Sting Testbericht

Ich glaube, beinahe jeder Mensch hat in etwa „seine“ persönlichen drei Musik-Acts, bei denen er ständig auf News wartet, z.B. wann denn die nächste CD kommt, das nächste Konzert stattfindet usw.

So geht es mir mit Gordon Matthew Sumner, besser bekannt als Sting.

Viele Worte brauche ich über Sting wohl nicht zu verlieren. Und von Police muss ich sicher erst recht nicht anfangen.

Oder sollte es etwa doch noch einen Leser hier geben, der "Every Breath You Take" oder "So Lonely" oder "Message In A Bottle" nicht kennt ?. Tja, das alles gehört zum Werk dieses genialen Sängers und Komponisten. Den Spitznamen hat er übrigens daher, dass er früher gerne gelb-schwarze Pullis getragen hat. Und da die Insekten, die sonst so aussehen Stachel haben, war der Künstlername schnell geboren.
Sting ist kein gewöhnlicher Musiker. Er liegt fern jedes Schemas und legt sehr viel Wert auf seine Texte und die Melodien. Man erkennt sofort seinen Stil, sowohl musikalisch, als auch vom Gesang her. Nichts desto trotz lässt er sich kaum in eine Schublade einordnen.

Vor etwa 2 Wochen stöberte ich - animiert durch einen neuen Gutschein - mal wieder bei amazon und sah dort, dass es ein neues Live-Album von ihm gibt. Nun, live ist nicht immer so mein Geschmack, und so habe ich mir erst einmal die Titelliste angesehen, kurz überlegt und danach bestellt. Was ich nun in den Händen halte, ist sicherlich eine der besten Platten des mittlerweile fast vergangenen Jahres 2001, die an Tiefe und diesen gewissen Gänsehautstellen kaum zu übertreffen ist.

Die Stimmung auf diesem Live-Album (aufgezeichnet am 11. September) ist in vielerlei Hinsicht etwas ganz Besonderes, spielte Sting doch mit seiner Band vor der winzigen Kulisse von nur etwa 200 Zuschauern im Garten seines Hauses in der Toskana.
Nachdem sich am Nachmittag jenes Tages die Nachrichten aus New York überschlugen, entschieden sich die Musiker zunächst nur den Song "Fragile" zu spielen (in einer wunderschönen Version, die leider nicht auf der CD enthalten ist), um dann nach einer Schweigeminute das Publikum entscheiden zu lassen, ob das Konzert fortgesetzt werden soll. Die Gäste entschieden sich für die Fortsetzung. Trauer, Anspannung und Fassungslosigkeit lassen Musiker und Zuhörer die Musik intensiver erleben, als das wahrscheinlich je zuvor während einer Aufnahme-Session der Fall war.

Dazu kommt, dass die Songs live eingespielt oft anders arrangiert wurden, und sich so als beinahe neue Lieder verstehen. Es ist einfach unvergleichlich, wie es Sting versteht, seinen Stücken eine völlig neue Interpretation zu geben, ohne dabei deren ursprünglichen Charakter aufzugeben. Entstanden ist mit „...All This Time“ ein Live-Album voller jazziger Sting- und Police-Hits mit der Atmosphäre einer ganz besonderen Nacht. Ein Album, das nicht allein des Datums wegen in die Geschichte eingehen wird. Für mich gehört es sicher zu den besten der letzten 10, vielleicht sogar 20 Jahre.

Die Liste der Titel liest sich beinahe wie ein "Best-Of"-Album, denn aus jeder Schaffensphase von Sting ist etwas dabei:

Fragile
A Thousand Years
Perfect Love...Gone Wrong
All This Time
The Hounds Of Winter
Mad About You
Don·t Stand So Close To Me
When We Dance
Dienda
Roxanne
If You Love Somebody Set Them Free
Brand New Day
Fields of Gold
Moon Over Bourbon Street
Shape of My Heart
If I Ever Lose My Faith In You
Every Breath You Take

Das frühe "Moon Over Bourbon Street" bekam noch eine Extraportion Jazz ab, der einstige Police-Hit "Don't Stand So Close To Me" verlor an Tempo aber gewann an Tiefe und wird dadurch zu meinem absoluten Favoriten. „If you love somebody set them free" wurde zu einer breit instrumentierten Bigband-Nummer.
Die großen Momente dieses Albums sind aber ohne Frage die Balladen.
"Fields of gold", "When we dance" (auch ein Anspieltip) gewinnen durch die Atmosphäre des Konzertes. "Mad About You" (wurde am Abend zuvor bei einer Probe aufgezeichnet) und „Fragile“ machen das Album zu einem absoluten Highlight unter Stings Werken. Mir bisher unbekannt ist nur "Dienda", ein bewegender Song über den vor drei Jahren tragisch verstorbenen und langjährigen musikalischen Weggefährten Stings Kenny Kirkland.
Wie bereits geschildert, ist die Originalversion von „Fragile“ nicht enthalten - vielleicht hatte die Plattenfirma bezüglich der Veröffentlichung Bedenken. Denn nur zu deutlich wurden dabei die Emotionen hörbar, die live im Internet (http://www.sting.com) auch zu sehen waren.

Was Sting mit diesem Live-Album musikalisch abliefert, sollte jeden Fan wie elektrisiert aufhorchen lassen. Diejenigen, denen Stings Songs nur aus dem Radio bekannt sind, werden sie kaum wiedererkennen. Die Stücke sind - mit sehr wenigen Ausnahmen - zerlegt bis auf das harmonische Gerüst und den Text und dann völlig neu zusammengesetzt.
All diejenigen, die Sting schon immer mochten, werden ihn mit diesem Album neu entdecken können. Aber auch denjenigen, denen Sting bislang weniger geben konnte, sei dieses Album wärmstens empfohlen, denn - ohne übertreiben zu wollen - dieses Album sollte bei jedem, der brillante Texte, großartige Musiker und die unvergleichliche Atmosphäre eines kleinen, intimen Live-Konzertes mag, im Musikregal zu finden sein !

Das exzellente Zusammenspiel der Musiker (u.a. Manu Katché am Schlagzeug und sein langjähriger Gitarrist Dominic Miller) sorgt dafür, dass man selbst beim mehrfachen Hören der Stücke noch neue Facetten entdecken kann. Stings Musik wird nie lästig, ich kann mich währenddessen auch in ein gutes Buch vertiefen, um im nächsten Moment wieder in die Musik einzutauchen. Das Album bietet eine exzellente Mischung, auch in der Abfolge der ruhigeren oder schwungvolleren Stücke. Für jeden Geschmack, für jede Stimmungslage ist etwas dabei.
Ich kann nur jedem raten: Reinhören und Lieb gewinnen.

Musik objektiv zu beschreiben, so daß sich jeder vorstellen kann, wie diese klingt, ist leider nur schwer möglich. Deswegen gibt dieser Text auch nur meine eigene Meinung wieder. Probehören solltet Ihr selbst, sonst entgeht euch etwas.

Liebe Grüße
Und vielen Dank für’s Lesen, Bewerten und, wer mag, auch Kommentieren!
© Andreas am 08.12.2001 (für ciao..)

"This album was recorded on September 11, 2001 and is respectfully dedicated to all those who lost their lives on that day."