Der Wanderchirurg (Taschenbuch) / Wolf Serno Testbericht

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ab 7,65
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Erfahrungsbericht von kassandra

Toller historischer Roman

Pro:

gut recherchiert, schöne Erzählweise, spannend und interessant

Kontra:

nichts

Empfehlung:

Ja

Ich habe ja schon ein paar Berichte über Bücher eingestellt – ich lese eben gern und viel. Heute möchte ich Euch das Buch „Der Wanderchirurg“ von Wolf Serno vorstellen.

Ich habe mir dieses Buch im Bertelsmann-Laden für 9,90 € gekauft, allerdings ist es wieder nur eine Paperback-Ausgabe des Knaur-Verlags München. Auf den weinrot gestalteten Umschlagseiten sieht man neben den üblichen Angaben zum Verlag, Autor und Buchtitel das Bildnis eines jungen Mannes in der Art und Weise, wie man im 16. Jahrhundert gemalt hat, erinnert ein wenig an Albrecht Dürer. Auf der Rückseite stehen grobgefaßte Angaben zum Inhalt des Buches.


Zum Inhalt

Alles beginnt mit der Fahrt des Schiffes „Thunderbird“ im Jahr 1556 von Portsmount in die neue Welt. Das Schiff gerät in einen Sturm und ausgerechnet in dieser Nacht wird an Bord ein Kind geboren von einer jungen, unverheirateten englischen Lady. Das Schiff übersteht den Sturm, muß aber an der spanischen Küste „notlanden“.

Zwanzig Jahre später: In dem spanischen Zisterzienserkloster in Campodios liegt der Abt im Sterben. Er bittet Vitus, einen etwa 20jährigen blonden jungen Bruder, zu sich und erzählt ihm, was er über dessen Herkunft weiß. Vitus war ein Findelkind, das der Abt gefunden und im Kloster aufgenommen hat. Der Abt gab dem Knaben den Namen Vitus nach dem lateinischen Vita = Leben. Vitus wurde im Kloster im christlichen Glauben der Zisterzienser erzogen und schon sehr früh von einem Pater in die Kunst der Chirurgie und der Pflanzenkunde eingeweiht. Er war in der Lage, Krankheiten zu heilen, Brüche zu versorgen, Zähne zu ziehen usw.

Das einzigste, was das Kind bei sich hatte, als der Abt es fand, war ein Stück rotes Tuch, bestickt mit einer Art Wappen. Der Abt vermutet die Herkunft des Knaben in England und bestärkt den jungen Vitus, nach England zu reisen und selbst Nachforschungen über seine Herkunft anzustellen.

Nach dem Tod des Abtes macht sich Vitus von Campodios auf den Weg. Er will nach Santander laufen, eine Hafenstadt, und hofft, dort ein Schiff für eine Überfahrt nach England zu finden. Er wird ein Stück von dem Fuhrmann Emilio auf seinem Karren mitgenommen und die beiden freunden sich an. Auf seinem weiteren Weg trifft Vitus auf einen Zwerg mit einem riesigen Kopf und einem Buckel, der ihm einen Schlaftrank verabreicht, den Vitus in seiner Gutgläubigkeit auch trinkt. Als er wieder wach wird befindet er sich im Kerker der Stadt Dosvaldes. Er war von der Inquisition verhaftet worden und sollte als Ketzer verurteilt werden.

Im Gefängnis freundet er sich mit Garcia, einem Magister, an. Die beiden helfen sich gegenseitig, die Umstände im Kerker etwas erträglicher zu machen. Als Garcia nach der Folter schwer verletzt ist, pflegt Vitus ihn gesund, wobei er die Wärter bestechen muß, um an Medizin zu gelangen, die dem Verletzten helfen sollen.

