Sting Testbericht

Sting
ab 24,75
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Erfahrungsbericht von another_TeaJay

the times they are a changing

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Wochenlang habe ich mich dagegen gewehrt diesen Bericht zu schreiben. Damals, nachdem meine Sonne und ich entdeckten, wie sehr wir beide dieses Album lieben, war sie die schnellere im Verfassen eines Berichtes. Wir einigten uns noch vorher, beide darüber zu schreiben; ein fataler Fehler meinerseits, wie ich im Nachhinein feststellen musste. Denn sie hatte alles gesagt. Dachte ich.

Doch dann begann dieses Jahr, ein Jahr, nicht mal drei Wochen alt, und doch schon so ereignisreich, dass ich das Gefühl habe, Bücher mit den Gedanken zu allem Erlebten füllen zu können. Und er war immer dabei.

Er ist einer meiner drei musikalischen Helden, der gute Mr. Sumner, und mit seinem jüngsten Werk hat er mich erneut daran erinnert, warum das so ist. Bono gibt und kanalysiert Kraft, mit Seal lebe ich Leiden aus und Sting ist dafür zuständig für jeden meiner Gemütszustände ein Lied zu haben.

Ich habe ein wenig Angst vor 2002. Innerhalb von 18 Tagen vermochte es dieses Jahr mein halbes Leben umzukrempeln. Es nahm mir den Menschen, der mich zu Sting führte. Es brachte mir die Bestätigung, dass das Konstante nicht immer etwas mit Länge zu tun haben muss. Es nahm mir die Definition des Wortes konstant, denn meine Definition war von dannen. Nicht gestorben, nicht verzogen, sondern verändert. Es lehrte mich, von allem zu erwarten, dass es sich verändern kann und von nichts, wirklich nichts zu erwarten, dass es so bleibt wie es ist. Viele Daten, die sich als prägend in meinen Kopf eingebrannt haben. 01.Januar 2002. 10. Januar 2002. 11. Januar 2002. 14. Januar 2002.

Sting war einfach immer dabei. Schon vorher. Aber gerade in diesen, vergleichsweise wenigen Tagen war er immer präsent. Er spendete Trost. Er zog mich runter. Er verstand es, mich aufzuheitern.

Was nach diesen drei Wochen als vorherrschendes Gefühl zurückblieb, wissen eine Gitarre und ein Klavier perfekt zu beginnen. „Fragile“ ist diesem Konzert und damit auch dem Album an den Anfang gestellt, ein Song, der die Situation der Menschheit am 11.09.01. nicht besser hätte beschreiben können. Unglaublich, wie ein Mensch in der Lage ist, nur wenige Stunden nach den Anschlägen Textzeilen wie

„nothing comes from violence, and nothing ever could“

von sich zu geben. Noch unglaublicher fast, dass diese Zeilen nicht für diesen Tag geschrieben wurden sondern schon lange existierten. Doch nicht nur die Zerbrechlichkeit des Menschen an diesem Tag beschreibt er perfekt, sondern auch meine eigene, die wohl eines der wesentlichsten Ergebnisse dieser Tage sein dürfte. So bestärkt mich Sting ein wenig in genau diesem Gefühl, ich sehne mich danach, den CD-Player mit in mein Bett nehmen zu können und ein bisschen darüber weinen zu können, dass Dinge, die gar keines Wandels bedürft hätten, sich trotzdem verändern.

„On and on the rain will fall, like tears from a star“

Das Zusammenspiel von Gitarre und Bass beschreibt die Mischung aus positiver und negativer Sensibilität, unterbrochen von einem unglaublich, ja unendlich traurig klingenden Sting, der darin bestärkt, dass ich genau in diesem Moment zurecht leide. Die beiden Backgroundsängerinnen geben mir immer wieder dieses

„how fragile we are“

und gut vier Minuten habe ich das Gefühl, den Gedanken beinahe überstrapaziert zu haben, als das Lied abrupt endet und eine Pause entstehen lässt, in der ich mich wieder fangen darf.

„Longing“ – Sehnsucht, Verlangen.

