Sarajevo Testbericht

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Erfahrungsbericht von AndreaK.

Krieg und Frieden in Sarajevo

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Jahrelang hatte ich das Kriegsgemetzel am Balkan im Fernsehen mitverfolgt, saß gebannt und zugleich entsetzt bei jeder Kriegsreportage aus Kroatien und später Bosnien-Herzegovina, konnte nicht fassen, was dort passierte und wollte jene vom Krieg geplagten Länder kennenlernen. Besonders Sarajevo hatte es mir angetan, auch weil ich die Berichte meiner Eltern gehört hatte, die dort vor 40 Jahren auf Hochzeitsreise waren und von den Kroaten und Bosniern schwärmten. Bei der Erfüllung meines Wunsches, einmal Bosnien bzw. Sarajevo zu sehen, kamen mir ausgerechnet meine bosnischen Freund zu Hilfe. Selma, eine gute Freundin von mir, wollte in Sarajevo auf traditionelle islamische Art heiraten und lud mich dazu ein!

Für mich war es ein richtiges Abenteuer, war ich doch noch nie auf einer islamischen Hochzeit und außerdem auch noch nie in Sarajevo gewesen! Der Weg dorthin war schon ein richtiges Abenteuer, denn ich fuhr von Linz / Österreich mit dem Bus nach Bosnien!
Im Bus war ich die einzige Österreicherin, umgeben von Bosniern, die ihre Familien besuchen wollten. Die beiden Busfahrer sprachen kaum Deutsch, waren aber nichts desto trotz unheimlich hilfsbereit und freundlich. Die Leute im Bus waren recht neugierig und wollten natürlich wissen, was eine Österreicherin in Bosnien tut. Als ich von der islamischen Hochzeit und der Tatsache, daß ich das allererste Mal (Anmerkung: und GANZ SICHER NICHT das letzte Mal!!!) in Sarajevo sei, erzählte, war ich der Liebling im Bus. Die Leute - und das ist nicht übertrieben - kümmerten sich um mich wie um ein kleines Kind. Mir wurde ständige etwas zu essen und zu trinken angeboten, jeder wollte mehr über mich erfahren und der Busfahrer, der bemerkt hatte, wie gern ich Kaffee trinke, stellte mir laufend einen neuen Becher frischen Kaffee hin, den er als extra Service für die Passagiere gekocht hatte. Das war mein erster Eindruck von Bosnien: große Gastfreundschaft, ehrliche Herzlichkeit. Und ich sollte mich nicht täuschen.
Sehr unangenehm für mich war die Situation an der Grenze zwischen Kroatien und - offiziell - Bosnien, inoffiziell aber dem serbischen besetzten Teil von Bosnien, der natürlich auch von serbischen Zöllnern kontrolliert wurde. Ich hatte keine Ahnung, wie unbeliebt Deutsche und Österreicher scheinbar in diesem Teil des Landes sind, was wohl damit zu tun hat, daß wir Kroatien und Bosnien während des Krieges doch sehr geholfen haben. Der Serbe kontrollierte mich wie eine Terroristin, verlangte eine Einreisegenehmigung (der soll froh sein, wenn ich überhaupt einen Fuß nach Serbien setze!!! *grrrr*) und war denkbar ungut. Die bosnischen Gäste halfen mir, sodaß ich ungehindert einreisen konnte.
Dann kam der Schock, auf den ich mich schon die ganze Zeit gefaßt gemacht hatte: der serbisch besetzte Teil Bosniens - und ich weigere mich \"Serbien\" zu sagen, auch wenn dort wie zum Hohn das Schild \"Republika Srbska\" (= serbische Republik) steht! Ca. 100 km von der Sava (Grenzfluß zwischen Kroatien und Bosnien) bis ins Landesinnere von Bosnien zieht sich der serbisch okkupierte Teil, dessen ehemalige bosnische Bewohner allesamt vertrieben wurden. Die Häuser, die Bosniern gehörten, wurden mit einer dermaßen erschreckenden Liebe zum Detail zerstört, daß die Absicht der Serben sogar für einen Blinden klar war. Ruinen säumten meinen Weg, verkohlte Häuserwände, von Maschinengewehrsalven zersiebt, verbrannte und abgebrochene Dachbalken ragten in den Himmel und von manchen Häusern waren nur mehr zwei Wände übrig. Ich konnte nicht einmal mehr weinen, als ich die lebendig gewordenen Bilder der Kriegsberichterstattung sah. Dazu hörte ich die Geschichten über die persönlichen Schicksale der bosnischen Fahrgäste um mich herum, und das ergab einen Film in meinen Kopf, der in keinem Kino der Welt gezeigt werden könnte.
Was mir aber auch ins Auge stach, und das ist ein Charakteristikum Bosniens, ist die üppige Natur. Alles ist in einem so satten Grün, alles wächst und gedeiht im Überfluss, grüne Felder, Wiesen und Wälder, so weit das Auge reicht. Dazwischen - dort, wo die Serben nicht hinkamen und folglich auch nichts zerstören konnten - hübsche kleine Dörfer, meistens um eine alte Burg herum. Wenn da nicht die Spuren des Krieges wären, Idylle pur.
In der Früh kam ich dann in Sarajevo an, und das erste, was ich sah, waren wieder Spuren des Krieges: der ausgebrannte Bahnhof und die riesige ausgebombte Kaserne. Jedes Haus wies Kaskaden von Einschußlöchern und Zerstörungen durch Granatsplitter auf, und ich hatte hart zu kämpfen, um die Eindrücke verarbeiten zu können. Der Empfang, den man mir im Haus der Braut machte, warf mich vollends um. Die ganze Nachbarschaft war zusammengekommen, um mich zu begrüßen, denn auch dort wußte man schon, daß ich 15 Stunden lang Bus gefahren war, um bei der Hochzeit dabei zu sein. Der Brautvater zog sogar aus seinem eigenen kleinen Haus aus, damit ich dort Platz zum Übernachten hatte! Alle kümmerten sich dermaßen liebevoll und herzlich um mich - ich habe schon oft Gastfreundlichkeit erlebt, aber DAS schlug alles bisher dagewesene! Wirklich beeindruckend!
Nach einer Tasse frischen arabischen Kaffees bekam ich eine sehr gute Führung durch Sarajevo und erkannte, warum alle, die speziell vor dem Krieg dort waren, so von dieser Stadt schwärmen.

