Schüleraustausch Testbericht

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Erfahrungsbericht von Wunderblume

Die vier schönsten Monate meines Lebens!

Pro:

man lernt eine Fremdsprache sehr gut, man lernt eine andere Kultur kennen, man wird selbständiger

Kontra:

man kann Pech mit der Gastfamilie haben

Empfehlung:

Nein

Als ich meinen Klassenkameraden erzählte, dass ich für drei Monate nach Südafrika gehen würde, wurde ich als erstes gefragt, ob die da auch ein richtiges Haus haben. Ja, das haben sie und ich habe dort die schönsten Monate meines Lebens verbracht, weshalb ich auch noch um einen Monat verlängert habe.

Ich schreibe hier also nicht über einen Schüleraustausch im Allgemeinen, sondern über meinen, der mit Südafrika stattfand.

Ich bin nicht mit einer Organisation gefahren, sondern der Austausch wurde mir eher zufällig privat vermittelt. Ein Kollege meines Erdkundelehrers war früher Leiter der Deutschen Schule in Kapstadt und organisiert seit dem Schüleraustausche mit der Kapregion. Da jemand abgesprungen war, fragte unser Erdkundelehrer im März, ob nicht einer von uns fahren wolle und ich sagte ganz spontan zu. Ich rief ihn noch am gleichen Tag an, doch der Platz war schon weg. Aber er war so freundlich, mir eine andere Gastfamilie zu besorgen. Schnell traten wir ihn Emailkontakt und ich lernte meine Gastschwester schon mal ein wenig kennen. Erst viel später erzählte sie mir, dass sie mich eigentlich gar nicht gewollt hatte, sondern dass ihre Deutschlehrerin sie quasi gezwungen bzw. ihre Eltern überredet hatte. Anfang Juli ging es dann endlich los. Ich hatte bis dahin gar nicht richtig realisiert, dass ich wirklich fahren würde, dass tat ich erst, als ich ganz alleine im Flieger sass. Auf dem etwa 12stündigen Flug nach Kapstadt langweilte ich mich etwas, malte mir aber schon mal aus, was und wer mich erwarten würde. Ich hatte bis dahin noch nicht einmal ein Foto meiner Gastfamilie gesehen und erst am Vorabend meines Abflugs mit meiner Gastmutter telefoniert. Beim Landeanflug auf Kapstadt begann ich langsam nervös zu werden, was aber vollkommen unnötig war, denn vom ersten Moment an fühlte ich mich in meiner Gastfamilie sehr geborgen. Mein Gastvater ist Professor an der Universität in Stellenbosch, wo wir auch gewohnt haben (siehe auch mein Bericht über diesen Ort), die Mutter Musiklehrerin. Dann hatte ich noch 4 Gastgeschwister: der älteste (18) ging in Kapstadt aufs Internat, wo er ein extra Schuljahr machte, um einen Cambridgeabschluss zu machen, meine Austauschpartnerin (17), mit der zusammen ich auf eine englischsprachige Mädchenschule ging, der kleine Bruder (15), der auf eine englisch/afrikaanssprachige Jungenschule geht und die mit 13 Jahren jüngste, die noch auf die englischsprachige Grundschule ging.

Schule:

