Texte: Charles Hart, Richard Stilgoe (niederländisch von Seth Gaaikema
59 min, 26 sec
Polydor 1993

Seth Gaaikema ist eine perfekte Übertragung des Stückes ins Niederländische gelungen, so daß trotz der nasal-harten Sprache das Phantom auch in dieser Sprachfassung zu einem Ohrenschmaus werden konnte. Einen nicht geringen Anteil daran haben die phantastischen Hauptdarsteller Henk Poort und Joke de Kruif, die im Circustheater in Scheveningen für standing ovations sorgten. In den Niederlanden haben die beiden zurecht einen sympathischen Kultstatus erlangt, der in dieser Form hier in Deutschland nicht findet zu finden ist. Denn in Holland wird die Musical-Kultur im eigenen Land gehegt und gepflegt, so daß es auch immer schon für "Export-Schlager" wie Pia Douwes, Maya Hakvoort und Paul Kribbe berühmt war.

Und so verwundert es kaum, daß man unseren lieben Nachbarn zu der niederländischen Produktion nur anerkennend gratulieren kann. Eigentlich stellt sich nur die Frage, warum man den englischen Titel nicht gegen "Het Spook van de Opera" ausgetauscht hat - verdient hätte es die Aufnahme allemal!

Fazit: Bravi, Bravi, Bravissimi


5. Original Cast CD mit Höhepunkten der Toby´s Dinner Theatre Produktion mit Braxton Peters, April Harr, Stephen F. Schmidt
Musik: Tom Alonso
Texte: Tom Alonso
74 min, 40 sec
Toby´s Dinner Theatre Musicians 1992

In Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, kann man sich in "Toby´s Dinner Theatre" beim festlichen Schmaus vom mordenden Phantom unterhalten lassen. Mal abgesehen von der Thematik tragen Musik und Texte von Tom Alonso nicht gerade zu einem gelungen romantischen Abend bei.

In knapp 75 min wird der Zuhörer mit einer Handlung konfrontiert, die sich an der Webber-Version des Stoffes orientiert, als kleinen Bonus aber ausführlicher die Kindheit des Phantoms und dessen Beziehung zu seiner Mutter beleuchtet ("A Room Full Of Shadows"), eingebettet in eine Rahmenhandlung, in der eine Inquisition die Vorfälle in der Oper klären soll.

Die Kompositionen beschränken sich dabei aber auf einfache Tonfolgen ohne eingängige Melodien, die besonders in den Ensemblenummern bereits nach kurzer Zeit nerven. Passend dazu wird das Ganze von einem kleinen "Orchester" aus Violine, Klavier, Schlagzeug und Syntheziser interpretiert, dem die nötige Tiefe und das nötige Volumen fehlt. Der Cast wird dem Niveau der Produktion gerecht.

Fazit: Wer die Folterszenen aus Gaston Leroux Romanvorlage in der Webber-Version vermißt hat, wird mit dieser CD am eigenen Leibe auf seine Kosten kommen.


6. Original Cast CD mit Richard White, Glory Crampton, Paul Schoeffler
Höhepunkte der amerikanischen Weltpremiere in Dolby Surround
Musik: Maury Yeston
Texte: Maury Yeston
57 min, 56 sec
BMG Classics, RCA Victor 1993

Nachdem Andrew Lloyd Webber sein Phantom als Musicalversion ankündigte, wurden die ambitionierten Pläne des Autors Arthur Kopit und des Komponisten Maury Yeston für ihre eigene Vertonung des Stoffes fürs erste auf Eis gelegt. Doch der Sender NBC war an einer Verfilmung des Klassikers als zweiteilige Miniserie fürs Fernsehen interessiert. Kurzerhand wurde das Skript von Kopit umgeschrieben und mit Charles Dance und Burt Lancaster verfilmt (lief vor einigen Jahren auch im ZDF).
Seine Handlung setzt zeitlich vor der originalen Literaturvorlage von Gaston Leroux ein und beantwortet viele paradoxe Handlungsstränge des Buches. Herausgekommen ist keine weitere Horror-Version mit dem Phantom als mordenden Operngeist, sondern eine tragische Liebesgeschichte eines verunstalteten Genies. Hier erfahren wir erstmals, wie das Blumenmädchen Christine bei einem Gesangswettbewerb eines Pariser Cafés vom Grafen Phillippe de Chandon entdeckt wird und in der Oper dann ihren Mentor mit der geheimnisvollen Maske kennenlernt. Eine weitere, interessante Dimension der Handlung ist die Beziehung des Phantoms zum Manager des Opernhauses, der sein leiblicher Vater ist.