Sarajevo liegt von Hügeln umrundet in einem Talkessel, was den Menschen dort im Balkankrieg zum Verhängnis wurde. Früher von dichtem Wald umgeben, sind die Hügel heute größtenteils - wegen des Krieges - abgeholzt.
Die Stadt selbst war einst eine glanzvolle Metropole in der Donaumonarchie, was heute noch zu sehen ist. Viele Häuser aus der Zeit zwischen 1850 und der Jahrhundertwende erinnern in ihrem Stil an Wiener Prachtbauten, die Kunstuniversität in der Stadt, die man von vielen Bildern her kennt, ist das beste Beispiel für den Baustil der damaligen Zeit. Das Stadtzentrum von Sarajevo ist zu jeder Tages- und Nachtzeit voll belebt, es scheint, als würde diese Stadt niemals schlafen. Hunderte Straßencafes laden mit ihren bunten Stühlen und Sesseln zum Verweilen ein, überall hört man Musik und der arabische Kaffee ist in dieser Stadt absolut gut!
Stilmäßig ist die Stadt sehr von arabischen Merkmalen geprägt, es gibt unheimlich viele, teilweise auch alte Moscheen, im Zentrum findet man die ehemaligen türkischen Dampfbäder, die auch schon einige hundert Jahre alt sind und eine große, alte Moschee, die vom Krieg glücklicherweise kaum in Mitleidenschaft gezogen wurde. Rundherum findet man noch einige andere, sehr alte Gebäude, die der Stadt ein einzigartiges Flair geben.
Mittelpunkt von Sarajevo ist ein kleiner Platz mit einem schönen Brunnen, um den herum sich das gesamte Leben dreht. Leute sitzen auf den Bänken, beobachten Vorübergehende, füttern die Tauben, von denen dort unzählige herumfliegen, trinken Wasser aus dem Brunnen und reden miteinander. Der Platz wird von vielen kleinen Restaurants eingesäumt, die typische bosnische Speisen anbieten. Dazwischen findet man immer wieder Lebensmittelgeschäfte, die mit einem reichhaltigen Angebot an sonnengereiftem Obst und Gemüse locken, sodaß dem Fremden schon das Wasser im Mund zusammenläuft, wenn er die vollreifen Tomaten sieht.
Besonders bekannt und auch von mir oft besucht, ist der Basar oder Markt in Sarajevo. Im Viertel um die Moschee – und das ist ein traditionell islamisches System und so auch in vielen orientalischen Ländern zu sehen – breitet sich ein ganzes Netz an Geschäften aus, deren Produkte die vollendete bosnische Kunstfertigkeit zeigen. Ein typisches Souvenir, das man in Sarajevo bekommen kann, sind Kupfergegenstände aller Art, die wunderschön mit filigranen orientalisch anmutenden Ornamenten verziert sind. Egal ob große Kupferteller oder die typischen Kännchen, in denen man arabischen Kaffee zubereitet und von denen ich auch eines zu Hause häufig gebrauche – man bekommt hier alles. Das Talent des Handwerks zeigt sich auch im Schmuck, den man im Basar kaufen kann. Besonders das Gold ist in Sarajevo sehr günstig.
Da gibt es etwas mit hohem Symbolwert: die bosnische Lilie aus Gold, Bestandteil im bosnischen Wappen (blaues Feld, schräg durch einen goldenen Streifen geteilt, in jedem Feld drei goldene Lilien). Wie mir meine Freundin Selma erzählte, fertigten die Juweliere in Sarajevo die bosnisches Lilie in Form verschiedener Schmuckstücke - Ringe und Ohrringe hauptsächlich – im Krieg an. Viele Menschen trugen den Schmuck als Protest gegen die serbischen Invasoren, um zu demonstrieren, daß die Serben zwar die Bosnier töten könnten, aber nicht ihre Identität, ihre Religion, ihren Glauben, ihre Herkunft. Seit dem Ende des Krieges trägt kaum noch jemand in Sarajevo dieses Symbol, heute wird es mehrheitlich von Touristen gekauft. Mich berührte diese Geschichte und die damit verbundene Aussagekraft aber so, daß auch ich mir die bosnische Lilie als Ring und Ohrringe kaufte und sie demonstrativ trug, als ich im Auto der Brautleute wieder den serbischen Grenzposten Richtung Österreich passierte. Ich, den Serben ohnehin nicht besonders freundlich gesinnt (tut mir leid, daß ich diese Anschauung hier so deutlich hervorkehre, aber was im Balkankrieg abgelaufen ist, hat mich so erschüttert, daß ich meine Einstellung so schnell nicht ändern kann.), wollte ihnen zeigen, auf welcher Seite ich als Österreicherin stehe. J

