Felidae (Taschenbuch) / Akif Pirincci Testbericht

Goldmann-wilhelm-gmbh-felidae-taschenbuch
ab 10,54
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Erfahrungsbericht von xtombrix

Akif Pirincci: Felidae - mehr als ein Katzenkrimi

Pro:

Spannung und philosophischer Hintergrund machen das Buch zu wesentlich mehr als einem Krimi.

Kontra:

Nur wenige allzu deutliche NS-Parallelen - hier trägt der Autor wohl ganz bewusst etwas zu dick auf (Verkaufsgarantie?).

Empfehlung:

Ja

Zu \"Felidae\" ist schon vieles geschrieben worden. Ich halte den Roman aber für mehr als einen Krimi. Er hat einen ernsthaften philosophischen Hintergrund.

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1. Inhalt
2. Aufbau mit ausführlicher Inhaltszusammenfassung
3. Philosophischer Hintergrund
4. Bewertung

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1. Inhalt:
Francis, ein intelligenter Kater, zieht mit seinem Herrn in ein altes Haus ein. Nach und nach stellt er fest, daß in der Gegend Morde an Katzen stattfinden und daß der Schlüssel für diese Verbrechen in dem alten Haus liegt, daß früher ein Versuchslabor beherbergt hatte. In diesem waren Katzen bei dem Versuch, einen Gewebekleber herzustellen, hingeschlachtet worden. Ein Kater mit einer Gen-Anomalie war das Hauptversuchstier, weil bei ihm allein der Kleber wirkte, so daß er unsägliche Qualen erleiden mußte. Schließlich tötete der Kater den Versuchsleiter und konnte sich so befreien. Aus Rache und in dem Wahn, daß Katzen die auserwählte Rasse auf Erden seien, will er nun eine Superkatzenrasse züchten, um die Erden von den Menschen zu säubern und die Weltherrschaft anzutreten. Weil die Zucht nicht gefährdet werden darf, tötet er alle, die ihr gefährlich werden könnten. Am Ende ist er zu alt und zu krank, um sein Werk zu vollenden, so daß er einen Nachfolger sucht. Dieser soll Francis sein, der sich aber dem Angebot verweigert und in einem Kampf den Mörder tötet.

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2. Aufbau:
Das Geschehen spielt auf verschiedenen Ebenen, die wohldurchdacht in Bezug zueinander gesetzt sind. Auf der Handlungsebene sei das Geschehen hier etwas ausführlicher wiedergegeben, damit die anderen Ebenen besser zugeordnet werden können (die römischen Ziffern bezeichnen die Kapitel):

I
Der Umzug in ein neues, unheimliches Haus (Geruch, Erscheinung) führt zur Begegnung mit Blaubart (merkwürdige äußere Erscheinung). Die erste Leiche wird gefunden.

II
Während der Renovierungsarbeiten kommt es zur Begegnung mit Deep Purple (2. Opfer) und Kong.

III
Francis erlebt den Ritus der \"Claudandus-Sekte\" (Claudandus = \"Sohn des Schmerzes\") mit. Auf einer Verfolgungsjagd - die Sekte hat ihn bemerkt - begegnet Francis Felicitas, einer blinden Katze, die Opfer von Menschen (Tierversuch) geworden war. Sie gibt ihm die Information, daß der Mörder ruhig mit seionen Opfern gesprochen hat (Autorität, bekannt) und eine Erklärung zu Claudandus (Märtyrer, der gefoltert, dann aber gerettet wurde).

IV
Francis trifft Pascal (beherrscht Computer; Programm FELIDAE mit Angaben über alle Katzen des Bezirks), der die Gattung FELIDAE über alles verehrt. Da wird der Mord an Felicitas bekannt.

V
Franzis muß sich abreagieren, indem er im Keller von \"Dr. Frankenstein\" im Haus auf Rattenjagd geht. Dabei entdeckt er das Tagebuch von Prof. Preterius (= Dr. Frankenstein).