Manchmal hat die englische Sprache einfach das treffendere, griffigere Wort. „A thousand years“ hätte diesen Titel tragen dürfen. Ein einziges Wort beschreibt einen ganzen Song, der in der Originalversion einen orientalischen Touch hat und hier nur dieses eine Gefühl ausdrückt, selbst wenn man nicht auf eine einzige Textsilbe achtet. Doch ich tue letzteres, bin froh, nie so losgelassen zu haben wie er, kein langgezogenes, leidendes

„I still love you“

von mir geben zu müssen. Und auf dem Höhepunkt dieses Bedauerns, nach ca. 3 Minuten, tut er etwas absolut geniales, lässt dieses eigentlich viel längere Werk durch die Trompete in ein ganz anderes übergleiten; während die Backgroundsängerinnen seinen Wechsel zu „Perfect love, gone wrong“ ignorieren und weiter sein Leid beschreiben, erklärt er uns den Hergang, erzählt uns von seinem perfekten Leben...

„I was so happy, just the two of us, until this alpha male turned up in the January Sale.”

Seine Erzählung hat beinahe einen konspirativen Charakter, ich lausche ihm gespannt, während er, in einen Klavierpart übergleitend Gelegenheit findet, Teile seiner Combo vorzustellen. Und am Ende tut er mir einfach nur unendlich leid, er hat dieses Ende nicht selbst verschuldet, ist einfach nur geschlagen worden, von einem, der einfach besser war. Er kehrt resignierend ein letztes Mal zu „A thousand years“ zurück...

„On and on, the mysteries unwind themselves, eternities still unsaid, ‘til you love me”.

Drei Stücke voller Schwermut, Trauer und Niedergeschlagenheit. Und dann ertönt der Wechsel. Der Kenner vermag in den ersten Sekunden nicht zu erkennen wohin. Zu sehr hat Sting „All this time“ verjazzt. Aber der Text verrät ihn. Treibt mir ein Lächeln auf die Lippen, angesichts dieser Aufwertung des Songs. Er ist noch immer Meilen von der Tiefe der Vorgänger entfernt, aber er ist willkommen, mich vor einer Depression zu bewahren. Perfektes Wechselspiel zwischen Sting und seinem Background. Ein Wippen ist nicht mehr unterdrückbar. Das erste Mal, bei dem ich bewusst denke, dass ich sehr gern diesem kleinen, intimen Konzert in der Toskana beigewohnt hätte.

Die etwas schnellere Stimmung trägt zu „Hounds of Winter“ hinüber, diesem scheinbar unscheinbaren Opener des vorletzten Albums. Und wieder ist es Leid. Stand die Playlist schon vor den Ereignissen des Mittags dieses Tages fest? Das weiß wohl nur er, aber es scheint unglaublich perfekt darauf abgestimmt zu sein.

Das erneut perfekte Zusammenspiel mit dem Background, den unheimlich traurigen Text eigentlich nur an diesen Stellen transportierend.

„I still see her face as beautiful as day, it’s easy to remember, remember my love that way“

Er gibt dem Song eine Kraft, die der Text kaum verdient hat, scheint aus einem weiten Abstand lediglich Gefühle zu reflektieren. Die aufgebaute Spannung entlädt sich in einem Zusammenspiel beinahe aller Instrumente und Stimmen, klingt langsam, geradezu still aus...

Ich definierte „longing“ bereits. Niemand kann dieses Gefühl musikalisch so gut umsetzen wie Sting. Es ist egal, ob das persönliche Zielobjekt wirklich mit dem Stings übereinstimmt. Er findet die richtige Stimmung. Bei „mad about you“ gibt er diesen Emotionen noch eine Prise Bedingungslosigkeit, verleiht diesem Gefühl so unglaublich viele, schöne Textzeilen, bei denen man(n) vor Neid ob dieser einfachen und doch so wirkungsvollen Worte nur erblassen kann. Immer wieder gepaart mit der bitteren Erkenntnis, dass nur ich und leider nicht die Angebetete Zeuge dieses „longings“ sein kann.

„And I have never in my life felt more alone than I do now“

unterstützt von diesen orientalischen Klängen, bei denen ich mich immer und immer wieder frage, welche Instrumente diese dichte Atmosphäre zu erzeugen vermögen. Die Aufruhr wird nicht befriedigt, Sting lässt mich zurück, wartend auf eine Auflösung dieser Spannung, auf die Erlösung, die Worte, die bekunden, dass er sie doch noch bekommen konnte, doch stattdessen...