Doch zurück zu Sarajevo: mitten im Stadtzentrum erheben sich auch die Reste römischer Bauten, in denen heute ein Cafe seine Pforten geöffnet hat. Besonders am Abend ist es unheimlich gemütlich, dort zu sitzen und etwas zu trinken. In der Stadtmitte befindet sich auch das alte Rathaus in unverkennbar orientalischem Stil, ein ehemals sehr farbenprächtiges Bauwerk mit schön verzierten Fensterbögen und Säulen, das angeblich eines der ersten Ziele der Zerstörung war, man versuchte, die Identität der Bosnier zu löschen. Das gelang aber Gott sei Dank nicht! Das Zentrum der Stadt setzt sich über einen Fluß weiter fort bis zu den Resten einer alten Burg, die man vom Rathaus aus in ca. 20 Minuten zu Fuß erreichen kann. Von dort aus hat man einen herrlichen Blick auf die Stadt und die benachbarten Hügel.
A propos Hügel: das Abkommen von Dayton (meiner Meinung nach eine Zumutung für jeden Menschen mit halbwegs ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn) trieb auch komische Blüten. Hier ist eine davon. Als in Sarajevo die olympischen Spiele stattfanden (das Datum weiß ich leider nicht), baute man auch eine Rodelbahn, die sich in den Hügeln über Sarajevo befindet. Als das Dayton-Abkommen den Serben 50 Prozent (in Worten FÜNFZIG PROZENT!!!) von Bosnien-Herzegovina zusprach, gehörte auch ein Teil der Umgebung um Sarajevo dazu, und darunter exakt jener Hügel mit der Rodelbahn, die man in der Mitte teilte, sodaß eine Hälfte des ehemaligen Eiskanals serbisch, die andere Hälfte bosnisch ist. Hat man da noch Worte als vernunftbegabter Mensch?! Gleich im Hinterland von Sarajevo beginnt auch wieder ein Teil der serbischen Republik (der UNO sei Dank), und ich kann nur sagen, daß ich dabei ein unheimlich mulmiges Gefühl hatte.
Im Süden der Stadt befindet sich ein großes Naherholungsgebiet mit vielen Freizeitmöglichkeiten, Restaurants und Cafes. Und die Natur zeigt sich dort, wie überall in Bosnien-Herzegovina, wieder von ihrer besten Seite: grün, wuchernd, üppig, schön.