Nach dem Fernseherfolg dieser besonderen Interpretation fanden sich Investoren für die auf dieser Handlung beruhenden Musicalversion von Maury Yeston und kurze Zeit später feierte sein "Phantom" in Amerika seine Weltpremiere.
Die Musik erinnert nur in den Grundzügen an die klassische Oper, die Songs sind leicht beschwingt und erfreulich frisch ("Who Could Ever Have Dreamd Up You" ist so typisch Broadway, daß dieser Song eher unpassend aus den ansonsten ernsteren Stücken herausfällt). Die Kompositionen sind meiner Meinung nach sogar gefälliger als die von Andrew Lloyd Webber. Während Christines Debüt mit "Melodie de Paris" noch zum Mitschunkeln einlädt, gibt sie sich unter den "Music Lessons" des Phantoms bereits als lernfähige Schülerin, die anschließend ganz in ihrer Musik aufgeht ("You Are Music"). Hier kommen die angenehmen Stimmen von Glory Crampton und Richard White mit ihrem leichten Touch von Klassik gebührend zur Geltung, ohne daß man das Gefühl hat, eine Oper zu genießen. Und auch das stimmungsvoll aufspielende Orchester macht einen guten Eindruck - es muß nicht immer Webber sein!

Fazit: Das menschlichste Phantom in einer gut durchdachten Handlung mit gefühlvoller und ansprechender Musik - besser als der große englische Bruder?


7. Original Cast CD mit Peter Straker, Christina Collier, Steven Pacey
Höhepunkte der amerikanischen Premiere
Musik: Verdi, Donizetti, Gounod, Mozart, Offenbach, Weber, Bizet, Boito, MacNeill, Hill
Texte: Alasdair MacNeill, Ken Hill
59 min, 12 sec
Sharp Records 1993

Was liegt bei einer Musical-Version über ein Phantom der Oper näher, als berühmte Opernarien in die Handlung zu integrieren. Ken Hill verfolgt diese Idee konsequent weiter und läßt Christine nicht nur in der Oper "Faust" ihr erfolgreiches Debüt geben, sondern bediente sich für seine Phantom-Version ausschließlich bei klassischen Komponisten der Oper, arrangierte die Musik von Verdi, Offenbach, Gounod und Co. modern mit netten Synthezisereffekten und textete die Arien passend zur Handlung mit englischen Texten um.

Was jeden echten Klassikliebhaber auf die Barrikaden treiben wird, bildet für den unvoreingenommenen Hörer den adäquaten Rahmen für die Handlung, die sich hier erstmals sehr nah an der Romanvorlage von Leroux inklusive Perser und unterirdischer Folterkammern orientiert. Mit "While Floating High Above" aus dem Perlenfischer von Bizet ist den Produzenten sogar ein ganz eingängiger Hit gelungen, der als Bonus-Track als wundervolles Liebesduett arrangiert wurde. Trotz klassischem Hintergrund beweist der Komponist eine Menge Humor. So lockern Stücke wie "What An Awful Way To Perish" oder "She Says She´s Got The Nodules" mit textlichem Witz die düstere Handlung immer wieder auf und ein Seitenhieb auf das berühmteste Phantom, bei der die schallernde Carlotta nicht von dem großen Kronleuchter auf der Bühne, sondern von einem kleineren in ihrer Garderobe erschlagen wird, bleibt nicht aus.

Leider wurden diese grandiosen Ideen nicht mit der nötigen Sorgfalt in die Praxis umgesetzt. Zwar sind die Musicaldarsteller nicht wirklich schlecht, es fehlt ihnen doch die klassische Opernstimme, die in einigen Passagen bei den Songvorlagen unumgänglich ist. Dazu wurde das Orchester zu stark durch den Syntheziser ersetzt, was den Hörgenuß empfindlich schmälert.
(Eine wirklich gelungene Synthziser-Version von "While Floating High Above", interpretiert von Renee Knapp und Hartwig Rudolz, ist auf dem Musical-Sampler "Being Alive! - The Art Of German Musicalstars", der exklusiv beim Musicalversand Sound Of Music bestellt werden kann, veröffentlicht!)