...ertönt eine Geige. Bestimmt nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal so bewusst. Beschreibt die gesamte Stimmung von „Don’t stand so close to me“ eigentlich innerhalb von 15 Sekunden. Und zeichnet wieder diese Sehnsucht, wieder ein bisschen anders, aber wieder so nachfühlbar, so sehr zum Mitleiden. Es zerreißt mich, ich kann mich nicht dagegen wehren, mit ihr zu leiden, sie, die sich in ihren Lehrer verliebt hat und selbstverständlich keine Möglichkeit hat, diese Liebe in die Tat umzusetzen. Sie ist kraftlos, so lange liebt sie ihn schon, ohne Erfüllung, und damit aufzuhören scheint einfach überhaupt keine Alternative zu sein. Schon lange scheint sie nicht mehr an eine Wendung ihrer tragischen Geschichte zu glauben, und doch...

„Temptation, frustration, so bad it makes her cry“

Die zerbrechliche Stimme einer Backgroundsängerin gibt mir ihr Gefühl noch einmal perfekt wieder, bevor der Song nahtlos übergleitet...

...in ein neues Leid. Wie wenige verschiedene Töne eine Geige nur braucht, um eine so traurige Stimmung zu erzeugen. In „When we dance“ macht Sting ihr klar, dass der andere einfach nicht der richtige ist. Er selbst ist der richtige.

„He won’t love you, like I love, he won’t care for you this way“

Ich spüre, dass er glaubt was er sagt. Und gleichzeitig weiß er, dass sie es nicht glaubt. Spärlicher, aber wirklich perfekter Einsatz der Instrumente, ein wenig aufkeimende Hoffnung, doch es ist nicht real, als die Stimmung wechselt.

„I had a dream last night, dreamt you here by my side, walking with me baby, my heart was filled with pride”

Doch es bleibt ein Traum…

„Dienda“ bedarf einer kleinen Geschichte. Einer Geschichte über Kenny Kirkland, Pianist und guter Freund Stings. Gewesen. Denn er ist leider verstorben. Und dieses Stück war instrumental bereits fertig geschrieben. Doch die Lyrics fehlten, Kenny und Sting wollten diese zusammen schreiben. Dann starb Kenny. Sting hat beschlossen, die Lyrics allein zu schreiben und sie Kenny zu widmen. Kenny, dem kleinen Jungen, der nie mit den anderen spielen durfte, weil er Klavier üben musste. Kindheitserinnerungen von Sting. Und ich höre Trauer, man mag mich für naiv halten.

„...I was drawn to the sound, that some fingers had found“

Eine Geige, das Klavier und Sting zelebrieren eine Hommage an Kenny, bei der ich immer mit mir ringe. Wegen der schönen Melodie. Wegen der Trauer um einen nahestehenden Verstorbenen, die ich nie erfahren habe und auch noch nie so transportiert bekam. Wegen dieses unglaublich traurigen Textes.

„to linger long after he’s gone…”

Wie traurig, dass Menschen sterben; wie schön, dass Menschen so etwas wie „Dienda” tun…

Wie soll man aus diesem Tief nur je wieder hinaus kommen? Leise Töne... Eine bekannte Melodie, sogar sehr bekannt. Eigentlich die erste, die man mit Sting in Verbindung bringt. „Roxanne“. Aber warum ist’s so ruhig? Dann die Feststellung: es ist wunderschön! Police hat einfach zu viel Krach gemacht. Diese leise Interpretation klingt –zig Mal schöner, hundert Mal verlangender, tausend mal sehnsüchtiger. Die Liebe zu einer Prostituierten und diese naive Aussage:

„I won’t share you with another boy“

Und dann taucht diese Jazztrompete auf, bringt die Stimmung für eine halbe Minute in totale Wallung, bevor Sting noch einmal ruhig ausklingen lässt, das letzte Mal heute Abend, denn von nun an galt es jeden Ansatz von Trauerstimmung hinter sich zu lassen. Wenn man sich auf das Leiden gerade so schön eingestellt hat, ist es jetzt an der Zeit, all die angestaute Frustration herauszulassen, sich der Melancholie zu entziehen, nach vorn zu schauen, wenn es hinter einem ein wenig düster ist.

Und so gibt mir das Klavier eine verjazzte Melodie vor, die auf deutliche Fröhlicheres hoffen lässt. Und Percussion, Sting und Background bestätigen mich. Ab jetzt ist es einfach unmöglich, nicht mindestens ein Bein wippen zu lassen. Zum ersten Mal lässt Sting seine prägnante Mischung aus Gesang und Geschrei ertönen, unterstützt von sporadisch einsetzenden Bläsern. Eine bombastische Befreiung, die „If you love somebody set them free“ in Verbindung mit dem Vorgänger die Stimmung der ersten neun Stücke komplett vergessen lässt.