VI
Nun folgt die Wiedergabe des Tagebuchs: Es ist ein Bericht über Tierversuche mit dem Ziel, einen Zellklebstoff zu finden; Mißlingen des Versuchs, Ausnahme ist der Kater Claudandus (Erklärung des Namens), der eine besondere genetische Struktur aufweist; nach dem Versagen aller anderen Experimente entsteht Geldmangel, und es erfolgt der Rückzug der Firma und der Angestellten, so daß illegal Versuchstiere (Katzen) beschafft werden. Pretorius verfällt dabei in Wahnsinn.

VII
Es kommt zu einer Auseinandersetzung von Francis mit Kong (Revierkater) und zu einer Verfolgungsjagd, auf der Kongs tote Freundin \"Solitaire\" gefunden wird. Francis sieht einen verwahrlosten Perser und folgt ihm in Katakomben. Dort findet er viele mumifizierte Katzen. Im Gespräch mit Jesaja (= Totenwächter/Perser) - offensichtlich auch ein Versuchstier (Junges)- erfährt er, daß er befreit (als \"die Zähne der Frevler zerbrochen wurden\") und von Vater Joker gerettet, später vom \"Herrn\" direkt zum Totenwächter in der Katakombe bestellt (Beseitigung der ersten Leiche) wurde; in letzter Zeit aber gab es weder Gespräch mit dem Herrn noch weitere Leichen. Francis sieht seine Überlegungen durch Jesaja bestätigt (Trächtige und Verstümmelte als Opfer).

VIII
Francis erlebt ein Liebesabenteuer mit einer unbekannter, besonders feinen und wilden Katze (\"wie Kleopatra\" - \"neu-alte Rasse\").
Joker steht nun unter Verdacht. In einem Gespräch mit Pascal (nennt den Namen \"Ziebold\" = Pascals Halter) stellt Francis seine Ergebnisse vor. Er hat den Plan, alles mittels Computerliste zu prüfen; Pascal behauptet, der Mörder beginne Fehler zu machen. Man stellt gemeinsame Überlegungen zum Mörder an (Pascal redet immer in der Ich-Form!), wobei Pascal den Verdacht auf Joker lenkt, der aber plötzlich verschwunden ist. Es werden eine Computerfahndung beschlossen und eine Distriktversammlung einberufen. Blaubart erzählt Francis davor, daß Pascal Krebs (1/2 Jahr Lebenserwartung) hat.

IX
Die Computerfahndung führt zu dem Ergebnis, daß es bislang ca. 450 Opfer gibt. An Weihnachten findet die Versammlung statt, auf der Pascal zum Stand der Ermittlungen (Opfer, Katakombe) spricht und Francis zu den Tierversuchen. Pepeline (Urenkelin Jokers) berichtet über Claudandus: Er hat überlebt. Pascal macht Joker zum Mörder (Claudandus scheide aus, weil er das Grauen erlebt habe.) Nach der Auflösung der Versammlung bekennt Pascal, er glaube nicht an das Gesagte (nur zu Francis). Nun wächst in Francis ein Verdacht, was weitere Indizien verstärken: Joker ist tot, alles sieht nach freiwilliger Hinrichtung aus; er entdeckt ein Buch mit der Abbildung einer ägyptischen Katze (Pharaonengrab) und liest über Mendels Vererbungslehre nach.

X
Francis geht zu Pascal und findet im Computer ein Zuchtprogramm und eine Tötungsliste (Paßwort: FELIDAE). Im Gespräch mit Pascal (= Claudandus) erfährt er von dessen Leben und Leiden, von der Tötung Preterius\' und der Aufnahme durch Ziebold sowie seine Pläne (Beteiligung Jokers usw.).
Claudandus will die Herrschaft der Menschen durch die der Katzen ablösen! Und Francis soll Claudandus\' Nachfolger werden, da sie geistige Zwilling seien. Francis will das aber alles verhindern. In einem finalen Kampf stirbt Pascal.