Dann wird er selbst zum Verhör geführt. Er versucht, dem Inquisitor Ignacio, einem Franziskaner, klar zu machen, daß er kein Ketzer ist, aber er landet auf Grund der Verbohrtheit des Inquisitors, der sich strikt an die jahrhundertealten geschriebenen Regeln der Inquisition hält, in der Folterkammer. Die Folter wird nach kurzer Zeit abgebrochen, als der Papst den Inquisitor Ignacio abberuft. Vitus landet mit schwer verletzten Daumen, Oberschenkel und Gesäß wieder im Kerker. Es gelingt ihm, einen Wärter, auf seine Seite zu ziehen. Der Wärter hat ein offenes Bein und hinkt dadurch. Vitus verspricht ihm, das Bein zu heilen. Nunu, der Wärter, besorgt alles, was Vitus für seine eigene Gesundung und die Heilung des Beines des Wärters benötigt. Die Heilung gelingt, Vitus ist wiederhergestellt und Nunu kann wieder laufen, ohne zu hinken.

Eines Tages gelingt es Vitus, den Wärter zu überlisten und gemeinsam mit seinem Freund Garcia aus dem Kerker zu fliehen. Auf der Flucht helfen den beiden Vitus’ Freunde und seine Glaubensbrüder aus dem Kloster, die nach Dosvaldes gekommen waren, um vor Gericht für ihn auszusagen.

So können Vitus und Garcia schließlich bei einer bunt gewürfelten kleinen Wandertruppe unterschlüpfen, die durch die Lande ziehen und ihre Kunststücke zum Besten geben. Da gibt’s einen Fechtmeister, einen Zauberer, Artisten usw. Nachdem Vitus den Doctorus der Gruppe als Scharlatan entlarvt hat und dieser über Nacht die Gruppe verlassen hatte, übernimmt Vitus wohl oder übel die Arbeit des Doctorus. Dabei assistiert ihm die Zigeunerin Tirzah, in die er sich verliebt. Diese Liebe stürzt Vitus in Gewissenskonflikte und als die Wandergruppe endlich in Santander angekommen ist, schließt sich Tirzah einer anderen Zigeunertruppe an, weil ist klar ist, daß Vitus sie nie heiraten wird.

In Santander geraten Vitus und Garcia in die Hände skrupelloser Menschenhändler, die junge Männer mit Schlafmitteln bewusstlos machen und sie auf ein Schiff bringen, wo sie erst wieder erwachen, wenn das Schiff bereits abgelegt hat. Freiwillig würde sich keiner dieser Männer als Matrose anheuern lassen, und so wird auf diese Art und Weise der Mangel an Seeleuten gelöst. Auch Vitus und Garcia landen bewusstlos auf dem Schiff „Cargada“. Vitus kommt um den Dienst als Matrose herum, nachdem der Kapitän des Schiffes sich von seinen medizinischen Fähigkeiten überzeugt hatte; Garcia ist jetzt Vitus’s Gehilfe.

Als das Schiff kurz danach durch einen Fehler des Kapitäns sinkt, werden die Freunde von der Mannschaft des englischen Schiffes „Falcon“ gerettet. Dort lernt Vitus Arlette kennen, eine hübsche junge Engländerin. Nach einer Liebesnacht mit ihr entdeckt er in ihrer Kabine eine Truhe, auf der genau das Wappen eingeschnitzt ist, daß auf seinem roten Tuch eingestickt ist. Jetzt wusste er, daß es das Wappen der Collincourts ist und daß Arlette ein Mitglied dieser Familie, also eine nahe Verwandte sein musste.

In England angekommen sucht Vitus den Familiensitz der Familie Collincourt auf und lernt endlich seinen Onkel Odo kennen, der ihm alles über seine Mutter und seinen Vater erzählen kann. Arlette war die Enkelin von Odo Collincourt. Sie war kurz nach der Ankunft in England in die Neue Welt aufgebrochen, um dort ihr Glück zu suchen. Vitus beschließt, England zu verlassen und Arlette wiederzufinden.

Hier endet das Buch „Der Wanderchirurg“. Ich möchte eigentlich nicht viel mehr auf den Inhalt eingehen, weil dieser Bericht ja dazu anregen soll, das Buch selbst zu lesen.


