Ich war zwölf (Taschenbuch) / Schweighoffer Nathalie Testbericht

Liebe Leserinnen und Leser!

Vor zwei Wochen stöberte ich mal wieder bei amazon nach einem neuen Buch. Da ich ab und zu gerne Erfahrungsbücher lese, fiel diesmal meine Wahl auf das Buch von Nathalie Schweighoffer "Ich war zwölf…". Bezahlt habe ich 6,95 € wofür es sich gar nicht lohnt, bei ebay zu suchen. Erschienen ist das Buch schon Anfang der 90er Jahre, ich habe mittlerweile die 18. Auflage. Über die ISBN-Nummer könnt ihr das Buch in eurem Buchladen bestellen: 13-978-3-404-61238-3.

Schon nach den ersten Seiten war ich so gefesselt, dass ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen wollte. Nathalie schreibt sehr emotional, fast aus dem Bauch raus. Sie redet nicht lange drum herum, sondern legt recht schnell mit dem eigentlichen Thema los. Sie erzählt nur das notwendige, und lässt genug Platz für die eigene Fantasie, gerade was die Personenbeschreibung angeht.

Nathalie erzählt von ihrer Geschichte als misshandelte und missbrauchte Tochter. Der Vater benutzt sie nächtelang für seine perversen Fantasien, die mit den Jahren immer ekelhafter und grausamer werden. Er setzt sie physisch und psychisch dermaßen unter Druck, dass sie sich keinem anvertraut. Sehr bald schon fühlt sie sich selber so schuldig, dass sie alle um sich herum belügt. Schon bald äußern sich die Folgen, in dem die Schulnoten schlechter werden, sie klaut und lügt, wird aggressiv.

Auch wenn sie ihrem Vater gegenüber oft sagt, dass sie den Missbrauch nicht will, hat sie keine Chance. Er setzt sie regelmäßig unter Druck, in dem er ihr zu verstehen gibt, dass ihr keiner glaubt und sie ihre Mutter damit umbringen würde. Irgendwie schafft er es immer, dass er ihre Hilferufe zu seinen Gunsten nutzen kann, und sie wieder gefügig ist. Er macht später nicht mal halt vor Drogen, die er selber nimmt, aber auch ihr aufdrängt. Er ist so krank, dass er sich einbildet, sie würde durch Pornofilme Spaß daran bekommen, was er mit ihr macht.

Mit 12 fängt ihr Grauen an, und endet erst mit 17, als ihre Mutter endlich den Absprung schafft. Mit 19 schreibt sie dieses Buch, nach dem Sie den Prozess gegen ihren Vater geführt hat.

†††† Leseproben ††††

Nichts kann das Buch besser beschreiben, als ein paar sehr eindrucksvolle Leseproben, die mir im Gedächtnis blieben:

S. 50
>> Also steht man da, gelähmt, lässt es über sich ergehen, fleht, weint, das ist alles, was man tun kann. Was sollte man mit zwölf Jahren schon anderes tun, als den lieben Gott oder seinen Vater um Hilfe zu rufen? Und der liebe Gott verschwindet zur selben Zeit wie der Vater. Was bleibt, ist die Lautlosigkeit des Grauens, das über den Körper kommt, mit den unbekannten Händen, die einen beschmutzen.<<

S. 143
>> Montagmorgen schleppe ich mich wieder zur Penne. Flo schlägt mir auf die Schulter: "Du schaust aberkomisch aus der Wäsche! Was hast du am Sonntag gemacht?"
"Nichts!"
Nichts. Er hat mich das ganze Wochenende genervt. Ich habe wieder einmal machen müssen, was er wollte. Er hat mich geschlagen, weil ich nichts empfunden habe. Er hat mir Drogen gegeben, damit ich "begreife, dass ich ihm Unrecht tue, wenn ich ihn nicht liebe". Ich habe einen dicken Kopf, ein dreckiges Gesicht. Auch wenn ich mir das Gesicht mit Schmirgelpapier abgerieben hätte - ich fühle mich ständig schmutzig, meine Haare kleben am Kopf. <<

S. 280
>> Sie schläft immer noch in ihren Kleidern. Sie hat keine Waschmaschine kaufen können, als sie ihr neues Leben begann. Sie wäscht ihre schmutzig Wäsche mit der Hand."<<

†††† FAZIT ††††

Leider werden kaum Männer dieses Buch lesen, und schon gar nicht "solche"! Nathalie klagt an, aber nicht nur diese perversen und kranken Männer, sondern auch uns - die, die zu gucken und nichts unternehmen. Sie zeigt Situationen auf, in den man helfen könnte, wenn man nur richtig zuhören würde, oder die richtigen Fragen stellen würde.

Dieses Buch halte ich für eine Pflichtlektüre, besonders in der Schule. Gerade hier könnte Aufklärung erfolgen, um möglichen Opfern aus ihrem Gefängnis heraus zu helfen, oder prophylaktisch um bei allen das Bewusstsein zu schärfen. Denn oft merken selbst die besten Freunde und Familienangehörige nichts, da misshandelte Kinder ein Geflecht aus Lügen um sich herum spinnen.

Der Schreibstil ist genial, ehrlich, offen, direkt. Man kann dem erlebten sehr gut folgen und steigt emotional sofort ein. Ich denke, dass auch jüngere Leser mit dem Buch etwas anfangen können, und auch sollten. Sicherlich sollte das Buch dann mit Erwachsenen besprochen werden, da doch einige Stellen Sachen enthalten, die für jüngere erklärungsbedürftig sind, aber meiner Meinung nach gehört das zur Aufklärung. Jeder sollte wissen, dass das Leben nicht nur schöne Seiten hat. Wir alle müssen die Augen aufhalten, je früher, desto besser!

Das Buch hat mir vom Schreibstil besser gefallen, als "Ich bin nicht mehr eure Tochter!", da mir die "Story" authentischer vorkam. Außerdem greift sie in ihrem Buch jeden Leser persönlich an - zu Recht - er solle die Augen öffnen, hinschauen. Dennoch empfinde ich es wichtig, solche Bücher generell weiter zu empfehlen denn wenn nur ein Buch von der richtigen Person gelesen wird, und ihr geholfen werden kann, dann hat es seinen Zweck erfüllt!

Liebe Grüße, Bianca