Fazit: Authentischste Musicalumsetzung des Phantom-Stoffes mit klassischer Musikvorlage leider nur befriedigend produziert.


8. Original Cast CD mit Johnny Logan, Susannah Glanville, Kathy Dooley, Stephen Lee Garden
Höhepunkte der Eis Revue der Russian Ice Stars
Musik: Roberto Danova
Texte: Roberto Danova
79 min, 32 sec
Plaza Records 1996

Produzent Vee Deplidge brachte im November 1995 die Geschichte um das Phantom der Oper erstmals auf glatte Schlittschuhkufen. The Russian Ice Stars präsentierten in der Choreographie von Guiseppe Arena (La Scala) und Evgenny Goremekin (Bolshoi Ballett) die klassische Geschichte künstlerisch vollendet als Eis-Revue.

In der internationalen Produktion war der italienische Komponist Roberto Danova, der bei "Il Bel Canto" selbst mitsingt, für die musikalische Umsetzung verantwortlich. Herausgekommen ist dabei ein frischer Mix aus Pop und Klassik, bei dem Instrumentalstücke und Songs in gleichen Anteilen vertreten sind. Durch den hohen Anteil an symphonischen Stücken ist der Handlung nicht bis ins letzte Detail zu folgen und auch die gesungenen Passagen, teils rockig-balladig in englisch oder klassisch in italienisch, stehen oft isoliert da. Trotzdem gibt es einige nette Songs zu entdecken: "Born To Love You" von Johnny Logan hat beinahe Grand Prix Qualitäten und "The Face Behind The Mask" hätte man auch schon in der Hitparade hören können...

Großer Nachteil der Produktion sind die Syntheziser-Arrangements der Songs, denn was bei den rockigeren Stücken nicht besonders ins Gewicht fällt, nervt durch zu blechernen Ton bei den Balladen und klassischen Titeln. Mit einem richtigen Orchester anstatt dem "Northern Light Symphony", die wirklich nur eine Light-Version darstellen, hätten es die netten Songs wirklich verdient, öfter in den CD-Player geschoben zu werden.
Die Sänger sind befriedigendes Mittelmaß, nichts außergewöhnliches, aber auch keine Zumutung für die Ohren.

Fazit: Nette Songs erträglich präsentiert - eben doch nur eine Eis-Revue und kein großes Musical.


Doch man will sich schließlich nicht nur vor dem heimischen CD-Player gruseln. Wer das PHANTOM mal Live erleben will, kann dies nicht nur in Hamburg bzw. demnächst in Stuttgart, sondern auch in so mancher Tournee-Produktion. Es sei hier aber erwähnt, daß man in den alternativen Spielstätten NIE das Webber-PHANTOM hören wird:
Bei den Tournee-Produktionen zum Thema "Phantom der Oper" weiß der Musical-Fan oftmals gar nicht, was für ein Phantom nun schon wieder unterwegs ist.

Angefangen hat der Phantomboom natürlich mit der Webber-Produktion in Hamburg. Bereits kurze Zeit später gab es dann die Tournee von "The Phantom of the Opera" mit der Musik von Weber. Zunächst achtete kaum jemand auf das fehlende zweite b, denn eigentlich handelte es sich um die Musicalfassung von Ken Hill, der ganz auf die klassischen Komponisten, wie Bizet, Mozart, Verdi und eben Weber zählt. Dank der netten Idee, Opernarien mit neuen, englischen Texten zu bestücken und die Handlung immer mit einem Augenzwinkern auf das große Londoner Vorbild witzig zu inszenieren, ist diese Produktion als nette Abwechslung für Phantom-Fans zu sehen (eingefleischte Liebhaber der klassischen Oper werden wohl eher schockiert sein).

Aber die Hill-Version war nur die Spitze des Eisbergs!
Im "Phantom of the Opera" von Maury Yeston konnte der Zuschauer eine romantische Adaption des Stoffes erleben, die der Webber-Fassung vom inhaltlichen Geschehen leicht den Rang abläuft. Die Werbung versprach ein "großes Orchester mit großem Ballett" und tatsächlich war die akustische Umsetzung für eine Tournee-Produktion überdurchschnittlich (von den vier mittelmäßigen "Prima-Ballarinas" einmal abgesehen) und selbst die Kulissen ließen die Atmosphäre der Pariser Oper beinahe zur Realität werden. Über die wechselnden Masken des Phantoms, die immer seine Stimmung ausdrücken sollten, auf mich jedoch zu schrill und bunt oder einfach nur unpassend wirken, kann man sicherlich geteilter Meinung sein. Die Produktion an sich ist aber sicherlich sehenswert, wenn mir auch die Eintrittspreise ohne Ermäßigung aller Tournee- Produktionen von bis zu 120 DM weit überteuert erscheinen.