Mein Fazit

Auf 811 Seiten erzählt der Autor Wolf Serno die Geschichte des Wanderchirurgen Vitus von Campodios von dem Moment an, wo er selbst über seine Herkunft erfährt, bis hin zum Finden seiner Wurzeln in England. Der Erzählstil ist wunderschön bildreich, dabei nicht abschweifend. Charakterstudien sind so präzise, daß man das Bild des Menschen oder der Landschaft direkt vor seinem geistigen Auge sehen kann. Man fiebert mit dem Helden mit, versteht sein Denken, seine Gefühle und Handlungen, freut sich fast mit ihm, als er die Liebe entdeckt und versteht seine innere Zerissenheit, die durch die anerzogene „Gesinnung“ im Kloster seine Liebe zu Tirzah überschattet.

Ein großer Teil des Buches handelt von Vitus’ Kerkerhaft, den Verhören und der Folter. Von der Inquisition hat wohl jeder schon gehört oder gelesen. Gerade in Spanien waren die Inquisitatoren unbarmherzig, kaum einer der Angeklagten entkam der Folter und dem Feuertod. Um der Ketzerei bezichtigt zu werden genügte ein kleiner Hinweis an den Inquisitor, schon wurde der Beschuldigte verhaftet und den grausamsten Foltermethoden unterzogen, um ein Geständnis zu erpressen. Oft wurden auf diese Art und Weise unliebsame Nachbarn beiseite geschafft. Vitus wurde der Ketzerei beschuldigt, weil er sich seinen Wanderstab quer über die Schulter gelegt hatte und auf Zehenspitzen gelaufen war. Einkleiner Junge hatte ihn beobachtet und für Jesus gehalten. Die Kerkerhaft, das Verhör, das sich an strenge, uralte Regeln hält, und die Folter, die in einer ganz bestimmten Reihenfolge am Deliquenten durchgeführt wird, werden vom Autor so eindringlich geschildert, daß einem beim Lesen kalte Schauer über den Rücken jagen.

Sehr gut recherchiert fand ich auch die medizinischen Details, nicht nur in Bezug auf Operationsmethoden, sondern vor allem in Bezug auf Kräuter- und Pflanzenkunde. Es scheint kaum vorstellbar, daß man bereits im 16. Jahrhundert in der Lage war, mit einem Stich mit der Lanzette in den Augapfel Grauen Star zu heilen. Vitus operiert z.B. den Sohn eines befreundeten Bauern. Der Junge hat eine offene „Hasenscharte“ und spricht dadurch sehr schlecht. Vitus schließt die Hasenscharte und benutzt dabei goldene Nadeln, was für die damalige Zeit schon ein Riesenfortschritt war. Zum Blutstillen wurde einfaches Essigwasser oder Alaunstein verwendet, gegen Fieber half ein Tee aus Weidenrinde.

Die „Thüringer Allgemeine“ schrieb folgende Kritik: „Ein Buch, das durch seine atemberaubende Erzählweise jeden Fan historischer Romane fesselt, ein Buch, das man mit dem Herzen liest und das alles um einen herum vergessen lässt.“ Dazu kann ich nur sagen: Ich habe nichts hinzuzufügen!

Über den Autor nur so viel: Er wurde 1944 in Hamburg geboren, arbeitete nach seinem Studium als Texter und Creative Director in großen Werbeagenturen und war Dozent an der Werbefachschule Hamburg. Seit 1997 schreibt er Bücher, in denen u.a. seine Leidenschaft für die Geschichte der Medizin zum Ausdruck kommen. „Der Wanderchirurg“ ist sein Erstlingswerk.

Und wen die Geschichte von Vitus von Campodios interessiert, wer wissen möchte, ob er seine Arlette wiederfindet und mit ihr glücklich wird, der sollte das zweite Buch von Wolf Serno lesen: „Der Chirurg von Campodios“. Das werde ich mir jetzt besorgen und in ein paar Wochen gibt’s dann den nächsten Bericht von mir. Bis dahin

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