Doch will man dorthin, kommt man nicht an den Mahnmalen des Kriegswahnsinns vorbei. Und ganz bewusst will ich darauf eingehen, um jene Menschen, die meinen Bericht lesen, dafür zu sensibilisieren, was vor unserer Haustüre passiert. Meiner Meinung nach geht uns das alle an. Gleich neben der Altstadt also erhebt sich das ausgebombte Regierungsgebäude, früher administratives Zentrum von Bosnien-Herzegovina. Die 16 Stockwerke sind völlig ausgebrannt und zerstört, das Gebäude wurde an seiner Breitseite von Granateneinschlägen total zersiebt. Hier hat übrigens alles begonnen mit einer friedlichen Demonstration 1991, die serbische Heckenschützen in ein Blutbad verwandelten. Einige Meter weiter erheben sich die beiden Hochhäuser „Momo“ und „Useir“, benannt nach zwei bosnischen Kabarettisten. Diese beiden Gebäude, die völlig gleich aussehen, wurden in der jahrelangen Kriegsberichterstattung immer wieder gezeigt, sind also wirklich bekannt, weil sie ständiges Ziel des Bombardements waren. Obwohl ich so viele erschreckende Bilder im Fernsehen gesehen hatte, war die Realität für mich noch viel schlimmer. Eines der beiden Hochhäuser war schon wieder vollständig aufgebaut und renoviert, sodaß nichts mehr zu sehen war, aber vom anderen sah man nur mehr das völlig ausgebrannte Stahlbetonskelett.
Für alle, die jetzt fälschlicherweise glauben, daß Sarajevo ein Trümmerhaufen ist, irrt gewaltig! So viel Schaden auch an dieser Stadt angerichtet wurde, so sieht man nur noch einen Bruchteil von dem, was wirklich war. Für jemanden, der Krieg nur vom Fernsehen kennt, der harmonieverwöhnt ist und auf einer Insel der Seligen lebt (und damit meine ich uns alle), wirkt die Stadt, als hätte man die Kämpfe erst vor einem halben Jahr eingestellt. Aber als mir meine Freunde zeigten, was in Sarajevo in den vier Jahren seit Kriegsende passiert ist, wurde mir der Überlebenswille der Bosnier sehr, sehr deutlich vor Augen geführt. Es scheint, als ob die Menschen noch mitten im letzten Kugelhagel schon begonnen hätten, ihre zerstörten Häuser wieder zu renovieren, überall, an jeder Straßenecke wird gebaut, die Leute sind unheimlich fleißig und arbeiten wirklich hart. Der Optimismus und Wille, wieder ein normales Leben zu führen, wirkt in dieser Stadt fast ansteckend – zumindest auf mich. Die Menschen von Sarajevo haben mich mit ihrer Einstellung echt beeindruckt!