Die Grundschule dauert 7 Jahre, danach folgt die High School mit 5 Schuljahren. Da Südafrika 11 Amtssprachen hat (Englisch, Afrikaans (so ähnlich wie Holländisch) und 9 afrikanische Sprachen), gibt es Schulen mit einer oder mehreren dieser Sprachen als Unterrichtssprachen. Es gibt immer noch viele traditionelle Jungen- oder Mädchenschulen, aber die gemischten Schulen sind immer mehr auf dem Vormarsch. Auch wenn für alle Kinder eine Schulpflicht besteht können nicht alle eine Schule besuchen, da es nicht genug Schulen gibt und Schulgeld bezahlt werden muss. In Stellenbosch gibt es z.B.
1 englischsprachige Mädchenschule, 1 afrikaanssprachige Mädchenschule, 1 afrikaans/englischsprachige Jungenschule, 2 afrikaanssprachige gemischte Schulen, 1 englischsprachige Grundschule und 3 afrikaanssprachige Grundschulen. Da die High Schools so etwas wie Gesamtschulen sind, ist das Niveau nicht besonders hoch. Außer in Englisch habe ich nichts gelernt, aber deswegen macht man ja eigentlich keinen Austausch. Ich bin dort auch die ganze Zeit zur Schule gegangen und habe mich über die Disziplin gewundert. In Südafrika muss eine Schuluniform getragen werden, was mich aber nicht so sehr gestört hat. Im Winter bestand sie aus einem blauen Rock, weißer Bluse, blauer Krawatte, Pulli und Blazer sowie schwarzen Strumpfhosen und Schuhen, im Sommer war es nur ein einfaches blaues Kleid, weiße Socken und schwarze Socken und schwarze Schuhe, wobei Pullover und Blazer drüber getragen werden durften. Was mich daran störte war, dass die Winteruniform nicht immer warm genug war und ich manchmal jämmerlich gefroren habe. Es gab außerdem strenge Regeln zur Frisur und Schmuck. Während des Unterrichts war es meistens sehr still, allerdings fand auch nur in wenigen Fächern ein Klassengespräch statt. Jeder Schüler hat nur 6 bis 7 Fächer, der Unterricht dauerte immer von 8 bis 14Uhr. Englisch und Afrikaans sind Pflichtfächer, alles andere kann man frei wählen. So gab es nicht wenige, die statt Mathe Hauswirtschaft genommen haben. Weniger beliebte Fächer wie Deutsch, Latein, Französisch oder technisches Zeichnen waren Kooperationskurse mit der Jungenschule. Zweimal im Jahr werden Examen geschrieben, im Juli und im November. Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, im November teilnehmen zu dürfen und habe gar nicht so schlecht abgeschnitten. Es ging in vielen Fächern eigentlich nur darum, auswendig gelernten Stoff niederzuschreiben, nur in Deutsch, Englisch und Physik ging es um Verständnis. Als wohltuend empfand ich es, dass gute Schüler sehr angesehen waren, auf schlechtere im Allgemeinen aber nicht herab gesehen wurde.
Besonders ungewöhnlich fand ich, wie an einige Themen herangegangen wurde. In Bio wurde beispielsweise das Thema Sexualkunde durchgenommen. Da es sich um eine christliche Schule handelte und die Lehrerin selbst nicht verheiratet war, sagte sie häufiger, dass sie uns das alles nur aus zweiter Hand berichten könne. Bezeichnend ist auch, dass das Thema im Biobuch mit dem Kapitel Liebe und Ehe begann.
Jeden Morgen mussten wir und klassenweise auf dem Schulhof in Reihen aufstellen und absolut still sein. Nach einem gemeinsamen Morgengebet wurden dann mehr oder weniger wichtige Ankündigungen gemacht, z.B. wann das Basketballtraining stattfindet oder welche Ausflüge geplant sind. Montags und freitags mussten wir uns dazu sogar in der Turnhalle versammeln. Der 12.Jahrgang durfte auf Stühlen sitzen, der Rest musste streng angeordnet auf dem Boden hocken. Es war immer eine andere Klasse dafür verantwortlich, die Versammlung zu leiten. Es wurde immer gebetet, gesungen, eine lehrreiche Geschichte vorgelesen oder ähnliches. Ganz am Schluss rief die Direktorin immer die Schülerinnen auf, die etwas besonderes geleistet hatten, in der Schule oder beim Sport.
Sehr wichtig sind die Prefects. So gut wie jeder wollte Prefect werden, es wurde viele Tränen vergossen, als die Nominierten bekannt gegeben wurden und noch mehr, als schliesslich feststand, wer gewählt worden war. Die Prefects haben viele verschiedene Aufgaben: sie kümmern sich um die Angelegenheiten der Schüler, verwalten gefundene Dinge, organisieren Sportfeste, etc. Noch wichtiger allerdings war das Headgirl, das bei den Versammlungen neben der Direktorin sitzen musste und wirklich viele Aufgaben hatte.

Freizeit:

Sport und Musik spielten eine sehr wichtige Rolle in meiner Gastfamilie. Dem Alter nach spielten die Kinder Klarinette, Klavier, Trompete und Violine. Dann übten sie auch noch alle den südafrikanischen Nationalsport aus: Hockey. Die beiden älteren waren beide im U18 Nationalteam und hatten während meiner Anwesenheit auch mehrere Spiele zu bestreiten. Dann waren sie alle noch in den entsprechenden Schulteams und den Mannschaften der Provinz. Das bedeutete, dass im Winter eigentlich jedes Wochenende mindestens einer ein Spiel hatte. Im Sommer trat dann Tennis an die Stelle des Hockeys.

