Reise, Reise - Rammstein Testbericht

Reise-reise-rammstein
ab 16,32
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Summe aller Bewertungen
  • Cover-Design:  sehr gut
  • Klangqualität:  sehr gut

Erfahrungsbericht von tar_rgnrst

Rammsteins Ankunft

4
  • Cover-Design:  gut
  • Klangqualität:  sehr gut

Pro:

Bissig, Bösartig und einfach tolle, harte Musik

Kontra:

nicht genug Innovation

Empfehlung:

Ja

Rammstein sind wieder zurück, etwas mehr als 3 Jahre nach ihrem letzten Release "Mutter" (was mir schon wie eine Ewigkeit vorkommt) und sie sind die Alten geblieben. Wenn der Titel des neuen Albums "Reise, Reise" lautet, ist klar dass die musikalische Reise von Rammstein schon mehr oder weniger abgeschlossen ist und keine grosse Experimente mehr gemacht werden, wenn auch ungewöhnliche Elemente wie Mandolinen und Akkordeons das Gesamtbild auflockern. Vielmehr spielen mit dem Titel und Cover (wenn auch etwas spät) auf die Ereignisse des 11. Septembers 2001 an, was sich auch in das Lied "Dalai Lama" eingeschlichen hat. So steht auf dem Cover "Flugrekoder - Nicht öffnen" und in demselben Orange-Weiss ist auch das Booklet gehalten mit Abbildungen abgestürzter Flugzeuge. Immerhin sind die Songtexte alle im Booklet - was ja heute keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Doch los geht die Reise!

Das Album beginnt auch gleich mit dem Titeltrack "Reise, Reise" und wie üblich bei Rammstein (besonders seit Mutter) ist ein längeres Intro vorgeschaltet, mit Seemöven und Wellen, bevor dann der volle Klang der Gitarren loslegt und klar wird, dass Rammstein immer noch die Alten sind. Till Lindemanns Stimme hört sich gut an in dem ersten Track, wenn es doch nicht den Biss für einen Titeltrack hat und eher etwas platt das Album einläutet.
Doch glücklicherweise folgt dann mit "Mein Teil" (das schon als Single erhältlich war) wieder ein Lied, das beweist, dass Rammstein nichts von ihrer bissigen Bösartigkeit verloren haben. Sie nehmen auf den (mehr oder weniger) aktuellen Vorfall des Kannibalen von Rotenburg Bezug, und der Satz "du bist was du isst" könne besser nicht formuliert werden!
In die höhren Sphären des Genius winden sich Rammstein da immer weiter, mit ihrer Interpretation des Erlkönigs, die sie mit "Dalai Lama" übertitelt haben, thematisieren sie unsere Abhängigkeit von der Technik und unserem Traume, ungestraft durch die Lüfte reisen zu dürfen und wie auch im vorigen Lied kommt Till Lindemanns Stimme hier zu ihrer vollen Höhe und wie auch die vorhergehenden Lieder handelt es sich hierbei um einen Midtempo-Metal Song mit einigen elektronischen Untermalungen.
Der nächste Song, äussert depressiv sowohl in Stimmung als auch musikalisch (kein Höhepunkt), heisst "Keine Lust" und beschreibt einen erfrierenden Menschen, der merkt, wie es immer kälter und kälter wird, sehr viel Kraft darin und er erinnert mich an den Film "101 Reykjavik", beschreibt den Sterbenden welcher alle seine Lust (es kann auch als das verlieren der sexuellen Lust interpretiert werden) verloren hat. Hier wird der Nihilismus dargestellt und eine Warnung ausgesprochen vor dieser Lebensverneinenden Einstellung.
Nach "Keine Lust" kommt als Kontrapunkt "Los", die Energie und der Wille nach der Lustlosigkeit und es ist ein toller Song, welcher das etwas gesunkene Niveau wieder zu heben versucht und das mit seinem eigenwilligen Ansatz auch schafft. Rammstein mockiert sich dabei über ihre Kritiker der ersten Stunde und blicken zurück in ihre Bandgeschichte und mit einem nicht sehr metal-mässigen aber mitreissenden Rhytmus vermögen sie zu überzeuge in diesem Song und lockern ihn zweimal humoristisch auf mit Munharmonika und Countrygitarren.
Doch der absolute Höhepunkt des Albums ist "Amerika" (welches auch schon als Single zu erhalten war) und nicht nur musikalisch ist dies der vollkommene Top-Song auf dieser Scheibe; Rammstein winkt mit dem Zaunpfahl der globalisierende Amerikanisierung zu, auch wie sie in der Musik geschieht mit immer mehr Bands, die in englischen singen, und versuchen sich sogar in einem ironischen Ansatz in einigen englischen Zeilen, gewöhnungsbedürftig hammermässig. Aber der Refrain geht einfach sofort ins Blut und wer den Video gesehen hat, der weiss wovon ich spreche.
Gleich danach, als Gegensatz, steht "Moskau", welcher den Höhepunkt noch um zu verlängern vermag und diese Besingung der russischen Hauptstatz, welche mit der Stimme einer russischen Sängerin untermalt ist und einfach phantastisch ist, die schönste Stadt der welt ist für Rammstein eben immer noch Moskau und mit Amerika haben sie eben wie ganz Europa ihre Probleme.
Doch dann sinkt das Niveau merklich mit dem humoristischen "Morgenstern" in welcher die Hässlichkeit besungen wird, doch sowohl musikalisch und auch textlich kann dieser Song nicht anknüpfen und steht etwas schräg auf der CD - besonders auch mit seinen Chor-Einlagen.
Doch mit der wunderbaren Umsetzung von Poe's "A Cask of Amontillado" in dem nächsten Song "Stein um Stein" lässt den vorhergehenden Song schon wieder vergessen, so eingehend und ergreifend, zynisch und bösartig bissig, wie es Rammstein auf dieser CD nur zweimal wird und dies sogar die alten Höhen beinahe zu übertrefen vermag. Der Refrain des eher langsamen Liedes geht sofort ins Ohr und lässt einem dieses Lied wieder und wieder hören.
Doch eindeutig geht die CD zu Ende, "Ohne Dich" ist eine Ballade (doch keine besonders gelungene) ohne Biss, dafür Melancholie und Wehmut beinahe bis zum Erbrechen und genauso geht es in "Amour" weiter, welche das Album zwar ausklingen, aber doch etwas sehr verlangsamen gegen das Ende. Wenn auch das melodramatisch traurige schön sein kann, ist mit diesen beiden Liedern (und eigentlich auch "Morgenstern") ein bisschen zuviel des Gute getan.

Also eine durchaus solide Rammstein CD, auf welcher auch der schon in "Mutter" begonnene Trend in Richtung politischer Positionierung ersichtlich wird. Ihre Musik vermag nicht zu überraschen aber auch nicht zu enttäuschen und die Band wartet mit doch bissigen und frischen Texten auf, wenn man auch bemerkt, dass sie gewissermassen angekommen sind und eher zurück denn vorwärts schauen ("Los") und darüber mag der Titel auch nicht hinwegzutäuschen. So stellt sich die Frage, was Rammstein nun tun werden, ob sie sich wieder einen Ruck zu gebeb imstande sind und ihre Reise fortsetzten werden auf der nächsten CD oder sich selbst zu kopieren beginnen werden. Zumindest auf dieser CD haben sie sich nicht selber neu erfunden.

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