Doch hinter all dieser Stärke steckt trotzdem noch tiefe Angst. Jedes Mal, wenn ich mit Freunden eine Straße überquerte und zurückblieb, weil ich mich umsehen wollte, riefen sie mir mit eindringlichem Blick zu „Andrea, sei niemals die Dritte!“ Als ich sie nach der Bedeutung dieses Satzes fragte, erklärten sie mir folgendes: die serbischen Angriffe hatten in haarsträubender Präzision das gesamte Versorgungssystem der Stadt lahmgelegt. Um an Wasser zu kommen mußten die Menschen unter größter Lebensgefahr kilometerweit laufen. Jeder Schritt konnte in den Tod führen, die kleinste Unachtsamkeit die Kugel eines serbischen Scharfschützen nach sich ziehen. Hinter Hausmauern und Büschen fanden sie einigermaßen Deckung, doch während man die Straße überquerte, war man für die Soldaten am Hügel ein leichtes Ziel. „Sei niemals der Dritte“ bezeichnete das Überlebensprinzip in Sarajevo. Der Erste, der ungeschützt durch die Stadt lief, machte die Serben auf sich aufmerksam, sie griffen nach ihren Gewehren. Beim Zweiten brachten sie die Waffe in Position und richteten das Zielfernrohr ein. Und den Dritten erschossen sie.
Einmal wäre ich selbst beinahe in den Tod gelaufen. In Sarajevo gibt es den ältesten jüdischen Friedhof der Welt, ein kleines Areal mit fast 500 Jahre alten Grabsteinen und den jetzt ausgebombten Resten einer Synagoge. Ich erfuhr von dieser Sehenswürdigkeit ausgerechnet durch die Familie der Braut, und weil ich gerade in der Nähe war, wollte ich mir diesen Friedhof ansehen. Ich lief darauf zu und wunderte mich noch, warum die Leute plötzlich fast hysterisch zu schreien begannen, ging jedoch weiter auf den Friedhof zu. Zwar wunderte ich mich darüber, daß das Gelände extrem wild überwuchert und völlig verwahrlost war, dachte mir aber nichts dabei. Erst als sich meine Gastgeber auf mich warfen und mich nur noch einige Meter vor dem Friedhof mit Gewalt davon abhielten, hineinzugehen, wußte ich, warum. Die Serben hatten das gesamte Gelände vermint und einige Tage vorher waren zwei Kinder beim Suchen von Erdbeeren dort gestorben. Es hätte auch mein letzter Friedhofsbesuch sein können...
Das machte mich nachdenklich und zugleich auf die Problematik Bosnien-Herzegovinas aufmerksam: die Serben haben viele Minen hinterlassen, von denen sie heute teilweise selbst nicht mehr wissen, wo sie diese vergraben haben. Es werden wohl noch viele Menschen sinnlos sterben, bis man diese Gefahr gebannt hat.

Wie Ihr sehen könnt, waren die vier Tage Sarajevo für mich eines der einschneidendsten Erlebnisse für mich. Ich möchte diese Erfahrung einfach ungeschönt wiedergeben, alle Seiten dieser Stadt aufzeigen, denn genau das ist es meiner Meinung nach, was Sarajevo so interessant macht. Ich finde, wenn man mit offenen Augen durch diese Stadt geht, kann man unheimlich viel für sich selbst und sein Leben lernen. Ich zumindest konnte es.
Was für mich letztendlich aber die schönste Erfahrung war, war die islamische Hochzeit. Zum ersten Mal in meinem Leben durfte ich während des öffentlichen Gebetes in der Moschee sein. Das Heiratszeremoniell und die arabischen Gebete waren sehr interessant für mich. Und eines beherrschen die Bosnier neben der Gastfreundschaft ebenfalls perfekt: die Kunst des Feierns. Die Hochzeit wurde wirklich islamisch gefeiert, das heißt, es gab den ganzen Abend keinen Alkohol. Und es war die lustigste und schönste Hochzeit, die ich je erlebt hatte! Jung und alt tanzten den „Collo“, einen traditionellen bosnischen Tanz, es wurde gesungen, getanzt und musiziert bis zum Abwinken. Obwohl ich die einzige Ausländerin war, wurde ich extrem herzlich aufgenommen und sofort integriert. Ich war ständig von Leuten umgeben, die mit mir redeten und lachten und habe in Sarajevo wirklich Freunde gefunden. Die Menschen gaben mir das Gefühl, daß ich eine von ihnen war, das habe ich so wirklich noch nie erlebt.