„Turn the clock to zero honey (…) we’re starting off a brand new day“

Welch wunderbare Idee. Welch wertvoller Tipp. Welch simple Aufforderung. Zu simpel? Vielleicht, aber sie ist wirksam. Die Lösung liegt manchmal im Einfachen, und das Einfache muss einem manchmal nur gesagt werden, wenn der sprichwörtliche Wald nicht zu finden ist. „Brand New Day“ vermittelt die Aufbruchsstimmung, die die Welt an diesem Tag brauchte. Die Aufbruchsstimmung, die ich heute brauche.

„Stand up“

fordert er sein Publikum und mich auf; in welchem Sinne man auch immer das gerade sehen mag.

Kurz wird er noch mal ruhig, erzählt von einer längst vergangenen, aber wirklich schönen Liebe, ohne Schmerz, mit ein wenig Melancholie, ohne Schwermut, mit einem verklärten Blick. Einem Blick auf alles, was sich in den „Fields of Gold“ abgespielt hat, damals...

„Many years have passed, since those summer days“

Eine Erinnerung, die nicht trifft, sondern wehmütig ist. Die Geige tritt in den Hintergrund, gibt der dominanten Akustikgitarre das Fundament, das sie braucht, um diese kleinen nostalgischen Stiche musikalisch wirken zu lassen.

Ein letztes Mal die Trompete solo. Sie stimmt „Moon over Bourbon Street“ an. Ich bin mir ganz sicher, dass die Bourbon Street in New Orleans ist, obwohl das eigentlich nie behauptet wird. Aber die Stimmung gehört dorthin. Man kann sogar mit Sting leiden, wenn es gar nicht um die Liebe, sondern um sein hartes Schicksal als Vampir geht. Sogar hier vermag er zu transportieren, wie unwohl er sich fühlt.

„It was many years ago, I became what I am, I was trapped in this life, like an innocent lamb“

Fühlen sich Vampire nicht wohl in ihrer Haut? Welch absurder Gedanke. Er klingt, als hätte er den Frust über sein Schicksal auch in Bourbon ersäufen wollen, immer schwerfälliger wird die Stimmung und mündet in ein langes Jaulen.

„Faith“. Glaube und Vertrauen vereint in einem Wort. Und er hat Glauben und Vertrauen verloren. In fast alles und jeden. Mit nur einer Ausnahme. Ich verstehe. Sehr gut sogar. Zu gut vielleicht. Und ich danke ihm dafür, dass er diesem Song nicht eine einzige Prise Bitterkeit beigemischt hat, den Fokus auf die eine rühmliche Ausnahme gerichtet hat. So soll mein Denken sein. So kann ich diesen Song hören und so will ich ihn hören. Unglaublich kraftvoll, erneut erst recht an diesem Tag. So kraftvoll, dass ein so kleines Publikum vor diesem alten Mann steht und feiert. „If I ever lose my faith in you“ war bis vor einiger Zeit ein Song, der einfach da war. Existent. Jetzt ist er präsent. Das ist zwar nicht gut so, aber tröstlich...

Und dann werde ich genau von dieser Feierstimmung hinausgetragen aus dem kleinen Hof irgendwo in der Toskana, mit einer eingängigen Version von „Every breath you take“, die vor allem noch mal dazu dient, die geniale Band vorzustellen. Die Band, die ein mehr als einstündiges Feuerwerk der Emotionen ausgelöst hat. Egal wann, egal wo. Getreu nach dem Motto: „Sie können uns nicht verbieten, dass wir Spaß haben“.

Und wenn er und sein Publikum das am 11.September 2001 können, dann kann ich das auch...

„I’m so happy that I can’t Stopp crying, I’m laughing through my tears“

Eine an diesem Abend nie gesungene Zeile, aber ein Ansatz, oder?

Ich danke der Sonne...

9 Bewertungen, 1 Kommentar

  • fa[Q]

    26.02.2002, 19:09 Uhr von fa[Q]
    Bewertung: sehr hilfreich

    eine toller fetter bericht zu einem scheiß künstler. mensch liest sich.