Kommen wir nun aber zum Etikettenschindel par excellence. Seit Herbst 1996 zieht der Musical-Thriller in deutscher Sprache "Phantom der Oper" von Hoffmann und Freynik durch deutsche Lande (und der Spuk geht auch 2002 weiter!).
Als ich 1998 zwei Freikarten für dieses Phantom bei einem Preisausschreiben gewann, freute ich mich auf ein Wiedersehen mit dem Yeston-Phantom, denn die Werbeplakate ähnelten sich bis aufs Haar der Hauptdarstellerin. Erst in der Grugahalle in Essen erfuhr ich im Programmheft, daß es sich um eine "neue" Produktion handelt.
Kostüme und Kulissen wurden ohne Ausnahme originalgetreu von der Yeston-Fassung übernommen! Viel schlimmer aber waren inhaltliche und musikalische Umsetzung des Gaston Laroux-Stoffes. Die zündende Idee, das Phantom als Sprengstoffexperten fungieren zu lassen, das ganz Paris in die Luft jagen will, gingen ebenso daneben wie alle Songs der Show, die vollkommen unmusikalisch keinen einzigen Höhepunkt bereithalten mit deutschen Texten, die unfreiwillig komisch wirken. (z.B. die Arie der Christine: "Der eine wird Bäcker, der and´re Dentist, der nächste Barbier, oder Dorfpolizist. Ein Nachbar studierte und wurde Jurist. Nur einer wurd´ Künstler, der ist Cirkusartist. Alle fragen nun immerzu: Christine, was bist du?"). Mit einem Wort: diese Phantom-Variation ist die investierte Zeit und erst Recht nicht das Eintrittsgeld wert!
Sehr bedauerlich fand ich die Äußerungen einiger Zuschauer während der Pause: "In Hamburg war das aber irgendwie anders!" oder "Darum machen alle meine Bekannten so einen Rummel?" Deshalb noch einmal in aller Deutlichkeit: DAS Phantom der Oper von Andrew Lloyd Webber gibt es in Deutschland NUR in Hamburg!!!


Also das PHANTOM doch lieber zu Hause? Wie steht es denn mit der Literatur zu diesem Thema?

1. "Das Phantom der Oper" von Gaston Leroux erschien bereits 1939 in Paris und inspirierte seitdem zahllose Autoren in Theater, Film und Fernsehen zu immer neuen Variationen zum Thema verunstaltetes Biest liebt singende Schöne. Andrew Lloyd Webber´s Phantom-Version ist eines der erfolgreichsten und faszinierenden Musicals der Neuzeit und ist in seiner Auslegung zum Identifikations-Standart geworden. Aber war das Phantom wirklich nur der verschmähte Liebhaber oder doch ein barbarisches Monster, der seine Feinde in Folterkammern peinigt?
Gaston Leroux Originalroman, der angeblich nach den Worten des Autors auf Tatsachen basiert, geht über das Musical-Phantom hinaus. Der Leser erfährt nicht unbedingt mehr über die Hintergründe von Erik, Christine und Raoul; die Handlung wird durch den zusätzlichen Charakter des Persers eher verwirrender und verzettelt sich in einigen Ungereimtheiten und Widersprüchen. Die altertümlich anmutende Sprache des allwissenden Erzählers, der gern zwischen den Zeiten und Personen-Sichtweisen wechselt, trägt auch nicht zum besseren Verständnis der Vorgänge unter der Pariser Oper bei.
Trotzdem sollte jeder Phantom-Fan einmal die Originalliteratur zu seinem Lieblingsmusical gelesen haben - es lohnt sich doch!

Fazit: Horrorroman mit stark romantischen Akzenten und einigen logischen Fehlern.