Epilog
Pascals Haus brennt ab. Francis gibt den Namen des Mörders jedoch nicht bekannt, zerstreut aber den Verdacht gegen Joker.

Diese Chronologie wird auf zwei unterschiedlichen Ebenen begleitet: eine Traumebene und eine der Reflexion.

Traumebene:

II
1. Alptraum: Haus als Folteranstalt (Labor), Erscheinung des Mannes im weißen Kittel (gesichtslos, aber mit den gelben Augen eines Artgenossen, die weinen)

III
2. Alptraum: Deep Purple zeugt und vernichtet Nachkommen am laufenden Band.

V
3. Alptraum: Vernichtungseindruck (Zerstörung, Leichenberge von Katzen), darin regierend überlebensgroßer Gregor Mendel (verwendet dieselben Wörter zum Ruhm der Katzen wie Pascal! Lob der Art FELIDAE)

VIII
4. Traum (Vision): Preterius in Käfig und Zwangsjacke, weißer Mörder mit gelben Augen bekennt, er sei \"Mörder, Prophet, Preterius, Mendel, Rätsel, Mensch, Tier und Felidae\". Aufforderung, die Seite zu wechseln und mit nach Afrika zu gehen, dem verlorenen Paradies.

Man sieht, im Traum erschließt sich für Francis das Geschehen.

Gleichzeitig wird das Geschehen von allgemeinen philosophischen Refexionen begleitet:

I
- einleitende Erzählerreflexion über Geschichte (allgegenwärtiger Horror)

III
- Welt als Ort des Kampfes
- Reflexion über die Existenz Gottes (Theodizee)

Epilog
- Reflexion über das Gute und Böse, über Gerechtigkeit
- Bekenntnis zur Gemeinsamkeit von Mensch und Tier

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3. Philosophischer Hintergrund:
Eine zentrale Frage, die hier gestellt wird, ist die, warum denn Gott das Böse in der Welt zuläßt. Ich möchte dieses Frage mit einem Ausschnitt aus Gottfried Wilhelm Leibniz: \"Die vernünftigen Grundsätze der Natur und der Gnade\" illustrieren, der davon ausgeht, in der besten aller möglichen Welten zu leben. Da ich selbst keine endgültige Antwort habe - welcher Mensch hätte die schon -, möchte ich sie hier nur als Anregung in Gestalt eine Textes geben, der allerdings viel optimistischer ist, als wir es heute sein können. Dennoch sind es fast immer die Unzulänglichkeit der Menschen, die das Böse herbeiführen - zumindest das Leid durch menschliches Tun oder Unterlassen. Naturkatastrophen erfordern andere Fragen:

\"Vorausgesetzt ferner, daß Dinge bestehen müssen, muß man den Grund dafür angeben können, weshalb sie so und nicht anders bestehen müssen.
8. Denn dieser zureichende Grund vom Bestehen des Weltalls läßt sich nicht in der Reihe der zufälligen Dinge, d. h. der Körper und ihrer Vorstellungen in den Seelen finden: weil der Stoff an sich gegen Bewegung oder Ruhe (und zwar gegen Bewegungen jeder Art) eine unbestimmte Haltung einnimmt, kann man in ihm nicht den Grund für die Bewegung an sich, geschweige denn für eine bestimmte Bewegung finden. Und obwohl die gegenwärtige Bewegung, die im Stoff vorhanden ist, aus der vorhergehenden stammt und diese wieder von einer vorhergehenden, kommt man doch auf diesem Wege nicht weiter, soweit man auch zurückgehen wollte, die Frage bleibt immer die gleiche. Es muß also der zureichende Grund, der keines andern Grundes bedarf, außerhalb dieser Kette von zufälligen Dingen liegen und in einem Stoff vorhanden sein, der die Ursache jener Kette und ein notwendi-ges Wesen ist, das den Grund seines Bestehens in sich trägt. Andernfalls hätte man noch keinen zureichenden Grund, bei dem man Halt machen könnte. Und diesen letzten Grund der Dinge nennt man Gott.
9. Diese einfache, ursprüngliche Substanz muß höchst greifbar die Vollkommenheiten in sich enthalten, die in den abgeleiteten Substanzen (die von ihm ausgehen) enthalten sind. Ihre Macht, ihre Erkenntnis und ihr Wille werden also vollkommen sein, d. h. sie wird allmächtig, allwissend und allgut sein. Und da die Gerechtigkeit ganz allgemein verstanden, nichts anderes ist als die der Weisheit entsprechende Güte, muß in Gott also auch eine vollkommene Gerechtigkeit vorhanden sein. Der Grund, der durch sich die Dinge bestehen läßt, macht sie auch in ihrem Bestehen und Tun von sich abhängig; sie erhalten unaufhörlich von ihm, was sie zu einer Art von Vollkommenheit bringt; der Rest aber von Unvollkommenheit, der ihnen bleibt, stammt von der seinsmäßigen und ursprünglichen Begrenzung des Geschöpfes.
10. Aus der höchsten Vollkommenheit Gottes folgt, daß er bei der Erschaffung des Weltalls den bestmöglichen Plan benutzt hat, der die größte Mannigfaltigkeit mit der größten Ordnung vereinigt; Platz, Ort und Zeit sind so gut wie nur möglich eingerichtet; die größte Wirkung wird mit den einfachsten Mitteln erzielt; die Geschöpfe verfügen über die größte Macht, die größte Erkenntnis, das größte Glück und die größte Güte, die für das Weltall erträglich sind. Denn im Verstande Gottes streben alle Möglichkeiten auf das Bestehen hin, und zwar um so mehr, je vollkommener sie sind. Das Ergebnis aller dieser Strebungen muß sein, daß die wirkliche Welt die vollkommenste ist, die nur irgend möglich ist. Anders könnte man keinen Grund dafür finden, weshalb die Dinge sich so und nicht anders entwickelt haben.
12. Es folgert weiterhin aus der Vollkommenheit des höchsten Schöpfers, daß nicht nur die Ordnung des ganzen Weltalls die vollkommenste ist, die möglich ist, sondern auch, daß jeder lebendige Spiegel, der das Weltall von seinem Gesichtspunkt aus darstellt, d. h. jede Monade, jeder stoffliche Mittelpunkt die bestgeordneten Vorstellungen und Strebungen haben muß, die allen übrigen Dingen entsprechen.\"
(Quelle: Zeise, Hans: Philosophische Lesestücke. Karlsruhe 1971, S. 35 - 40, gekürzt)

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4. Bewertung:
Mit \"Felidae\" hat der Leser nicht nur eine originelle Geschichte, die wohldurchdacht ist, sondern auch einen spannenden Krimi vor sich. Er langweilt auf keiner Seite, auch wenn das \"Vermenschlichen\" von Tieren höchst problematisch ist. Nur wenigen gelingt das so wie E.T.A. Hoffmann mit den \"Lebens-Ansichten des Katers Murr\". Damit ist \"Felidae\" aber nicht zu vergleichen.
Der Mehrwert der Lektüre erschließt sich dem Leser aber erst, wenn er die Ebene der Handlung verläßt und die des Hintergrundes betritt. Eine Fülle von interessanten Themen werden angeschnitten: Gentechnik, Rassenwahn, Tierversuche, gerechte Rache. Das bietet Anregung genug zum Weiterdenken.
Allerdings - das sei auch gesagt - ist das Buch sprachlich nicht sehr originell, und auch die Konstruktion zwar wohldurchdacht, aber auch etwas gezwungen. Deshalb ist es zwar genußvoll zu lesen, zu den Höhepunkten der Literaturgeschichte gehört es aber nicht. Er ist vielmehr handwerklich und thematisch sehr bewußt für den Literaturmarkt geschrieben, was den Leser nicht am Vergnügen und am Weiterdenken hindern sollte.

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Akif Pirinçci: Felidae; Goldmann Verlag München 1989, Taschenbuch, 287 Seiten, 8,- Euro, ISBN: 3442092981