Da meine Gastfamilie sehr religiös ist, waren wir jeden Sonntag mindestens einmal in der Kirche, und auch sonst spielte der Glauben eine große Rolle. Vor dem Essen wurde immer gebetet, aber auch manchmal, wenn Besuch kam. Die Kinder gingen alle jeden Freitag zur Jugendgruppe der Kirche. Ich selber bin nicht religiös, bin aber immer mit in die Kirche gegangen und hatte auch kein Problem mit der Religiosität, da sie mich damit in Ruhe gelassen haben. An einige Dinge musste ich mich erst gewöhnen, z.B. dass es bei der jüngsten Tochter großes Erstaunen hervorrief, dass das Hausmädchen ein Kind bekam, ohne verheiratet zu sein. Einige der Mädchen aus der Clique hatten einen Freund, von dem sie sich aber erst küssen ließen, wenn sie schon einige Monate zusammen waren, und mehr lief da auch nicht, da bin ich mir ziemlich sicher. Lustig fand ich es immer, wenn eines der Mädels anfing, über ihre Hochzeit zu sprechen und schon alles geplant hatte. Und dass sie am Vorabend ihrer Hochzeit niemandem mehr in die Augen gucken könne, da alle ja wüssten, was sie am nächsten Abend machen würde usw.
Das findet man in Deutschland natürlich auch noch, aber für wen das jetzt ungewohnt klingt, der sollte einfach offen auf die Südafrikaner zugehen. Die Mädchen waren zwar in vielerlei Hinsicht ganz anders als ich, aber trotzdem hatten wir viel Spass zusammen, da wir offen und interessiert aufeinander zugegangen sind. Wir haben uns häufig am Wochenende getroffen, haben gemeinsam gegessen, Videos geguckt, gelacht, getanzt und einfach nur eine schöne Zeit gehabt. An meinem Geburtstag hat meine Gastschwester eine Überraschungsparty organisiert, die zwar ganz anders war als deutsche Feten, mir aber außerordentlich gut gefallen hat.

Natürlich gab es auch das andere Extrem: an der Schule waren genug Mädchen, die sich jedes Wochenende betrunken haben und auch mit ihren Freunden geschlafen haben. Wenn man nach Südafrika fährt, sollte man sich zum Einen bewusst sein, dass der Kulturunterschied immens groß sein kann, insbesondere wenn man in eine farbige oder schwarze Familie kommt, zum Anderen aber auch, dass er vielleicht nur minimal ist.

Kriminalität:

Jetzt komme ich zu der etwas problematischeren Seite: der hohen Kriminalität im Land. Südafrika ist das Land mit der höchsten Aidsrate und auch mit der größten Zahl an vergewaltigten Schülerinnen. Man sollte sich in dieser Hinsicht wirklich nach den Anweisungen der Gastfamilie richten, denn die lebt schon länger mit dem Problem und kennt sich bestens damit aus. Es gibt da natürlich auch regional noch große Unterschiede, in Stellenbosch konnte ich mich z.B. tagsüber frei bewegen, in einigen Gegenden Kapstadts hingegen sollten Austauschschülerinnen besser nie alleine vor die Tür gehen. Aber eine verantwortungsbewusste Organisation wird sich vermutlich darum bemühen, nur Gastfamilien in relativ sicheren Gegenden zu wählen.

Fazit:

Ich wollte mal etwas anderes machen und es hat sich für mich wirklich gelohnt. Noch heute kann ich mich an viele der Gespräche erinnern, die ich mit meiner Gastmutter über die englische Sprache geführt habe oder mit meinem Gastvater über die wirtschaftliche und politische Situation Südafrikas. Oder ich denke an meinen jüngeren Gastbruder, der seine anfängliche Scheu schnell überwandt und häufig in mein Zimmer kam, um sich mit mir zu unterhalten oder um Hilfe mit dem Computer zu fragen. Oder das Hausmädchen, die nur sehr wenig Englisch sprach und die ich zuerst überhaupt nicht verstand, mit der ich mich am Schluss aber auch häufig unterhielt. Oder die Musikabende mit der ganzen Familie... Ich habe viele wertvolle Stunden erlebt, die mein Leben bereichern. Ich denke mit Liebe an die ganze Familie zurück. Der Austausch hat mich stark gemacht. Ich bin ganz alleine 15000km weit gereist und war vier Monate von zuhause weg. Ich habe eine völlig andere Kultur kennen und achten gelernt.
Natürlich weiss ich, dass ich wahnsinniges Glück hatte, in diese Familie zu kommen, aber da ich die Südafrikaner im Allgemeinen als sehr gastfreundlich erlebt habe, denke ich, dass es noch zahlreiche solcher Familien gibt, die bereitwillig einen Gast aufnehmen.

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