Gaston Leroux: "Das Phantom der Oper"
Gebunden: ISBN 3-446-15296-2 im Hanser Verlag, 1988
Hier online-Bestellung bei Amazon.de.
Taschenbuch: ISBN 3-423-20269-6


2. Brandaktuell ist der Fortsetzungsroman zu Andrew Lloyd Webber´s Phantom "Das Phantom von Manhatten", welches die Vorlage zum zweiten Teil des geplanten Musicals darstellt, auch wenn diese Pläne von Sir Andew Lloyd Webber längst wieder fallen gelassen wurden!
Der Autor Frederick Forsyth, der bisher mit Politthrillern wie "Der Schakal" bekannt wurde, versucht sich diesmal im Genre der Romantik. Der Roman knüpft direkt an das Webber-Musical mit den bekannten Charakteren an: 13 Jahre nach dem Verschwinden des Phantoms der Oper schickt Madame Giri einen Brief mit wertvollen Informationen an ihr Mündel Erik, der in Amerika untergetaucht ist. In dieser Zeit ist es dem Phantom durch Beteiligungen an Vergnügungsparks und Börsenspekulationen gelungen, ein Vermögen anzusammeln und eine Oper zu bauen, die mit der weltberühmten Operndiva Christine Vicomtesse de Chagny eingeweiht werden soll. Als diese mit ihrem 12 jährigen Sohn in die neue Welt reist, nehmen die unheimlichen Dinge ihren Lauf...
Forsyth versteht es auf 240 Seiten durch einen interessanten Erzählstil, in dem kapitelweise jeweils eine Person aus ihrer Ich-Perspektive berichtet, den Spannungsbogen trotz einiger haarsträubender Entwicklungen (das Phantom als Vergnügungsparks-Clown!?!) hoch zu halten. Inwieweit sein interessanter Roman auf der Musicalbühne umsetzbar ist, bleibt dem Genie Andrew Lloyd Webbers überlassen. Zumindest wäre dies die erste moderne Musical-Fortsetzung, die zeitgleich zum ersten Teil in den Theatern der Welt aufgeführt werden würde.
Lesenswert ist auch das ausführliche Vorwort, in dem uns der Autor über den Phantom-Kult mit allen Auswirkungen und sein Verhältnis zum Originalroman und Musical aufklärt.

Fazit: Das Webber-Phantom 2, als Roman eine gut lesbare Bettlektüre für Fans.

Frederick Forsyth: "Das Phantom von Manhatten"
Gebunden: ISBN 3-570-00325-6 im Bertelsmann Verlag, 2000


3. "Das Phantom" von Susan Kay ist weder das Webber- noch das Leroux-Phantom. Es ist die bisher ungeschriebene Lebensgeschichte des Phantoms der Oper. Dank der perfekten und spannenden Erzählkunst, die weit über die bisherigen "Veröffentlichungen" hinausgeht, erfahren wir erstmals alle relevanten Hintergründe aus dem Leben des verunstalteten Erik, dessen Mutter nicht fähig war, ihrem Sohn einen Kuß zu geben, bis zum tragischen Ende der verfolgten und mißverstandenen "Kreatur".
Fesselnd erzählt hält sich der Roman nur an die Grundpfeiler der Phantom-Legende und räumt auf mit allen Widersprüchen und Unklarheiten der Geschichte von Leroux. Der Phantom-Fan erfährt auf 414 Seiten alle Einzelheiten der Kindheit von Erik mit der tragischen Beziehung zu seiner Mutter, seinen Jugendjahren in Persien, Rußland, Italien und Belgien, bis die Odyssee eines faszinierenden Menschen schließlich in der Pariser Oper sein (doch noch nicht so) wohlbekanntes Ende findet.

Fazit: Ein phantastischer Roman, den man nicht mehr aus den Händen legt.

Susan Kay: "Das Phantom"
Gebunden: ISBN 3-502-219356-8 im Scherz Verlag, 1998
Taschenbuch: ISBN 3-453-06355-4

Wenn Sie jetzt noch Fragen haben, schauen Sie einfach auf meiner Homepage www.musical-world.de nach...

12 Bewertungen, 3 Kommentare

  • Steinchen1

    10.03.2002, 00:45 Uhr von Steinchen1
    Bewertung: sehr hilfreich

    Jetzt hab ich quadratische Augen - toller Bericht. Gruss, Steinchen

  • FrauNeedle

    24.02.2002, 11:30 Uhr von FrauNeedle
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr ausführlich - Kompliment

  • Maeuschen21

    15.02.2002, 19:19 Uhr von Maeuschen21
    Bewertung: sehr hilfreich

    Schönes WE wünscht dir Mandy