Noch ein paar Worte zur bosnischen Küche. Als Balkan-Fan liebe ich natürlich auch diese Art der Speisen, obwohl die manches Mal schon ein bißchen schwer sind für einen europäischen Magen. Alles – egal ob Brot, Wurst oder Käse – wird mit einem sehr fetten Sauerrahm gegessen, dazu natürlich das unvermeidliche Weißbrot, das schon fast die Konsistenz eines Kuchens hat. Die bosnische Küche würzt sehr gut und gern. Egal ob Cevapcici oder Rasnicki, alles ist recht pikant. Dazu gibt es frisches Gemüse, Kartoffeln oder Reis. Besonders gut ist die luftgetrocknete Wurst und der würzige Käse, den man auf jeden bosnischen Markt bekommt und von dem ich tonnenweise zum Verkosten nach Hause mitgenommen habe. Auch Süßwasserfische aller Art sind auf dem bosnischen Speiseplan vertreten genauso wie Mayonnaisesalat. Als Nachtisch wird frisches Baklava (ich liebe es!!!) gereicht, zu dem man am besten ein Schälchen arabischen Kaffee trinkt. Wie gesagt, ich esse die bosnischen Gerichte wirklich gerne.
Toll war auch der Markt, den ich mit meinen Freunden am Stadtrand von Sarajevo, nahe dem Stadtium unter der nie fertiggestellten Autobahnbrücke, besuchte. So weit das Auge reichte, vollreife Früchte und frisches Gemüse. Große, fast schwarze Kirschen, die zuckersüß schmeckten, frische Heidelbeeren aus dem Wald, Preiselbeeren und Trauben zu niedrigen Preisen, sonnengereifte, sehr aromatische Tomaten und Gurken, die NICHT nur nach Wasser schmecken – ich wußte gar nicht mehr, was ich zuerst kaufen sollte. Zum Schluß stand ich da, vollbepackt mit Obst und Gemüse und mit einem blauen Mund, weil ich selten so gute Heidelbeeren bekommen hatte und diese natürlich sofort essen mußte.
Eine Besonderheit, die es in mehreren Balkanländern gibt, sind die Bäckereien, die rund um die Uhr offen haben. Auch in Bosnien-Herzegovina findet man sie, besonders in Sarajevo. Da ist es nach dem Ausgehen üblich, sich in einer dieser Backstuben ofenfrisches und teilweise noch heißes Weißbrot zu holen, das pikant mit Käse oder Fleisch oder süß mit Schokolade oder Marmelade gefüllt ist. Daneben gibt es noch unzählige andere Varianten dieses leckeren Gebäcks, das auch Teil der bosnischen Lebensart ist. Jedenfalls habe ich mir auf meinen Gourmet-Ausflügen J teilweise ganz schön die Finger verbrannt, weil das von mir bestellte Gebäck oft genug frisch aus dem Ofen kam. *autsch*

Die Menschen habe ich schon etwas charakterisiert. Ich kann aber nicht oft genug die mir entgegengebrachte Herzlichkeit betonen, die Wärme, mit der sie mich behandelt haben. Das werde ich nicht vergessen. Aber auch hier gilt: Freunde macht man sich, wenn man sich als Gast etwas den Sitten anpasst. Das heißt unter anderem auch auf seine Kleidung achten, besonders wenn man als Fremder eine Moschee besuchen will. Niemand erwartet, daß man die Landessprache spricht, aber ein paar wenige Wort wie bitte, danke, guten Tag und ein wenig Anpassung im Benehmen helfen, die Herzen der Leute im Sturm zu erobern.

Was ich zum Schluß sagen möchte ist, daß Sarajevo, generell Bosnien-Herzegovina, sehr schön ist. Die Spuren des Krieges werden noch lange zu sehen sein, aber das erinnert uns wenigstens daran, daß wir so etwas wie den Krieg am Balkan nie wieder zulassen dürfen. Egal wo, egal wann, einfach nie wieder! Ich persönlich kann nur jedem empfehlen, selbst nach Bosnien zu fahren und Sarajevo zu sehen. Die Schönheit dieser Stadt ist überall sichtbar und nicht zu leugnen. Seht selbst, wie sympathisch die Menschen dort sind. Ich bin sicher, Ihr werdet danach genauso begeistert sein wie ich!

7 Bewertungen, 1 Kommentar

  • sloga

    06.07.2011, 10:37 Uhr von sloga
    Bewertung: besonders wertvoll

    gratuliere zu diesem Bericht.